Ein verhängnisvoller Fehler - Kapitel 2

markmel

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Gedankenversunken lief Tim die Strasse entlang.

Es war ein aufregender Tag für ihn gewesen.

Immerhin war es für einen achtjährigen nichts alltägliches vor versammelter Gruppe ein eigenes Referat abzuhalten.

Sicher, er kannte jedes einzelne der Kinder seiner Klasse 3b, dennoch hatte er am Abend zuvor ein unangenehmes Ziehen in der Magengrube verspürt.

Beim Abendessen hatte er kaum einen Bissen herunterbekommen, seine Kehle war wie zugeschnürt gewesen. Seine Mom versuchte ihn zu beruhigen, und erklärte dass er sich keine Sorgen machen solle, selbst Stars wie er sie aus dem Fernsehen kannte, wären vor ihren Auftritten nervös.

Es war unmöglich für ihn sich vorzustellen, dass es noch jemandem auf der Welt gäbe, dem es so schlecht gehen könnte wie ihm.

Noch weniger konnte er seiner Mutter glauben dass die Erwachsenen im Fernsehen vor einem Auftritt ebenso aufgeregt waren wie er. Schliesslich waren sie schon gross, und nicht wie er ein kleines Kind.

Tim war auf sein Referat gut vorbereitet, aber die Angst keinen Ton sagen zu können oder gar zu stottern, während seine Klasse und sein Lehrer zusahen, lastete fast übermächtig auf seinen Schultern. Der Gedanke liess ihn nicht mehr los.

Seine Mutter war in sein Zimmer gekommen um ihm wie jeden Abend eine Gutenacht-Geschichte vorzulesen, doch er war zu nervös um ihr auch nur im Geringsten zu folgen.

So bat er sie, zum ersten Mal solange er sich zurückerinnern konnte, mit dem Lesen aufzuhören, und ihm zu erklären was mit ihm los war.

Tim war vollkommen aufgewühlt, und weder in der Lage zu verstehen woher die Schmerzen kamen, noch warum er so nervös war.

Wie hiess nochmal das Wort das sie ihm gesagt hatte? "Lampenfieber" murmelte er nach kurzem Überlegen.

Seine Mutter hatte über Tims Frage lachen müssen, als er wissen wollte wieso Lampen Fieber bekommen könnten, und zu welchem Doktor sie dann gehen müssten. Und was sollte dass überhaupt mit seinen Scherzen zu tun haben? Er hatte noch nie davon gehört das auch Lampen krank werden.

Nun wusste er, nach der Erklärung seiner Mutter, was das Wort bedeutete. Helfen konnte sie ihm allerdings nicht damit.

Seine Nacht war unruhig, und er wälzte sich im Bett von einer Seite auf die andere.

Als Tim am morgen aufgestanden war, fühlte er sich noch schlechter als am Vortag. Das Ziehen im Magen war nun noch stärker geworden, und er fühlte sich schlapp und müde.

Sein Ärger über sich selbst wuchs von Minute zu Minute. Wieso war er so doof gewesen und seine Hand gehoben, als sein Biologielehrer einen Freiwilligen suchte, der ein Referat über Tiere im Zirkus nicht nur vorbereiten, sondern letztendlich vortragen sollte. Es war wie ein Reflex, den er in diesem Moment nicht hatte kontrollieren können, ähnlich dem Gefühl das man beim Niesen verspürt.

Er war schon immer in Tiere vernarrt, und der Zirkusbesuch im letzten Jahr war ihm noch sehr gut in Erinnerung. Das grosse Zirkuszelt, die Clowns, die Akrobaten - an all das erinnerte er sich gerne. Doch waren es die Tiernummern, die tiefe Spuren in seinem Gedächtnis hinterlassen hatten.

Eine Spur von Angst war in ihm aufgekommen, als der Dompteur die Manege betreten hatte, und die Tiger und Löwen durch das Gitter kamen. Doch was dann folgte, verwandelte seine Angst in grenzenloses Staunen.

Bisher hatte er diese Tiere nur im Fernsehen oder Büchern gesehen, tatsächlich waren sie noch viel, viel schöner anzuschauen.

Wie gerne würde auch er einmal so eine schicke Uniform tragen, und mit Stock und Peitsche in den Händen, diese Raubkatzen bei ihren Attraktionen führen. Das Tiger und Löwen Raubkatzen waren, stand in dem Buch, das ihm seine Mutter zum letzten Geburtstag geschenkt hatte. Zweifellos würde er die Tiere niemals mit der Peitsche schlagen, aber als Dompteur brauchte man sie um diesen lauten Knall in der Luft zu vollführen.

Die Liebe zu den Tieren war es, die ihn in diese Lage gebracht hatte.

Zu Beginn war er sehr stolz gewesen, sein erstes Referat in seinem noch jungen Leben vorbereiten zu dürfen. Seine Mutter unterstützte ihn soweit er es zuliess, und so hatte er nicht allzu lange gebraucht um die Vorbereitungen abzuschliessen.

Doch die Ängste die sich in ihm aufgebaut hatten, stellten sich als völlig unbegründet heraus. Tim war nur zweimal während des gesamten Vortrages aus seinem Text gekommen, und hatte Applaus und Lob von seinem Lehrer und seinen Klassenkameraden bekommen. Diese Gedanken schwirrten, auf seinem Weg nach Hause, in seinem Kopf umher. Erwarstolz und fühlte sich nun nicht mehr als kleiner Junge.

Als er nur noch wenige Minuten des Weges vor sich hatte, wurde seine Aufmerksamkeit durch ein buntes Plakat an einer Litfasssäule erregt.

Auf dem Plakat waren vier Tiger abgebildet, die in einem Halbkreis, das Maul weit geöffnet, aufrecht auf ihren Podesten sassen. Vor ihnen stand ein Dompteur wie ihn Tim bei seinem letzten Zirkusbesuch gesehen hatte. Über dem Bild stand in grossen Buchstaben >>Circus Simbali<<, weiter unten in etwas kleineren Buchstaben "Am Donnerstag den 13.11.2003 in Ihrer Stadt".

Er spürte wie sein Herzschlag immer schneller wurde, und er vor lauter Aufregung einen ganz trockenen Mund bekam. Er rieb sich die Augen und blickte wieder auf das Plakat. Es war immer noch da, es war also nicht nur ein Traum gewesen.

Ein Zirkus bei ihm in der Stadt?

Ohne Frage, da musste er einfach hin.

Er zog seinen Schulranzen eng an sich und begann immer schneller zu laufen. Er rannte als würde es um sein Leben gehen, von der Angst getrieben etwas zu verpassen.

Dabei war heute doch erst Montag, es waren also noch drei Tage Zeit. Doch Tim wollte so schnell wie möglich zu seiner Mutter, um ihr seine Entdeckung mitzuteilen.

Ihm kam die Strecke wie eine Ewigkeit vor, obgleich er nur wenige hundert Meter zurückzulegen hatte. Ein lautes Hupen schreckte ihn auf. Vor lauter Eile hatte er an einer Kreuzung das Rotlicht einer Ampel übersehen,und ohne auf den Verkehr zu achten auf die Strasse gerannt. Nun fand er sich wenige Zentimeter entfernt vor dem Kühlergrill eines Autos wieder. Der Fahrer öffnete dieTür und stieg aus, um sich zu vergewissern das dem kleinen Jungen nichts geschehen war. Doch Tim hatte, nachdem der Schrecken überwunden war, seinen Dauerlauf wieder fortgesetzt, ohne auf das Rufen des Mannes zu reagieren.

Vollkommen ausser Atem erreichte er endlich die Haustüre, klingelte und klopfte im stürmischen Wechsel, bis die Tür endlich von seiner Mutter geöffnet wurde.

"Was ist denn mit Dir passiert Timmy?" fragte sie ihn mit Schrecken im Gesicht, "geht es Dir gut?"

Der Versuch ihr auf die Frage zu antworten scheiterte mit einem kläglichen Laut. Mehr brachte Tim dank seiner trockenen Kehle und den brennenden Lungen nicht heraus. Um seiner Mutter die Frage dennoch zu beantworten nickte er nur stumm mit dem Kopf.

"Komm erstmal rein und setz Dich mein Schatz, ich hole Dir ein Glas Saft. Und dann erzählst Du mir in aller Ruhe was passiert ist, ok?"

Tim versuchte zu protestieren, sah aber ein das aller Protest der Welt nichts nutzen würde. Seine Mutter war voller Liebe für ihn, und schimpfte sehr selten. Doch wenn sie wollte, konnte sie verdammt dickköpfig sein.

So nickte er nur erneut und ging ins Wohnzimmer.

Auf der Couch angekommen, versuchte er zu Atem zu kommen. Er wollte seiner Mom nicht noch mehr Argumente liefern um ihn vorübergehend ruhigzustellen.

Das Feuer in seinen Lungen liess langsam etwas nach, ebenso die Schmerzen in seinen Beinen. Doch sein Herzschlag wollte sich nicht beruhigen, zu gross war die Aufregung die in ihm wühlte.

Es kam ihm wie Stunden vor, bis seine Mom mit einem Glas Saft in der einen, und einem Teller mit Keksen in der anderen Hand, endlich im Wohnzimmer auftauchte. Sie stellte das Glas und den Teller auf den Tisch. Tim griff nach dem Glas und nahm zwei grosse Schlücke.

"Was um alles in der Welt ist denn passiert Tim?" fragte sie ihn besorgt.

"D-d-d-d-er Zirkus kommt in die Stadt!" platzte es aus ihm heraus, froh endlich die Neuigkeit verkündet zu haben.

Seine Mutter sah ihn mit ungläubigem Blick an. "Bitte? Wiederhol das nochmal. Der Zirkus kommt in die Stadt? Und deswegen kommst Du nach Hause als wäre eine Horde wilder Hunde hinter Dir her?"

Tim war gekränkt, fühlte sich durch die Reaktion seiner Mutter nicht ganz ernst genommen.

"Aber Mama, das ist die Sensation schlechthin. Darf ich bitte dahin gehen? Bitte, bitte!"

Sie war erleichtert das dies alles war, was ihren Sohn so aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.

"Erzähl mir mal wie Dein Referat gelaufen ist. Dann sehen wir weiter" sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen.

"Es war klasse. Alle haben geklatscht und mich gelobt", antwortete er mit hörbarem Stolz.

Er stand auf und holte seinen Schulranzen. Tim zog das Referat heraus und gab es seiner Mutter. Auf dem letzten Blatt hatte der Lehrer seine Bewertung vermerkt. "Du hast Dir bei Deiner Arbeit sehr viel Mühe gegeben." Und darunter war in roter Schrift ein grosses A+ gezeichnet.

Tims Mutter Eleonora nahm ihren Sohn in die Arme,strich ihm über sein volles blondes Haar, und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

"Ich bin sehr, sehr stolz auf Dich mein Kleiner."

Eleonora war als alleinerziehende Mutter um ihr einziges Kind immer sehr besorgt gewesen, war er doch alles was ihr geblieben war, nachdem sich der Vater des Kindes nach der ersten gemeinsamen Nacht aus dem Staub gemacht hatte. Sie konnte es sich nicht erklären wie es zu diesem One-Night-Stand überhaupt gekommen war.

Eleonora war nie eine Frau für eine Nacht gewesen, und anfangs gewöhnlich sehr zurückhaltend, wenn sie einen Mann kennenlernte. Doch dieser Mann hatte ihr vom ersten Augenblick an die Sinne geraubt. Sein blendendes Aussehen hatte dabei nicht die entscheidende Rolle gespielt. Vielmehr war es seine Selbstsicherheit und Souveränität die er ausstrahlte.

Er hatte sie höflich in einem Café angesprochen und gefragt ob er sich zu ihr setzen dürfe. Eleonoras Kopf sagte ihr das sie seine Frage verneinen sollte, doch statt dessen brachte sie nur ein "Ähm, gerne" hervor.

Sie unterhielten sich über die verschiedensten Themen, und sie spürte wie ihr Blut immer mehr in Wallung geriet, ihr Hormonhaushalt völlig verrückt spielte. Wie lange hatte sie sich schon nicht mehr einem Mann hingegeben dachte sie sich, während sie ihn ansah.

Sie sah auf seine Hände, und ertappte sich bei der Vorstellung was diese Hände auf ihrem Körper anstellen würden, wenn sie es nur zuliess.

"....leider gehen. Hallo?" hörte sie seine Stimme und wurde aus ihrem erotischen Tagtraum gerissen. "Wo sind sie denn mit ihren Gedanken?" fragte er sie lachend.

"Äh mir ist nur gerade etwas eingefallen dass ich noch erledigen muss" antwortete sie, und spürte wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg.

Er sprach sie nicht auf die wechselnde Gesichtsfarbe an. Er ist ein echter Gentleman, er muss doch merken was er mit mir macht.

"Ich sagte dass ich nun leider gehen muss. Es war ein sehr nettes Gespräch und ich möchte mich für ihre Gesellschaft bedanken".

Er würde genauso schnell aus ihrem Leben verschwinden wie er hineingetreten war.

Angst stieg in ihr auf, sie wollte ihn nicht einfach wieder loslassen. Zu sehr hatten die Hormone mittlerweile die Überhand über ihr Denkvermögen gewonnen.

"Das ist schade, wirklich. Auch ich habe ihre Gesellschaft sehr genossen."

Er stand auf und verabschiedete sich von ihr. "Die Rechnung geht natürlich auf mich".

Sollte das nun alles gewesen sein? Sie suchte nach den passenden Worten um ihn aufzuhalten während er sich auf den Ausgang des Cafés zubewegte.

"Bitte warten sie einen Moment" rief sie ihm nach.

Ihr den Rücken zugewandt konnte sie sein siegessicheres Lächeln nicht sehen, das sich auf seinem Gesicht ausbreitete.

"Sie sagten doch dass sie etwas von Kunst verstehen. Ich habe ein Gemälde zuhause, ein Erbstück meiner Grosseltern. Hätten sie vielleicht noch eine halbe Stunde Zeit um sich das Bild anzuschauen um mir zu sagen ob es wertvoll ist? Ich wohne nur ein paar Minuten von hier."

Den Blick auf seine Uhr gerichtet entgegnete er, "Eine halbe Stunde hätte ich noch, wenn ich ihnen damit einen Gefallen tun kann".

Sie konnte kaum glauben was er gerade von sich gegeben hatte. Sie war keine hässliche Frau, dessen war sie sich bewusst. Aber das ein solcher Mann mit zu ihr nach Hause kam, das hätte sie sich nicht träumen lassen.

Bei ihr angekommen, bat sie ihn im Wohnzimmer Platz zu nehmen. Sie ging ins Schlafzimmer und nahm das Gemälde von der Wand. Ihr war es gleichgültig ob das Gemälde wertvoll war oder nicht. Es handelte sich wirklich um ein Erbstück ihrer Grosseltern, und sie hätte es für keinen Preis der Welt verkauft. Doch irgendeinen Grund hatte sie ja gebraucht um diesen für sie einzigartigen Mann in ihre Wohnung zu bekommen.

Als sie sich umdrehte, stand er plötzlich vor ihr und sah ihr tief in die Augen. Ehe sie sich versah lagen sie auf dem Bett und spürte seine Hände auf ihrem vor Erregung bebenden Körper.

Es war eine berauschende Nacht wie sie sie noch nie zuvor in ihrem Leben erfahren hatte. Sie liebten sich wieder und wieder. Er raubte ihr völlig den Verstand und sie gab sich ihm hin, ohne zu registrieren was sie tat.

Glücklich war sie in seinen Armen eingeschlafen, den Gedanken in sich tragend vielleicht den Mann fürs Leben gefunden zu haben.

Doch als sie am nächsten Morgen erwachte war der Platz neben ihr leer.

Er hatte nichts hinterlassen, keine Nachricht dass er wiederkommen würde, oder wie sie ihn erreichen könnte, nichts. Wie sollte sie ihn in einer Stadt wie New York wiederfinden. Ihr fiel ein dass sie noch nicht einmal seinen Namen wusste.

Eleonora war die nächsten Tage immer und immer wieder in das Café gegangen, in der Hoffnung ihn vielleicht wiederzusehen. Doch ihre Hoffnung blieb zwecklos und schwand von Tag zu Tag mehr.

Als nach drei Wochen ihre Regel ausblieb suchte sie ihren Frauenarzt auf. Er offenbarte ihr worüber sie sich eigentlich schon vorher klar gewesen war; sie war schwanger.

An das Thema Verhütung hatte sie in dieser verhängnisvollen Nacht überhaupt nicht nachgedacht. Zu sehr war sie von diesem Mann und ihren Gefühlen überrumpelt worden. Sie würde das Kind austragen, das stand für sie fest, auch ohne den Vater des Kindes an der Seite zu haben. Sie würde dieses Kind alleine grossziehen und das Beste tun um aus ihm einen guten Menschen zu machen.

Sie sah Tim an, und freute sich innerlich ihre Aufgabe bisher scheinbar so gut erfüllt zu haben.

Er war ein lebenslustiger kleiner Junge, etwas introvertiert, aber dennoch überall sehr beliebt und gern gesehen. Er war intelligent und zudem auch noch sehr hübsch. Kurzum ein Sohn wie ihn sich eine Mutter nur wünschen kann.

Tim sah sie mit seinen grossen blauen Augen an und setzte seinen perfekten Dackelblick auf.

"Darf ich nun in den Zirkus gehen?"

Eleonora fiel es immer schwer ihrem Sohn eine Bitte abzuschlagen, doch nachdem er nun die Bestnote für sein Referat erhalten hatte, und sie zudem mit seinen grossen, flehenden Augen ansah, konnte sie gar nicht anders als seinem Flehen nachzugeben.

"Ja Tim, wir werden zusammen gehen. Als Belohnung für die tolle Note. Wann kommt denn der Zirkus?"

Tims kleines Herz hüpfte vor Aufregung. "A-a-a-am Donnerstag! Klasse Mami, danke, danke, danke."



--- FORTSETZUNG FOLGT ---
 



 
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