Ein wichtiger Anruf

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Ein wichtiger Anruf

Ein dezentes Klingeln weht durch die, eben noch still vor sich hin-dösende, Wohnung.
Rudi schreckt zusammen. Der schmale Schmöker, der ihm als Alibi für ein Nickerchen dienen durfte, entgleitet seinen Fingern und fällt beinahe träge zu Boden. Das Lesezeichen trudelt dienstbeflissen hinterdrein.
Einen völlig anderen Eindruck vermittelt dagegen Rudi. Er federt aus dem Lese-Sessel in die Höhe und hält, kaum auf den Socken stehend, bereits Ausschau nach dem Telefon. Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, scheint er allerdings noch halbwegs in einem wirren Traum gefangen zu sein - oder fehlt ihm nur die Orientierung, in dem, von seiner Frau Ella, frisch um-geräumten Wohnzimmer? Er wirkt jedenfalls leicht nervös, erwartet er doch einen sehr wichtigen Anruf.
Zum zweiten Mal erklingt die vertraute Melodie. Er ist sich ziemlich sicher, diesen Klingelton benutzt im Normalfall das Festnetztelefon, um auf sich aufmerksam zu machen.
Fatalerweise bietet Rudis Wohnung einem ganzen Rudel freilaufender Telefone eine Heimstatt. Da tummeln sich die unterschiedlichsten Modelle und sondern teils recht exotische Klingeltöne ab. Rudi schickt einen suchenden Blick auf die Reise durch das Wohnzimmer. Sofort entdeckt er das erst jüngst angeschaffte Smartphone seiner Tochter, welches sich, traut vereint mit ihrem Vorgänger-Handy, auf dem gläsernen Couch-Tisch niedergelassen hat. Letzteres war allerdings zeitweilig verschollen. Selbst eine großmaßstäblich durchgeführte, tagelange, intensive Suche konnte damals seinen Verbleib nicht aufklären. Es schien sich, über Nacht, auf dem Wohnzimmertisch rückstands-los aufgelöst zu haben.
Rudi fragt sich seither, ob neben den Mini-Black-Holes, die sich vorwiegend in Damen-Handtaschen ansiedeln, auch so etwas wie Couch-Tisch-(Bermuda-) Dreiecke existieren könnten!
Kaum war jedoch das Smartphone gekauft, beliebte das Vorläufermodell, aus dem Limbus zurückzukehren und mitten auf dem Wohnzimmertisch wieder Gestalt anzunehmen.
Seine Frau Ella bringt es gleich auf drei Mobiltelefone. Zwei davon fristen ihr Dasein aus rein kostensenkenden Vertrags-Gründen, während Ellas drittes Handy, ein Erbstück von ihrer Mutter, als besonders schützenswert gilt!
Dazu gesellen sich noch Rudis Dienst-Handy und das Festnetz-Telefon, dieses, bequemerweise, in Mobilteilausführung.
Dabei handelt es sich um ein Telefon, das nur ausgesprochen selten aufzufinden ist, weil es sich an den unerwartetsten Orten, wie beispielsweise im Kühlschrank oder im Reitstiefel seiner Tochter, zu verstecken versteht und sich grundsätzlich erst dann wieder zeigt, wenn der Anrufer bereits aufgelegt hat.
Doch Rudi hat sich eine neue, Erfolg versprechende Methode ausgedacht, die da lautet:
Am Besten schließe fest die Augen, verlasse dich voll auf dein Gehör und folge dem Klingeln einfach zu seinem Ursprung! Das klappt wirklich erstaunlich gut.
Ein paar Klingelphasen später greift die, durch die Wohnung kreiselnde Ella, dann aber doch als Erste nach dem Apparat und nimmt das Gespräch entgegen. Ein humpelnder Rudi beschäftigt sich inzwischen damit, die Scherben der Glastisch-Platte zu entsorgen. Schließlich soll sich ja nicht noch jemand verletzen.
Er begreift aber auch wirklich nicht, warum die Möbel nicht an ihren angestammten Plätzen verbleiben. Oder leitet sich Möbel, linguistisch betrachtet, etwa von \"mobil\" ab, schließlich spricht man ja auch von \"Mobil\"- iar, oder?
Da Rudi auf einen wichtigen Anruf wartet, hakt er den Gedanken an mobile Tische ab und richtet stattdessen seine Aufmerksamkeit auf Ellas Gespräch. Einen Augenblick später zuckt ihm ein heftiger Schreck durch die Glieder, denn bei der Anruferin handelt es sich um eine von Ellas Freundinnen. Aber Moment! Das ist doch genau die Freundin, die sich in einer Stunde ohnehin zum Kaffee angedroht hat.
Rudi blickt nervös auf die Uhr, denn er erwartet - ungefähr jetzt - seinen dringenden Anruf.
Aus leidvoller Erfahrung weiß er, dass diese Frauen-Gespräche etwas „Reiterliches“ an sich haben. Und, genau wie befürchtet, schon werden den Sprechorganen die Zügel freigegeben und die Unterhaltung prescht davon. Im vollen Galopp geht es querfeldein, setzt über die Gräben von Kindererziehung und Schulnoten hinweg und schnaubt und wiehert freudig über den neuesten Nachbarschafts-Tratsch. Es ist die schiere Lust, sich auch über banalste Dinge auszutauschen. Wie teuer sind die Eier bei Edeka und wer wird Deutschlands neuer Superstar? Man trabt mitten durch die Ehekrise einer gemeinsamen Freundin und kaut, im Schritt, genüsslich Kuchenrezepte durch.
„Vielleicht sollten wir einen Frühstückstermin organisieren, damit wir einmal richtig quatschen und uns wirklich aussprechen können“, hört Rudi es, noch aus fünf Metern Entfernung, aus dem Telefon schallen.
Er schreitet, in Gedanken bei seinem Anruf, ungeduldig den Flur auf und ab!
\"Oh, nein!\", stöhnt er innerlich auf, denn jetzt kommt auch noch das Thema Gesundheit zur Sprache. Detailgetreu werden Symptom-Beschreibungen ausgetauscht. Doch damit nicht genug, stößt man unvermeidlich noch auf das Thema Migräne!
Den lauschenden Rudi beschleicht, stellvertretend für alle Männer, allmählich ein schlechtes Gewissen. Wie schrecklich leiden doch die Frauen, ohne dass ihre unempfindlichen Ehe-Klötze es auch nur, im Geringsten, bemerken. Männer sind etwa so sensibel wie Panzernashörner - falls dem Dickhäuter damit nicht sogar grob Unrecht getan wird! Da darf er jetzt wirklich nicht stören! Schon gar nicht wegen so einer belanglosen Kleinigkeit, wie einem Anruf!
Nun schwenkt das Gespräch auf das Frühstücks-Thema ein und bespricht es in allen denkbaren Variationen.
Rudi wartet immer noch auf einen ungeheuer dringenden Anruf!
Ella wird allerdings auch langsam unruhig, denn sie müsste noch einiges vorbereiten. In wenigen Minuten ist der Kaffee-Termin, mit eben dieser Freundin, anberaumt.
Den Hörer am Ohr demonstriert sie, pantomimisch, plappernde Zeichen mit der Hand.
Rudi rückt der Verzweiflung immer näher. Sein wahnsinnig wichtiger Anruf!
Ella führt inzwischen einen Leierkasten-Mann vor.
Rudi wird jetzt allmählich panisch!
Inzwischen schneidet Ella die verschiedensten Grimassen und führt, mit ihrem Zeigefinger, symbolisch einen Kehlkopfschnitt vor.
Und das Wunder geschieht! Die Freundin beendet das Gespräch pünktlich um 15°°. Jetzt sollte sie eigentlich zum Kaffeeklatsch eintreffen.
Da klingelt erneut das Telefon.
Rudi reißt, mit einem erleichterten Aufschrei, das Telefon ans Ohr und meldet sich mit, vor Erleichterung, zittriger Stimme!
„Ach, hallo, grüß dich Rudi, kannst du Ella bitte ausrichten, dass ich etwas später komme. Sie weiß ja wie viel ich um die Ohren habe. Dafür habe ich dann nach hinten Luft, da können wir uns endlich mal richtig ausquatschen. Oh, da fällt mir ein…. Könntest du mir Ella noch mal kurz geben? ...Rudi? ...Hörst du mich? ...Rudi! ...Haallooo...“!
Die Haustür fällt, mit einem endgültig klingenden Klappen, ins Schloss und das Telefon quäkt ins Leere. Rudi ist unterwegs zur nächstgelegenen Telefonzelle!
Als er 20 Minuten später, über defekte Telefonzellen und abgelaufene Telefonkarten fluchend, zurückkehrt, erwartet ihn Ella mit der Nachricht:
„Wo warst du denn bloß, da hat dreimal jemand angerufen, der dich unbedingt sprechen wollte!“


© by Gandalf d.B.
 

Thylda

Mitglied
Lieber Gandalf

Wie schön, daß Du zu uns in die Leselupe gefunden hast. Deinen Text habe ich mit Vergnügen gelesen. Wir werden alle zum Sklaven unserer Telefone und alle Welt erwartet, daß man zu jeder Zeit erreichbar zu sein hat. Deine Geschichte hat dies sehr kurzweilig eingefangen.

Was die verlegten Telefone betrifft, habe ich die Theorie, daß diese ganz wie Socken ein Eigenleben führen. Auch wenn die gemeine Socke natürlich schon erforschter ist als die neuentstandene Spezies Telefon. Immerhin weiß man da ja schon, daß Waschmaschinen die Population dezimieren. Wahrscheinlich gibt es irgendwo eine Waschmaschinenkönigin, die von ihren kleinen Arbeiterinnen gefüttert wird und deshalb voller einzelner Socken ist. Für eine Weile dachte ich, ich hätte eine solche Königin, weil bei mir ständig unbekannte Socken auftauchten, bis ich merkte, daß mein Mann einfach ständig neue Socken kauft. Vielleicht können Telefone in Paralleldimensionen blinken oder zeitreisen. Das sollte mal jemand erforschen...

Mir gefällt übrigens der Sprachstil, den Du verwendest. Das Einzige, was mir persönlich nicht so zusagt, ist die Zeitform. Vergangenheit hätte ich als gefälliger empfunden. Das ist allerdings nur meine Meinung, ich habe in der Prosa wenig Erfahrung, da ich mich fast ausschließlich in der Lyrik aufhalte :)

Ich wünsche Dir hier Erfolg und viel Spaß am Schreiben und Lesen.

Liebe Grüße
Thylda
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Gandalf, du Bunter

Erst mal ein herzliches Willkommen in der grünen Literatenhölle. Dein Einstandstext ist ok und weckt den Wunsch noch mehr von dir zu lesen. Gefallen hat mir, wie Thylda auch schon beobachtete, dein eigenwilliger Sprachstil, der sich doch vom Einerlei abhebt.

Ja die Generation Smartphone lebt heute in einer Welt, die Papa und Mama fasziniert beobachtet und mit mäßigem Erfolg nachahmt, Opa und Oma hingegen nur noch mit Kopfschütteln quittiert. Opa und Oma Ur schreiben nach wie vor per Hand und warten mittags auf den Briefträger.

Jede Welle ebbt aber irgendwann einmal ab und ich bin schon gespannt, welche Steigerung die Elektronik hier dann noch zu bieten hat. Hologramme der Angerufenen neben sich auf der Couch oder im Bus? Androiden mit exakt den körperlichen und geistigen Merkmalen seiner selbst, die man per Handy zum Arbeiten schicken kann? Dates mit virtuellen Downloads seinen Lieblinge aus Film und Fernsehen?

Lassen wir uns überraschen. Überrasche du uns mit weiteren guten Geschichten in den Foren oder versuche dich auch mal an lyrischen Texten. Da wirst du gleich merken, dass dort ein rauer Kritikerwind aus Nordnordost weht. Aber das kann ja nicht schaden. Auch ich habe dort schon mein Fett abbekommen und meine Meinung << Ich bin einfach nur gut >> ist schnell der Erkenntnis gewichen, dass gut noch lange nicht gut genug ist.

Grüße vom Ironbiber
 
K

KaGeb

Gast
Hallo Gandalf,

die Idee finde ich (als "ein" Leser) gut, aber die Umsetzung birgt mir viel zu viele Umschreibungen. Auch glaube ich, dass der Plot im Präteritum besser rüberkäme. Wenn Präsens gewählt wird, will ich kurze Show-Acts lesen, stringenten Handlungen folgen - ohne Sichtweise eines unsichtbaren Dritten. Beispiel:

Ein dezentes Klingeln weht durch die, eben noch still vor sich hin-dösende, Wohnung.
Rudi schreckt zusammen. Der schmale Schmöker, der ihm als Alibi für ein Nickerchen dienen durfte, entgleitet seinen Fingern und fällt beinahe träge zu Boden. Das Lesezeichen trudelt dienstbeflissen hinterdrein.
Einen völlig anderen Eindruck vermittelt dagegen Rudi. Er federt aus dem Lese-Sessel in die Höhe und hält, kaum auf den Socken stehend, bereits Ausschau nach dem Telefon. Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, scheint er allerdings noch halbwegs in einem wirren Traum gefangen zu sein - oder fehlt ihm nur die Orientierung, in dem, von seiner Frau Ella, frisch um-geräumten Wohnzimmer? Er wirkt jedenfalls leicht nervös, erwartet er doch einen sehr wichtigen Anruf.
Hier mal auseinander-klamüsert:

Ein dezentes Klingeln weht durch die, eben noch still vor sich hin-dösende, Wohnung.
Hier fehlt mir die Vorstellungskraft, ein "Klingeln" scheppert gewöhnlich, selten dezent, außerdem "weht" es nicht, es "schmettert womöglich, und eine "vor sich in-dösende Wohnung" vermag ich mir beim besten Willen nicht vorzustellen.
Ich verstehe deine Bilder, die aber (für mich) einfach laienhaft rüberkommen und eher redundant sind.

Rudi schreckt zusammen. Der schmale Schmöker, der ihm als Alibi für ein Nickerchen dienen durfte, entgleitet seinen Fingern und fällt beinahe träge zu Boden. Das Lesezeichen trudelt dienstbeflissen hinterdrein.
Vorschlag: Rudi erschrickt.

Warum? Weil das Bild des schmalen Schmökers, der Alibi sein soll, überflüssig für den folgenden Plot ist - genauso wie das Lesezeichen, das "dienstbeflissen hinterdrein trudelt".


Einen völlig anderen Eindruck vermittelt dagegen Rudi. Er federt aus dem Lese-Sessel in die Höhe und hält, kaum auf den Socken stehend, bereits Ausschau nach dem Telefon. Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen, scheint er allerdings noch halbwegs in einem wirren Traum gefangen zu sein - oder fehlt ihm nur die Orientierung, in dem, von seiner Frau Ella, frisch um-geräumten Wohnzimmer? Er wirkt jedenfalls leicht nervös, erwartet er doch einen sehr wichtigen Anruf.

Wer vermittelt dem Leser einen "völlig anderen Eindruck?" Ist da noch wer zugegen - außer dem Leser - der dem "Leser" die Tatortbeschreibung liefert, damit er sie versteht?
Der Leser will selbst entdecken, selbst schlussfolgern, und nicht an der langen Nase durch den Plot geführt werden (zumindest "mir" geht es so!!!)

Ich könnte immer und immer so weiter machen ... die Frage ist, ob "DU" das auch willst. Bei Kurzgeschichten ist der heilige Gral die "Effizienz" und nicht "der Weg das Ziel"!!!

Verstehst, was ich meine?

LG vorerst, kageb
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Hallo Gandalf,

zum Inhalt hat KaGeb schon einiges gesagt, dem ich mich anschließen kann. Die von Dir reichlich gesetzten Adjektive und Adverbien
fällt [blue]beinahe träge[/blue] zu Boden.
Das Lesezeichen trudelt [blue]dienstbeflissen[/blue] hinterdrein.
sind teilweise überflüssig oder passen stilistisch einfach nicht zum Subjekt.

Überaus großzügig gehst Du auch mit Kommas um, wie die folgenden Beispiele zeigen:
Ein dezentes Klingeln weht durch die [red]kein Komma[/red] eben noch still vor sich hin-dösende [red]kein Komma[/red] Wohnung
in dem [red]kein Komma[/red] von seiner Frau Ella [red]kein Komma[/red] frisch um-geräumten Wohnzimmer?
Es schien sich [red]kein Komma[/red] über Nacht [red]kein Komma[/red] auf dem Wohnzimmertisch rückstands-los aufgelöst zu haben.
Kaum war jedoch das Smartphone gekauft, beliebte das Vorläufermodell [red]kein Komma[/red] aus dem Limbus zurückzukehren
Bei einer eventuellen Überarbeitung könntest Du vielleicht auch die überzähligen Bindestriche und Schrägstriche entfernen, sie stören ein wenig beim Lesen.

Mit ein wenig Straffung könnte der Text durchaus gewinnen.

Gruß Ciconia
 
Hallo .

Zunächst möchte ich mich bei euch entschuldigen! Ich habe eure Geduld allerdings nicht mutwillig auf die Probe stellen wollen sondern war verhindert.
Ein großes Dankeschön für die freundlichen und aufbauenden Beiträge an Thylda und Ironbieber. Ich hoffe, lieber Ironbieber, dass ich dir durch meinen Fehlversuch, in Sachen Beitrag erstellen, nicht zu viel Umstände bereitet habe.
Ebenfalls dankbar bin ich dir Kageb sowie auch dir Ciconia, für die Arbeit und Zeit, die ihr meinem Beitrag geopfert habt.
Keine Frage, meine Kommas irren zuweilen orientierungslos durch meine Texte!
Auch die als zu dick aufgetragen empfundenen Umschreibungen, stilistischen Patzer, Abschweifungen usw. leuchten mir direkt ein.

Lieber Kageb, du schreibst:
Ich könnte immer und immer so weiter machen ... die Frage ist, ob "DU" das auch willst. Bei Kurzgeschichten ist der heilige Gral die "Effizienz" und nicht "der Weg das Ziel"!!!

Verstehst, was ich meine?
Ich denke es verstanden zu haben. Und ich nehme deine Meinung sehr ernst und setze mich damit intensiv auseinander. Die Frage wird sein, ob ich es auch stimmig umsetzen kann. Die Kritik schmerzt natürlich zunächst einmal. Aber ich bin ja hier um etwas zu lernen und bin froh aus berufenem Mund Hinweise zu erhalten.
Im Übrigen lebe ich nicht in dem Wahn, ein begnadeter Schriftsteller zu sein. Darum hege ich doch ein wenig die Befürchtung, dass die Rudi-Geschichten dadurch ihren speziellen Charakter verlieren könnten. Einiges erklärt sich auch aus der Entstehungsgeschichte solcher Rudi-Episoden, die als fertiges Manuskript vorliegen und die ich hier gern vorstellen möchte. Ich hoffe, du sagst dann deine ungeschminkte Meinung dazu.
PS.: Nur mal nachgedacht:
Ein dezentes Klingeln weht durch die, eben noch still vor sich hin-dösende, Wohnung.

Rudi schläft. Das heißt seine Sinneswahrnehmungen sind gedämpft. Das Klingeln des Telefons, das ja in einem anderen Raum der Wohnung liegen könnte, wird als Schall durch die Luft transportiert - liegt wehen da wirklich so weit entfernt? ( Mal abgesehen von der Qualitätsfrage.) Ich war heute in einer Buchhandlung. Mein Blick blieb an einem Buchtitel hängen, der gerade auf der Bestseller-Liste zu finden ist: Er lautet: Im Labyrinth der träumenden Bücher!

Als Nächstes kann ich mit einem Hängenbleiben des immateriellen Blickes nicht einverstanden sein, während ungezählte Autoren schon schrieben: Sein Blick saugte sich an ... fest.
Darüber ließe sich meiner Meinung nach diskutieren.

LG Gandalf der Bunte
 
Überarbeitete Version von

Ein wichtiger Anruf

Ein lautes Klingeln schallte durch die Stille.
Rudi erschrak. Das Buch entglitt seinen Fingern und fiel polternd zu Boden. Er musste über seiner Lektüre wohl ein genickt sein. Kaum richtig wach, federte er bereits aus dem Lesesessel in die Höhe und hielt nach dem Telefon Ausschau. Seine leichten Orientierungsschwierigkeiten verdankte er seiner Frau Ella und ihren innenarchitektonischen Ambitionen. Alle beweglichen Teile der Einrichtung tauschten in monatlichem Turnus ihre Plätze! Am Vortag musste wohl wieder solch eine Aktion stattgefunden haben, denn Rudi stellte flüchtig einige Ortsveränderungen des Mobiliars fest. Aber diese Wahrnehmung interessierte ihn augenblicklich nur am Rande. Seine Aufmerksamkeit war auf das Telefon gerichtet, denn er erwartete einen dringenden Anruf!
Zum zweiten Mal erklang das vertraute Schrillen. Er war sich ziemlich sicher, dieser Klingelton war dem Festnetztelefon zuzuordnen.
Fataler weise bot Rudis Wohnung einem ganzen Rudel freilaufender Telefone eine Heimstatt. Da fanden sich die unterschiedlichsten Modelle, die teils exotische Klingeltöne zu Gehör brachten. Rudi ließ seinen suchenden Blick durch den Raum schweifen. Alsbald entdeckte er das erst jüngst angeschaffte Smartphone seiner Tochter, welches gemeinsam mit seinem Vorgänger-Handy auf dem gläsernen Couch-Tisch parkte. Letzteres galt zeitweise allerdings als verschollen. Selbst eine großmaßstäblich durchgeführte, tagelange, intensive Suche konnte damals seinen Verbleib nicht aufklären. Es schien sich über Nacht auf dem Wohnzimmertisch rückstandslos aufgelöst zu haben.
Rudi fragte sich seither, ob neben den Miniatur-Black-Holes die sich vorwiegend in Damen-Handtaschen aufhalten auch so etwas wie Couchtisch (Bermuda-) Dreiecke existieren könnten!
Kaum war jedoch das Smartphone gekauft, beliebte das Vorläufermodell, aus dem Limbus zurückzukehren und mitten auf dem Wohnzimmertisch wieder Gestalt anzunehmen.
Seine Frau Ella brachte es gleich auf drei Mobiltelefone. Zwei davon fristeten ihr Dasein aus rein kostensenkenden Vertrags-Gründen, während Ellas drittes Handy, ein Erbstück von ihrer Mutter, als besonders schützenswert galt! Rudis Dienst-Handy und das Festnetz-Telefon, dieses bequemer weise in Mobilteilausführung, vervollständigten die Telefon-Population.
Dabei handelte es sich um ein Telefon, das nur ausgesprochen selten aufzufinden war, da es sich an den unerwartetsten Orten, wie beispielsweise im Kühlschrank oder im Reitstiefel seiner Tochter, zu verstecken verstand. Eine weitere Eigenheit dieses Telefons bestand in der Fähigkeit, sich grundsätzlich erst dann wieder zu zeigen, wenn der Anrufer bereits aufgelegt hatte.
Doch Rudi ließ sich eine Erfolg versprechende Gegenmaßnahme einfallen.
Bei Bedarf schloss er fest die Augen, verließ sich voll auf sein Gehör und folgte dem Klingeln einfach zu seinem Ursprung! Da er gute Erfahrungen mit dieser Methode gemacht hatte, wendete er sie auch in dieser Situation an. Schließlich konnte es sich um seinen wichtigen Anruf handeln!
Ein paar Klingelphasen später ergriff die, durch die Wohnung kreiselnde Ella, dann aber doch als Erste den Apparat und nahm das Gespräch entgegen. Der heftig humpelnde Rudi beschäftigte sich inzwischen damit, die Scherben der Glastischplatte zu entsorgen. Schließlich sollte sich nicht noch jemand verletzen.
Er konnte aber auch wirklich nicht einsehen, warum die Möbel nicht an ihren angestammten Plätzen verblieben. "Oder leitet sich Möbel, linguistisch betrachtet etwa von "mobil" ab, schließlich spricht man ja auch von Mobil - iar?", stellte er sich insgeheim die Frage.
Da Rudi jedoch auf seinen wichtigen Anruf wartete, hakte er den Gedanken an mobile Tische ab und richtete stattdessen seine Aufmerksamkeit auf Ellas Gespräch. Einen Augenblick später zuckte ihm ein heftiger Schreck durch die Glieder, denn bei der Anruferin handelte es sich um eine von Ellas Freundinnen. "Aber Moment! Das ist doch genau die Freundin, die sich in einer Stunde ohnehin zum Kaffee angedroht hatte!", dachte Rudi erstaunt.
Er blickte nervös auf die Uhr, denn er erwartete - ungefähr um diese Zeit - seinen dringenden Anruf.
(* Aus leidvoller Erfahrung wusste er, dass diese Frauen-Gespräche etwas vom Geländereiten an sich haben. Und tatsächlich dauerte es nicht lang bis den Sprechorganen die Zügel freigegeben wurden. Die Unterhaltung preschte aus dem Stand auf und davon. Im gestreckten Galopp ging es querfeldein, setzte über den Graben Kindererziehung hinweg und nahm selbst die Schulnoten-Hecke ohne zu scheuen. Schnaubend und freudig wiehernd stampfte es mitten durch den Nachbarschafts-Tratsch. Es war die schiere Lust, sich auch über banalste Dinge auszutauschen. Wie teuer sind die Eier bei Edeka und wer wird Deutschlands neuer Superstar? Man trabte mitten durch die Ehekrise einer gemeinsamen Freundin und kaute, im Schritt, genüsslich Kuchenrezepte durch.)

„Vielleicht sollten wir einen Frühstückstermin organisieren, damit wir einmal richtig quatschen und uns wirklich aussprechen können.“, tönte es, noch aus fünf Metern Entfernung, deutlich hörbar aus dem Telefon.
Rudi schritt, in Gedanken bei seinem Anruf, ungeduldig den Flur auf und ab!
"Oh, nein!", stöhnte er innerlich auf, denn jetzt kam auch noch das Thema Gesundheit zur Sprache. Detailgetreu wurden diverse Symptome beschrieben und abgeglichen. Doch damit nicht genug, stieß man unvermeidlich auch noch auf das Thema Migräne!
Den lauschenden Rudi beschlich allmählich ein schlechtes Gewissen. Wie schrecklich litten die Frauen, ohne dass ihre unsensiblen Partner es auch nur ahnten. Männer schienen etwa so einfühlsam wie Panzernashörner zu sein - falls die Dickhäuter damit nicht sogar grob ins Unrecht gesetzt wurden! Nein, da durfte er jetzt wirklich nicht stören! Schon gar nicht wegen so einer belanglosen Kleinigkeit wie seinem Anruf!
Dann schwenkte das Gespräch auf das Frühstücks-Thema ein und handelte es weitschweifig und detailverliebt ab.
Rudi fieberte weiterhin seinem, für ihn außergewöhnlich wichtigen Anruf, entgegen!
Ella wurde allerdings auch langsam unruhig, denn sie musste noch einiges vorbereiten. In wenigen Minuten sollte der Kaffee-Termin, mit eben dieser Freundin, stattfinden.
Den Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt führte sie, pantomimisch plappernde Zeichen mit den Händen vor.
Rudi rückte der Verzweiflung immer näher. Ihn beschlich die nackte Angst, sein unerhört wichtiger Anruf würde ihm unwiederbringlich entgehen!
Ella führte inzwischen einen Leierkasten-Mann vor.
Rudi wurde allmählich panisch!
Inzwischen schnitt Ella die verschiedensten Grimassen und führte mit ihrem Zeigefinger symbolisch einen Kehlkopfschnitt vor.
Und das Wunder geschah! Die Freundin beendete das Gespräch pünktlich um 15°°, genau zu dem Zeitpunkt, an dem sie bei Ella zum Kaffeeklatsch erwartet wurde.
Da klingelte erneut das Telefon.
Mit einem erleichterten Aufschrei riss Rudi das Telefon ans Ohr. Er meldete sich mit noch leicht zittriger Stimme!
„Ach, hallo, grüß dich Rudi, würdest du Ella bitte ausrichten, dass ich etwas später komme. Sie weiß ja wie viel ich um die Ohren habe. Dafür hätte ich dann nach hinten Luft. Das böte die Gelegenheit uns endlich mal richtig auszutauschen. Oh, da fällt mir ein…. Könntest du mir Ella noch mal kurz geben? ...Rudi? ...Hörst du mich? ...Rudi! ...Haallooo...“!
Die Haustür fiel, mit einem endgültig klingenden Klappen, ins Schloss und das Telefon quäkte ins Leere. Rudi war unterwegs zur nächstgelegenen Telefonzelle!
Als er 20 Minuten später, über defekte Telefonzellen und abgelaufene Telefonkarten fluchend, wieder die Wohnung betrat, erwartete ihn Ella mit der Nachricht:
„Wo warst du denn bloß, da hat dreimal jemand angerufen, der dich unbedingt sprechen wollte!“


* Dieser Absatz passt wohl stilistisch nicht (mehr) und müsste
konsequenterweise wegfallen. Sehe ich das richtig?

© by Gandalf d.B.
 



 
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