Eine Geschichte von zwei Liebenden, die sich so fern sind und doch so nah.

Der letzte Ton verstummt. Stille. Tosender Applaus. Das Publikum bricht in Jubel aus und kann sich fast nicht mehr halten. Eine Träne rollt, als Ida die Standing Ovations für sich empfängt. Man könnte denken, das wäre ein Moment puren Glücks. Aber dies ist nur das Ergebnis. Das Ergebnis aus dem wirklichen Moment puren Glückes für Ida. Der Moment, in dem sie spielt. Der Moment, in dem jeder einzelne Ton ihre Glieder füllt, ihren Körper zum Schweben bringt, sie in ihre eigene Welt trägt. Wenn Ida spielt ist sie alleine. Alleine mit ihrem Klavier. Das Publikum ist ein kleiner Punkt am Horizont, der den Hintergrund dieser Momentaufnahme schmückt. Das i-Tüpfelchen, das das Bild vollendet. Im Vordergrund lässt Ida die Noten durch den Raum tanzen- einen langsamen Walzer oder einen flotten Tango.

Ida schließt ihre Augen und fühlt jede Taste ihre Pianos langsam ab. Sie spürt den leichten Stromschlag, der durch ihren Körper zuckt, wenn sie über die schwarzen und weißen Tasten fährt, sie spürt die Leichtigkeit, wenn sie eine Taste drückt. Doch der Ton bleibt weg. Die sanfte Begrüßung ihres edlen Freundes, wenn sie anfängt, ihn zu streicheln. Die Melodie klingt in ihrem Kopf- leise und dumpf. Aber ihre Ohren hören nur ein leises, schrilles Piepsen.
„Ida, Ida!“
Jarno wird langsam sauer, seine Schwester ignoriert ihn wohl wieder voll und ganz. Er steht im Türrahmen ihres Musikzimmers und beobachtet seine kleine Schwester, wie sie mit geschlossenen Augen über ihren Flügel streicht. Sie sieht sehr einsam und verloren aus, als wäre es ein Stillleben. Als würde er in einem Museum das Bild seiner Schwester betrachten. Bis auf das Piano vor dem großen Fenster befindet sich außer einer weiteren Kommode und einem dutzend Stapel von Klaviernoten nicht viel in dem großen Raum. Sie braucht ihn, um alleine zu sein. Um zu üben, um nachzudenken, um in ihre eigene Welt zu fliegen. Ihre Lieblingsgemälde hängen an der Wand. Daniel Spoerri und viele mehr. Ida ist da mehr bewandert in Sachen Kunst als ihr Bruder. Gerade will Jarno noch einmal Luft holen, um ihr mitzuteilen, dass es jetzt Essen gibt, da fällt es ihm wieder ein. Er lächelt traurig. Langsam geht er zu dem Klavier, vor dem seine Schwester sitzt und er versucht, sie nicht zu erschrecken. Er legt seine Hand auf ihre Schulter und sie fährt herum. „Hey“ bewegen sich Idas Lippen. Ein müdes, jedoch liebevolles Lächeln schenkt sie ihrem Bruder. Er nimmt ihre Hand und hilft ihr auf. Die beiden Geschwister umarmen sich lange und intensiv. Beide wünschen sich insgeheim, dieser Moment würde nie enden. Es ist wie in alten Zeiten, als sie noch Kinder waren und es mal wieder hieß: Abschied nehmen.
Idas Karriere als Pianistin begann sehr früh. Mit vier Jahren begann sie, gemeinsam mit ihrem Vater auf dem alten Klavier herumzuspielen, Töne auszuprobieren und die Klänge des ungestimmten, aber geliebten Instruments zu erfahren. Ida hatte ab dem Alter von sieben Jahren Klavierunterricht. Nach fünf Jahren gaben es dann ihre Eltern auf. Sie übte nicht die Stücke, die sie im Unterricht lernte, sondern probierte sich an den Klaviernoten ihres Vaters. Bach, Brahms, Schubert... aber auch ihre eigenen Melodien und Lieder fing sie im zarten Alter von elf an zu komponieren. Ihre Eltern waren fasziniert und, nach Idas eigenem Willen, gab es jeden Sonntag ein Vorspiel für die ganze Familie. Ihr einziger Bruder hatte ihren Traum immer unterstützt. Als Kinder hatten sie viele Konzerte vor einem riesigen Publikum von Kuscheltieren, wobei er Dirigent oder auch Moderator war. Ida und Jarno haben schon immer eine unglaublich enge Bindung zueinander und verbrachten jede freie Minute miteinander. Die einzige Zeit, in der sie voneinander getrennt waren, war die Schulzeit und die Konzerte. Die ersten Konzerte vor großem Publikum spielte Ida mit 12 und mit jedem Jahr wurde ihr Kalender voller von Terminen und die Zeit mit ihrem Bruder kürzer. Trotzdem schrieben sie sich ständig Briefe, erzählten sich weiterhin von jedem Ereignis und die Vorfreude auf das Wiedersehen war unermesslich.
Da stehen die beiden Geschwister, 25 und 28 Jahre alt, und leise in den Nacken des anderen weinend. Sie brauchen nicht zu sprechen, um sich zu verständigen. Um zu sagen, wie sie sich fühlen, um zu zeigen, wie wichtig der andere ihnen ist.
Jarno nimmt seine Schwester bei der Hand und führt sie an den Esstisch auf der Terrasse der Familie Granquist. Die Sonne scheint hoffnungsvoll und die Vögel zwitschern fröhlich in den höchsten Tönen.
Von all dem bekommt Ida wenig mit. Ihr Kopf rauscht, ihre Augen brennen. Wie gerne sie sich jetzt einfach nur hinlegen und alleine sein würde, aber das kann sie ihrer Familie nicht auch noch antun. Nach allem, was sie für sie getan haben. Sie muss sich stark zeigen und lächeln. Auch wenn ihre Gegenüber genau wissen, dass das kein ehrliches Lächeln ist. Sie trinkt einen Schluck Wasser und beobachtet ihren Vater auf der anderen Seite des Tisches. Er ist groß und hat breite Schwimmer-Schultern. Seine eisblauen Augen lassen sein markantes, hübsches Gesicht noch jünger wirken. Seine zerzausten, blonden Haare wehen im leichten Sommerwind, der durch den Garten fegt. Nichts kann Ida glücklicher machen, als das breite, fröhliche Grinsen ihres Vaters. Er ist die Stimmungskanone schlechthin. Sie hat ihren Vater bisher nur einmal weinen sehen und das war, als er sie nach ihrem Unfall im Krankenhaus besucht hat. Das hat ihr das Herz gebrochen.
Frau Granquist ist eine ruhigere, sehr liebevolle Frau. Sie ist eine zarte, jedoch ehrgeizige Person, die sich sehr um ihre Kinder sorgt. Idas Unfall hat sie sehr geschwächt und verletzlich gemacht. Sie gibt alles, damit es ihrer Tochter wieder besser geht. Wilma Granquist lebt für ihre Kinder und ihren Ehemann und pflegt das Zuhause der Familie in der traumhaften Landschaft Finnlands.
Ida sieht sich um. Der Garten liegt ruhig und schützend hinter ihr. Dort ist sie aufgewachsen, dort ist ihr Unfall passiert, dort möchte sie sterben. Neben ihrem Musikzimmer und dem Geheimplatz am Fjord ist der Garten vor dem Haus einer ihrer Lieblingsplätze. Seit dem Unfall ist sie an dem Fluss nicht mehr gewesen. Alleine traut sie sich nicht hin und jemand anderen dorthin mitnehmen will sie auf keinen Fall. Der Fluss fehlt ihr.
Auf dem Tisch liegen die Zeitungen des heutigen Tages. Ida greift sich eine davon und blättert darin wahllos herum. Sie will gerade weiterblättern, als sie auf der vorherigen Seite einen kurzen Blick auf die Überschrift erhascht. „Erfolgreiche Pianistin verliert durch Unfall ihr Gehör. Ende der Karriere?“ Ihr Herzschlag stoppt für einen Moment. Unter dem Titel des Artikels grinst ihr ein hübsches, braunhaariges Mädchen an einem Klavier entgegen, das ihr völlig fremd erscheint. Der Pfeifton in ihren Ohren wird lauter. Das Leben um sie herum gefriert für ein paar Sekunden. Unter dem Bild steht, „Ida Granquist bei einem ihrer möglicherweise letzten Konzerte im Juni 2009.“ Das zu lesen tut mehr weh, als sich selbst daran zu erinnern. Alle Welt scheint also immer noch darüber zu diskutieren und alles besser zu wissen, als sie selbst. Das ist der Preis, wenn man in der Öffentlichkeit steht. Fast monatlich gibt es Beiträge zu ihrem Schicksal, das nun schon fast 2 Jahre her ist. Ida kommt es vor wie zwei Tage.
Seit 2 Jahren ist ihr Leben stehen geblieben, nur die Uhr tickt weiter und zählt die Stunden, Tage, Monate, Jahre. Alles spielt sich um sie herum ab, aber es ist, als befände sich eine unsichtbare Wand zwischen ihr und dem Umfeld. Die Farben sind verblasst, die Töne sind verschwunden.
Im Sommer vor zwei Jahren gab es einen heftigen Sturm, der viel Unheil anrichtete in der südlichen Region Finnlands, in der Ida mit ihrer Familie lebt. Unheil aber nicht nur an Bäumen, Häusern oder Autos. Unheil auch an Menschen. Menschen, wie Ida Granquist. Sie und ihr Bruder befanden sich im Garten, als es passierte. Während Jarno ihr seine neuen Lieder auf der Gitarre präsentierte, war seine Schwester damit beschäftigt, ein Bild von ihm zu malen. Das Bild wurde nie vollendet, es hängt aber seit diesem Tag in Jarons Zimmer. Der Sturm brach so schnell über die Landschaft herein, dass die beiden sich nicht rechtzeitig in das Haus retten konnten. Mit dem Sturm kam ein starker Regen und Jarno hechtete sich mit seiner Gitarre ins Innere des Hauses. Seine Schwester war nicht so schnell, da sie ihr Gemälde samt Malutensilien erst zusammensuchen musste, anstatt sich um ihre eigene Sicherheit zu kümmern. In der nächsten Sekunde ist das Unglück auch schon passiert. Ein wohl schlecht befestigter Ziegel löste sich vom Dach des Hauses und fiel direkt auf Idas Kopf. Es folgten Operationen, künstliches Koma, Entlassung, Einlieferung, warten, warten und warten. Denn neben einer dramatischen Kopfverletzung und einer Schädigung ihres Kurzzeitgedächtnisses verlor Ida ihr Hörvermögen. Sie wurde zu den besten Ärzten des Landes geschickt, von Krankenhaus zu Krankenhaus. Es war zwecklos, niemand konnte ihr das wieder zurückgeben, was ihr Leben ruiniert hatte. Sie konnte und wollte nicht die Zeichensprache lernen. Sie wollte nicht akzeptieren, das Klavierspielen aufzugeben. Das hieß, sie musste ihr Leben aufgeben und soweit war sie noch nicht. Sie war zu jung, zu motiviert, zu talentiert, um alles, was sie sich in ihren 23 Jahren aufgebaut hatte, einfach so wegzuwerfen. Das war nicht Ida. Sie war allerdings auch zu stur, um sich an die neue Situation anzupassen. Nach zwei Jahren beginnt sie erst, ihr Schicksal zu akzeptieren. Ein Neuanfang könnte ewig dauern oder nie eintreten. Seit dem Unfall hat sie sich von ihren Freunden und ihrer alten Umgebung zurückgezogen. Sie verbringt die meiste Zeit in ihrem Zimmer am Klavier. Wöchentlich wird sie von einer Therapeutin und einem Psychologen besucht, das ist allerdings auch schon die einzige Gesellschaft, die Ida bei sich hat. Ihre Freunde haben es aufgegeben, ihr zu helfen. Niemand weiß, damit umzugehen. Nichtmal ihre Eltern. Bis auf ihren Bruder. Er gibt ihr Halt und Mut. Mut, weiterzuatmen. Aber nicht Mut, rauszugehen und ein neues Leben zu beginnen. Denn er kennt sie und weiß, dass das nicht ihr momentaner Wunsch ist.

Nachdem Idas Mutter krank wird und sich aus dem Bett seit zwei Wochen nicht mehr herausbewegt, beschließt Ida, ihr zu Liebe die Gebärdensprache zu lernen. Es schmerzt, sich einzugestehen, dass sie nun körperlich benachteiligt ist und sich Hilfe suchen muss. Ida wollte sich nie helfen lassen, sie ist eine selbstständige Person. Am Montagmorgen eines warmen Maitages bringt sie ihr Bruder in die Stadt. Das erste Mal seit einem Jahr. Sie staunt über die neuen Gebäude und über die Menschenmassen, die sich die Gassen entlang drängeln. Sie haben sich einen sehr vollen Montag ausgesucht; es scheint, als wäre gerade an diesem Tag ganz Finnland auf die Straßen gegangen, um alles Nötige zu besorgen.
Jaron ärgert sich über die hupenden Autos und die lauten Rufe der Passanten. Ida ärgert sich darüber, dass sie all das nicht hören kann, jedoch genau weiß, wie es sich anhören müsste. Sie starrt mit leerem Blick aus dem Beifahrerfenster und beobachtet, wie die Welt an ihr vorbeifliegt. Als Jarno einem anderen Autofahrer die Vorfahrt nimmt, flucht dieser, das kann Ida genau sehen. Aber nicht hören. Im Zentrum der Stadt Turku finden die beiden nach langer Suche einen Parkplatz in einem überfüllten Parkhaus. Ida sieht, wie ihr Bruder das Radio ausschaltet. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass es die ganze Fahrt über lief.
Auf der Straße beobachtet Ida die Menschen. Ohne Ton sieht man alles viel klarer, fällt ihr auf. Man geht mehr auf die Umgebung ein. Ein Kind auf dem Arm einer Mutter, unglücklich und weinend. Ein älteres Paar kreuzt ihren Weg, Jaron harkt sich bei seiner Schwester ein. Aus dem Gebäude rechts von ihnen treten drei gestikulierende Businessmänner. Ein Bus parkt wenige Meter vor ihnen am Straßenrand und es gibt einen fliegenden Wechsel von Passanten, die den Bus verlassen und einsteigen. Ida kommt sich vor, wie im Alter von 12 Jahren. Wie ein kleines Kind schaut sie sich mit offenem Mund in der großen, weiten Welt um, während ihr Bruder sie zur Praxis des Sprachtherapeuten führt. Sie erhascht einen kurzen Blick auf einen jungen Mann, der einen Stock in seiner Hand hält und dreht sich zu ihm, um ihn besser beobachten zu können. Gerade stehen sie an einer Ampel, perfekt also, um den Ausblick zu genießen. Der Mann ist groß und muskulös, trotzdem schlank gebaut. Er hat wildes, blondes Haar und als er sich zu ihr umdreht, kann sie ihm direkt in die Augen schauen. Ida ist gefesselt von seinen stechend grünen Augen. Aber das ist nicht alles- sie sind nur halb geöffnet, als wäre es ihm zu hell, und haben einen starren Blick, der sie in einen Bann zieht. Im nächsten Moment wird ihr klar, was das heißt. Der Stock vor seinen Füßen, die leeren, ruhigen Augen: dieser Mann ist blind. Ida fühlt sich schlecht, ihn so angestarrt zu haben. Aber seine Augen sind so schön und haben etwas so faszinierendes, dass sie den Blick nicht von dem Mann abweichen kann. Sie hat das Gefühl, die Augen würden ihr etwas sagen. Sie versuchen, zu sprechen und zu deuten, aber ihr wird nicht klar, was das ist.
Gerade denkt sie sich, wie gefährlich nahe der Mann am Straßenrand steht, da wird er von einem Fahrradfahrer auf dem Gehweg angerempelt und stürzt auf die Straße. Ida schlägt die Hand vor den Mund. Aus dem Augenwinkel sieht sie, wie andere Menschen den Mann ebenfalls anschauen, aber alle stehen still. Ida reagiert zuerst und als Einzige. Sie rennt zu dem Mann, hebt seinen Kopf und fühlt, ob er noch atmet. Er ist bewusstlos, da er direkt auf den Kopf gefallen ist, ohne sich abzustützen.
„Hilfe, hilfe!“, schreit Ida, aber niemand reagiert.
Münder offen, alle schauen hin. Doch keiner regt auch nur ein Glied. Da beginnt Jaron zu handeln und greift zu seinem Telefon. Nachdem er den Krankenwagen bestellt hat, rennt er zu Ida und zieht sie nach oben.
„Was hast du dir gedacht? Du hättest sterben können, du bist mitten auf der Straße! Wie willst du denn hören, ob ein Auto kommt?“
Ihm ist klar, dass Ida ihn nicht hören kann, verstehen kann sie ihn jedoch sehr gut. Ida gibt ihm ein Handzeichen, das ihm zeigt, alles sei gut. Gemeinsam hieven die beiden den Verletzten auf den Gehweg und Ida fühlt erneut seinen Puls. Sie hat eine Ausbildung zur Krankenschwester gemacht, als sie 18 Jahre alt war. Der Krankenwagen kommt nach kurzer Zeit angefahren und schon wird Ida von den Sanitätern abgelöst. Während sie eine Liege unter den Mann schieben, erwacht er langsam und tastet mit seinen Händen die unbekannte Umgebung ab. Ida sieht, wie er fragt, was passiert sei. Im Lippenlesen ist sie gut, das hat sie in den zwei Jahren gelernt. Den Rest der Konversation zwischen dem Mann und den Sanitätern bekommt sie nicht mehr mit, sie ist zu erschöpft von dem Vorfall und der Aufregung. Gerade will sie sich aufrichten, als Jaron auf sie zeigt und ein Sanitäter sie ansieht und „danke“ sagt. Sie lächelt ihn müde an. Dann schaut sie noch einmal zu dem Mann auf der Liege und geht zu Jaron, der sie in dem Arm nimmt. Sie merkt, wie stolz er auf sie ist. Mit einem Blick vereinbaren sie, nichts davon ihren Eltern zu erzählen. Einer der Sanitäter klopft auf ihre Schulter und führt sie zu dem Krankenwagen. Jaron muss ihm wohl erzählt haben, dass sie ihn nicht hören kann. Der Helfer stellt sie neben den jungen Verletzten. Er ist nun wieder bei vollem Bewusstsein und kramt ein kleines Buch und einen Stift aus seiner Umhängetasche. Er blättert darin, ohne hinzuschauen, fühlt die Seiten ab und schlägt eine auf. Er schreibt kurz und hebt das Buch dann hoch. Ida schaut auf die Seite: „Sie haben mir das Leben gerettet, vielen Dank!“ Ida wird es warm ums Herz. Wie wusste er nur davon? Aber um so etwas muss sie sich keine Gedanken machen, weil sie von den Gesprächen eh nichts mitbekommt. Sie würde gerne \'bitte\' sagen, weiß aber nicht, wie. Der Mann legt seine Hand offen neben sich und Ida legt, nach kurzem Zögern, ihre Hand in seine. Sie erschrickt. Die Hand ist kalt. Aber das ist es nicht, was ihr Gänsehaut verschafft. Da ist ein Kribbeln bei der Berührung und das verwirrt sie. Ihm muss es wohl genauso gehen. Er zuckt kurz zusammen, drückt seine Hand dann fester zu. Sie sieht sein Gesicht nun ganz nah und deutlich. Blut kommt aus einer Wunde am Haaransatz, ein paar Schrammen zieren seine Wangen. Das alles kann seinem makellosen, markanten Gesicht jedoch nichts anhaben. Was für ein schöner Mann, denkt sie sich. Seine Augenbrauen zucken oft, seine Mundwinkel wirken unsicher. Er wirkt, als habe er Angst. Dieser Ausdruck ist Ida allerdings schon vor seinem Unfall aufgefallen. Als sie ihre zweite Hand an sein Gesicht hält, lehnt er sich an sie und die Unsicherheit verschwindet aus seinem Gesicht- fast, aber nicht ganz. Ein Draht verbindet die beiden in dem Moment, so stark, wie Ida sich es nicht einmal vorstellen konnte, dass es möglich war. Wärme umgibt sie. Es ist das erste Mal seit ihrem Unfall, dass sie sich geborgen und sicher fühlt. Ida lässt ihre Schultern fallen, alle Muskeln entspannen sich und sie lässt ihr ganzes Gewicht, ihre ganzen Sorgen und Schmerzen in die Hand des Mannes fallen. In die Hand eines Fremden.
Als sie begreift, dreht sich die junge Frau um und erwacht aus dieser unbekannten, schönen neuen Welt. Sie blickt ihrem Bruder lange in die Augen.
„Was war das?“ senden sich die beiden gleichzeitig gedanklich zu.
Ida zuckt die Schultern. Sie schaut von ihrem Bruder zu dem Mann, der ihre Hand hält und zurück zu ihrem Bruder. Sie streicht noch einmal vorsichtig über seine Hand und löst sich dann aus seinem leichten Griff. „Leb\' wohl“, flüstert sie in Gedanken. Und ohne sich noch einmal umzusehen geht Ida mit ihrem Bruder im Arm fort...

Die Wochen vergehen und Ida macht immer mehr Fortschritte in dem Erlernen der Gebärdensprache. Es ist seltsam, aber es fängt an, ihr zu gefallen und während ihre Familie parallel die Zeichensprache lernt, gibt es im Hause der Granquists immer mehr Gespräche. Ob gesprochen oder per Zeichen. Das gab es seit fast zwei Jahren nicht mehr wirklich. Ida hat angefangen, wieder mit ihrer Familie zu kommunizieren. Das ist allerdings nicht der einzige Ansporn, weshalb Ida auf einmal so ehrgeizig darin ist. Da ist etwas anderes in ihrem Hinterkopf und sie weiß genau, was es ist. Es ist der Mann. Der Mann, dem sie das Leben gerettet und der ihr unbewusst einen Neuanfang gegeben hatte. Er ist immerzu präsent und sie denkt täglich an ihn. Sie weiß nicht seinen Namen, geschweige denn, wo er wohnt, was er macht und wie es ihm mittlerweile geht. Aber er ist da, wie ein Phantom und wenn sie an ihn denkt, ist er so nah, dass ihre Brust schmerzt und sie tief ein- und ausatmen muss. Und sie fragt sich nur: „Warum?“
Nach fünf Wochen fängt sie an, langsam durchzudrehen. Sie muss ihn wiedersehen! Aber wem sollte sie das sagen? Ihrem Bruder? Über solche Themen spricht sie ungern mit ihm. Ihre Freunde haben sich leise verabschiedet, also heißt es, das Geheimnis für sich zu behalten und abzuwarten. Zu warten oder aufzugeben. Aber das gerade hat er unmöglich gemacht. Durch ihn hat sie angefangen, wieder aufzustehen. Langsam und schwer. Aber die Gedanken an ihn helfen ihr. Durch ihn hat sie gesehen, dass man weitermachen kann im Leben- egal, welches Schicksal einem widerfahren ist.

Als Ida an einem Samstag Nachmittag auf einer Decke in der Wiese mit einem Buch ihres Lieblingsautors liegt, setzt sich Jaron zu ihr. Er hat sein Handy in der Hand und grinst breit. Mit schlechter, aber verständlicher Zeichensprache gibt er seiner kleinen Schwester zu verstehen, dass da ein Anruf für sie war. Sie solle doch raten, wer es ist. Ida stutzt. Freunde? Lehrer? Ein junger Mann, meint Jaron. Ein junger Mann, der dich wiedersehen will. Ein Stich durch Idas Herz, dann Gänsehaut und ein offener Mund. Das kann nicht wahr sein.
\'Er erinnert sich an mich?\'
Ihre Gedanken rasen wie wild durch ihren Kopf.
\'Er will mich sehen? Mich?\'
Wer will denn mit ihr was zu tun haben? Sie ist doch taub? Dann fällt ihr ein, dass sie mit diesen Zweifeln wohl nicht alleine stehen könnte. Schließlich hat der Mann auch ein Handicap.
„Wie kommt er zu deiner Nummer?“ fragt sie Jaron mit ihren Händen.
„Er hat das Krankenhaus angerufen, meine Nummer aufgrund des Notfallanrufes zurückverfolgen lassen und mich dann benachrichtigt.“
Ida schaut ihn ungläubig an und zieht eine Augenbraue hoch.
„Das glaubst du wohl selber nicht. Als würde das Krankenhaus deine Nummer hergeben. Erzähl mir die Wahrheit, ich bin doch wohl nicht mehr sechs.“
„Du bist doch wohl nicht aus Blech?“ zeigt Jaron.
Ida schaut ihren Bruder fragend an. „Wurde in deinem Gehirn heute noch nicht kräftig umgerührt?“, wäre jetzt ein Spruch, den die alte Ida bringen würde. Der neuen Ida war das zu kompliziert, mit den Händen diesen Spruch zu bringen und dann wäre er auch nicht mehr halb so lustig. Ihr Bruder sollte wohl mal die Gebärdensprache besser üben.
Sie lacht laut auf und Jaron steigt in das Gelächter mit ein. Irgendwann steigern sie sich so hinein, dass sie sich die verrücktesten Zeichen geben und sich wie kleine Kinder auf der Decke vor Lachen kugeln.
Jaron beobachtet seine Schwester unauffällig von der Seite. Sie wirkt so glücklich, wie sehr, sehr lange nicht mehr. Das ist ihr altes, ehrliches Lachen. Auch wenn die Laute anders sind, da sie sich selbst nicht hören kann, für ihn ist das das gleiche Ida-Lachen. Sie so zu sehen, macht ihn glücklich und er nimmt Ida lange in den Arm. Sie legen sich auf die Decke und bleiben dort so liegen, bis der Sonnenuntergang und mit ihm der Abend hereinbrechen. Wie in alten Zeiten. Als noch alles gut war.

„Ich heiße übrigens Oscar.“
Der Mann tastet den runden Tisch nach Idas Hand ab und drückt sie leicht. Seine Hand ist warm, Ida wehrt sich nicht. Sie sieht, wie er seine Lippen bewegt, bleibt aber bei dem Namen hängen. Nach ein paar Minuten versteht der Mann und holt sein kleines Buch aus der Jackentasche. Er schreibt den Satz auf eine leere Seite. Ida überlegt. Wie kann sie ihm überhaupt antworten? Ihre mühsam erlernte Zeichensprache kann sie bei Oscar nicht einmal anwenden. Ihre Schultern sinken vor Enttäuschung nach unten. \'Ich könnte jetzt einfach unbemerkt gehen\', denkt sie sich. Und dann versucht sie, obwohl sie sich nicht hören kann, ihm zu antworten.
Sie sagt, „das ist ein schöner Name.“
Ida sieht, wie der junge Mann ihr gegenüber ein wenig zusammenzuckt. Sie muss wohl eine seltsame Stimme haben oder zu laut gesprochen haben. Vielleicht war er auch einfach nur verwundert, dass eine taube Frau zu ihm spricht. Das ist eher selten.
„Ich bin Ida.“
Ein paar Menschen drehen sich von ihren Plätzen um, um das ungewöhnliche Paar zu beobachten.
Ida und Oscar haben sich in einem kleinen Café am Fluss Aurajoki in Turku getroffen. Idas Lieblingscafé in der Stadt. Danach schlenderte sie immer mit ihren Freunden durch die Altstadt und sie redeten über Gott und die Welt. Das ist schon lange her. Wie gerne sie Oscar das Café und die Altstadt gezeigt hätte. Er schreibt in sein Buch, dass er mit seinem linken Auge die Helligkeit ein wenig sehen kann und er sieht, dass es ein sonniger, schöner Tag ist. Er ist froh, hier zu sein.
Die beiden kommunizieren auf komplizierte Art, die sehr viel Zeit beansprucht, wie ihre Vergangenheit aussieht und wie sie zu ihrem Schicksal gekommen sind. Es tut gut, vor einer neutralen Person sein Herz ausschütten zu können. Einer Person, die genauso fühlt und das gleiche Problem hat.
Oscar ist seit er 12 Jahre alt ist, blind. Als er im Grand-Canyon-Nationalpark mit seiner Familie unterwegs war, ist er bei einem Kletterversuch abgestürzt und mehr als unglücklich mit dem Kopf auf einem Stein gelandet. Ida ist verwundert, dass ihm nicht mehr dabei passiert ist, aber sie fragt auch nicht weiter nach.

Ida und Oscar treffen sich nun jede Woche. Sie spazieren durch die Stadt oder fahren hinaus in das Landesinnere. Bei jedem Treffen werden sich die beiden vertrauter und ihre Freundschaft gipfelt darin, dass Ida sich nach zwei Monaten entscheidet, ihm ihr Herzstück zu präsentieren.
Es ist ein heißer Freitag Nachmittag. Oscar wartet bereits an ihrem Treffpunkt am Brunnen in Turku. Nach einer kurzen Umarmung nimmt Ida Oscar an der Hand.
„Komm mit, ich möchte dir heute etwas zeigen.“
Idas Bruder fährt die beiden zu dem Haus ihrer Familie. Ida möchte aber nicht in das Haus, sie harkt sich bei Oscar ein und gemeinsam gehen sie langsam durch die große Wiese vor ihrem Garten. Oscar scheint den Spaziergang zu genießen. Da bleibt er stehen und beugt sich nach unten.
„Was machst du da?“
„Es ist Sommer. Ich möchte ihn auch unter meinen Füßen spüren, wenn ich ihn schon nicht sehen kann. Ich fühle viel mehr seit dem Unfall. Und im Gras zu laufen, das ist eines der schönsten Gefühle.“, schwärmt Oscar, indem er die Sätze schnell in sein Buch kritzelt. Er ist geübt darin, es jederzeit herauszuholen und eine schnelle Antwort oder Frage hineinzuschreiben.
Ida lacht. Es macht sie glücklich, Oscar zu beobachten und ihn um sich zu haben. Er tut ihr sehr gut, das weiß sie. Und deshalb möchte sie ihm heute auch ihren geheimen Lieblingsplatz zeigen. Den Platz, an den sie niemals einen zweiten Menschen mit hinnehmen wollte. Aber heute ist der richtige Zeitpunkt und der richtige Mensch dabei, um das zu ändern.

Es ist Mittwoch. Oscar und Ida sind mittags verabredet für einen Trip ans Meer. Während Ida in ihrem Zimmer ihren Rucksack mit einem Handtuch, Sonnencreme und Sonnenbrille füllt, kommt ihr Bruder Jaron herein. Er beobachtet sie für eine Weile, dann setzt er sich auf Idas Bett. Sie greift gerade in eine Schublade und sucht nach ihrem Bikini, als ihr Ipod ihre Hände berührt. Sie nimmt ihn heraus und betrachtet ihn bedächtig. Musik war ihr Leben. Jetzt ist der Versuch, zu überleben, ihr momentanes Leben. Ohne Musik. Ohne Klavier, ohne Ipod. Sie geht in das Musikzimmer nebenan und Jaron folgt ihr. Sie streicht den Staub von der schwarzen Oberfläche des Instruments. Wie lange ist es her, dass sie das letzte Mal darauf gespielt hat? Ida wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. Der Raum wirkt verlassen und trist. Sie fröstelt und dreht sich zu ihrem Bruder um.
„Wie willst du weitermachen?“ Jaron wiegt seinen Kopf hin und her.
„Ich weiß es nicht.“, gibt Ida ihm mit Handbewegungen zu verstehen.
„Willst du anfangen, zu studieren? Eine weitere Ausbildung machen? Verreisen?“
Ida stoppt Jaron mit erhobener Hand. Sie will davon nichts wissen. Nicht jetzt. Heute ist ein schöner Tag, denkt sie sich. Heute fährt sie mit Oscar ans Meer.
Aber ihr Bruder hat Recht. Sie kann nicht ewig so weiterleben. Sie will nicht auf Kosten ihrer Eltern leben, sie will sich selbst ernähren und versorgen können. Sich selbst versorgen- das wäre schön. Ida kommt sich seit dem Unfall wie ein sechsjähriges Mädchen vor. Auf Schritt und Tritt folgt ihr ein Familienmitglied, sie muss Bescheid geben, wenn sie das Haus verlässt, sie muss sich helfen lassen, wenn sie mit einem Außenstehenden kommunizieren will. Sie will frei sein, allein sein.
Mit Oscar ist alles leichter. Auch wenn er sie nicht sehen kann, spürt er sie. Auch wenn sie ihn nicht hören kann, hat er einen bestimmten Klang in ihren Ohren, wenn er bei ihr ist. Sie sieht ihn, spürt ihn, riecht ihn. Mit ihm ist alles einfacher, als mit einem \'normalen\' Menschen. Normal? Weilt sie also auch nicht mehr unter den normalen Menschen? Früher hat sie etwas Abstand gehalten zu Menschen mit Behinderungen- einfach, weil es schwierig war, sie zu verstehen oder mit ihnen etwas anzufangen. Jetzt kommt sie nur noch schwer mit \'normalen Menschen\' zurecht. Sie fühlt sich nicht akzeptiert, nicht verstanden von ihnen. Sie kann mittlerweile gut verstehen, wie unangenehm der Abstand und die Blicke sind.
Sie setzt sich auf ihr Bett und denkt über Oscar und sich nach. Muss es soweit kommen, dass Ida beginnt, den Sinn des Lebens zu verstehen? Dass sie einen Menschen kennenlernt, der zu ihr passt, wie die Faust aufs Auge?
Zwei Menschen, die sich so fern sind und doch so nah.
Zwei Menschen, die ein Schicksal verbindet.
Zwei Menschen, denen einer ihrer fünf Sinne genommen wurde.
Zwei Menschen, die sich vielleicht intensiver lieben können als Menschen im Besitz aller Sinne.
Liebe. Das ist es, was sich in den letzten Wochen in Idas Bauch immer mehr entwickelt. Das Gefühl wächst und sie drückt es beiseite. Drückt es weg, wie den Schmerz, der seit zwei Jahren in ihrem Körper sitzt.

Ida hilft Oscar die Treppen des Busses hinunter und schon stehen beide auf der mit Sand bedeckten Straße. Vor ihr liegt das Meer. Es glitzert im Sonnenschein, wiegt seine Besucher in den Wellen auf und ab.
„Ich wünschte, du könntest das Meer sehen.“, flüstert Ida Oscar ins Ohr. Oscar lächelt und kramt seinen Block aus seiner Tasche hervor für eine Antwort. Ida stoppt ihn dabei und packt das Buch wieder ein. Sie streichelt seinen Arm und er weiß, sie versteht ihn. Dann führt sie ihn vorsichtig über die Straße und über den Strand bis ans Meer. Beide ziehen sich die Schuhe aus und setzen sich auf die von Ida ausgebreitete Decke. Oscar fährt mit seinen Füßen langsam durch den Sand. Er gräbt seine Zehen tief ein und lässt Sandkörner über seine Arme rieseln.
Ida blickt auf das weite, blaue Wasser hinaus und sieht es rauschen. Hören kann sie es nicht. Kinder und junge Familien spielen im Sand, bauen Burgen und rennen schreiend ins Meer. Das sieht sie den Gesichtern an, hören wird sie es nie wieder können. Es ist eine andere Atmosphäre, wenn man den Moment um sich herum sehen kann, aber nichts davon hört. Den vertrauten Moment, den man noch aus der Zeit kennt, als alles anders war.
„Danke“, schreibt Oscar in sein Buch und hält es in Idas Richtung. Er tastet die Decke nach ihrer Hand ab und legt sie in seine. Ida beugt sich zu ihm herüber und gibt ihm einen Kuss auf die Wange.
Sie bewegt ihre Lippen zu einem „bitte“, weiß aber nicht, wie laut oder leise sie das sagt oder ob überhaupt ein Ton herauskommt. Dann holt sie ihre Sonnenbrille aus dem Rucksack und legt ihren Kopf auf Oscars Beine.
So liegen die beiden eine Ewigkeit da. Der eine betrachtet den Himmel und das Meer. Der andere lauscht der Atmosphäre und spürt seine Umgebung. Eng aneinander, um den anderen zu beschützen. Beschützen vor der Angst, alleine zu sein.

Ida ist schon halb eingeschlafen, als es auf einmal dunkel über ihr wird. Sie blinzelt ein paar Mal und öffnet dann ihre Augen. Das Dunkle über ihr waren keine Wolken, sondern ein kleines Buch, das ihr bester Freund in seinen zittrigen Händen hält. Er muss wohl lange über etwas nachgedacht haben, denn Ida blickt auf eine Nachricht, die er ihr, über mehrere Seiten verteilt, dort hinein geschrieben hat. Sie nimmt das Buch in ihre Hand und setzt sich auf.
„Ida. Habe ich dir eigentlich schon einmal gesagt, wie schön du bist? Du wirst jetzt denken, auf diesen Anmachspruch eines Blinden falle ich nicht hinein, aber es ist wahr- das spüre ich. Nicht nur das Innere meiner Ida ist schön, sondern auch das Äußere. Wunderschön sogar. Das spüre ich, wenn ich über deine Wangen streiche, wenn ich deine Lippen fühle, wenn deine Hand mich berührt und wenn du lachst...
Wir beide haben uns durch einen Zufall kennenlernt, und dieser Zufall heißt: Leben retten. Ich kann dir nicht oft genug für deine Hilfe danken, du warst die Erste, die bei mir war, das weiß ich noch und werde ich nie vergessen. Jetzt sind wir beide Freunde, beste Freunde. Aber ich weiß nicht genau, ob es noch dieser Status ist. Soll es lieber dabei bleiben oder nicht? Sollen wir einen weiteren Schritt wagen? Ich kann es dir leider nicht ansehen, aber ich spüre, dass dir die Fragezeichen genauso auf die Stirn geschrieben stehen. Du tust mir gut, du gibst mir die Farben in mein Leben zurück, die mir vor 14 Jahren genommen wurden. Du bereicherst mir jeden einzelnen Tag, alleine durch deine smsen oder Briefe, die du mir schickst. Bitte verspreche mir, bei mir zu bleiben, egal was passiert. Wir beide werden noch viele Berge in unserem Leben überwinden müssen, die wir aber gemeinsam besteigen können. Wirst Du mir verzeihen, welchen Fehler ich auch immer machen würde? Ich brauche dich und du brauchst mich. Ich kann dich nicht loslassen, ich kann dich aber auch nicht anlügen. Denn das haben wir uns versprochen, an deinem Lieblingsort, weißt du noch? Und deshalb sage bzw. schreibe ich dir ganz direkt: ich spüre noch etwas anderes als Freundschaft. Mehr als nur Freundschaft.
Ich habe mich in Dich verliebt, Ida.“
Ida schluckt und legt das Buch beiseite. Sie blickt auf das dunkelblaue, unschuldige Meer. Ein glückliches Paar läuft Arm in Arm den Strand entlang. Dann dreht sie sich plötzlich um, nimmt stumm Oscars Gesicht in ihre Hände und gibt ihm einen Kuss. „Danke“, flüstert sie und gibt ihm einen Kuss auf die Wange. „Du bist es. Du bist der Mensch, auf den ich mein Leben lang gewartet habe.“ Und sie sieht, wie eine Träne seine Wange herunterkullert. Seine Lippen formen sich zu dem schönsten und ehrlichsten Satz, der jemals zu ihre gesagt wurde: „Ich liebe Dich, Ida.“

Ab dem Tag am Meer ist Ida wie ausgewechselt. Sie schwebt wortwörtlich auf Wolke Sieben. Ihre Eltern mussten sie gar nicht fragen, was los war und ihr Bruder erst recht nicht. Es steht ihr ins Gesicht geschrieben: Verliebt und vergeben.
Ida und Oscar treffen sich nun täglich und wenn sie einen ihrer unendlich vielen Arzttermine haben, schreiben sie sich einen Brief. In der Beziehung der beiden läuft die Kommunikation meist auf dem Blatt ab. Und trotzdem unterhalten sie sich angeregt mit Händen, Füßen und Lauten und teilen jede Sekunde ihres Lebens miteinander. Es ist die perfekte Beziehung. Wenn man die Tatsache beiseite schiebt, dass beide körperlich benachteiligt sind. Denn diese Benachteiligung kann eine Beziehung ziemlich unter Druck stellen. Nicht nur in kommunikativer Hinsicht oder dass sie abhängig von anderen Menschen sind, sondern auch, dass das Risiko, dass es eine Veränderung geben wird, immer im Raum steht...

Ida wartet nun seit zwei Stunden an dem gewöhnlichen Treffpunkt des Paares. Sie hat Oscar schon seit zwei Tagen nicht gesehen und kann es kaum erwarten, ihn in den Arm zu nehmen. Wenn sie nur wüsste, wo er bleibt. Langsam endet ihre Geduld und schon ist sie auf dem Weg zu seiner Wohnung, die sich in einem Wohnheim für junge körperlich und geistig benachteiligte Menschen befindet. Er ist nicht fähig, in einer normalen Wohnung in der Stadt alleine zu leben, ganz abgesehen davon, dass es ihm nicht gestattet werden würde. Dort angekommen, erkundigt sich Ida im Sekretariat des Wohnblogs, wo Oscar denn sei.
„Er ist seit heute morgen im Krankenhaus.“, sagt eine kleine Frau mit Brille, die unter dem Tresen hervorlugt. Ida macht ihr klar, dass sie nichts versteht. Die Frau schreibt es auf einen Zettel und legt ihn vor sich auf den Tresen.
WUMS. Idas Herz bekommt einen kurzen Stich und beginnt, zu rasen.
„Im Krankenhaus? Was? Wieso? Ich verstehe nicht?“, keucht sie in Richtung der Dame.
„Ich darf Ihnen darüber leider keine Auskunft geben, Madame.“, antwortet die Frau und schreibt den Satz nieder.
„Ich bin seine Freundin!“, schreit Ida nun. Sie erschrickt von ihrem plötzlichen Ausraster und schaut beschämt zu Boden. Sie murmelt schnell ein „Entschuldigung“ und blickt die Frau nach einer Antwort suchend an.
„Schon gut, ich kann Ihre Besorgnis verstehen. Er ist im „Turku University Hospital“., die Frau schiebt Ida das Blatt mit dem Satz unter die Nase und blickt sie aufmunternd an.
Diese dreht sich ohne ein Wort um und rennt aus dem Gebäude. Ihr wird ein „Viel Glück“ hinterhergerufen, aber hören könnte sie es sowieso nicht. Schon ist sie auf der Straße und blickt sich fragend um.
„Taxi!“

Ida läuft durch die Gänge, die nach Krankenhaus riechen. Sie kennt diesen Geruch von Desinfektionsmitteln und Kranken nur zu gut und sie hat sich geschworen, nie wieder einen Fuß in solch ein Gebäude zu setzen. Jetzt rennt sie wie eine wild gewordene Biene durch das Haus auf der Suche nach ihrer zweiten Hälfte: Oscar.
„Zimmer H201, Zimmer H201, Zimmer....ha, da ist es!“
Ida macht vor der Tür Halt und versucht, ihre Aufregung zu bremsen. Sie sammelt sich und redet sich ein, nicht auszurasten. Wer weiß, was ihrem Freund passiert ist.
Sie betritt das Zimmer und sieht Oscar sofort.
„Hey, was machst du hier? Wie geht’s dir?“
Oscar antwortet nicht, er starrt wie frisch ertappt ins Leere.
„Was ist? Passt es dir nicht, dass ich hier bin? Oder spreche ich zu laut?“
Bevor Oscar zu seinem Buch für eine Antwort greifen kann, kommt eine Krankenschwester herein. Ida steht mit dem Rücken zur Tür, hört und sieht sie also nicht.
Die Krankenschwester sagt, sie solle bitte das Zimmer verlassen, der Patient brauche nochmal Ruhe. Als Ida sieht, dass Oscar etwas in Richtung der Tür sagt, dreht sie sich um. Er teilt der jungen Frau mit, dass Ida sie leider nicht hören kann und schon beginnt die Schwester, ihre Bitte an Ida auf Gebärdensprache weiterzugeben. Als sie Idas Blick sieht, erklärt bzw. zeigt sie, dass ihr Bruder stumm ist und sie deshalb die Zeichen beherrscht. Sie erklärt Ida, warum Oscar hier ist. Ida rutscht fast das Herz in die Hose, als sie hört, dass er operiert wird. Eine geplante Operation, kein Unfall. Erst Entsetzen, dann Wut. Sie dreht sich zu Oscar um und dieser spürt, dass er sich bereit machen kann auf einen Vortrag seiner Freundin.
Der Vortrag fällt lauter und wütender aus, als Oscar dachte. Er ist verzweifelt. Wie sehr konnte er seine Freundin nur enttäuschen? Nicht nur das, er hat ihr Versprechen gebrochen und sie angelogen.
Ida ist in Hochform.
„Du sagt mir nichts davon? Lügst mich an? Wolltest du mich nicht mehr sehen vor der Operation? Bin ich dir eigentlich gar nichts wert? Was hast du dir dabei gedacht? Ich dachte, du und ich für immer?“
Mit hochrotem Kopf sieht sie sich suchend in dem Zimmer um. Sie greift einen Stuhl und will ihn gegen die Wand werfen, da schreitet die Krankenschwester ein und nimmt sie für eine Weile nach draußen, um herunterzufahren. Die beiden Frauen sitzen auf den Wartestühlen vor Oscars Zimmer und die Krankenschwester nimmt Ida in den Arm.
„Alles wird gut werden. Es ist nur ein Eingriff, um ihm etwas Sehkraft wiederzugeben. Allerdings ist der Eingriff sehr riskant. Das weiß dein Freund und ich denke auch, deswegen hat er es dir verschweigen sollen.“, gibt sie Ida per Handzeichen zu verstehen.
„Damit ich einen Anruf bekomme, dass Oscar tot ist? Und nicht neben seinem Bett stehe? Deshalb?“
„Das muss nicht heißen, dass er nicht mehr aufwacht.“
„...aber es kann?!“
„Es kann, ja.“
Die Krankenschwester blickt Ida hilflos in die Augen.
Ida laufen die Tränen wie ein Wasserfall übers Gesicht. Sie weint stumm.
„Ich habe Angst.“

In einer viertel Stunde wird Oscar in den OP-Raum gebracht. So lange hat das Paar also noch Zeit, um sich zu verabschieden. Für immer? Oder nur für zwei Stunden?
„Das werden die längsten zwei Stunden in meinem Leben“, sagt Ida zu ihrem Freund. Sie brüllt den Satz nahezu, aber Oscar stört das nicht, er ist es gewohnt und er ist froh, ihre Stimme zu hören.
Er schreibt in sein Buch: „Ich weiß und ich werde davon nichts merken, es wird mir wie zwei Minuten vorkommen.“
„Blödian“, lächelt Ida. „Wach mir bloß wieder auf!“
Oscar nickt und schenkt ein zuversichtliches Lächeln in die Richtung, in der er Ida vermutet.
„Tut mir unendlich leid, dass du das mitmachen musst.“, schreibt er.
Noch schnell einen Satz an Ida in sein Buch: „Mir hat noch nie ein Mensch so viel bedeutet, wie du. Das alles ist neu und dann die bevorstehende Operation. Ich hatte einfach Angst, nicht mehr aufzuwachen. Hatte Angst, dich zu verletzen. Und jetzt habe ich dich verletzt, indem ich es dir verschwiegen habe. Es wird nicht wieder vorkommen. Ich habe niemandem von dem Eingriff erzählt. Aber was ich dir sagen kann: Ich habe mich für dich für die Operation entschieden. Ich will dich sehen können und damit wollte ich dich überraschen.“
Er sucht ihren Arm, zieht sie an sich heran und gibt ihr einen langen Kuss. Und noch einen und noch einen.
Dann kommt die Krankenschwester und rollt ihn in seinem Rollstuhl aus dem Raum.
Leere. Stille. Ida ist jetzt alleine. Es heißt warten.

Ida wandert auf und ab in dem Besucherzimmer und macht damit auch alle anderen Anwesenden unruhig. Ein Mann steht von seinem Platz auf, reicht ihr einen Becher Wasser und begleitet sie zu einem Stuhl. Ida lächelt ihn kurz an, sie ist nervös und kann sich nicht konzentrieren. So muss sich also ihre Familie gefühlt haben, als sie auf ein Lebenszeichen ihrer im Koma liegenden Ida gewartet haben. Ihr Bauch verkrampft sich, ihr Hals fühlt sich ausgetrocknet an. Sie spürt, dass irgendwas nicht stimmt. Und dann kommt auch schon ein Arzt herein und auf Ida zu, gefolgt von der Krankenschwester, die ihm als Übersetzerin dienen soll. Er teilt Ida mit, dass es kleine Komplikationen gab und Oscar im Moment nicht aufwacht. Idas Knie werden weich, sie sinkt nach unten. Der Mann kommt zur Hilfe und richtet sie wieder auf. Der Arzt meint aber auch, sie solle sich keine Sorgen machen, das kann nur ein wenig dauern, bis er wach wird, es war eine schwere Operation für ihn.
„Wieso lässt er sich dann darauf ein?“, ruft Ida aus Verzweiflung. Es fällt ihr schwer zu atmen. Wieso verlässt Oscar sie jetzt? Jetzt, wo alles so gut zwischen ihnen läuft? Er riskiert sein Leben, um sie sehen zu können? Auf was für Ideen Männer wohl kommen.
Das muss eben Liebe sein.

Nach einer weiteren Stunde, die sich wie ein halber Tag anfühlt, beginnt Ida, ihre letzte Hoffnung auch aufzugeben. Die Krankenschwester kommt erneut rein, hat aber keine Neuigkeiten für sie. „Keine Veränderung bis jetzt, es tut mir leid. Geh\' lieber nach Hause und leg dich ein wenig hin, du brauchst Ruhe. Es war ein anstrengender Tag. Ich informiere dich, sobald es eine Veränderung gibt. Gibt es sonstige Angehörige?“, fragt sie Ida in Gebärdensprache.
Ida schüttelt den Kopf. Aber sie kann jetzt nicht heimgehen, sie kann sie nicht ausruhen. Nicht, während ihr Freund in einem der Räume dieser schrecklichen Einrichtung sein Leben aufgibt. Oscar hat neue Hoffnung in ihr Leben gebracht von dem ersten Tag, an dem sie sich kennengelernt haben. Er hat ihr Kraft gegeben und sie haben sie geteilt. Er kann das jetzt nicht alles bei ihr liegen lassen und weglaufen. Er ist zu jung, um zu sterben. Zu schön, zu besonders, zu liebenswürdig, um die Welt der Lebenden zu verlassen. Aber Ida hat keine Wahl, hier kann sie nicht bleiben, sie darf nicht zu ihm, sie muss das Krankenhaus verlassen. Sie kann sich nicht einmal von ihm verabschieden.
„Mach\'s gut, mein Lieber“, sagt Ida in Gedanken.

Gerade als Ida verwirrt und mit einem völlig leeren Kopf durch die Innenstadt Turkus schlürft, vibriert ihr Handy. Eine Textnachricht, sie schaut auf den Absender. Es ist Krankenschwester Ola. Ihre Hände zittern. Es hat sich was verändert, positiv oder negativ. Entweder sie liest, dass alles zu spät ist oder sie haben ihn in ein künstliches Koma versetzt oder er ist aufgewacht und alles ist gut oder... sie öffnet die Nachricht.
Ida, komm bitte zurück! Es gibt gute Neuigkeiten. Aber passe auf dich auf.
Ida wirft das Handy in ihre Tasche und dreht sich auf dem Absatz um. Ohne Nachzudenken rennt sie die Straße zurück. Ihre Gedanken hat sie alle auf dem Weg und in dem Krankenhaus gelassen, sie sammelt sie auf dem Rückweg wieder einzeln ein.
\'Er lebt?!\'

Völlig außer Atem erreicht sie Oscars Zimmer. Davor wartet bereits die Schwester und führt sie zu dem Aufwachraum, in dem sich Oscar befindet, drei Ärzte um ihn herumschwirrend. Als sie Ida sehen, lassen sie die beiden alleine.
Ida sieht Oscar und kann sich nicht mehr halten. Sie weint so sehr, wie sie es noch nie in ihrem Leben musste.
„Was sollte das? Wolltest du mich ärgern? Wieso hast du so lange zum Aufwachen gebraucht?“
Oscar greift um sich, auf der Suche nach dem Buch, das noch in seinem Zimmer liegt. Ida greift in ihre Handtasche und reicht ihm Schreibwerk.
„Ich war müde und musste mich noch ein wenig länger ausruhen.“ Ida grinst unter ihren Tränen hervor. „Du hast mir gefehlt.“, fügt Oscar auf das Blatt hinzu und sucht nach ihrem Arm.
„Wie geht’s dir? War die Operation wenigstens erfolgreich? Kannst du was sehen?“
Er schreibt, dass es noch ein paar Stunden dauern werde, ehe er seine Augen öffnen darf und dann wird sich das Ergebnis herausstellen. Und wieder wird gewartet. Dieses Mal heißt es aber, zusammen warten.

Nach einer Woche darf Oscar endlich das Krankenhaus verlassen. Ida wartet bereits vor der Eingangstür des Krankenhauses auf ihn und hat ihm seine Lieblingsblumen mitgebracht: Flieder. Sie duften nach Sommer, er liebt den Geruch. Dann begleitet sie ihn zu Jarons Auto, das an der Straße wartet. Und das erste Mal seit 15 Jahren geht Oscar ohne Blindenstock auf die Straße und er strahlt über das ganze Gesicht. Am Haus der Granquists angekommen, steigt das Paar aus und läuft durch die Wiese hinter dem Garten. Es ist ein heißer Julitag und beide tragen eine Sonnenbrille. Barfuß laufen Ida und Oscar Hand in Hand zu ihrem geheimen Platz. Idas und mittlerweile auch Oscars Lieblingsplatz am Fjord. Oscar schaut Ida lange von der Seite an, bis sie sich zu ihm umdreht. Sie lächeln, schauen sich tief in die Augen. Blaue Augen treffen auf grüne Augen.
„Wie schön du doch bist. Noch schöner, als ich es mir immer vorgestellt habe.“ Oscar nimmt Idas Kopf in seine Hände. Auch wenn sie ihn nicht hören kann, hat sie verstanden, was er gesagt hat. Er gibt ihr einen Kuss auf die Stirn und sie lehnt sich an ihn.
Dann springt Ida auf und nimmt Oscar an die Hand. Sie brüllt: „Kommt mit, ich habe eine Überraschung für dich.“ Es hört sich an, als wäre sie im Stimmbruch, da sie ihre eigene Stimme nicht mehr kontrollieren kann. Aber genau das liebt Oscar an ihr. Er ist der einzige, mit dem sie noch spricht und das weiß er zu schätzen. Er sieht ihr Lachen und nimmt sich fest vor, ab jetzt die Gebärdensprache zu lernen.
Das verliebte Paar rennt über die Wiese, fühlt sich völlig frei. Es gibt jetzt niemanden auf dieser Welt, außer den beiden. Das ist ihr Moment, ihre Zeit. Ida nimmt ein Tuch aus ihrer Hosentasche und verbindet Oscar damit die Augen.
„Jetzt, wo du wieder sehen kannst, muss ich dir dafür eben die Augen verbinden.“, lacht sie und verstummt dann. Sie wollte ihn nicht verletzen. Oscar tadelt sie mit erhobenem Zeigefinger und bricht dann in Gelächter aus. Jetzt ist alles gut, jetzt können sie darüber lachen.
Im Garten steht Idas Klavier. Im Sommer stand es immer auf der Terrasse, Tag und Nacht. Diesen Juli bekommt es nach zwei Jahren wieder frische Luft. Das alles hat es Oscar und seinem Mut, nicht aufzugeben, zu verdanken. Ida stellt Oscar neben das Klavier, ihre Eltern setzen sich in die Liegestühle im Garten, ihr Bruder Jaron legt sich auf die Bank auf der Terrasse und zündet sich eine Zigarette an. Dies ist eine Premiere. Ida ist aufgeregt. Sie hat das wichtigste und kritischste Publikum, ihre wichtigsten Menschen, um sich herum und alle hören sie nun das erste Mal seit ihrem Unfall spielen. Für diesen Moment hat sie seit Wochen heimlich und ganz alleine geprobt. Es war ein langer und harter Weg, aber das war es ihr wert.
Eine gehörlose Musikerin, die nach zwei Jahren wieder zu spielen beginnt. Spielen nach Gefühl.
Der erste Ton erklingt und Idas Mutter hält die Hände vor ihren Mund aus tiefster Berührung. Ihr Mann nimmt sie in den Arm. Oscar bekommt Gänsehaut und nimmt die Augenbinde ab. Seine Augen glänzen und Ida schaut zu ihm auf. Sie grinst ihn an und flüstert:
„Happy Birthday.“
 



 
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