Eine Art von Liebe

„Eine Art von Liebe“
Schön war er nicht! Im Gegenteil. Hager, ja fast unterernährt sah er aus. Ein unscheinbarer Typ und ungepflegt dazu. Wohl deshalb hatte ich ihn in der Menge nicht bemerkt.
Ich erfuhr, dass sich bisher nie jemand richtig um ihn gekümmert hatte. Immer wieder wurde er von Menschen denen er vertraute, enttäuscht. Umso mehr erstaunte mich sein offenes Wesen.
Die ganze Geschichte begann an einem trüben Herbsttag. Verwelktes Laub raschelte unter meinen Füßen als ich den einsamen Weg entlangging. Hinter einem vermoderten Gartenzaun tauchte auf einmal gespenstisch ein Haus auf. Die fast kahlen Äste des wilden Weins klebten an dem alten Gemäuer - so als wollten sie es stützen. Neugierig beugte ich mich über den Zaun. "Hallo", hörte ich eine forsche Stimme zwischen den Hecken. "Suchen Sie etwas?" "Nein, nein, stotterte ich. Ich gehe nur spazieren!" "Es fängt an zu regnen, kommen sie lieber mit ins Haus, forderte mich die Stimme freundlich auf. Erst jetzt sah ich das Gesicht welches zu der Stimme gehörte. Es war herb, mit vielen Falten die von einem bewegten Leben erzählten. 
Die kleine schmale Frau führte mich in einen spärlich eingerichteten Raum. "Das sind meine Schützlinge", sagte sie und deutete mit ihren ledrigen Händen zu einer Gruppe. Schweigend sah ich ihnen zu. Es war klar zu erkennen, dass einige litten. Manche saßen apathisch in einer Ecke. Andere benahmen sich fast schon aggressiv. 
Plötzlich spürte ich, dass ich beobachtet wurde. Neugierig drehte ich mich um. Was ich sah, erinnerte mich sofort an die ersten zarten Blätter des knorrigen Kastanienbaumes vor meinem Fenster. Nie zuvor hatte ich solche Augen gesehen. Sie faszinierten mich! In ihnen lag unendlich viel. Sein offener Blick strahlte Ehrlichkeit, Zuneigung, aber auch Verletzlichkeit aus. Vor allem aber Hoffnung. - Ja, da war sie, die Hoffnung auf ein besseres Leben. Den Kopf leicht zur Seite geneigt, sah er mich neugierig an. Von einer Sekunde zur anderen, war eine seltsame Vertrautheit zwischen uns. Wir verstanden uns – auch ohne Worte. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass uns nichts mehr trennen konnte. Sein Aussehen war mir völlig egal. Mit Charme und einer gewissen Hartnäckigkeit eroberte er mein Herz im Sturm. Ich wollte ihn!
Acht Jahre sind seitdem vergangen. An unseren Gefühlen füreinander hat sich nichts geändert. Sie sind stark wie damals und ohne Zweifel. Wenn sich sein warmer, anschmiegsamer Körper an meinen drückt, fühle ich mich wunderbar entspannt und glücklich.
Aus dem unscheinbaren Typ wurde ein Frauenliebling. Eifersüchtig bin ich trotzdem nicht, denn Pedro, mein Kater, ist treu. So treu, wie nur ein Tier sein kann. Ich glaube, er ist mir heute noch dankbar, dass ich ihn damals aus dem Tierheim geholt habe um ihm ein Zuhause zu geben und – Liebe.  
- ENDE -
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Christel,

Ich bin zwar kein Katzenhasser und verteile auch ganz gern ein paar Streicheleinheiten, wenn mir ein solches Tier über den Weg läuft, aber "eine Art von Liebe" kann ich nicht nachempfinden. Deshalb möchte ich mich zum Inhalt deiner Geschichte auch nicht äußern. Was die Stilistik angeht, da muß ich ein Kompliment los werden. Schlicht und vor allem flüssig erzählt, nichts Überflüssiges und da ich nicht gleich auf Kater getippt hatte (nur die "zarten Blätter des knorrigen Kastanienbaumes" ließen mich stutzen) habe ich auch den vorhandenen Spannungsbogen bis zum Ende verspürt.

Gruß Ralph
 



 
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