Eine Geschichte, die im August versank

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Suzie

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Mein Magen ist eine kleine Grube gewesen, ganz furchtbar winzig und das Wasser fiel unaufhörlich, unaufhaltsam und immer weiter und der kleine Graben in mir erodierte allmählich heftig, aller Schmutz und Geröll und Staub wurden geflutet und in einer unbändigen Welle hervorgewirbelt und mein Mund wurde von innen aufgerissen und ein brackiger Strom ergoss sich aus mir und der Regen hörte nicht auf, der Himmel sah aus wie eine verkraterte Wunde, ganz duster und wie zerplatzt und alles floss in mich hinein, durchspülte meinen Leib und strömte dann wieder heraus aus mir, gebündelt und mächtig, suchten sich die Wogen ihren Weg und fanden ihn und fetzten Straßen auf, walzten Zäune nieder und luden Häuser ein, mit ihnen zu ziehen und die Häuser erlagen der Verlockung, dieses rauschende, starke Wasser, wie es kraftvoll brüllte und erhaben war über jegliche menschliche Bändigungsversuche, eine rohe Gewalt, die sich überlegen wusste und dem Irrglauben spottete, sich etwas Untertan gemacht, etwas unter Kontrolle zu haben, eine gefährliche hybris, und einige Häuser murmelten sich gegenseitig noch Bedenken zu, weil ihnen die Außenwände zersprangen und die Fenster eingedrückt wurden und sie fürchteten, diese übermütige Fahrt nicht heil zu überstehen, aber das ungeduldige Wasser (wie bekannt ist, mag Wasser ja im allgemeinen keine Diskussionen, es ist gewohnt, dass man seiner Versuchung sofort erliegt, es braucht meistens nur ein wenig kokett zu glitzern und sich in hübschen Farben zu präsentieren, dann sind die Bedenken fortgewischt und man begibt sich bereitwillig in die Kühle) trennte sie hektisch von ihrem Fundament und zerrte sie eilig mit sich fort und die Zurückgelassenen fanden sich vor nichts als Trümmern wieder und selbst diese wurden geschwind weggespült und hüpften im gurgelnden Wasser auf und ab und Gott schloss träge die Augen und schaukelte sich weiter in seiner Hängematte aus weichem Schilf (er war ein wenig entkräftet und müde von seinem täglichen Spaziergang auf dem Orion) und in Honolulu ging soeben die Sonne unter, versank friedlich im glatten, ruhigen, abertausenblauen Meer und in einem fernen Land roch die Luft nach Fäkalien und Entsetzen, auf dem braunen Wassern trieb ein einsames Kinderbuch, ganz zerlesen und abgeliebt sah es aus, schlingerte unsicher an entwurzelten Bäumen entlang, vielleicht hat es ganz erstickt und kaum hörbar geschrieen und nach seinem Besitzer gerufen und gehofft, dass es gefunden wird, bevor die Feuchtigkeit seine Seiten vollends zersetzt und Buchstabe für Buchstabe aufschwemmt und vom Papier ablöst, ein trauriges altes Buch, das vielleicht kostbare Erinnerungen birgt und nun verloren geht für immer in einer gierigen Flut und vergessen wird, weil das eine von diesen Geschichten ist, die leise und unbedeutende Tragödien sind und für die eben kein Platz ist neben all den lauten und echten Unglücken und Erschütterungen
 

Efiriel

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zum Werk

Hallo

Wenn ich nicht irre, ist dein Werk ein einziger langer Satz, der mich jedoch nicht gerade wenig anspricht.
Das Kinderbuch, allerdings wäre für sich alleine eine Geschichte wert, und brachte mich dann etwas aus dem Konzept. Es wollte sich nicht mit den davon getragenen Häusern verbinden lassen.
Ich persönlich stelle mir das Bilderbuchszenario eher am Tag danach vor, denn bei hohem Wellengang, und reissender Strömung, bei peitschendem Regen in der dunklen Brühe würde es nicht weiter auffallen (nehme ich an). Es treibt vorgestellt im schon wieder beruhigten Wasser, eventuell scheint die Sonne darauf als wäre nichts geschehen, stellt Zeugnis und bringt Betrübnis. Vor allem so wie du es zeichnest, wie ich meine, sehr konsequent als Sinnbild verlorener Träume. Die Häuser aber lösen eine Faszination, gleich einem Katastrophen Entertainment aus, das sich neben der Schrecklichkeit auch das Recht auf eine seltsame Form des bewundert Werdens heraus nimmt. Die Häuser selbst scheinen nicht wenig Spaß daran zu haben.
Aber vermutlich ist mit dem Schwenk nach Honolulu im fernen Land auch Zeit vergangen, oder? So das, das Wasser nicht mehr tosend Gebäude verschleppt, während das Buch dahintreibt. Oder es treibt Abseits jener Strömungen, jedenfalls langsam dahin, sonst würde es anders Assoziiert werden müssen. Wie gesagt, es hat mich irgendwie aus der Bahn geworfen. Jetzt beim drüber nachdenken, fand ich es als abrundenden Schluss gar nicht mal so schlecht. Doch der Mittelteil gefällt mir besser. Irgendwie fehlte mir die Verbindung, oder auch der fließende Übergang von der eher rohen mechanischen Gewaltigkeit auf die emotionelle.
Alles in allem bin ich mir nicht sicher worum es denn wirklich geht. Hochwasser?
„Gott“ ( falls er nicht gerade auf Orion verweilt, *g*) müsste es wissen!
Deinen Stil find ich jedenfalls gut.
Nicht böse oder entmutigt sein, ist nur meine Meinung.


Liebe Grüße

Efiriel
 

Suzie

Mitglied
du,
hast schon recht, wenn ich mir die geschichte im nachhinein so durchlese, wirkt sie ein wenig unausgegoren, weil glaub ich, nur ich hier wirklich den roten Faden sehe und alles etwas wirr daherkommt, weil ich die ereignisse so atemlos zusammengewürfelt hab.
ja, es geht ums hochwasser 2002
ach und das mit gott und honolulu und orion ist von alfred andersch geklaut. geb ich zu. das mit dem deus absconditus nämlich. (sansibar oder der letzte grund)
ich bin weder vergrämt noch irgendwas jetzt
danke für deinen kommentar, weiß ich wirklich zu schätzen
liebe grüße
 



 
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