Eine Geschichte über die Zukunft und Mohrrüben

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Rainer Lieser

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Eine Geschichte über die Zukunft und Mohrrüben

Es war schon dunkel als Lisa Morgenstund nach Hause kam. Müde griff sie in das Eingangsfach für die Lebensmittel. Dort warteten in einem Korb die frischen Zutaten für das Abendessen: Obst, Gemüse, Kräuter, Gewürze und Öle. Gern wäre Lisa selbst eine Bäuerin gewesen und hätte diesen Korb zusammengestellt. Doch Andere hatten vor langer Zeit entschieden, dass dies nicht sein durfte. Nach dem Abendessen ging sie zu Bett. Auf dem großen Wanddisplay lief, wie in allen Haushalten jeden Abend um diese Zeit, die fünf-minütige Jahrhundertdokumentation von Henning Vandercross. Es musste Jahre her sein, seit sich Lisa die zuletzt vollständig angesehen hatte. Auch diesmal schlief sie bereits nach wenigen Sekunden ein.

In einer Montage aus kurzen Filmsequenzen und Fotografien wurde in der Doku gezeigt, wie vor 95 Jahren der letzte wohnberechtigte Mensch auf der Erde sein Haus verliess. Danach war alles, was von den Menschen vergangener Tage aufgebaut worden war, von den Menschen jener Tage dem Erdboden gleich gemacht worden. Man hatte beschlossen die Erde zukünftig ausschließlich zur Erzeugung von Nahrungsmitteln zu nutzen. Nur wenigen Auserwählten war es von da an noch erlaubt sich auf dem Erdboden aufzuhalten: den Bauern. Die restlichen Menschen lebten in schicken schwebenden Häusern hoch oben in den Wolken. Sie nannten sich selbst Wolkenwohner. Für sie war die Erde Tabu.

In der letzten Szene der Dokumentation reichte eine freudestrahlende junge Bäuerin einem überglücklichen jungen Wolkenwohner-Ehepaar einen Korb voll Obst. Hinter dem Ehepaar waren zwei kleine Wolkenwohner-Kinder zu sehen, welche die Bäuerin mit riesengroßen Kulleraugen überschwenglich anhimmelten.

Alle kleinen Wolkenwohner-Mädchen und Wolkenwohner-Jungen träumten davon, eines Tages als Bäuerin oder Bauer arbeiten zu dürfen. So wie alle Wolkenwohner-Frauen und Wolkenwohner-Männer augenblicklich alles stehen und liegen liessen, sobald die Wahl für eine neue Bäuerin oder einen neuen Bauern anstand. Was immer dann der Fall war, wenn eine alte Bäuerin oder ein alter Bauer in den Ruhestand wechselte. 15 Bäuerinnen und 15 Bauern gab es insgesamt. Mehr durften es nicht sein – und weniger auch nicht. 30 die dafür verantwortlich waren, dass der gesamte Nahrungsmittelbedarf von 250 Milliarden Wolkenwohnern täglich gedeckt wurde. 30 absolute und unumschränkte Superstars.

Lisa Morgenstund gehörte zu den Fragern. Von Geburt an. Sie war genetisch so konstruiert worden. Wie alle Frager. Frager sorgten dafür, dass Verbrechen aufgeklärt – und die Schuldigen dem obersten Entscheider vorgeführt wurden.

Langsam kroch das Sonnenlicht durch die Jalousien in das Schlafzimmer. Lisa wachte auf. Ein neuer Tag brach an. Der genetische Konstrukteur hatte Lisa gerade auf telepathischem Weg einen neuen Auftrag erteilt. Immer wenn er mit ihr in Kontakt trat, sah die Fragerin den Konstrukteur in dem Kostüm einer riesengroßen Mohrrübe vor ihrem geistigen Auge erscheinen. Sie musste dann lachen. Wie sie auf dieses Bild gekommen war und warum es sich bei ihr so massiv eingeprägt hatte, war ihr stets ein Rätsel gewesen. Der Konstrukteur hatte nun wirklich nicht das Geringste einer Mohrrübe an sich. Jetzt endlich jedoch glaubte Lisa die Bedeutung dieses Sinnbildes erkannt zu haben. Es musste eine Vorahnung auf den neuen Fall gewesen sein. Eine Mohrrübe war verschwunden – und sie hatte von ihrem Konstrukteur den Auftrag bekommen herauszufinden, wie das hatte geschehen können. So einen großen Fall hatte Lisa sich schon immer gewünscht. Darum, so glaubte sie nun, war in ihren Gedanken der Konstrukteur, als Auftraggeber, mit der Mohrrübe, dem Wunschfall, zu EINEM Bild verschmolzen. Manchmal waren die Spiele, die das Unterbewusstsein mit einem trieb, schon von geradezu beängstigender Banalität, dachte die Fragerin.

Persönlich hatte sie den Konstrukteur zuletzt an ihrem siebten Geburtstag gesehen. Als Lisa das Labor verlassen musste. Das war ein sehr trauriger Tag für sie gewesen. Aber alle Frager mussten das Labor an ihrem siebten Geburtstag verlassen. Eine Sicherheitsmassnahme zum Schutz der späteren Geheimidentität eines Fragers. Heute, 20 Jahre später, wusste Lisa das. Damals nicht.

Die Wolkenwohner hatten Angst vor den Fragern, auch wenn sie von deren Existenz nur durch Gerüchte wussten. Gerüchte in denen man sich von den grausamen Foltermethoden der Frager zur Wahrheitsfindung erzählte. Foltermethoden aus den alten Zeiten. Allerdings hatten die Gerüchte auch ihr Gutes. Seit die Wolkenwohner sich hinter vorgehaltener Hand von den Fragern erzählten, war die Zahl der Verbrechen rückläufig. Deutlich rückläufig! Was die genetischen Konstrukteure und den obersten Entscheider in dem Vorhaben bestärkte, weiterhin viele neue schauerliche Gerüchte über die Frager in Umlauf zu bringen.

Lisa stand auf, frühstückte kurz und verschwand danach ins Badezimmer, um dort eine frische Ganzkörperprojektionsfläche anzuziehen. Das war ein von außen undurchsichtiger Anzug, der von innen so wirkte, als wäre er gar nicht vorhanden. Der Körper wurde davon vollständig umhüllt. Kaum war Lisa in den neuen Anzug hineingeschlüpft, erschien darauf, an der anatomisch korrekten Stelle, schon das räumliche Abbild ihres Kopfes. Ein vollkommen lebensechtes Abbild! Auf dem kleinen Display in der Innenfläche der Hand, wählte sie das "seriöse Schwarze" aus. Die passende Frisur und das richtige Make-Up waren anschließend schnell gefunden. Kleiderschrank, Make-Up-Studio, Frisör Salon, Raumanzug und noch vieles mehr – integriert in eine Hülle, die man auf der Haut trug: niemand konnte sich heute mehr vorstellen, ohne eine Ganzkörperprojektionsfläche die eigenen vier Wände zu verlassen.

Vor der Haustür zog Lisa ihre Flugstiefel an. Mit den Fußzehen gab sie Code und Ziel ein. Sobald alle Räume verlassen und die Flugstiefel aktiviert waren, entmaterialisierte sich automatisch das Haus. An der Stelle, an der eben noch eine feste Wand zu spüren war, griff man jetzt ins Leere. Ebenso verhielt es sich mit den Dingen innerhalb des Hauses. Sichtbar – aber nicht mehr greifbar. DIE Diebstahlsicherung schlechthin. Seit es Frager gab vielleicht nur noch bedingt notwendig, doch weiterhin von allen Wolkenwohnern ganz selbstverständlich genutzt. Einen Moment schwebte Lisa verträumt vor dem Abbild ihres Hauses, dann drehte sie sich um und flog nach unten, der Erde entgegen. Auf sie wartete ein Fall, nach dem sich jeder Frager die Finger geleckt hätte. Lisa konnte jetzt beweisen, was wirklich in ihr steckte. Gut gelaunt grüßte sie jeden Wolkenwohner, der ihr auf dem Flug begegnete.

Die riesigen Mohrrübenfelder mit den gigantischen Versorgungsanlagen kamen in Sichtweite. Auf der Ladefläche eines alarmierten Wachroboters näherte sich ein Bauer mit rasender Geschwindigkeit. Lisa wusste, dass sie in den Zielvisieren unzähliger Wachroboter stand. Exakt einen Meter über der Erdoberfläche stellte sie deshalb vorschriftsmässig den Sinkflug ein, um die Ankunft des Bauern abzuwarten. Zum ersten Mal in ihrem Leben würde sie einem waschechten Bauern begegnen. Von den meisten hatte Lisa schon in der Presse gelesen. Der Bauer, dessen Namen sie von dem Konstrukteur erhalten hatte, war ihr jedoch unbekannt.

Als kleines Mädchen hatte Lisa immer wieder ihren Konstrukteur gefragt, ob sie nicht später doch auf irgendeine Weise zu einer Bäuerin werden konnte. Die Antwort war stets ein Kopfschütteln gewesen. Lieber wollte Lisa verhungern, als solch eine Ungerechtigkeit weiter hin zu nehmen – und beschloß deshalb eines Tages empört, zukünftig nichts mehr zu essen. Nach ein paar Tagen ohne Nahrung wurde sie sehr schwach. Da kam der Konstrukteur und sagte ihr, eine klitzekleine Chance gebe es für sie noch. Lisa müsste nur kräftig essen und eine wunderhübsche Fragerin werden. Dann würde sie eines Tages von einem Bauern geheiratet werden und anschließend Bäuerin sein. Die Flunkerei wirkte – und Lisa fing wieder an zu essen. Soweit sie sich erinnerte, war das die erste Lüge gewesen, die sie zu hören bekommen hatte. Denn es war Bäuerinnen und Bauern untersagt zu heiraten, wie Lisa später erfuhr.

Nach diesem sentimentalen Sprung weit zurück in die Vergangenheit, gewann die Vernunft wieder Oberhand über Lisas Gedanken. Sie konzentrierte sich auf die Dinge, welche sie in ihrer jahrelangen Ausbildung gelernt hatte. Schließlich durfte ihr jetzt nicht der geringste Fehler unterlaufen. Jede noch so winzige Unachtsamkeit oder Schwäche konnte das Ende ihrer Karriere bedeuten. Ein Auftrag in dieser Größenordnung beinhaltete nicht nur viele Chancen, sondern mindestens ebenso viele Gefahren.
»Mein Name ist Hubert Meyer-Huber.« Begann der Bauer. »Was zum Teufel wollen Sie hier?«
Lisa blickte ihrem Gegenüber geradewegs in die Augen. Dieser Bauer würde ihr wohl kaum einen Heiratsantrag machen, dachte sie sich mit leicht ironischem Lächeln. »Durch einen Informanten habe ich von dem verschwinden einer Mohrrübe auf diesem Feld erfahren. Es ist meine Aufgabe, die Öffentlichkeit über solche Kapitalverbrechen umfassend zu unterrichten. Selbst einem Bauern dürfte der Begriff "Pressefreiheit" nicht völlig fremd sein.«

Hubert Meyer-Huber musterte sie misstrauisch. »Eine Reporterin also, die von einem sogenannten Informanten irgend etwas erfahren haben will. So so … über Ihren Besuch hat MICH niemand informiert. Irgend etwas an ihrer Geschichte gefällt mir nicht. Womöglich ist es die mangelnde Glaubwürdigkeit.«
Ohne eine Miene zu verziehen, antwortete Lisa. »Ich kann gut nachvollziehen, dass man bei einem Bauern, der nicht in der Lage ist auf seine Mohrrüben aufzupassen, auch Unvermögen beim Umgang mit einem Kommunikator vermutet. Wahrscheinlich hat man deshalb gar nicht erst versucht sie zu kontaktieren.«

Bauern waren sehr stolze Persönlichkeiten, die mit Kritik nicht gut umzugehen wussten – und der Bauer vor Lisa, war hierfür geradezu ein Paradebeispiel: aufgeblasen und selbstherrlich. Das Bild, welches sie sich aufgrund der Informationen des Konstrukteurs, von ihm gemacht hatte, war vollständig bestätigt worden. Dieser Bauer stellte nicht die geringste Gefahr für sie dar. Mit diesem Hubert Meyer-Huber würde sie ein leichtes Spiel haben, war sich Lisa mittlerweile sicher. Innerlich kochte er bereits. Sein Gesicht liess daran keinen Zweifel aufkommen. Die Fragerin versetzte ihm umgehend eine weitere verbale Ohrfeige. »Wenn Sie möchten, rufe ich liebend gern den obersten Entscheider direkt an und bitte ihn darum, Ihnen meine Legitimation zu bestätigen.« Sagte Lisa und berührte flink einige Felder auf ihrem Innenhanddisplay.

»Schon gut.« Gab der Bauer kleinlaut zurück. »Der oberste Entscheider hat heute schon mehr als genug über mich gehört. Sparen Sie sich den Anruf. Ich rede.«
»Zu spät.« Kam es von Lisa.
Aus ihrem Gerät erklang die Stimme des obersten Entscheiders.
»Sie stören mich gerade bei einem äußerst wichtigen Gespräch. Da Sie allerdings die Notfallnummer benutzt haben, gehe ich davon aus, es gibt dafür einen triftigen Grund. Fassen Sie sich dennoch bitte kurz.«

Hubert Meyer-Huber wurde kreideweiß.
»Hier spricht Rebecca Rahmenholz …«

Nach dem Ende des Gesprächs erfuhr Lisa von dem Bauern alles, was sie wissen wollte.

Erwähnt werden muss dazu allerdings noch:
Erstens – natürlich hatte Lisa NICHT mit dem echten obersten Entscheider gesprochen, sondern mit einem Stimmenimitator. Ein Täuschungsmanöver, auf das Frager in Situationen wie diesen stets gerne zurück griffen.
Zweitens – Rebecca Rahmenholz war der Name einer allseits bekannten und renommierten Journalistin. Außer dem Namen Rebecca Rahmenholz, wusste man jedoch nichts über die Frau hinter den vielen preisgekrönten Artikeln und Reportagen. Gesicht und Hintergrundinformationen zur Person wurden bewusst aus den Medien heraus gehalten, damit Rebecca Rahmenholz weiterhin verdeckt recherchieren konnte. Das zumindest glaubte die Öffentlichkeit. In Wahrheit war Rebecca Rahmenholz jedoch nichts weiter als eine Tarnexistenz für Fragerinnen – eine real existierende Person mit diesem Namen gab es nicht. Das männliche Pendant dazu hiess Henning Vandercross.

Voller Zufriedenheit gab Lisa einen neuen Kurs in die Flugstiefel ein. In einem Nebensatz hatte der Bauer eine Bemerkung gemacht, die in der Fragerin einen Verdacht geweckt hatte. Diesem Verdacht wollte sie jetzt nachgehen.

Wenig später landete Lisa auf der Türschwelle des Schwebehauses von Polly Bleinase, einer Frau die alles über Mohrrüben wusste und Autorin des beliebtesten Rezeptbuchs der letzten Jahrzehnte über Mohrrübengerichte war. Lisa vergötterte den Mohrrübenstrudel! Offensichtlich hatte die Fragerin Glück. Das Haus von Polly Bleinase befand sich in materialisiertem Zustand. Polly Bleinase war demnach zuhause. In dem Moment als Lisa den Klingelknopf drückte, entmaterialisierte sich jedoch das Haus plötzlich. Starr vor Schreck sah Lisa, wie Stühle, Tische, Schränke, Lampen, Kleider, Schuhe, Bücher, Kochtöpfe, Pfannen, Maschinen und Geräte in rasender Geschwindigkeit auf die Erdoberfläche zustürzten. Sie wusste, kurz vor dem Aufschlag würden die Strahlen der Wachroboter alles in Luft auflösen. Auch Polly Bleinase, die sich irgendwo zwischen dem Hausrat befinden musste. Lisa schloss die Augen. So einen Unfall hatte sie noch nie erlebt. Die Entmaterialisierungstechnologie galt bisher als absolut sicher. Das war nun vorbei. Die Fragerin dachte mit Schrecken an die Panikwelle, die in Kürze unter den Wolkenwohnern losbrechen würde.

Ihre Flugstiefel waren noch auf "schweben" eingestellt gewesen, als der Boden seine Materialdichte verloren hatte. Lisa war also nur um Haaresbreite dem Tod entkommen.

Erst die verschwundene Mohrrübe, jetzt der Vorfall mit dem Schwebehaus, welcher den Tod von Polly Bleinase zur Folge hatte. Es gab nicht den geringsten Zweifel daran, dass diese Geschehnisse in unmittelbarem Zusammenhang standen. Ein Besuch bei Santiago-Bill schien der Fragerin mehr als angebracht.

Auf dem Weg dorthin veränderte Lisa ihr Aussehen. Denn im Gemüseladen von Bill war es noch wichtiger als an anderen Orten, nicht als Frager erkannt zu werden. Hier traf sich die Crème de la Crème der Unterwelt, um sich auszutauschen und Geschäfte zu machen. Natürlich war das illegal. Doch es wurde von den Fragern toleriert. Bill erkaufte diese Toleranz mit Informationen. Informationen, die er von den Gesetzesbrechern erhielt, um damit die Gesetzeshüter zu bestechen. Diskretion war dabei das oberste Gebot. Santiago-Bill behielt seine Quellen stets für sich. Man kann sich denken, dass Frager bei Bills "Kunden" nicht gern gesehen waren. Damit Bills Glaubwürdigkeit gegenüber seiner "Kundschaft" nicht gefährdet wurde, vermieden die Frager daher allzu häufige Besuche in dem Gemüseladen. Wenn sich aber ein Besuch nicht vermeiden liess, kamen sie in ganz besonders ausgeklügelten Verkleidungen.

Lisas "Sicherheitsvorkehrungen" bestanden darin, ihre Haarfarbe in blau zu wechseln, die Körpergröße um 25 cm zu verringern und das "seriöse Schwarze" durch ein legeres farbenfrohes Freizeitoutfit zu ersetzen. Nach der Landung liess sie die Flugstiefel noch einige Sekunden im Schwebemodus aktiv und vergewisserte sich, dass der Untergrund auch wirklich massiv war. Danach betrat Lisa den Laden. Sie schnappte sich aus einem der Körbe eine Handvoll Kirschen, von denen gleich ein paar in ihrem Mund verschwanden. Außer der Fragerin und Santiago-Bill hielt sich niemand in dem Gemüseladen auf. Bill drückte einige Tasten auf der uralten Kasse. Anschließend erhob er mit theatralischer Geste seinen rechten Arm und fuhr den Zeigefinger aus. Der Finger stürzte hinab auf die Eingabetaste. Eine Klingel läutete. Ein kleiner weißer Zettel mit der Rechnungssumme schob sich aus einem Schlitz. Bill riss das Papier ab und gab es mit einer tiefen Verbeugung an Lisa weiter.

»Nichts von dem was ich Dir über die verschwundene Mohrrübe oder die Sache mit Polly Bleinase sagen könnte, wäre neu für Dich. Diese beiden Nummern sind selbst für den guten alten Santiago-Bill zu groß. Ich weiß darüber nur das, was bald alle wissen. Bloss ein bisschen früher. Tut mir leid, Kindchen. Hübsche Verkleidung übrigens. Dieser neue "Echtkörperverstecker" ist ein wahres "Zauberdings". Noch nicht offiziell im Handel, aber schon ein gewaltiger Verkaufsschlager. Gestern erst habe ich davon fünfzig verkauft. In drei Wochen erhalte ich den Prototyp vom Nachfolgemodell. Interessiert?«

Wenn selbst Santiago-Bill nichts wusste, musste hier wirklich ein ganz großes Ding laufen. Lisa nahm die Rechnung entgegen. Mit der anderen Hand steckte sie sich eine weitere Kirsche in den Mund. Besorgnis stieg in ihr auf. Wo war sie hier nur hinein geraten? War dieser Fall womöglich zu groß für sie? So etwas kam vor. Dann musste man einem anderen Frager weichen. Verlor den Job. Bill war das so ergangen, wie Lisa wusste. Sie sah ihn an. Das Selbstbewusstsein, die Achtsamkeit und die schauspielerischen Fähigkeiten eines Fragers hatte er sich behalten. Alles andere war ihm genommen worden. Stand ihr das in Kürze auch bevor?

Plötzlich lachte Santiago-Bill laut auf und riss Lisa aus ihren Gedanken. Er wies auf den Newsbericht, der gerade gezeigt wurde. »JETZT werden ALLE auf den gleichen Kenntnisstand gebracht.« Lisa drehte sich um. Blankes Entsetzen durchfuhr sie. Die Fragerin rannte aus dem Laden. Draussen blieb sie neben dem Eingang stehen. Atmete durch. Spuckte die Kirschkerne aus. Zerknüllte die Rechnung und warf sie gedankenverloren weg. Gleich würde sich der oberste Entscheider bei ihr melden.

Er nahm telepathischen Kontakt mit ihr auf. So wie es sonst ausschließlich der Konstrukteur tat. Mit zitternden Knien nahm Lisa die Worte des obersten Entscheiders entgegen. »Gerade lief über alle Stationen ein Bericht, der mit Ihrer subjektiven Kamera aufgezeichnet worden war, Frau Rahmenholz – oder sollte ich sie besser Frau Morgenstund nennen? Es gibt einiges, worüber wir nun dringend miteinander sprechen müssen. Finden Sie sich dazu morgen um 08:24 Uhr im Rechenzentrum ein.«

Jemand musste auf die Aufnahmen von ihrem Gespräch mit Bauer Hubert Meyer-Huber zugegriffen und diese an die zentrale Nachrichtenredaktion weiter geleitet haben. Die Aufnahmen waren von den Kameralinsen in ihren Augen gemacht worden. Außer Lisa hatte darauf allerdings niemand Zugriff. Eigentlich. Doch irgend jemandem musste es gelungen sein, darauf Zugriff zu erhalten. Eine andere Erklärung gab es nicht. In diesem Stadium der Ermittlungen hätten die Aufnahmen niemals veröffentlicht werden dürfen – und dann gab es darin ja auch noch die Szene des vorgetäuschten Telefonats mit dem obersten Entscheider. Eine Szene, von welcher der echte oberste Entscheider sicher nur sehr ungern durch die Nachrichten erfahren hatte. Lisa rechnete mit dem schlimmsten für den morgigen Termin.

Vielleicht war es wirklich an der Zeit sich bei ihren Konstrukteur zu melden und den Fall abzugeben. Den Job zu quittieren. Das alles wuchs ihr zu sehr über den Kopf, musste sich Lisa eingestehen. Die Fragerin versuchte telepathischen Kontakt mit dem Konstrukteur aufzunehmen. Er antwortete nicht. Das war noch nie vorgekommen.

Lisa sortierte gerade ihre Gedanken, als sie eine telepathische Nachricht von Hubert Meyer-Huber empfing. Ein erneutes Ding der Unmöglichkeit! Bauern hatten keine telepathischen Fähigkeiten! Nur Konstrukteure, Frager – und selbstverständlich der oberste Entscheider –, konnten über die Kraft der Gedanken miteinander in Kontakt treten. Die Überraschungen an diesem seltsamen Tag nahmen kein Ende.

»Ich vermute, Du hast inzwischen festgestellt, dass es keine gute Idee war, mich austricksen zu wollen. Selbstverständlich habe ICH der Nachrichtenredaktion Deine Aufnahmen zur Verfügung gestellt, kleine Lisa Morgenstund.« Klang es höhnisch im Kopf der Fragerin. »Es sollte für Dich nun klar sein, wer von uns beiden der Chef im Ring ist. Ich schlage ein zweites Treffen vor. Immerhin ist der Fall der verschwundenen Mohrrübe weiterhin ungeklärt.«
»Ich komme sofort zu Ihnen.« Antwortete Lisa und dachte bei sich: der Tod von Polly Bleinase und einige andere Dinge müssen ebenfalls noch geklärt werden!«

Kaum war sie verschwunden, erschien Bill an der Eingangstür. Er entdeckte die zusammengeknüllte Rechnung. Es verwunderte ihn nicht, dass sie weggeworfen worden war. Bill nahm es als Beleg für den enormen Druck, unter dem Lisa gerade stand. Man hatte ihr einen Auftrag übertragen, den sie kaum würde bewältigen können. Für ihn sah es so aus, als ob Lisa verheizt werden sollte. Als ob man die Spielzüge bewusst darauf ausgerichtet hatte, sie am Ende allein als Sündenbock für alle Geschehnisse dastehen zu lassen. So, wie es ihm einst bei SEINEM großen Fall ergangen war. Bill blickte der Fragerin nachdenklich hinterher. Wenig später ging er zurück in den Laden. Vor dem Regal mit den Mohrrüben blieb er stehen.

Lisa befand sich im Schwebemodus, einen Meter über der Erdoberfläche – und wieder in den Zielvisieren sämtlicher Wachroboter. Alles war exakt so, wie bei der ersten Begegnung mit Hubert Meyer-Huber. »Wie sind Sie an die Aufnahmen meiner Kameralinsen gelangt?«
Der Bauer antwortete mit ruhiger Stimme. »Ich kenne den ganzen technischen Schnick-Schnack der Frager und weiß, wie man ihn manipulieren kann. Schließlich war ich selbst lange genug Frager.«
Lisa wurde laut. »Das ist vollkommen unmöglich! Frager können nicht zu Bauern werden! Das können nur "normale" Wolkenwohner!«
»Ein wenig naiv bist Du schon, kleine Lisa Morgenstund. Nicht? Wir leben in einer Welt, in der man die Wahrheit nur erfährt, indem man selbst zum Lügner wird. Lügner glauben die Wahrheit aus den Worten anderer Lügner heraushören zu können. Ist die Wahrheit da nicht nur noch reine Interpretationssache? Ist die Wahrheit da nicht nur noch ein "Ding", welches sich jeder so zurechtbiegt, wie er es benötigt? Wieso sollte es in einer solchen Welt einem Frager unmöglich sein, zu einem Bauern werden zu können?«

Lisa ballte die Fäuste. Dabei zerquetschte sie die letzten Kirschen, welche sie noch in der Hand hielt. Die rote Flüssigkeit rann unbemerkt zwischen ihren Fingern durch. »Der oberste Entscheider würde das niemals zulassen. Er bestimmt die Wahrheit aufgrund von Fakten. Fakten die ihm Frager beschaffen!«
»Frager beschaffen keine Fakten. Frager schaffen Fakten. Ihre eigenen Fakten. Auf Basis seiner Programmierung errechnet der oberste Entscheider daraus das, was wir als Wahrheit ansehen – mit der tatsächlichen Wahrheit muss das jedoch nicht zwangsläufig viel gemein haben.«
Hubert Meyer-Huber machte eine kleine Pause bevor er fortfuhr. »Auf Basis der Fakten, die der oberste Entscheider von mir erhielt, entschied er, dass ich zu einem Bauern werden sollte. Ich bekam eine neue Identität. Man manipulierte die Wolkenwohner ein bisschen – und SCHWUPPS war ein ehemaliger Frager zu einem Bauern gewählt worden. Von da an konnte ich sehr genau das Treiben auf der Erde beobachten. Was dringend nötig war, denn die verschwundene Mohrrübe, deretwegen Du hierher gerufen wurdest, war keinesfalls die erste Mohrrübe, die verschwunden ist. Es war nur die Erste, von der die Öffentlichkeit erfahren hat. Durch DEINE Aufnahmen.«

Der Saft der Kirschen sammelte sich an Lisas linker Hand zu einem Tropfen.
»Der oberste Entscheider war damit einverstanden, dass ich die Aufnahmen Deiner Augenkamera an die Nachrichtenredaktion weiter gab. Ich selbst konnte die Öffentlichkeit ja schlecht über die Ereignisse informieren – denn im gleichen Augenblick wäre meine Tarnung als Bauer aufgeflogen. Weitere Nachforschungen wären für mich damit unmöglich geworden. Weitere Nachforschungen sind aber gerade jetzt ganz besonders wichtig, da durch das Einschalten der Öffentlichkeit mit Sicherheit einige finstere Gestalten aufgeschreckt wurden, denen es gar nicht gefallen dürfte, derart im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Genau so hatte ich es geplant. Wir beide sind jetzt auf einem guten Weg, kleine Lisa Morgenstund. Unser Team funktioniert.«
Mit einem Lächeln fügte Hubert Meyer-Huber hinzu »Ist auch kein Wunder. Immerhin wurden wir beide von dem gleichen Konstrukteur erschaffen. Ach ja … und Santiago-Bill gehört ebenfalls zu unserer "Familie". All das hatte Dir der oberste Entscheider Morgen selbst in Euerem Termin mitteilen wollen. Doch dann ist der Plan durchkreuzt worden. Inzwischen sind Dinge geschehen, mit denen niemand rechnen konnte.«
»Der Tod von Polly Bleinase und das Verschwinden unseres Konstrukteurs.« Sagte Lisa.
Hubert Meyer-Huber nickte. »Du musst jetzt schnell handeln, kleine Lisa Morgenstund.«
»Ja!« Sie schoss in den Himmel.

Der Bauer hatte den Tropfen an Lisas Hand ebenso wenig bemerkt, wie die Fragerin. Die Wachroboter aber hatten ihn bemerkt! Als der Tropfen in Richtung Erdboden fiel, entfachten ihre Strahlensalven einen Feuersturm, der die Fragerin erstaunt nach unten blicken liess. Plötzlich spürte sie einen stechenden Schmerz, erst im linken, dann im rechten Fuß. Lisa schrie! Streustrahlen mussten sie getroffen haben. Der Antrieb ihrer Flugstiefel fiel aus. Die Fragerin stürzte der Erde entgegen. Gleich würden die Wachroboter sie vollends zerstrahlen.

Dunkelheit.

Nach einer Ewigkeit empfing Lisa eine telepathische Nachricht von ihrem Konstrukteur. »Hubert Meyer-Huber ist zu weit gegangen. Nie hätte er Dich in die Sache mit hinein ziehen dürfen. Dann hat er auch noch den telepathischen Kontakt zwischen Dir und mir mehrfach verhindert, damit ich Dich nicht warnen konnte, als ich sein böses Spiel endlich durchschaute. Für diese Taten wird er zur Verantwortung gezogen werden. Nun muss jedoch dringend unser großer Plan modifiziert werden. Du wirst die Rolle von Hubert Meyer-Huber übernehmen. Zu diesem Zweck habe ich Dich zurück in das Labor gebracht, in dem Du einst entwickelt wurdest. Das Schicksal meint es gut mit Dir, meine Liebe. In wenigen Wochen wirst Du eine Bäuerin sein. War das nicht schon immer Dein größter Wunsch? Früher zumindest, hast Du mir das oft erzählt.«
Lisa begriff, dass sie die Wachroboter offensichtlich nicht getötet hatten. Ihr war allerdings immer noch schwarz vor Augen. In ihrem Kopf wirbelten die Eindrücke der letzten Stunden wild durcheinander. Es fiel ihr schwer zu sprechen. »Was wird dafür als Gegenleistung von mir erwartet?«
»Stillschweigen über das, was Du gleich sehen wirst.«
Lisa willigte ein. Der Konstrukteur nahm ihr die Augenbinde ab. Sie war überglücklich ihn zu sehen. Nun würde alles gut werden. Desssen war sie ganz sicher.

Der Konstrukteur drückte auf das Innenhanddisplay seiner Ganzkörperprojektionsfläche. Die Kleidung und auch seine menschliche Gestalt verschwand. Dort wo eben noch der Konstrukteur gestanden hatte, lag nun eine Mohrrübe auf dem Boden. »Um es ganz klar und unmissverständlich zu sagen: Ich bin eine uralte genmanipulierte Mohrrübe.«

»Oh!« Brachte Lisa darauf nur hervor.

»Okay, ich muss wohl einiges erklären.« Sprach die Mohrrübe. »Da Experimente an Menschen bereits seit Urzeiten verboten waren, fingen die an Gentechnik interessierten Wissenschaftler eines Tages damit an, Experimente an verschiedenen Gemüsesorten durchzuführen. In uns Mohrrüben entdeckten sie das größte Lernpotential. Dieses Potential bauten wir und die Wissenschaftler gemeinsam aus. Bald lernten wir sogar mit den Wissenschaftlern zu kommunizieren. Wie Du Dir aber sicher vorstellen kannst, gab es trotz allem weiterhin gewisse Verständigungsprobleme. Allein schon Aufgrund der enorm hohen äußerlichen Unterschiedlichkeiten. Um diese zu minimieren, entwickelten wir gemeinsam etwas, dass heute für alle Wolkenwohner eine Selbstverständlichkeit ist: Ganzkörperprojektionsflächen.

Die Jahre schritten fort und wir alle verloren das Interesse an der Gentechnik. Es gab inzwischen dringlichere Themen, mit denen es sich auseinander zu setzen galt. Überbevölkerung. Nahrungsmittelknappheit. Verbrechensbekämpfung. Umweltkatastrophen. Das menschliche Gesellschaftssystem und das globale Ökosystem standen unmittelbar vor dem Kollaps. Zusammen beschlossen die Wissenschaftler und wir eine Aufgabenteilung. Die menschlichen Wissenschaftler sollten Lösungen entwicklen, um das globale Ökosystem zu retten. Wir genmanipulierten Mohrrüben sollten ein neues Gesellschaftssystem entwickeln, um die Menschheit zu retten. So wurde alles zu dem, wie Du es heute kennst.«

Lisa betrachte die Mohrrübe mit großen Augen und lauschte stumm ihren Worten.
»Ein paar Details überspringe ich nun und komme zum Hier und Jetzt und zu Dir. Du selbst bist in Wahrheit nämlich, ebenso wie ich, eine Mohrrübe. Alle Frager sind das. Aber es gibt sehr SEHR viele Mohrrüben, die nicht so priviligiert sind wie wir. Mohrrüben, die in der Blüte ihres Lebens auf den Tellern der Wolkenwohner und Bauern landen. Wie Du sicherlich verstehen wirst, ist das ein Zustand, der uns genmanipulierten Mohrrüben absolut nicht gefällt. Lange schon arbeiten wir an einem Plan, um unseren Genossen eines Tages dieses schreckliche Ende zu ersparen. Vor einigen Monaten sind wir in die erste Umsetzungsphase unseres Plans eingestiegen. Dazu wurde Hubert Meyer-Huber mit Unterstützung des obersten Entscheiders bei den Bauern eingeschleust. Meyer-Hubers Aufgabe war es, heimlich, still und leise alle echten Mohrrüben auf den Feldern, durch industriell erzeugte Imitate zu ersetzen. Imitate, die von echten Mohrrüben nicht zu unterscheiden sind. Weder in Form, noch in Geschmack.«

Die Mohrrübe seufzte. »Leider war Hubert Meyer-Huber in der Ausübung seiner Aufgabe manchmal etwas zu übereifrig. Er holte dann mehr echte Mohrrüben aus der Erde raus, als ihm Imitate zum reinstecken zur Verfügung standen. Der Weichling brachte es anschließend aber nicht mehr über das Herz, ein Mal aus der Erde entfernte echte Mohrrüben, wieder in den Boden zurück zu stecken. Den anderen Bauern fielen die Missstände bei den Lieferabrechnungen der Ernteroboter natürlich auf und sie stellten Hubert Meyer-Huber zur Rede. Um die Wahrheit zu verbergen und so, einem möglichen Ausschluss aus der Gemeinschaft der Bauern zu entgehen, setzte er das Märchen von den Mohrrübendiebstählen in die Welt – und um diesem Märchen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, zog er Dich in die Geschichte mit hinein.
Leider erkannten wir Konstrukteure erst viel zu spät, wie sehr uns das Ganze immer mehr entglitt. Es blieb uns nichts anderes übrig, als buchstäblich in letzter Sekunde hart durchzugreifen. Schweren Herzens deaktivierten wir die doppelte Verkappselung der Ganzkörperprojektionsfläche von Hubert Meyer-Huber. Das geschah unglücklicher Weise exakt während des Strahlenfeuers der Wachroboter. Die Zielerfassung der Wachroboter wurde durch die Verwandlung von Hubert Meyer-Huber zur Mohrrübe empfindsam gestört. Was zur Folge hatte, dass Deine Flugstiefel getroffen wurden und Du abgestürzt bist.
In seiner eigentlichen Form wird Hubert Meyer-Huber bereits morgen dem obersten Entscheider vorgeführt werden.
Du musst uns nun dabei behilflich sein Phase eins des großen Plans abzuschließen, denn bald schon endet die Erntezeit auf den südlichen Feldern. Spätestens dann muss dort der Austausch aller echten Mohrrüben abgeschlossen sein.
Diese Informationen sollten im Augenblick ausreichen. Über die weiteren Phasen unseres großen Plans werde ich Dich zu gegebener Zeit informieren.«

Nach all diesen Erläuterungen brannte Lisa immer noch EINE Frage auf der Zunge. »Wer tötete Polly Bleinase?«
»Niemand. Es gab niemals eine wirkliche Polly Bleinase. Sie war nichts weiter als eine von vielen Tarnexistenzen, die wir Konstrukteure für besonders heikle Operationen nutzten. Eine der Tarnexistenzen mit oberster Sicherheitsstufe. So weit oben angesiedelt, dass kein Frager davon wissen durfte. Da der vorliegende Fall eine immer größere Brisanz entwickelte, entschieden wir schließlich auf die zukünftigen "Dienste" von Polly Bleinase zu verzichten, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit weg von der gestohlenen Möhre – hin zu möglichen Problemen mit der Entmaterialisierungstechnologie zu lenken. Die sich daraus ergebenden Reaktionen erschienen uns überschaubarer, als die zu erwartenden Unruhen, wenn bekannt werden würde, dass es Unstimmigkeiten in der Nahrungsmittelproduktion gibt. Zumal die Entmaterialisierungstechnologie durch die Existenz der Frager inzwischen ohnehin nur noch ein überholtes Produkt aus alten Tagen ist.«

»Es fällt mir sehr schwer, zwischen Lüge und Wahrheit noch zu unterscheiden. Wie soll ich wissen, was stimmt und was nicht?« Bohrte Lisa nach.
»Nichts ist leichter zu beantworten als das.« Sagte der Konstrukteur. »Ich nenne Dir jetzt eine Tastenkombination, die Du bitte in das Display Deiner Ganzkörperprojektionsfläche eingibst. Beobachte, was dann mit Dir geschieht. Es sollte Dich nicht überraschen ...«
 

Nina H.

Mitglied
Auch wenn es gegen Ende hin reichlich absurd wird, habe ich die Geschichte gerne gelesen.
Ich würde da auch gar nicht so viel machen. "Du" sollte aber auch in der wörtlichen Rede klein geschrieben werden. (Im Gegensatz zur höflichen Anrede "Sie".)
 
Hallo Rainer Lieser,

deine Geschichte hat mir gut gefallen. Den Anfang empfand ich etwas schleppend aber dann gewinnt die Story an Fahrt und ich wollte unbedingt wissen wie es ausgeht; ein gutes Zeichen, wie ich finde.

Eine Sache hat mich aber ein bisschen gestört: Sie weiß nichts von ihrer wahren Existenz aber wenn sie ihre "Kleidung" wechselt, müsste ihre Tarnung zumindest kurzzeitig aussetzen oder sehe ich das falsch?
Lisa stand auf, frühstückte kurz und verschwand danach ins Badezimmer, um dort eine frische [blue]Ganzkörperprojektionsfläche[/blue] anzuziehen. Das war ein von außen undurchsichtiger Anzug, der von innen so wirkte, als wäre er gar nicht vorhanden. Der Körper wurde davon vollständig umhüllt. Kaum war Lisa [blue]in den neuen Anzug hineingeschlüpft[/blue], erschien darauf, an der anatomisch korrekten Stelle, schon das räumliche Abbild ihres Kopfes. (...) niemand konnte sich heute mehr vorstellen, ohne eine Ganzkörperprojektionsfläche die eigenen vier Wände zu verlassen.
Für mich klingt das so, als trügen die Leute zu Hause diese Anzüge nicht und als gäbe es zumindest den Moment des Einschlüpfens, in dem Lisa eigentlich gar nicht entgehen kann was los ist.

Der Konstrukteur drückte auf das Innenhanddisplay seiner Ganzkörper[blue]projektionsfläche[/blue]. Die Kleidung und auch seine menschliche Gestalt verschwand[red]en[/red]. Dort wo eben noch der Konstrukteur gestanden hatte, lag nun eine Mohrrübe auf dem Boden
Der Anzug ist demnach mehr als eine Projektionsfläche? Spontan dachte ich an den Jedermann-Anzug aus der Dunkle Schirm, falls dir das was sagt, der ist ebenfalls eine Projektion; diese würde aber nicht die Fähigkeit zu Laufen und Sprechen etc. verleihen.

Den Ansatz finde ich super aber die Unstimmigkeiten bezüglich der Projektionsfläche lassen es, meiner Meinung nach, einen Tick zu absurd werden. Vielleicht Ganzkörperanzug (der auch Fähigkeiten verleiht und nicht nur eine Illusion erzeugt?).

Danke für die tolle Story

Liebe Grüße
DasKatastrophenprinzip
 



 
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