Eine Kriminalgeschichte

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Mäuschen

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Eine Kriminalgeschichte


Das Auto gab seinen Geist auf – diesmal endgültig. Sie hatte auf die letzten paar Kilometer schon geahnt, dass das beständige Aufheulen des Motors kein gutes Zeichen war.
Sie hielt am Straßenrand, dicht am Wald, neben dem sie schon lange hergefahren und trotzdem noch nicht an dessen Ende angelangt war.
Anscheinend endete ihr Tag nun so katastrophal wie er begonnen hatte. Frühmorgens hatte sie einen Anruf bekommen, sie müsse schon morgen zu ihrer Geschäftsreise aufbrechen, die eigentlich erst in zwei Wochen angesetzt war. Sie hatte Frühstück gemacht, dafür gesorgt, dass ihre zwei Jungs noch den Schulbus erreichten, das Kindermädchen bestochen, damit sie zwei Wochen eher kam, ihren Mann benachrichtigt, der erst in vier Tagen aus seinem Urlaub zurückkehrte, ihre Jüngste zu ihrer Mutter gefahren, die neunzig Kilometer weit weg wohnte und froh war, ihre Enkelin mal wieder zu sehen, sich auf dem Hinweg zweimal verfahren und nun in der Einöde Halt gemacht während des dritten Versuchs, die richtige Straße zu finden, einem kaputten Auto, einem Mordshunger und dem Wissen, noch nicht einmal die Koffer gepackt zu haben.
Nicht einmal ein Handy hatte sie dabei. Das lag seelenruhig auf dem Küchentisch und wartete auf seine Besitzerin. Die würde sich verspäten.
Sie seufzte und fuhr sich durch ihre rote Mähne. Wohl oder übel musste sie hier warten, bis jemand vorbeikam. Im Dunkeln konnte sie ohne Taschenlampe nicht einmal die Straße erkennen, sie würde gnadenlos ihrem größten Talent erliegen: sich zu verlaufen.
Nachdem sie das Standlicht eingeschaltet und ein Stoßgebet zum Himmel geschickt hatte, dass doch bitte noch jemand um diese Uhrzeit hier unterwegs wäre, lehnte sie sich in dem ungemütlichen Autositz zurück, zog den Reisverschluss ihrer Jacke bis ganz nach oben und gähnte.
Nicht einschlafen!, ermahnte sie sich selbst in Gedanken und gähnte erneut. Sonst kannst du deinen Flug morgen vergessen! Nun ja... eher heute, berichtigte sie sich mit einem kurzen Blick auf ihre digitale Armbanduhr.
„Das kann auch nur mir passieren! Ich bin so ein Idiot! Job und Familie? Ja klar, kein Problem! Mach ich mit links!“ Sie schimpfte sich in einem inneren Anflug von Wut ihren Ärger von der Seele, danach ging es ihr besser. Die Situation lud ja geradezu dazu ein und Selbstgespräche führte sie auch zu Hause sehr gerne.
Während sie sich mit langsamen Kreisbewegungen die Schläfen massierte, dachte sie darüber nach, wie sie sich wachhalten könnte. Krimis!, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Ihre Mutter hatte ihr wieder einige solcher Hefte mitgegeben, die ihr Mann verschlang wie ihre Kinder Süßigkeiten. Ohne Auszusteigen schaffte sie es mit einigen Verrenkungen, sich ein Heft vom mittleren Rücksitz zu fischen. Ohne der Titelseite oder dem Inhaltsverzeichnis die geringste Beachtung zu schenken, schlug sie wahllos eine Seite auf und blätterte bis zum Beginn der nächsten Geschichte vor.
„´Eine Kriminalgeschichte´“, las sie laut den Titel und zog eine Augenbraue hoch. „Hört sich ja wahnsinnig spannend an. Da hatte der Autor ja wirklich Fantasie.“ Sie überlegte einen kurzen Moment, ob sie zur nächsten Geschichte springen sollte, entschloss sich dann aber aus reiner Faulheit dazu, es sein zu lassen und begann zu lesen.
Anfangs blickte sie noch während eines jeden Umblätterns hoch, in der Hoffnung, am Horizont die Scheinwerfer eines näherkommenden Autos zu erspähen. Doch schon nach wenigen Seiten fesselte sie die Geschichte so, dass ein hupender Lastwagen an ihr vorbeibrausen hätte können und sie es nicht wahrgenommen hätte. Normalerweise verabscheute sie Kriminalromane – viel zu langweilig, unrealistisch oder einfach leicht zu durchschauen. Sie wusste selbst nicht, was an dieser Geschichte so anders war.
Es handelte sich um einen amerikanischen Straftäter Ende 40, der wegen mehrerer schwerer Raubüberfälle ins Gefängnis gewandert, dort aber wieder ausgebrochen war und nun plündernd durch wenig bewohnte Siedlungen zog. Dabei hatte er alle aus dem Weg geräumt, die ihn bei seinen Einbrüchen überrascht hatten. Nun aber war ihm die Polizei dicht auf den Fersen und er musste durch einen Wald fliehen.
Unwillkürlich wanderte ihr Blick zum Autofenster zu ihrer rechten Seite, welches sie nur zusammen mit einigen Metern Wegstrecke vom Waldrand trennte.
„Klar, jeden Moment kommt der Serienmörder herausgestürzt“, nahm sie sich selbst auf den Arm, während gleichzeitig ein leuchtend rotes Schild mit der Aufschrift „UNREALISTISCH“ vor ihrem inneren Auge aufblinkte. Sie las eine weitere Seite, auf der bis ins kleinste Detail beschrieben wurde, was der Flüchtende alles mit seinem nächsten Opfer zu tun gedachte. Hier bewies der Autor doch noch, dass er reichlich Fantasie besaß.
„Das muss ich mir jetzt wirklich nicht antun.“ Mit einer wirschen Handbewegung warf sie das Heft auf den Beifahrersitz, wo es aufgeschlagen liegen blieb, so als wollte es sie zum Weiterlesen auffordern. Doch diesem Drang widerstand sie bestens. Ein Krimi war wie der andere. Spätestens nach einigen Seiten merkte man das immer wieder. Sie folgte einer ihrer Gewohnheiten und fuhr sich fahrig durch ihr rotes Haar.
Plötzlich ließ ein lautes Geräusch sie zusammenzucken. Jemand klopfte von außen an ihre Fensterscheibe.
Wie nett, der Serienmörder klopft an, dachte sie, immer noch etwas atemlos von dem kleinen Schock. Während sie sich noch fragte, weshalb sie weder vor noch hinter ihr helle Autoscheinwerfer sehen konnte, griff sie geistesabwesend zum Fensterheber. Im gleichen Moment wurde die Autotür aufgerissen und zwei grobe Hände schlossen sich um ihre Kehle.
Ich hab nicht abgesperrt?!, war ihr letzter, vollkommen sinnloser Gedanke, bevor sie mit dem Geruch von Schweiß und Blut und dem Blick in eine vor Wahnsinn verzerrte Fratze in tiefe Dunkelheit sank.
Heftig atmend fuhr sie auf, wobei ihr das Heft mit Kriminalgeschichten von den Knien rutschte und unter dem Autositz landete. „Keine gute Abendlektüre“, stellte sie fest und lächelte über ihre eigene Schreckhaftigkeit.
Unwillkürlich wanderten ihre Hände an ihren Hals. Noch allzu realistisch waren ihr die Details des Traums vor Augen. Sie folgte einer ihrer Gewohnheiten und fuhr sich fahrig durch ihr rotes Haar.
Plötzlich ließ ein lautes Geräusch sie zusammenzucken...
 

Mäuschen

Mitglied
Déjà-lu


Das Auto gab seinen Geist auf – diesmal endgültig. Sie hatte auf die letzten paar Kilometer schon geahnt, dass das beständige Aufheulen des Motors kein gutes Zeichen war.
Sie hielt am Straßenrand, dicht am Wald, neben dem sie schon lange hergefahren und trotzdem noch nicht an dessen Ende angelangt war.
Anscheinend endete ihr Tag nun so katastrophal wie er begonnen hatte. Frühmorgens hatte sie einen Anruf bekommen, sie müsse schon morgen zu ihrer Geschäftsreise aufbrechen, die eigentlich erst in zwei Wochen angesetzt war. Sie hatte Frühstück gemacht, dafür gesorgt, dass ihre zwei Jungs noch den Schulbus erreichten, das Kindermädchen bestochen, damit sie zwei Wochen eher kam, ihren Mann benachrichtigt, der erst in vier Tagen aus seinem Urlaub zurückkehrte, ihre Jüngste zu ihrer Mutter gefahren, die neunzig Kilometer weit weg wohnte und froh war, ihre Enkelin mal wieder zu sehen, sich auf dem Hinweg zweimal verfahren und nun in der Einöde Halt gemacht während des dritten Versuchs, die richtige Straße zu finden, einem kaputten Auto, einem Mordshunger und dem Wissen, noch nicht einmal die Koffer gepackt zu haben.
Nicht einmal ein Handy hatte sie dabei. Das lag seelenruhig auf dem Küchentisch und wartete auf seine Besitzerin. Die würde sich verspäten.
Sie seufzte und fuhr sich durch ihre rote Mähne. Wohl oder übel musste sie hier warten, bis jemand vorbeikam. Im Dunkeln konnte sie ohne Taschenlampe nicht einmal die Straße erkennen, sie würde gnadenlos ihrem größten Talent erliegen: sich zu verlaufen.
Nachdem sie das Standlicht eingeschaltet und ein Stoßgebet zum Himmel geschickt hatte, dass doch bitte noch jemand um diese Uhrzeit hier unterwegs wäre, lehnte sie sich in dem ungemütlichen Autositz zurück, zog den Reisverschluss ihrer Jacke bis ganz nach oben und gähnte.
Nicht einschlafen!, ermahnte sie sich selbst in Gedanken und gähnte erneut. Sonst kannst du deinen Flug morgen vergessen! Nun ja... eher heute, berichtigte sie sich mit einem kurzen Blick auf ihre digitale Armbanduhr.
„Das kann auch nur mir passieren! Ich bin so ein Idiot! Job und Familie? Ja klar, kein Problem! Mach ich mit links!“ Sie schimpfte sich in einem inneren Anflug von Wut ihren Ärger von der Seele, danach ging es ihr besser. Die Situation lud ja geradezu dazu ein und Selbstgespräche führte sie auch zu Hause sehr gerne.
Während sie sich mit langsamen Kreisbewegungen die Schläfen massierte, dachte sie darüber nach, wie sie sich wachhalten könnte. Krimis!, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Ihre Mutter hatte ihr wieder einige solcher Hefte mitgegeben, die ihr Mann verschlang wie ihre Kinder Süßigkeiten. Ohne Auszusteigen schaffte sie es mit einigen Verrenkungen, sich ein Heft vom mittleren Rücksitz zu fischen. Ohne der Titelseite oder dem Inhaltsverzeichnis die geringste Beachtung zu schenken, schlug sie wahllos eine Seite auf und blätterte bis zum Beginn der nächsten Geschichte vor.
„´Eine Kriminalgeschichte´“, las sie laut den Titel und zog eine Augenbraue hoch. „Hört sich ja wahnsinnig spannend an. Da hatte der Autor ja wirklich Fantasie.“ Sie überlegte einen kurzen Moment, ob sie zur nächsten Geschichte springen sollte, entschloss sich dann aber aus reiner Faulheit dazu, es sein zu lassen und begann zu lesen.
Anfangs blickte sie noch während eines jeden Umblätterns hoch, in der Hoffnung, am Horizont die Scheinwerfer eines näherkommenden Autos zu erspähen. Doch schon nach wenigen Seiten fesselte sie die Geschichte so, dass ein hupender Lastwagen an ihr vorbeibrausen hätte können und sie es nicht wahrgenommen hätte. Normalerweise verabscheute sie Kriminalromane – viel zu langweilig, unrealistisch oder einfach leicht zu durchschauen. Sie wusste selbst nicht, was an dieser Geschichte so anders war.
Es handelte sich um einen amerikanischen Straftäter Ende 40, der wegen mehrerer schwerer Raubüberfälle ins Gefängnis gewandert, dort aber wieder ausgebrochen war und nun plündernd durch wenig bewohnte Siedlungen zog. Dabei hatte er alle aus dem Weg geräumt, die ihn bei seinen Einbrüchen überrascht hatten. Nun aber war ihm die Polizei dicht auf den Fersen und er musste durch einen Wald fliehen.
Unwillkürlich wanderte ihr Blick zum Autofenster zu ihrer rechten Seite, welches sie nur zusammen mit einigen Metern Wegstrecke vom Waldrand trennte.
„Klar, jeden Moment kommt der Serienmörder herausgestürzt“, nahm sie sich selbst auf den Arm, während gleichzeitig ein leuchtend rotes Schild mit der Aufschrift „UNREALISTISCH“ vor ihrem inneren Auge aufblinkte. Sie las eine weitere Seite, auf der bis ins kleinste Detail beschrieben wurde, was der Flüchtende alles mit seinem nächsten Opfer zu tun gedachte. Hier bewies der Autor doch noch, dass er reichlich Fantasie besaß.
„Das muss ich mir jetzt wirklich nicht antun.“ Mit einer wirschen Handbewegung warf sie das Heft auf den Beifahrersitz, wo es aufgeschlagen liegen blieb, so als wollte es sie zum Weiterlesen auffordern. Doch diesem Drang widerstand sie bestens. Ein Krimi war wie der andere. Spätestens nach einigen Seiten merkte man das immer wieder. Sie folgte einer ihrer Gewohnheiten und fuhr sich fahrig durch ihr rotes Haar.
Plötzlich ließ ein lautes Geräusch sie zusammenzucken. Jemand klopfte von außen an ihre Fensterscheibe.
Wie nett, der Serienmörder klopft an, dachte sie, immer noch etwas atemlos von dem kleinen Schock. Während sie sich noch fragte, weshalb sie weder vor noch hinter ihr helle Autoscheinwerfer sehen konnte, griff sie geistesabwesend zum Fensterheber. Im gleichen Moment wurde die Autotür aufgerissen und zwei grobe Hände schlossen sich um ihre Kehle.
Ich hab nicht abgesperrt?!, war ihr letzter, vollkommen sinnloser Gedanke, bevor sie mit dem Geruch von Schweiß und Blut und dem Blick in eine vor Wahnsinn verzerrte Fratze in tiefe Dunkelheit sank.
Heftig atmend fuhr sie auf, wobei ihr das Heft mit Kriminalgeschichten von den Knien rutschte und unter dem Autositz landete. „Keine gute Abendlektüre“, stellte sie fest und lächelte über ihre eigene Schreckhaftigkeit.
Unwillkürlich wanderten ihre Hände an ihren Hals. Noch allzu realistisch waren ihr die Details des Traums vor Augen. Sie folgte einer ihrer Gewohnheiten und fuhr sich fahrig durch ihr rotes Haar.
Plötzlich ließ ein lautes Geräusch sie zusammenzucken...
 



 
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