Eine Nacht in Paris

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Eine Nacht in Paris
Von Jenny Power

Unter einer Nacht in Paris verstehe ich etwas Anderes. Ich liege auf dem Rasen, den Kopf von Jack auf meinem Bauch. Er schnarcht. Heute haben wir zum ersten Mal seit wir uns kennen nicht miteinander geschlafen. Immerhin sind wir jetzt schon seit 16 Tagen ein Paar. Wie komme ich hier her und was mache ich da? Jack hatte schon seit einiger Zeit eine große Tour mit der Eisenbahn durch ganz Europa geplant. Ich war selig, als er mich vorvorgestern fragte: „Willst du mich nicht begleiten?“. Vor drei Monaten hatte er seinen 40. Geburtstag gefeiert und entschieden, nochmals – wie schon vor zwanzig Jahren – eine „Interrail“-Reise unter dem Motto „20 Länder in 30 Tagen“ zu unternehmen. Selbstverständlich mit dem Rucksack, ohne Hotels, ohne Komfort. Geschlafen wird im Zug, am Bahnhof oder – wie jetzt – in einem Park.

Es war Liebe auf den ersten Blick. Jack saß plötzlich in „meinem“ Café auf „meinem“ Platz – wie für mich bestellt und abgegeben. Da kein anderer Tisch frei war, setzte ich mich einfach zu ihm. Schon nach wenigen Minuten waren wir in ein intensives Gespräch über Gott und die Welt vertieft. Zwei Stunden später lag er nackt in meinem Wohnzimmer.

Es muss die große Liebe sein, dass ich mir dies hier alles antue. Ich sehne mich nach einem kuschelig weichen Hotelbett, mit sauberen Bezügen, wohlriechend. Außerdem wäre eine große Badewanne jetzt wunderbar. Dann könnte ich den typischen Eisenbahn-Geruch gründlich von meinem Körper abwaschen. Ob Jack die Badewanne gerne mit mir teilen würde, bezweifle ich mittlerweile. Wir befinden uns auf unseren Camping-Matten in einem Park an einem großen See am Stadtrand von Paris. Jack nahm nach unserer Ankunft am Bahnhof einfach den Stadtplan, suchte einen grünen Fleck und sagte: „Hier wollen wir heute übernachten.“ Dann fuhren wir mit der U-Bahn in diese Richtung und fanden nach einem Fußmarsch von einer Stunde – mit jeweils einem 25kg-Rucksack am Buckel – unseren Platz auf der Wiese am Ufer des Sees.

Es raschelt im Gebüsch. Ich habe wahnsinnige Angst und flüstere aufgeregt: „Jack!“ Er öffnet die Augen. „Was ist?“ „Ich höre so sonderbare Geräusche“ Jack springt auf: „Lauf so schnell du kannst“. Plötzlich sehe ich das blitzende Messer, das die dunkle Gestalt in der Hand hält. Der Mann kommt näher und ist nur noch etwa fünf Meter von uns entfernt. Jack rennt wie ein Irrer, ich laufe hinter ihm her. Er dreht sich nicht nach mir um. Ich danke Gott dafür, dass ich zweimal in der Woche ins Fitness-Center gehen darf, um meinen Körper in Form zu halten. So falle ich nicht allzu weit hinter Jack zurück. Nach einigen Minuten erreichen wir bewohntes Gebiet. Jack bleibt endlich stehen. „Das war knapp. Toll, wie du gelaufen bist“, schnauft er. „Du hättest auf mich warten können“, antworte ich vorwurfsvoll. „Mir reicht es, ich will nach Hause. Du kannst mich ja in vier Wochen anrufen, wenn deine Reise vorbei ist.“ Meine Kreditkarte, mein Handy und ein paar Euro habe ich in den Hosentaschen, der Rest vom Gepäck liegt vermutlich noch auf unserem Platz im Park. Ich werde mir jetzt ein Taxi rufen, zum Flughafen fahren und sobald als möglich nach Hause zurück kehren. Für Experimente dieser Art bin ich mit 43 Jahren wirklich zu alt. Meine nächste Nacht in Paris werde ich wieder in einem 5-Stern Hotel verbringen. Vermutlich ohne Jack.
 

Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Gleich voll eingestiegen - bis er schnarcht.

Dann bist Du wieder ausgestiegen, um Dir auf dem Perron die zerfetzten Zeitungen von gestern anzusehen und Deinen Gedanken nachzuhängen . Wen interessiert das schon – schau, der Zug fährt an! Da fährt das Leben.
Erschrocken schaust Du auf, als es raschelt. Das Leben! Die Geschichte! Und läufst hinterher.
Schaffst es.
Am Ende.
Gerade noch.

Mal ehrlich, eine wenig komfortable Weise für eine gemütliche Lesereise. Selbst als Kurzstrecke.

Hat sich aus dem Zug verdrückt und ist ausgerückt
 



 
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