Eine Schneemann Fabel

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Auf der Treppenbrüstung vor einem prächtigen Haus stand ein kleiner Schneemann. Er war ganz aus Porzellan und so milchig weiß wie ein gefrorener See im Winter. Bloß sein Hut, der war schwarz, und seine Augen, die Nase und der Mund und auch die zwei Knöpfe auf seinem Bauch. Man hätte glauben können, er bewache die Tür, aber er stand bloß da, um lieb zu sein. Und so sagten auf der Straße die Menschen beim Vorübergehen: "Ah", und, "oh", und, "wie ist er doch entzückend!"
Das machte den kleinen Mann recht selbstgefällig, und je öfter er die wohlwollenden Worte vernahm, umso tiefer legte er seinen Kopf zurück in den Nacken, täglich ein winziges Stück mehr, bis eines Tages seine Nase fast kerzengerade in die Höhe ragte.
Da flog ein Spatz vorüber, er war von langer Reise zerzaust und müde. Dem Himmel dankend setzte er sich auf die Nase. Das sah so drollig aus, dass all die Leute lachten. Der kleine Schneemann aber schämte sich, was für ein Gespött er auf einmal war. So rückte er seinen Kopf wieder gerade und bald neigte er ihn gar vornüber. Dem Spatz behagte das überhaupt nicht, und ehe er das Gleichgewicht verlor, suchte er schleunigst das Weite.
"Ah", und, "oh", und, "wie schön er ist!", sagten nun wiederum die Leute. Aber ob der kleine Schneemann etwas daraus gelernt hatte, das weiß man bis heute nicht.
 
E

eisblume

Gast
Lieber Gernot,

ich bin hier dauernd so am Überlegen, ob sich der kleine Schneemann in seiner Selbstgefälligkeit wirklich schämen würde, wenn der Spatz da angeflogen kommt und das hübsche Bild, dass sich die Leute von ihm gemacht haben, so empfindlich stört. Ich dachte vielmehr, dass er sich vielleicht eher ärgern würde, auf einmal ausgelacht zu werden.
Wenn er sich wirklich schämte, wäre das für mich zudem ein Zeichen, dass er sich mit seiner Selbstgefälligkeit auseinandergesetzt und erkannt hat, dass das so nicht ganz richtig war. In dem Fall hätte er auch etwas dazu gelernt, wodurch der Schluss dann (für mich) so nicht passen würde.

Liebe Grüße
eisblume
 
G

Grendel

Gast
Gefällt mir, Deine kleine Fabel. Wobei ich mich frage, ob es denn eine über Hochmut und Scham oder eher eine darüber ist, was Menschen in Schneeschmelze und Auswirkungen eines Spatzengewichtes hinein interpretieren. Es entsteht auf jeden Fall ein deutliches Bild beim Lesen. Nur der Titel, da hättest Dir etwas anderes einfallen lassen können. (Schenk der Schneemann-Fabel wenigstens einen Bindedstrich oder schreibs zusammen.)

Lieben Gruß
Grendel
 

Paloma

Mitglied
Lieber Gernot,

was für eine schöne Geschichte. Ich würde mir wünschen, dass vielen Menschen, die so gerne die Nase nach oben strecken, so oder vielleicht noch ein kleines bisschen deutlicher, klar gemacht wird, dass es auch anders geht. Und nein, ich denke nicht, dass der kleine Schneemann auf Dauer dazugelernt hat, solche Leute lernen selten dazu. Leider ...

Gerne gelesen

Liebe Grüße
Paloma
 
Gut, allerliebste Grendel, schenken wit dem Titel einen Bindestrich, wobei es aber keine Rolle spielt, irgendwann einmal in nächster Zeit wird das Ding ohnehin in den Fluten der Lelu ersaufen.
Aber ich merke es mir.

Liebe Grüße zu dir.

Gernot
 
Hallo Gernot,

warum bist du jetzt so negativ? Das musst du nicht sein.

Wirken, nicht gewinnen. Du hast Nachdenken bewirkt.
Surfen, nicht ersaufen. Nimm die nächste Welle, auf zur nächsten Geschichte.

Ich bin gespannt.

Liebe Grüße. Rhondaly.
 

Zeder

Administrator
Teammitglied
Hallo Gernot,

deine kleine Fabel gefällt mir wirklich gut ... wenn da nicht dieser Satz wäre:
Er war ganz aus Porzellan
Aus Schnee kann sich der Schneemann verändern, den Kopf biegen, aber aus Porzellan?

Fragende Grüße, Zeder
 
Deine Bedenken, liebe Zeder, sind völlig berechtigt. Bisher tröstete ich mich damit, dass in einer Fabel Mischwesen menschliche Eigenschaften besitzen dürfen, sowohl in der Personifikation als auch auf der Bildebene. Auch sah ich schon in einem Film einen Plastik-Indianer lebendig werden, wo sind die Grenzen? Wenn du eine Lösung weißt, dann nehme ich sie gerne an.

Beste Grüße
Gernot
 
K

KaGeb

Gast
Hallo Gernot,

Vielleicht den von Zeder zitierten Satz einfach streichen und offen lassen, aus was er ist?

Gefällt mir sehr gut!

LG
 
Hallo Karsten

Ich brauche eine Beschreibung in dem kurzen Stück, damit ein Bild entsteht. Lange Zeit habe ich überlegt und nun geändert.

Ein wunderschönes, neues Jahr,
wünsche ich dir und natürlich auch allen anderen Mitgliedern der LeseLupe.

Gernot
 
Auf der Treppenbrüstung vor einem prächtigen Haus stand ein kleiner Schneemann. Er war aus Plüsch gefertigt und so milchig weiß wie ein gefrorener See im Winter. Bloß sein Hut, der war schwarz, und seine Augen, die Nase und der Mund und auch die zwei Knöpfe auf seinem Bauch. Man hätte glauben können, er bewache die Tür, aber er stand bloß da, um lieb zu sein. Und so sagten auf der Straße die Menschen beim Vorübergehen: "Ah", und, "oh", und, "wie ist er doch entzückend!"
Das machte den kleinen Mann recht selbstgefällig, und je öfter er die wohlwollenden Worte vernahm, umso tiefer legte er seinen Kopf zurück in den Nacken, täglich ein winziges Stück mehr, bis eines Tages seine Nase fast kerzengerade in die Höhe ragte.
Da flog ein Spatz vorüber, er war von langer Reise zerzaust und müde. Dem Himmel dankend setzte er sich auf die Nase. Das sah so drollig aus, dass all die Leute lachten. Der kleine Schneemann aber schämte sich, was für ein Gespött er auf einmal war. So rückte er seinen Kopf wieder gerade und bald neigte er ihn gar vornüber. Dem Spatz behagte das überhaupt nicht, und ehe er das Gleichgewicht verlor, suchte er schleunigst das Weite.
"Ah", und, "oh", und, "wie schön er ist!", sagten nun wiederum die Leute. Aber ob der kleine Schneemann etwas daraus gelernt hatte, das weiß man bis heute nicht.
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Einfach fabulös ….

… wenn es diesen Begriff überhaupt gibt.

Ist wieder mal ein Gleichnis, welches jeder Leser unterschiedlich interpretieren darf. Und sowas mag ich.

Tolle Idee, einfühlsam geschrieben und mit Kürze und Würze rübergebracht.

Es tut gut ab und zu auf der Lupe fürs Lesen etwas zu entdecken, dass zum Nachdenken anregt und die Phantasie beflügelt. Passiert leider nicht allzu häufig – aber das ist ein anderes Thema.

Also: Hinsetzen und weitermachen! Ich will mehr davon.
Eine virtuelle 9+ von mir. Bewerten darf ich erst mal nicht - bei mir bleibt viel auf der Strecke, und für die übriggebliebene 6+ würde ich mich schämen.

Gruß … Ironbiber.
 
E

eisblume

Gast
Lieber Gernot,

ich hätte dazu eine Frage.
Du schreibst:
Ich brauche eine Beschreibung in dem kurzen Stück, damit ein Bild entsteht.
Ein Schneemann liefert doch an sich schon ein Bild (würde ich zumindest meinen). Meinst du mit Beschreibung eine Art Charakteristik? Denn zwischen Porzellan und Plüsch liegt ja nun ein himmelweiter Unterschied.

fragende Grüße
eisblume
 
Liebe Eisblume, das ist kein gewöhnlicher Schneemann, sondern einer, den man dort hingestellt hat. Vielleicht die Frau des Hauses, um den Eingang zu schmücken (... er stand bloß da, um lieb zu sein ...). Aus Plüsch ist er jetzt, damit er sein Genick besser verbiegen kann.
 

anbas

Mitglied
Hallo Gernot,

auch mir gefällt diese kleine Geschichte. Allerdings empfinde ich das Plüsch als eine deutliche Verschlimmbesserung. Porzelan fand ich aber auch nicht so doll. Lass den Schneemann doch aus Kunststoff sein (ich würde sofort an diese Werbefiguren denken, die manchmal vor Eisläden stehen) - es ist eine Fabel, ein Märchen, in dem nicht alles logisch sein muss.

Liebe Grüße

Andreas
 

HelenaSofie

Mitglied
Hallo Gernot,

eine sehr schöne kleine Fabel, nach der ich noch einmal gesucht habe. Schon vor einem Jahr wunderte ich mich über die schwarze Nase des Schneemanns. Ich stelle sie mir immer rot (Möhre) vor.

Ich wünsche mir noch etwas Schnee zum Schneemann bauen und dir für 2014 alles Gute

HelenaSofie
 
Wir Knaben tobten früher im Schnee weitab von jedem Zuhause. Was für eine Zeitverschwendung der Gedanke in unseren heißen Köpfen war, eine Karotte in der Ferne bei der Mutter zu holen. Ein Stück Rinde aus totem Gehölz, dunkel in der Farbe, beinahe schwarz, war uns angenehm und lieb, als prächtige Nase.

Seit jenen Tagen aus der Kinderzeit hat für mich ein Schneemann eine schwarze Nase.

Auch dir alles Gute, liebe Helena Sofie.
Und allen anderen auch.

Gernot
 



 
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