Eine Sommerliebe

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Dietrich

Mitglied
Eine Sommerliebe

Es war weit nach Mitternacht, die Hitze schwer, drückend und unerträglich wie eine heiße Decke auf unseren verschwitzten Körpern. Von draußen das gleichförmige Zirpen der Zikaden, und der Wind von Süden ließ die Fensterläden klappern. Selbst der Wind brachte keine Abkühlung. Er kommt aus der Sahara, hast du mir ins Ohr geflüstert. Wieder stehe ich oben an der Reling, als das Schiff ablegt. Doch diesmal halte ich kein Band in der Hand. Dessen Band zuletzt reißen wird, der wird zurückkommen auf die Insel, sagtest du lachend. Wir versuchten den Abschied mit Belanglosigkeit zu überdecken, mit Freundlichkeiten und Lachen, das uns nicht so leicht über die Lippen wollte. Du hattest dein schwarzes Kleid an und hieltest das andere Ende des Bandes, das wir aus Papier geflochten hatten. So verloren bist da unten gestanden. So viele Bänder, in allen Farben. Unser Band riss nicht als letztes. Dennoch bin ich zurückgekommen. Kleine Perlen glitzerten auf deiner Stirn, als wir am Kai standen und hilflos versuchten die Zeit anzuhalten. Über dem Pflaster flimmerte die Hitze unter der Mittagssonne. Wir standen dort bis zur letzten Minute. Drei Wochen habe ich dich gesucht. Als das Schiff die Hafeneinfahrt passierte, sah ich dich immer noch. Du bist vorgelaufen bis zum Ende des Kais. Ein schwarzer Punkt, der immer kleiner wurde. Ich hörte dein Herz schlagen in jener Nacht. So gleichmäßig und stark wie das Klopfen des Kupferschmieds. Ich bin die kleinen Gassen hinauf und hinuntergelaufen, habe das Cafe besucht, in dem wir abends so oft saßen. So viele Worte hast du in mein Ohr geflüstert, Worte in einer fremden Sprache. Wenn wir abends in die Stadt gingen, bist du immer barfuß gelaufen. Die Hitze kroch die Wände hoch, zwängte sich durch die Ritzen der Fensterläden. Und unsere verschwitzten Körper verschlangen sich. In deinem Haus wohnen jetzt andere Menschen. Wir wussten, dass es keine Zukunft gab. Trotzdem habe wir uns aneinandergepresst und festgehalten, als wollten wir die Zukunft nicht zulassen. Antonia! Antonia! rief deine Mutter unten auf der Straße. Wir haben uns nur noch mehr ineinander verkrallt. Wie oft bin ich am Strand gesessen. Dort, zwischen den beiden Felsen, wo wir immer zum Baden gingen. Dein Körper braungebrannt. Kleine Sandkörnchen an deinen Beinen. Dein schlafendes Gesicht im Schatten, so ruhig, so schutzlos. Ganz nahe lag ich neben dir, wagte nicht, dich zu berühren, dich zu wecken. Jetzt stehe ich wieder hier oben. Zwei Männer lösen die Taue, die letzte Verbindung zur Insel. Die gleiche sengende Hitze, die das Atmen schwer macht. In der letzten Nacht haben das Band geflochten. Der ganze Fußboden war bedeckt. Wir haben versucht zu lachen. Und zwischendurch hast du Spanisch gesprochen, dann wieder in der Sprache deines Vaters. Traurige Worte, die ich nicht verstehen sollte, leise, mit einer seltsam rauhen Stimme. Worte wie Gurren, ein kehliges Raunen, schnell und hastig. Die Motoren lassen das Schiff vibrieren, schon dreht es sich achtern weg vom Kai. Dann rollten wir das Band zusammen und schoben es unter das Bett. Damit wir es nicht sahen. Damit es uns nicht an den nächsten Tag erinnerte. Aber ich sah deine Träne. Eine Träne, die ein Stück über deine Wange lief. Schon werden die Menschen kleiner. Kein Band. Keine Frau in einem schwarzen Kleid. Mit einem Kuss habe ich die Träne mitgenommen. Deine Augen so weit, voll Entsetzen für einen Moment. Deine Lippen auf meinem Körper, zunächst sanft und weich und plötzlich wild, Küsse wie Bisse einer Katze, dazwischen wieder die Worte, die ich nicht verstand, das kehlige Raunen und Gurren. Immer kleiner werden die Menschen. Bald sind sie nur mehr kleine Punkte. Keine Frau in einem schwarzen Kleid. Kein Band. Nur Erinnerung wie kleine Narben.
 



 
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