Eine Weihnachtsgeschichte

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Miranda Weit

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Gemächlich läuft er durch die prächtig geschmückte Gasse. Der verlockende Duft von Zimt, frisch gebackenen Keksen und Gewürzen liegt zwischen den Häusern und mischt sich mit dem aromatischen Geruch der frisch geschnittenen Tannenbäume auf dem Platz.
Die Schaufenster der Geschäfte sind weihnachtlich geschmückt und mit bunten Lichtern erleuchtet, die den Schnee auf den Dächern und zwischen den Gassen zum Glitzern bringen.
Engel und Weihnachtsmänner blicken von allen Seiten auf ihn herab, während er durch die Gasse hinaus auf den Platz tritt.
Zahlreiche Stände aus Holz sind dort errichtet worden und schenken nun Glühwein und Punsch aus. Andere wiederum bieten unschuldig blickende Engel, kitschige Weihnachtsmänner, Rentiere mit roten Nasen und Schlitten und allerhand Tand feil.
Ganze Menschentrauben drängen sich um die Bretterbuden und wärmen sich die kalten Finger an einem heißen Becher oder mustern interessiert den Tand an einem anderen Stand. Manche hetzen auf der Suche nach dem letzten Weihnachtsgeschenk quer über den Platz, während andere mit prall gefüllten Plastiktüten auf dem Weg nach Hause sind.
Vor der Bäckerei an der Ecke bleibt er stehen und drückt sich an der großen Fensterscheibe die Nase platt. Eine Frau kommt aus der Tür, den Einkaufskorb gefüllt mit frischen Backwaren, und mit ihr der verlockende Duft nach Brot und Weihnachtsgebäck. Er verweilt dort noch eine Weile, ehe er seinen Weg durch die weihnachtliche Stadt fortsetzt.
Das digitale Thermometer auf dem Platz zeigt bereits Temperaturen unter null Grad und erinnert ihn an die Kälte, die ihm bereits bis auf die Knochen gedrungen ist.
Er kehrt zurück zu den Menschen bei den Ständen und mischt sich unter sie. Keiner hat auch nur einen verwunderten Blick für das Kind, das zu dieser späten Stunde noch unterwegs ist. Sie alle sind zu sehr mit sich, den Vorbereitungen für das Weihnachtsfest am nächsten Tag und den folgenden Feiertagen beschäftigt, die sie mit ihren Familien verbringen werden. Letztendlich werden sie aber froh sein, wenn sie diese wieder für ein Jahr vergessen können. Sie werden unzufrieden sein mit den Geschenken, die sie bekommen haben, da diese nur gemacht werden, um etwas zurückgeben zu können und nicht von Herzen kommen.
Der Knabe streift unterdessen hungrig und auf der Suche nach einem warmen Schlafplatz durch die kalte Stadt und kommt schließlich auf einer Parkbank zur Ruhe.

Dort findet man ihn am nächsten Morgen und in der Zeitung widmet man ihm eine kleine Randnotiz:

Knabe auf Parkbank erfroren
Die drogensüchtige Mutter schickte
ihren Sohn ohne Geld hinaus auf die
Straße, um die Wohnung für sich und
ihren Freund allein zu haben.
Spaziergänger fanden das Kind in den
frühen Morgenstunden erfroren auf
einer Bank im Stadtpark. Die
nächtlichen Temperaturen weit unter
null Grad wurden dem Kind zum Verhängnis.​
 
D

Donkys Freund

Gast
(Irgendwie gibt es nur zwei Arten von Weihnachtsgeschichten. Die idyllischen und die betroffen machenden. Beide Arten heißen entweder "Weihnachtsgeschichte" oder "Frohe Weihnachten"... :) )

Zum Text: Die Geschichte webt gut das Kind in das hektische Treiben ein. Auch sprachlich gefällt sie mir gut, abgesehen von einigen Wiederholungen und wertenden Wörtern.

Letztendlich werden sie aber froh sein, wenn sie diese wieder für ein Jahr vergessen können. Sie werden unzufrieden sein mit den Geschenken, die sie bekommen haben, da diese nur gemacht werden, um etwas zurückgeben zu können und nicht von Herzen kommen.
Jetzt kommt leider so langsam die Keule. Die Geschichte mit ihrem bis dahin leisen Erzählton schwenkt ins Gepoltere. Das pauschalisierende Depri-Urteil zu Weihnachten hat an sich nichts mit der Geschichte zu tun.

Die Auflösung per Zeitungsartikel scheppert dann richtig. Schade, eigentlich, denn sowohl Thema, Sprache wie Herangehensweise sind gut.

Vielleicht einfach den Knaben auf der Bank einschlafen lassen, weil Mutti mit Rainer allein sein will. Der Leser darf dann auch noch denken und über seine eigenen Gedanken schaudern.
 



 
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