Eine deutsche Geschichte

Udogi-Sela

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Das Licht einer rot-goldenen Sonne an einem hellen Spätsommer-Spätnachmittag ließ den stillen Vorort in noch tiefere Schläfrigkeit versinken.
Ich war früher nach Hause gekommen und setzte mich unter dem Ticken der Wanduhr an den leeren Küchentisch. Mein Gesicht der roten Sonne zugewandt, döste auch ich genüsslich ob der Abwesenheit von Frau und Kindern, deren Lärm sonst alle Räume des Hauses ausfüllten.
Jeder kennt den Zustand zwischen Wachen und Schlaf, in dem sich der Tag in den Traum löst, und man doch noch an einem dünnen Fädchen mit dieser Welt verbunden ist. Ungeheuer, Menschentiere, Teufelsfratzen, lodernde Feuer, Blitze ohne Donner, Flüstern, Wispern, Raunen, Dröhnen; all’ das zieht einen immer weiter in sich selbst hinein.
Aus diesem Zustand katapultierte mich plötzlich ein gellender Schrei jäh in die Küche zurück. Ein Laut, wie ich ihn nie zuvor gehört hatte. Das war der Ruf eines Ertrinkenden, der weiß, dass seine Hoffnungen vergeblich sind. Der letzte verzweifelte Schrei eines fast zu Tode gemarterten Menschen. Eine männliche Stimme, die unvorstellbares Entsetzen äußert.
Mein Herz raste, und ich versuchte herauszufinden, ob mich mein Hirn gefoppt und dieser Schrei nur in meinem Inneren entstanden war. Eine zeitlang verharrte ich unbeweglich auf dem Stuhl, dann stand ich zögernd und schwankend auf und trat zum Fenster. Die Straße lag wie immer in ihrer dösigen Vorort-Ruhe und ich wollte mich schon erleichtert zurückziehen, als ich ihn sah. Er kniete auf der Einfahrt zur nachbarlichen Garage, den Oberkörper in sich zusammengekrümmt, die Hände über den Ohren zu Fäusten geballt, den Blick krampfhaft auf den Boden gerichtet. Kein Zweifel, dort kauerte mein Nachbar selbst.
Noch konnte ich nicht den Grund seines seltsamen Gebarens erkennen, und so eilte ich nach draußen, vielleicht hatte er Hilfe nötig.
Ohne mich wahrzunehmen, versuchte sein Mund Worte zu formen, und in der Erkenntnis, es nicht zu schaffen, zeigte nun der zitternde Zeigefinger seiner rechten Hand ganz langsam auf eine kleine Stelle am Boden: Da prangte in frischem glänzenden Schwarz ein kleiner Ölfleck! Hatte ich mich von dem in der Luft schwebenden Entsetzen fast schon anstecken lassen, so lockerten sich jetzt meine Muskeln und Nerven und ich sprach in den gepflegten Vorgarten-Nachmittag hinein: „Das kann passieren!“ Nie werde ich den Blick vergessen, mit dem mich diese gequälte Kreatur daraufhin ansah. Ein langsam in seinem Hirn wachsender Gedanke veränderte seine Miene von eben noch Hilflosigkeit in jetzt feste Entschlossenheit, getragen von hoch keimender Wut. Er rannte ins Haus und sein Schreien war selbst am Ende der Straße nicht zu überhören: „Du gottverdammtes elendes Weib! Was hast Du mit meinem Benjamin gemacht? Da gebe ich Dir einmal in zwanzig Jahren meinen Benjamin und Du bringst ihn fast um! Ich sollte DICH umbringen Du alte Schlampe!“ Seine Worte wurden immer unflätiger und lauter und durch das Fenster sah ich, wie die Nachbarin die Schimpftirade mit ungläubig entsetztem Trauerblick über sich ergehen ließ.

Mein Gott, Benjamin, des Nachbarn geliebtes Auto hatte einen Tropfen Öl verloren! Wahrlich, das musste für den Mann das reinste Blut sein, denn es gab nichts, was er mehr liebte und verehrte als seinen Wagen. Nach jeder Fahrt, was selten genug vorkam, wurde das Gefährt gewaschen, geputzt, gewachst, gewienert und poliert. Da gab es kein Eckchen, kein Schräubchen, kein Kabel, das von Putzmitteln und Reinigungslappen verschont blieb. In Momenten, in denen sich mein Nachbar bei solcher Tätigkeit unbeobachtet glaubte, drückte er seinem „Benjamin“ sogar einen Kuss auf den heißgeriebenen Lack.

Ich trat ins Haus meines Nachbarn; die Tür war bei dessen Erstürmung des Hauses offen geblieben, und ich versuchte ein beschwichtigendes Wort: „Wissense was? Ich rufe die Werkstatt ‚Beulemann & Schraubenschluß’ an, die schicken einen Monteur her, und der kann dann mal sehen, was Ihr Wagen hat.“
Wie erschöpft von dem gellenden Ausfluss seiner Schimpftirade sackte mein Nachbar auf einen Stuhl und blickte ins Leere. Ich sah die Nachbarin an, die wiederum mit zerfurchter Stirn und Tränen in den Augen meinen Blick erwiderte. Sie nickte erschöpft und ich eilte zum Telefon.
In der halben Stunde bis zum Eintreffen des Monteurs hatte ich fortwährend die Hand meiner Nachbarin gedrückt, und ihre sprachlose Defensive machte einem mir gegenüber aufkeimenden Vertrauen Platz. Mein Nachbar war in die Garage geschlurft und sich schluchzend hinter das Steuer seines „Benjamin“ zurückgezogen.
„Sie haben sich schon immer viel zu viel von Ihrem Mann gefallen lassen! Geben Sie ihm doch mal kontra! Das hält doch kein Mensch aus! Soll ich Ihnen mal sagen, was ich von der ganzen Sache halte?“ Sie erwidert nichts, wenn man davon absieht, dass sie auf meine Handberührungen reagierte und ihre zarten Finger sanft gegen meine drückten. Ich stand auf und drückte ihr einen flüchtigen und beherzten Kuss auf die Wange.

Der Mechaniker kam; ich führte ihn in die Garage. Nach einer halben Minute der Untersuchung des Delinquenten sagte er: „Du lieber Gott! Fahren’se mit der alten Kiste in unsere Werkstatt, da montieren wir einen neuen Simmering, also ´ne neue Dichtung ins Motorgehäuse, und die Sache ist geritzt!“ Mein Nachbar wurde der jetzt aufkommenden Gefühle nicht mehr Herr, und floh schluchzend aus der Garage. Der Handwerker sah mich an: „Zahlen Sie mir jetzt die Monteurstunde?“

Als wir, meine Nachbarin und ich, uns vierzehn Tage später in der Wohnung eines in Urlaub gefahrenen Freundes wieder trafen und uns bei einem kleinen Essen im Kerzenschein innerlich und äußerlich näher kamen, erzählte sie mir, dass sie sich an jenem Tag, ermutigt durch mich, tatsächlich ein Herz gefasst hatte, und der über Jahre angestaute Frust einer vernachlässigten Frau war aus ihr herausgeschwemmt. Sie hatte ihren Mann angeschrien; die Stimme war ihr umgeschlagen, hatte ihm vorgehalten, dass er jede freie Minute mit seiner alten Schrottkiste, ja!, Schrottkiste!, verbracht, dass er all’ die Jahre nur seinem Auto gehört, dass er seit dem Autokauf kein gutes Wort für sie über seine Lippen gebracht, dass er niemals an ein Geschenk oder gar Blumen für sie gedacht hatte, nein, immer nur stank er nach Sprit und Öl und Autoputzmitteln. EKELHAFT!!! Dass er sie benutzt hatte als Verwalterin von Küche und Herd, die ihm pünktlich zu kochen hatte, damit er ja nur keine Minute ohne seinen „Benjamin“ vergeudete. Und überhaupt: der Name! BENJAMIN! So was Idiotisches! LÄCHERLICH! Und wie gern hätte sie Kinder gehabt! Dafür war nie Zeit. Wie gern wäre sie in Urlaub gefahren, oder einfach mal sonntags raus ins „Grüne“, aber nein, „Benjamin“ musste ja geschont werden! Oh, wie sie die Karre, ja, KARRE! hasste! Wie gern hätte sie mit dem Hammer eine Beule rein geschlagen oder mit dem Messer die Reifen aufgeschlitzt! Nein, jetzt hatte sie es satt! Jetzt endlich, endlich, sei sie an der Reihe, wollte sie leben, und zwar richtig! DEINE ROSTBEULE ODER ICH! hatte sie geschrieen.

„Heute kriegst Du zum letzten Mal das Essen von mir gekocht!“ hatte sie gerufen und ihm später den Suppenteller auf den Tisch geknallt.
Als sie nach oben ins Schlafzimmer eilte, um ihren Koffer zu packen, drehte mein Nachbar mit dem Löffel die Beilagen der Suppe: Schrauben, Muttern und Dichtungen, vom Grund des Tellers nach oben, und siehe da: Eine Träne fiel in die schwarz-glänzende, siedend heiße Altöl-Suppe.
 

LuMen

Mitglied
weniger wäre mehr

Hallo Udogi,

obwohl ich selber erst angefangen habe, zur Abwechslung einmal einen Prosatext einzustellen, erlaubst Du mir sicher ein paar Worte der Kritik. Ich habe an verschiedenen Stellen Deines Textes lachen oder schmunzeln müssen - aber nur verhalten. Die Pointen sind zu breit ausgewalzt und mit störendem Beiwerk versehen, so daß ihnen der Biß verloren geht.
Was sollen z. B. die "Ungeheuer, Menschentiere, Teufelfratzen.. " usw. ? Sie lenken nur vom eigentlichen Thema ab und sind auch für sich genommen nicht witzig. Das gleiche gilt für das "gottverdammte elende Weib" und die "Schlampe", überflüssige Schimpfwörter, die die Geschichte nicht weiterbringen, sondern nur verwässern. Diese Beispiele stehen symptomatisch für zahlreiche weitere Textstellen, die ich nicht alle anführen kann, ich nehme aber an, Du verstehst, was ich meine. Das Alter von "Benjamin", daß der Name lächerlich und das Auto eine Karre ist,interessiert den Leser wenig, der Name "Benjamin" sagt schon genug. Auf diese Weise ist der ganze Schlußabschnitt mit den ausgedehnten verbalen Gefühlsausbrüchen der Nachbarin zur verdünnten Suppe geworden, in der die gute Schlußpointe vom "Bodensatz" leider versickert.
Ich würde an Deiner Stelle versuchen, die ganze Geschichte um mindestens ein Drittel zu kürzen (natürlich an der richtigen Stelle, am "Beiwerk"). Das könnte Wunder wirken.

Noch einen schönen Rest-Feiertag wünscht
LuMen
 



 
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