Eine einfache Geschichte

kamkama

Mitglied
Anna ist.
Mehr kann sie nicht sagen.
Ihre Worte haben an Bedeutung verloren
und auch die Wünsche und auch die Hoffnung.
Ihr Gedächtnis ist verloren gegangen.
Wenn sie noch empfinden könnte, wüsste sie
vielleicht,
ob Verlust oder Gnade.

Manchmal hatte sie eine zarte Geduld mit sich und der Welt.
Der Wunsch, mit einem gewebten Lächeln nieder zu knien.
So wie ein Kind einen Marienkäfer beobachtet.
Staunend und vorsichtig. Bedächtig.
Eine Verbeugung vor dem Leben.

Aber sie hat ihr Gedächtnis verloren.
Nur die Zartheit einer alten Frau spürt sie hin und wieder.
Würde ohne Zweifel mit ihrem Leben
einstehen - für manche – WÜRDE
aber
sie hat vergessen für sich zu hoffen.

Sie hat auch vergessen,
wie das Wünschen geht.
Sie weiß nur noch,
dass sie sich das Vergessen
gewünscht hat.
Und jetzt kann sie es nicht mehr rückgängig machen.

Jetzt ist sie Blütenstaub geworden,
den der Wind treibt.
Es hat auch Leichtigkeit.
Mit dem letzten
Gedankenrest
fragt sie sich, ob diese Wunschlosigkeit schlecht ist.
Alle wollen.
Wollen hierhin
oder dorthin.

Aber sie hat wohl zu schnell ihre Kräfte verbraucht.
Unwiderruflich.
Die Richtung bestimmt nicht mehr sie selbst.
Aber wer weiß das schon. Ist der Wunsch wichtig?



An einem anderen Ort.
Zur gleichen Zeit.
Es keimt ein Stern.
Und seine Größe ist nicht wichtig.
Er schickt ihr ein Geheimnis.
Und er weint um sie. Nur Sterne können das,
denn Menschen sind ein bisschen zu klein dazu.

Er weint um jede kleine Sekunde, die in ihrem Herzen gestört hat. Er ruft ihren Namen. Immer wieder und die Tränen sind wie Perlen. Ach du! Ich weiß, dass du es nicht erkennen darfst. Die Welt würde aufhören, wenn du es tätest. Und doch kann ICH alles sehen. Und meine Nähe ist dein Licht. Deine Nacht hat mich geboren und ich bin so schön, dass ich es verbergen muss.

Anna geht.
Sie trinkt und schläft.
Der Traum ist länger geworden und breitet seine Arme für sie aus.
Anna. Liebchen- ach ja, lach nur... Ich geb´ dir Namen so lang der Tag ist und so lang meine Liebe dauert. Meine Worte sind so leicht für dich. Musst du lachen? Nein, du brauchst keinen Grund... Lach einfach. Trink ein Glas Wein für mich mit. Rotwein. Rot, rot, rot. Ich tanze so lang um dich, bis dir schwindlig wird. Alles ist so einfach! Nein Anna... Wirklich nicht! Ja, Ja, ich weiß- du suchst die Höhe, aber ich will mit dir lachen wie ein kleines Kind. Komm. Gib mir deine Hand!

Anna kommt mit (das ist noch ein Rest aus der Zeit, als sie noch mehr war). Sie gehen beide an Orte, die ihr einmal wichtig waren. Sie sieht und hört. Aber noch immer ist sie nicht traurig... Warum? Ich versteh sie nicht. Du?
Glaubst du, wenn er käme ginge es ihr besser? Würde sie wieder aufwachen? Glaubst du, sie würde ihre Stimme wiederfinden und ihre Sinne? Wäre es doppelt schlimm, wenn er nicht ihr Herz wärmen kann? Wäre es schlimmer als zuvor?

Ich weiß es nicht. Aber wir werden sehen. Wir werden spielen.
Götter haben keine Gefühle wie Menschen.
Also spielen wir. Wir werden ihr
das Geheimnis zugestehen.
Es nicht vom Kurs
abbringen.
Eine Reise
erlauben.
Beinahe spüre ich Interesse.

Sie entscheiden sich für einen Ort. Sie wollen sich vorher nicht sehen. Keine Bilder wollen sie sich machen. Beseelt von der Hoffnung, dass dieses eine Mal unter tausend ihre Worte genügen.

Der Ort ist gut gewählt für zwei, die sich in der Zeit verirrt haben. Alte Steinmauern, die ehrwürdige Kühle ausstrahlen und ein geordneter Garten, der den Augen gut tut. Sie brauchen diese Entspannung und wissen, wie zerbrechlich ihre Träume sind, die sie sich in ihrer Ungeduld geschmiedet haben. Schon wieder ein Schritt zu weit. Eine hungrige Löwin ist nicht wählerisch. Aber auch der Hunger erlaubt nicht alles.

Anna hofft. Ist erstaunt. Wie oft kann ein Mensch denn hoffen? Und der Stern weiß, dass die wage Hoffnung die einzige Form des Wünschens ist, die sie verkraften kann. Also hofft sie ein bisschen. Und weil wir Götter sind, schreiben wir ein Märchen:

Anna trifft A. Und es geht gut.
Er ist ein Held und sie ist gerührt.

Das war natürlich nur eine Geschichte. Deswegen lässt sie sich so gut in wenige Worte fassen.

Das Geheimnis?
Das Geheimnis ist,
dass alles lebt,
auch,
wenn es namenlos
geworden
ist.
 

ENachtigall

Mitglied
einfach

Willkommen im Tagebuch und in der Leselupe.

Die "einfache Geschichte" hat mich beim Lesen aus meinem Alltag gehoben, für den Moment gefangen gehalten. Das ist gut. Und ich habe Lust, sie später noch einmal zu lesen. Das ist für ein Einstiegswerk spitze.

Grüße von Elke
 

Haremsdame

Mitglied
Hallo kamkama,

auch von mir ein herzliches Willkommen hier auf der Leselupe.

Deine "einfache Geschichte" zeigt mir, wie unterschiedlich Menschen den Gedächtnisverlust erleben können...

Was ich am Besten nachvollziehen konnte, war der Schluss:

Das Geheimnis?
Das Geheimnis ist,
dass alles lebt,
auch,
wenn es namenlos
geworden
ist.
Damit hast Du alles auf einen Punkt gebracht.

Grüße
Haremsdame
 



 
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