Eine potenzielle Gefährdung

Raniero

Textablader
Eine potenzielle Gefährdung

„Was ist das denn für eine Frage, verdammt noch mal?“
Ulrich Rotfusser kratzte sich am Kopf, „Wie soll ich das denn verstehen?“

Er hatte gerade begonnen, einen Antrag für eine spezielle Versicherung auszufüllen, als er bereits unmittelbar nach Angabe seines Namens und seiner Adresse auf eine Frage stieß, die ihm glatt die Sprache verschlug.

Frage 1:
Befinden sich in Ihrem Haushalt dauerhaft Personen, wollte die Versicherung wissen,
von denen eine potenzielle Gefährdung für Ihre Behausung nebst Ausstattung ausgehen könnte?


Wiederholte Male ließ Ulrich Rotenfuss sich diesen Satz durch den Kopf gehen,
ohne sie auch nur im Ansatz zu verstehen.
Sodann versuchte er, indem er die Frage in Einzelteile zerlegte, einen Sinn darin zu sehen:
Personen dauerhaft in Ihrem Haushalt, potenzielle Gefährdung
Ihre Behausung nebst Ausstattung


Aber auch diesmal gelang es ihm nicht, auch nur schemenhaft zu erkennen, was damit gemeint sein könnte.

Nun gut, dachte er, versuchen wir’s mal mit der Logik.
Also, in seiner Wohnung wohnte er nicht allein, mit ihm waren da noch seine Frau, der Sohn und die Tochter…doch warum sollte von denen eine Gefährdung für seine Behausung ausgehen?
Was für eine Unterstellung!
Wenn es überhaupt einmal zu einer ungemütlichen, keineswegs aber bedrohlichen Situation gekommen war, in seinen vier Wänden, dann bei einem leichten Streit mit seiner Frau, und dann auch nur, wenn er mal einen über den Durst getrunken hatte, doch das aber kann damit doch wohl keineswegs von den Versicherungsfritzen gemeint sein.

‚Es hilft nichts’ seufzte Ulrich, ‚so komme ich nicht weiter, ich glaube, es ist besser, wenn ich da mal anrufe, bei der Versicherung.’
Im gleichen Moment fiel sein Blick auf eine kleine Rubrik, die er vorher übersehen hatte:

Erklärungen zu den Einzelfragen: las er, in sehr kleingedruckten Buchstaben.

Zu Frage 1:
Beispiele für Personen, die dauerhaft in einem Haushalt miteinander leben und eine potenzielle Gefährdung resp. einen Risikofaktor darstellen können.
Jähzornige, trunksüchtige, oder launische Menschen, keifende Schwiegermütter oder ähnlich einzustufende Personen
.

Keifende Schwiegermütter?

Spontan fiel Ulrich ein, dass ja noch Gerlinde, die Mutter seiner Frau, mit in seinem Haushalt wohnte, wenn auch in einem etwas abgeteilten Bereich; wie hatte er das nur vergessen können?
Doch bei aller Liebe, die er für seine Schwiegermutter empfand, einen Risikofaktor oder gar eine Gefährdung für den Haushalt stellte Gerlinde sicher nicht dar,
obwohl,

na, ja, wenn er es sich richtig überlegte, waren nicht über neunzig Prozent seiner Ehekräche darauf zurückzuführen, dass die Mutter seiner Frau mit ihm unter einem Dach wohnte?

Und war es darüber hinaus nicht sozusagen an der Tagesordnung, dass er mit Gerlinde über Wochen kein einziges Wort wechselte und die Kommunikation, wenn man von einer solchen überhaupt noch sprechen konnte, dann nur über seine Frau oder die Kinder lief?

War es nicht ebenfalls so, erinnerte er sich weiter, dass er einmal kurz davor stand, sie vom Balkon zu werfen, seine geliebte Schwiegermutter, am letzten Heiligen Abend, und nur mit vereinten Kräften der ganzen Familie davon abgehalten werden konnte?

Und dann fiel ihm plötzlich noch etwas ein; beim letzten Mal, als Polizei und Feuerwehr herausrückte, weil er die Bude in Brand zu setzen drohte, war da nicht auch da ein klitzekleiner Streit mit der Schwiegermutter vorangegangen?



Nein, sagte sich Ulrich Rotfusser, da sollte man sich nichts vormachen, man musste schon bei der Wahrheit bleiben.
In der Tat ging von Gerlinde, seiner geliebten Schwiegermutter, eine potenzielle Gefährdung für seine Behausung aus, und das durfte die Versicherung ruhig wissen.
 



 
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