Eine seriöse Beziehung

Raniero

Textablader
Eine seriöse Beziehung

„Schau mal her, Ute. Hast du so was schon mal gelesen? Was ist das denn?“ brüllte Gudrun plötzlich los und ließ die Zeitung sinken, bevor sie in einen nicht enden wollenden Lachkrampf verfiel.
„Zeig mal her“, bat die Freundin, nahm das Blatt zur Hand,
überflog den Artikel, den Gudrun angestrichen hatte und wurde anschließend ebenfalls von einem Lachkrampf geschüttelt.
Die beiden Freundinnen, Gudrun Knöpfelstuhl und Ute Willensbach, Damen reiferen Alters, im Vorherbst des Lebens, wie sie sich sahen, hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, zweimal wöchentlich gemeinsam die Partnerschaftsanzeigen zu studieren, um sich nach Herzenslust darüber zu amüsieren.
Obwohl beide schon seit geraumer Zeit ohne männlichen Partner lebten, wäre keine von ihnen auf die Idee gekommen, ein Angebot dieser Zuschriften ernst zu nehmen, dafür bereitete es ihnen jedoch ein unbändiges Vergnügen, diese Partnerschaftssuchen ausgiebig zu diskutieren und phantasievoll auszumalen.
Sich vorzustellen, was passieren könnte, wenn, ja wenn man auf diese Anzeigen einginge, war in der Tat zu einer regelrechten Manie geworden, doch einen solchen Schritt einmal selbst zu versuchen, daran hatten sie bisher kein Interesse gehabt.
Nachdem sich die Freundinnen schließlich ausgeschüttet hatten, vor Lachen, nahm Gudrun erneut das Blatt zur Hand; laut las sie vor:

Er, Mitte 80, so lautete die Annonce, 1,76 m, 80 kg, sucht nette Sie zwischen 75 -85 Jahren. Sind Sie an einer seriösen und langfristigen Beziehung interessiert? Wohnung mit kompletter Einrichtung, 60 m2, Fernseher mit Flachbildschirm(92 cm), Musikbox mit 2 x 70 Watt Lautsprecher und Waschmaschine hier folgte das Fabrikat 2 Jahre alt, vorhanden. Freue mich auf ein nettes Kennen lernen.

„Was meint der Knabe denn mit langfristiger Beziehung?“ fragte Ute, „in seinem Alter?“ und schon bogen sie sich wieder vor Lachen, die Freundinnen.
„Dafür hat er aber ‚ne junge Waschmaschine“, gab Gudrun zurück.
„Ne junge Waschmaschine, das habe ich ja noch nie gehört.“
„Und die Plattensammlung? Mit Lautsprechern? 70 Watt? Genau 70 Watt!“
„Was mag der Alte wohl für Platten haben? Welche aus der Vor- Schellackära?“
„Was ist das denn, eine Vor- Schellackära?“
„Na, die Zeit vor dem eigentlichen Beginn der Tonträger.“
„Aha, so nennt man das. Freue mich auf ein nettes Kennen lernen“
zitierte Gudrun aus der Annonce, und die Lachanfälle wollten kein Ende nehmen.
„Was machen wir damit, Ute?“ fragte Gudrun schließlich, „Sollten wir nicht doch einmal antworten, auf diese Anzeige, so eine kommt so schnell nicht wieder!“
Die beiden Freundinnen blickten sich tief in die Augen.
„Lass uns würfeln, wer antwortet“, sagte Ute.
Das Los fiel auf Gudrun.


Schon für das kommende Wochenende wurde ein Treffen vereinbart, in einem netten Cafe in der Innenstadt.
Gudrun nahm an einem Tisch am Fenster Platz, eine gelbe Nelke im Haar, in der Hand eine bekannte Frauenzeitschrift, mit der sie sich Wind und Mut zufächerte.
Ihre Freundin Ute hatte sich im hinteren Bereich des Cafes quasi versteckt, an einem Ecktisch, vom Eingang her kaum zu sehen und zusätzlich durch eine größere Stehpflanze verdeckt.
Nach einigen Minuten bereits traf er ein, der Erwartete; gelbe Nelke im Knopfloch, Die Zeit unter’m Arm, sozusagen ganz protokollgerecht.
Zielbewusst steuerte er auf Gudrun’s Tisch zu, machte eine perfekte Verbeugung und stellte sich formvollendet vor.
„Mein Name ist Günter Riebenrath, habe ich die Ehre mit Frau Gudrun Knöpfelstuhl?“
Gudrun war von der Erscheinung des Hochbetagten – einen solchen hatte sie schließlich erwartet - vollkommen überrascht.
Statt eines gebeugten Greises sah sie einen hoch gewachsenen, stattlichen Mann vor sich, dem man sein biblisches Alter nicht anmerkte.
Im Gegenteil, er machte eher den Eindruck eines nur ein wenig in die Jahre gekommenen Salonlöwen, der es mit vielen jüngeren Geschlechtsgenossen durchaus aufnehmen konnte.
Nein, in der Tat, so sah kein fünfundachtzigjähriger aus.


Nicht nur Gudrun, auch ihre Freundin Ute, die neugierig hinter der Stehpflanze hervorlugte, war regelrecht baff und bereute gleich im selben Moment, bei dem verdammten Würfelspiel den Kürzeren gezogen zu haben.
Ja, da hatte sie Pech gehabt, die gute Ute, denn das Schicksal schlug nun mit aller Härte zu.
Es war Liebe auf den ersten Blick, zwischen ihrer Freundin Gudrun und Günter Riebenrath, und noch am selben Abend schworen beide, nachdem sie sich vier Stunden lang ununterbrochen in die Augen geschaut hatten, ewige Treue für den Rest ihrer Tage.
Gudrun hatte nicht einmal etwas übrig für die wütenden Blicke, die Ute ihr zuwarf, als sie nach einer Stunde das Cafe verließ, weil sie das junge, unerwartete Glück nicht mehr mit ansehen konnte.

Für den kommenden Monat wurde der Hochzeitstermin anberaumt, und Ute, die sich zwischenzeitlich wieder gefasst hatte, ließ sich, wenn auch schweren Herzens, überreden, als Trauzeugin zu fungieren.
Die Hochzeit zwischen der einundsiebzigjährigen Gudrun und dem fünfundachtzigjährigen Günter wurde ein rauschendes Fest, da waren sich sogar die Urenkel einig.

Als sie nach dem letzten Walzer gegen Morgen endlich ihre Heimstätte aufsuchten, wurden beide von einem geradezu rauschhaften Verlangen heimgesucht.
Noch während die Kleider vom Leib flogen, überraschte Günter seine frischgebackene Ehefrau mit einer völlig unerwarteten Aussage:
„Du, Gudrun, ich muss dir ein Geständnis machen.“
„Oh, wie romantisch“, entgegnete die Frau, „ ein Geständnis, gleich in der Hochzeitsnacht. Schatz, ich bin auf alles gefasst.“
„Wirst du mir auch bestimmt nicht böse sein, Gudrun?“
„Warum sollte ich denn, ich liebe dich so, wie könnte ich dir da böse sein. Was ist es denn? Bist du etwa schwul?“ drohte sie mit dem Zeigefinger, „Mach mir keine Sachen.“
„Um Gottes Willen, nein, Gudrun, wie kommst du denn darauf? Nein, es ist etwas anderes, eigentlich ist es etwas sehr Schlimmes.“
„Etwas sehr Schlimmes?“
„Ja, Gudrun“, stammelte Günter mit Tränen in den Augen, „verzeih mir, Liebste, ich habe dich angelogen, und ich finde, diese Lüge darf nicht mehr zwischen uns stehen.“
Für einen Moment herrschte Stille im Schlafgemach der betagten Eheleute.
„Womit hast du mich angelogen?“ fragte Gudrun tonlos.“
„Ich habe dir nicht ganz die Wahrheit gesagt, hinsichtlich des Alters.“
„Hinsichtlich des Alters? Ja, bist du denn noch älter als fünfundachtzig. Schon über neunzig? Aber das hätte ich doch auf dem Standesamt gemerkt.“
„Nicht hinsichtlich meines Alters, Liebste.“
„Ja, wessen Alters denn, verdammt noch mal?“
„Das Alter meiner Waschmaschine; sie hat zwei Jahre mehr auf dem Buckel, als in der Annonce angegeben.“
„Du Scheusal!“ schrie Gudrun, nahm ihr Bettzeug und rannte aus dem Zimmer „das verzeih ich dir nie!“
Resigniert warf Günter sich in die Kissen, so hatte er sich die Hochzeitsnacht absolut nicht vorgestellt.

Doch wie sagt man so schön, die Zeit heilt alle Wunden, und nach einigen Tagen schließlich war Gudrun trotz der grausamen Lüge ihres Angetrauten bereit, sich ihm so hinzugeben, wie es die Gepflogenheiten unter Eheleuten vorsehen.
Und so entstand in der Tat noch eine seriöse und relativ langfristige Beziehung aus ihrem Zusammenleben.
An eines aber hat sich Gudrun bis zum heutigen Tag nicht gewöhnen können; jedes Mal, wenn sie an ihrer Waschmaschine vorbeigeht, kommen ihr die Tränen, und von Anbeginn ihrer Ehe waschen sie daher zu zweit die gesamte Wäsche von Hand; so was hält jung, sagt man, und genau genommen betrachtet, wäre das für Gudrun und Günter nicht das Schlechteste …
 
S

suzah

Gast
hallo raniero,
man erwartet am schluß eigentlich etwas mehr, als nur die lüge mit der waschmaschine.

liebe grüße suzah
 

FrankK

Mitglied
Hallo Raniero

Toller Anfang, man ist sofort mittendrin. Mit fortschreiten der Geschichte wird es immer unterhaltsamer bis ... zum Schluss der Absturz erfolgt.

Ehrlich, wegen der Waschmaschine macht Gudrun so einen Aufriss?

Ich habe auch nicht die leiseste Idee, wie diese Situation zu Erklären wäre, ohne dass es an allen Ecken und Kanten kneift.
- Ein kleines, rückständiges Dorf, in dem dies die einzige Waschmaschine ist? Passt nicht zur ganzen Story, da zu modern.
- Die letzte Waschmaschine auf Erden (Nach Atomkrieg, Beulenpest oder sonstiges)? Passt auch nicht.
- Ein Spezielles Fabrikat, eine spezielle Größe? Passt nicht, weil es dann nichts mit dem Alter zu tun hätte.

Hmm, oder muss Gudrun zugeben:
Sie ist Waschmaschinen-Fetischistin?

Dann fehlte zum Ende nur noch ihr Geständnis.


Nachdenkliche Grüße
Frank
 

Raniero

Textablader
Hallo suzah, hallo frank,


die ganze Story ist als eine Groteske, als eine Absurdität auf eine ebensolch absurde Zeitungsannonce zu verstehen, mehr nicht.


Liebe Grüße

Raniero
 

steyrer

Mitglied
Ich hätte diese Groteske fast für eine Liebesgeschichte gehalten und da passt die Lüge um die Waschmaschine natürlich nicht rein. Vorschläge: Das Absurde sollte von Anfang an unmissverständlich klar werden und: Der Papierstil gehört zwar dazu, trotzdem noch einmal drüberschauen. Beispiele: Der nicht enden wollende Lachkrampf, oder: Eine bekannte Frauenzeitschrift (was denn für eine?)

Schöne Grüße
steyrer
 

Raniero

Textablader
hallo steyrer,

vielen Dank für Deine Anregungen.
Ausgangspunkt der ganzen Story ist die mehr als groteske Partnerschaftsanzeige. Ich werde die Geschichte noch einmal überarbeiten.

Viele Grüße

Raniero
 



 
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