Eine starke Frau in Namibia - Reisebericht

Eine starke Frau in Namibia

Ich hatte sie längst aus den Augen verloren – meine einstigen Jagdfreunde, Ulla und Karl-Heinz M.

Vor elf Jahren überraschte mich ein Bekannter mit der Information, dass die beiden ihren Installationsbetrieb und privaten Immobilienbesitz in Hürth verkauft hätten und ausgewandert wären. Wohin, das wusste der Informant angeblich nicht.
Ein Jahr später erhielten meine Frau und ich Post aus Namibia. Eine Jagdfarm machte auf sich aufmerksam. Ein bunter Prospekt präsentierte ein überzeugendes und verlockendes Angebot. Jagd und Abenteuer in Namibia!
Ulla und Karl-Heinz hatten eine Wildlife-Farm in Namibia erworben. Die 7000 Hektar Farm lag ca. 400 Kilometer nördlich von Windhoek – nur eine Autostunde entfernt vom Etosha Nationalpark, eingebettet in den Ugab-Terrassen, eine der interessantesten geologischen Landschaften im Norden Namibias.

Im Juli 2006 erfuhr ich aus einer Jagdzeitschrift, dass auf der Jagdfarm „Orion“ (Name geändert), in der Nähe von Outjo/Namibia, am 10. 6. 2006 der achtundfünfzigjährige deutsche Farmer Karl-Heinz M. überfallen und ermordet worden sei. Das Opfer war doch wohl nicht u n s e r Karl-Heinz M.? Doch, er war es leider.
Meine Frau und ich waren schockiert und konnten die unfassbare Tat nicht begreifen. Motiv und Tathergang waren völlig unklar.

Im letzten Jahr entflohen meine Frau und ich dem Weihnachtsrummel und begaben uns auf eine Namibia - Südafrikarundreise
Mit einer fünfzehnköpfigen Reisegruppe durchquerten wir vier Tage die trockenen Wüsten-, Savannen-, und Gebirgslandschaften Namibias und erreichten am Abend des 23. 12. 2006 die landschaftlich großartig gelegene Fingerkliplodge bei Khorixas, im Norden Namibias. Fantastische Anblicke auf die Tafelberge im Ugab-Tal verschlugen uns fast den Atem.
Zwei kapitale Kudubullen, ein paar Zebras und eine Rotte Warzenschweine beobachteten wir abends an der nahen Tränke unterhalb der Lodge und genossen gleichzeitig einen flammenden Sonnenuntergang. Staunend betrachteten wir dieses Naturschauspiel mit all seinen malerisch abgestuften Rotfarben, die sich später mit einem ungewöhnlichen Blauviolett vermischten. Hätten die gezückten Kameras jubeln können, hätten sie sicherlich das Wild an der Wasserstelle vergrämt.

Die im afrikanischen Stil erbaute und eingerichtete „Fingerkliplodge“ lag etwa dreißig Kilometer Luftlinie von der Jagdfarm meiner früheren Jagdfreunde entfernt. Da ich keine Möglichkeit sah, noch abends einen Treff zu organisieren, wollte ich doch wenigstens dort anrufen.

Die Pächterin der Fingerkliplodge kannte Ulla und Karl-Heinz M. recht gut und war natürlich über das schreckliche Geschehnis bestens informiert.
Sie erzählte mir unter vorgehaltener Hand, dass sich kürzlich auch auf ihrer Lodge ein Mord zugetragen hätte. Die Täter hätte man gefasst. Um die anderen Gäste nicht zu erschrecken, möge ich bitte über das Gehörte schweigen.
Sie versuchte mehrfach eine Verbindung zur Orion-Farm herzustellen – leider erfolglos. Sie meinte, Ulla sei wahrscheinlich über Weihnachten nach Deutschland geflogen.

Ich versuchte es nach dem Abendessen noch einmal, und siehe da – ich hatte Erfolg.
Klar, es gab ein herzliches Hallo, und wir überschütteten uns mit Fragen. Sie hatte die Tragödie noch nicht verarbeitet. Wie denn auch?
Tiefe Enttäuschung auf beiden Seiten, dass man so nah und doch unerreichbar sei, schlich sich in die Unterhaltung ein. Trotz der traurigen Umstände wünschten wir uns „Fröhliche Weihnachten und einen guten Rutsch“.

Bedrückt war ich. Aber was sollte ich denn machen? Ich trottete zerknirscht zur Bar, bestellte mir einen Scotch und versuchte auf diese Weise meine Stimmung zu heben.
Ich erzählte der Reisegruppe von dem Drama, das sich auf der Orion-Farm zugetragen hatte und berichtete auch von dem unbefriedigenden Anruf.
Plötzlich eröffnete uns die Reiseleitung, dass wir am nächsten Tag höchstwahrscheinlich an der Farm vorbeifahren würden. Das war ja eine tolle Überraschung!
Ich bat die Gruppe um Einverständnis, eine halbe Stunde für dieses ganz persönliche Wiedersehen zu opfern und versprach jedem ein kühles Getränk und einen interessanten Vortrag über eine namibische Jagdfarm. Alle waren einverstanden.

Und tatsächlich: Am Nachmittag des 24. Dezember erreichten wir die Farm. Ein riesiges, eisernes Tor versperrte mit Kette und Schloss die Einfahrt. Ich war recht beschwingt – dennoch beschlichen mich plötzlich Bedenken. Durfte ich dort ohne Anmeldung an Heiligabend stören? Und dann auch noch die gesamte Reisegruppe mitbringen? Nein, der Besuch musste sein! Vorbeifahren hätte ich mir nie verziehen.

Ich rief über Handy an und erklärte Ulla M., dass unsere Reise wider Erwarten an ihrer Farm vorbeigeführt hätte und wir jetzt mit dem Reisebus vor dem Tor ihrer Farm stünden.

Zunächst herrschte Sprachlosigkeit – dann: „Wolfgang, das gibt et doch nicht! Ich schicke jemanden, das Tor zu öffnen.“
Hundert Meter vor dem Farmhaus bat ich unseren Fahrer anzuhalten. Ich stieg als erster aus dem Bus und ging ihr entgegen.
Nun, wir waren beide älter geworden, erkannten uns aber auf Anhieb wieder, was nach fast fünfundzwanzig Jahren nicht immer selbstverständlich ist.
Sie weinte und zitterte vor Aufregung und umarmte mich minutenlang. Meine Frau wurde ebenso herzlich gedrückt.
Jetzt erst näherte sich die Reisegruppe dem Farmhaus. Die Mitreisenden hatten ein gutes Gespür für dieses Wiedersehen und ahnten das große Leid, das diese Frau erst kürzlich erfahren hatte.

Unter dem schattigen Reetdach der Poolbar ließen wir uns nieder, und einige hilfreiche deutsche Farmgäste versorgten uns bei 28 Grad Celsius liebevoll mit kühlen Getränken – auf Kosten des Hauses. Mein Einspruch gegen diese generöse Einladung wurde als Beleidigung gewertet. So kannte ich Ulla M. – immer großzügig und gastfreundlich.

Sie berichtete uns von den näheren Umständen des Mordes:
„Drei maskierte Schwarze drangen abends gegen 21.30 Uhr in das Farmhaus und riefen ‚wo Mann?’. Ich antwortete so laut ich konnte, denn ich wollte meinen Mann warnen: `In Windhuk! In Windhuk!’. Daraufhin schlugen sie mich mit dem Ast eines Mopanebaumes nieder. Ich wurde mehrfach ohnmächtig. Die Kerle fesselten mich noch obendrein an einen Stuhl.“

Uns fiel auf, dass ihr die unteren Schneidezähne fehlten. Man hatte sie ihr beim Überfall herausgeschlagen! Sie berichtete weiter:
„Ich konnte mich von den Fesseln befreien, lief zum Generatorhaus und habe meinen Mann dort geknebelt und gefesselt liegen sehen. Die Täter hatten ihm einen Leinensack über den Kopf gestülpt und ihn erschlagen.“
Nach einer kurzen Pause sprach sie leise weiter:
„Er war bereits an seinen schweren Hirnblutungen verstorben. Geschockt rannte ich zurück ins Haus, schoss mit drei Kurzwaffen aus Angst und zur Warnung in die Luft, bevor ich gegen 22.00 Uhr per Funk die Nachbarfarm um Hilfe rief. Von dort verständigte man sofort die Polizei.“
Sie flüsterte resigniert:
„Mord, nur wegen ein paar lumpigen Namibia-Dollar, Reiseschecks, und zwei Armbanduhren.“

Der unmittelbar nach der Tat verschwundene vierzig Kilo schwere Boerbull-Hund hatte sich nach zwei Tagen wieder auf der Farm eingefunden. Wo war er in der Zwischenzeit? Kannte er als einziger die Mörder?
Sie entließ am nächsten Tag das gesamte schwarze Personal, weil sie vermutete, dass ihre Bediensteten Tathilfe leisteten.
Die Polizei in Otjiwarongo setzte eine Belohnung von 15000 Namibia-Dollar für sachdienliche Hinweise aus, die zur Aufklärung dieser Schreckenstat führen sollten – bisher ohne Erfolg.

Nach der Beschreibung des Tathergangs, fragten wir uns, wie eine Frau mit fast sechzig Jahren so etwas noch verkraften kann und dann sogar noch den Mut besitzt, weiterzumachen, zumal die Zukunft für die Farmer in Namibia nicht gerade rosig aussieht.
Die Kriminalität im Outjo-Distrikt ist nämlich laut „Allgemeine Zeitung“ dem einzigen deutschen Blatt in Namibia, nicht mehr zu überbieten. Diebstähle und Überfälle auf Farmen mehren sich. Die ausufernde Kriminalität ist nicht mehr unter Kontrolle. „Umverteilung“ (Diebstahl) sei offenbar ein tolerierter Volkssport.
Die Farmer fühlen sich von der Regierung im Kampf gegen die Kriminalität im Stich gelassen.

Ich konnte Ulla M., nachdem sie sich von der Erählung ein wenig beruhigt hatte, noch überreden, den Gästen etwas von ihrem Farmkonzept und der Jagd zu berichten:
Nicht ohne stolz informierte sie uns, dass die Einrichtung „Umwelt und Tourismus“ die Farm zum wiederholten Male mit drei Sternen ausgezeichnet hätte. Dies sei die höchstmögliche Auszeichnung für Gästefarmen in Namibia.
In ihrem großen Jagdrevier hätten Jäger die Möglichkeit, auf über zwanzig verschiedene Wildarten, wie beispielsweise Eland, Blue Wildebeest, Kudu, Oryx, Red Hartebeest, Bergzebra und starke Warzenschweine zu jagen. Die Jagd würde situationsgebunden entweder zu Fuß, von Hochsitzen oder von Geländefahrzeugen, die für die Jagd- und Fotosafari ausgerüstet wären, durchgeführt.
Die Farm, so erzählte sie weiter, engagiere sich darüber hinaus als Mitglied der Etosha Conservancy Hegegemeinschaft. Das Hegegebiet der Etosha Conservancy mit seinen 52 Mitgliedern umfasse eine Fläche von über 400.000 ha, in nördlicher Richtung begrenzt durch den Etosha Nationalpark, südlich reiche es bis zu den Paresis Bergen südlich von Outjo.
Ziel der Etosha Conservancy sei es unter anderem, eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der Farmflächen mit der nachhaltigen Hege und Erweiterung des landestypischen Wildbestandes zu verbinden und die Förderung eines sanften Tourismus.

Eine Reihe von Jagdfarmen in Privatbesitz böten die Möglichkeit zur selektiven Jagd innerhalb des Hegerings. Wild sei in großer Anzahl vorhanden, und die Trophäen wären außergewöhnlich stark. Zur Erhaltung des Wildreichtums würde pro Jahr nur eine begrenzte Anzahl Jäger zugelassen.
Wenn die Regenzeit doch nur endlich das ersehnte Wasser brächte – Pflanzen und Tiere litten mittlerweile große Not.

Die deutschen Farmgäste verrieten uns, dass sie mit guter deutscher Hausmannskost und traditionellen afrikanischen oder internationalen Gerichten verwöhnt würden. Ein Grillabend am großen Bruchstein-Grill, oder das Buschfondue unter den Sternen Afrikas, seien stets ein Höhepunkt für jeden Besucher.

Ulla und Karl-Heinz waren vierzig Jahre verheiratet und wollten als deutsche Staatsbürger in Namibia glücklich leben und auf ihrer Farm alt werden. Natürlich wollten sie auch etwas für den Tourismus und für das Land tun.
Nachdem der Mord in deutschen Zeitungen publiziert wurde, blieben deutsche Jagdgäste und Stammkunden zunächst einmal aus.
Ulla betonte:
„Ich werde auf keinen Fall unser gemeinsames Lebenswerk durch feige Aufgabe zunichte machen. Ich werde mit neuem Personal auf der Farm weiter arbeiten, schon allein um das Andenken an meinen Mann zu bewahren.“
Nein, ein Kapitulieren gäbe es für sie nicht, sagte sie, Namibia wäre ihre neue Heimat. Wenn der Herrgott sie eines Tages abrufen würde, wollte sie neben ihrem Mann auf der Farm bestattet werden.
Sie stand da und flüsterte: „Das Leben geht weiter.“
Beim Abschied zeigte sie auf einen Steinhügel, der etwa hundert Meter vom Haupthaus entfernt angelegt war. „Dort liegt er begraben“, sagte sie still und drückte mich zum Abschied noch einmal fest an sich. Tränen rannen ihr übers Gesicht. Es war ein schmerzlicher Abschied.

Diese tapfere Frau schaffte es, trotz, oder gerade wegen ihres großen seelischen Kummers, die Farm nicht nur zu erhalten, sondern wieder zu einem florierenden Unternehmen auszubauen. Die Farm erwachte zu neuem Leben.
Mutig und fleißig ging sie ihr Ziel an und hat es heute gottlob geschafft. Ich ziehe vor ihr den Hut.

Wahrscheinlich werden schon die nächsten fünf Jahre über das Schicksal vieler Farmer und über die Zukunft Namibias entscheiden. Eine besorgniserregende Kriminalität, ein ungesundes soziales Gefälle, die Aidsproblematik (über 30% der Bevölkerung sind bereits infiziert) und eine katastrophale Klimaveränderung (ungewöhnlich lange Trockenperioden) zeichnen ein düsteres Bild. Mehr und mehr europäische Farmer verlassen überdies aus politischen Gründen (noch) freiwillig dieses großartige und wildreiche Land.
Nach den vielen Jahren der Apartheid und des Kolonialismus spüren sie einen umgekehrten Rassismus. Der Exodus weißer Siedler ist in den Nachbarstaaten bereits in vollem Gange, besonders in Simbabwe und Südafrika.
Trotzdem empfehle ich jedem Naturbegeisterten, Namibia zu besuchen. Sie werden es nicht bereuen. Die Tourismusbranche ist ein wesentlicher Motor für das Wirtschaftswachstum des Landes und für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Sie sind als Tourist herzlich willkommen!

Der Besuch dieser Jagdfarm war eine kurze, aber unvergessliche Unterbrechung unserer Reise. Die Schilderung des unbegreiflichen Verbrechens und das mutige Bekenntnis dieser Frau zur Weiterführung der Farm, waren beeindruckend und sorgten im Verlauf der Reise immer wieder für interessanten Gesprächsstoff.
 



 
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