Eine von meinen Teekesselgeschichten

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Nina K

Mitglied
Heute hat er gekocht. Der Grünkohlgeruch fängt mich ein, als ich heim komme Die Pfanne auf dem Herd knistert den Zucker um die Kartoffeln braun. "Ich möchte bitte nur Tee", bringe ich errötend hervor. Langsam dreht er sich um: "Das macht doch nichts."

Er war beim Friseur, nun schimmert wieder am Hinterkopf die bläuliche Narbe hervor. Gebogen zieht sie sich fast bis in den Nacken, verliert sich dann schmal. "Starr nicht so hin", bittet er leise. Das Pfeifen des Wasserkessels lenkt uns beide dann ab.

Auf der Wiese zwischen den Wohnblocks hängt Wäsche im Wind. Grüngeblümt beutelt sich verwaschen ein Bettbezug. "Wir sollten mal rausfahren zum See, so wie früher", geht es mir durch den Kopf. Als ich mich nach ihm umsehe, kratzt er gerade den Grünkohl aus dem Topf in den Mülleimer. "Ein schlechter Moment", denke ich und stelle das Radio an.

Im Badewasser löst sich der Tag. Müde schließe ich die Augen und laß den Kopf unter die Wasseroberfläche sinken. Wieder auftauchend sehe ich ihn vor der Wanne stehen. "Willst Du mit rein?", frage ich vorsichtig. Da nickt er und streift seine Kleider ab. Erst als sein vernarbter Kopf in den Schaum auf meiner Brust sinkt, wäre ich lieber alleine.

Sorgsam kämmt er nach dem Bad mein Haar. Mit der linken Hand wische ich den beschlagene Spiegel etwas frei, erkenne dann sein Gesicht hinter dem meinem. "Zieh Deinen Bademantel an, damit Du nicht kühl wirst", sagt er noch und lässt mich alleine. Nur zögernd trete ich näher an den Spiegel, um Creme unter den Augen zu verteilen.

Im Schlafzimmer sitzt er verkrümmt auf dem Bett. Als er aufschaut, flackert der Schmerz in seinen Augen. "Es geht nicht anders", preßt er hervor. Dann steht er vor mir, der erste Schlag trifft mein Gesicht und schleudert mich an die Bettkante. Kurz brüllt er wütend auf und reißt mich an den Haare wieder hoch. Ich konzentriere mich auf die Notenblätter meiner Gedanken und lasse ihn mit meinem Körper alleine.

Später versuchen wir aneinander geschmiegt einzuschlafen. Sanft kühlt sein Atem meine brennende Schulter. "Die Narbe pocht jetzt nicht mehr", murmelt er dankbar und rutscht noch ein wenig näher.
 

knychen

Mitglied
eine sehr gute story hast du da geschrieben. klar gegliedert, sorgfältige wortwahl und ein abruptes ende, das viel raum für eigene gedanken läßt. zwei winzige stellen fand ich, weil beim lesen ein kurzes stocken eintrat.
wer schon mal grünkohl gekocht hat, der weiß, daß er mehrmals aufgewärmt erst so richtig schmeckt. hat wohl mit der struktur des kohls zu tun. deswegen fand ich das wegwerfen der mahlzeit ein wenig übertrieben. anders wäre es vielleicht gewesen, wenn sich die beiden gestritten hätten.
und weiter unten: "kurz brüllt er wütend laut auf".
das "brüllen" in verbindung mit "wütend" ist deutlich genug. das "laut" erklärt nichts weiter und ist zu viel. aber das kann mit eigenen lesegewohnheiten zu tun haben und wird von anderen sicher auch komplett anders empfunden.
ansonsten: klasse.
gruß aus berlin von knychen
 

Nina K

Mitglied
Hallo knychen,

danke für Lob und Verbesserungsvorschläge. :)

Es macht ihn schon wütend, umsonst gekocht zu haben. Er zeigt es ihr durch das Wegwerfen, nicht durch Worte und da auch nicht durch Gewallt. Diese staut sich nur heimlich an.

Bzgl. des "laut" hast Du Recht, ich hab es geändert.

Lieben Gruß
Nina
 

Nina K

Mitglied
Tut mir ebenfalls leid, flammarion, denn da Dein Nichtgefallen so ohne weshalb-warum-wieso da steht, wüßte ich daran auch künftig nichts zu ändern. Smile, was bezweckst Du also mit Deinem Kommentar?

Lieben Gruß
Nina
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
nun,

für mich stellt sich die sache so dar: wenn ein mann eine bläuliche narbe hat, hat er das recht, eine frau zu verprügeln. die bleibt dann auch brav bei ihm und ist nicht im geringsten sauer. das ist doch humbug!
abartig und widerwärtig.
 
Hallo Nina

Was mir jetzt so fehlt ist die Reaktion des Mannes. Man spürt in deiner Geschichte nicht die Wut von ihm und er wird ja nicht einfach nur schlagen, weil er mal geschlagen worden ist. Und glaubst du wirklich, so ruhig und gefasst läßt sich eine Frau schlagen? Sie würde beim nächsten Mal doch wenigstens einen Knüppel am Bett stehen haben oder sie hat wirklich gesagt, ok ich liebe dich, hau mir ruhig ab und zu mal so richtig einen rein *g.

Genau so.........Stephanie
 

Nina K

Mitglied
Man merkt, dass Ihr wenig Erfahrung mit Gewalt in Familien habt, was eigentlich erfreulich ist. Natürlich wird die Frau nicht am nächsten Tag einen Knüppel am Bett stehen haben. Das hiesse, sich zu wehren. Und das passiert selten, meist erst spät und dann manchmal nur mit endgültigem Charakter.

Es gibt Menschen, die erleben alltäglich körperliche Gewalt und empfinden diese dann fast als Aufmerksamkeit. Manche sind mit dem prügelnden Vater groß geworden.

Den meisten Männern, die ihre Frau schlagen, reicht übrigens ein Bier am Abend zu viel, ein verlorenes Fußballspiel oder ein Anraunzer vom Chef als Auslöser. Dass ich dem Protagonisten zusätzlich die Narbe verpasste, symbolisiert, dass auch er eine Opferrolle einnimmt.

Mein Ratschlag: Sucht einmal ein Frauenhaus auf und lasst Euch den Alltag erzählen. Das sind zwar Frauen, die dem Alltag meiner Protagonistin entkommen sind, aber sie haben ihn jahrelang ausgehalten.

Flamarion, Deine Moral musst Du Dir selber aus der Geschichte lesen. Ich habe nur erzählt, wie ein solcher Tag verläuft. Alles weitere ist in diesem Fall Sache des Lesers. (Einen Krimi zu schreiben, heisst nicht, Verbrechen zu billigen, zwinker.)

Lieben Gruß
Nina
 
Hallo Nina

Liebe Nina,

ich glaube, dass ist jetzt gar nicht das Thema. Mir geht es darum, dass man den Mann nicht deuten kann. Du bringst ihn nicht gut genug für den Leser rüber.

Und eins muss ich leider noch los werden. Es gibt nicht nur körperliche Gewalt.

[red]"Starr nicht so hin", bittet er leise. [/red]

Er bittet???

Ich hätte mir halt gewünscht, dass du diesen Jähzorn, der jawohl dahinter steckt oder was auch immer steigerst, alleine schon beim Grünkohl kratzen, hätte er beginnen können zu fluchen, weil so was nicht passieren darf und die Haare hätte er wesentlich kürzer kämmen können, weil es ja bald los geht.


Genau so.......Stephanie
 

Nina K

Mitglied
Stephanie, ich verstehe, worauf Du hinaus willst und durchaus denkbar ist es, aber nicht das, was ich wollte. Es besteht durchaus eine gegenseitige Abhängigkeit. Sie verlässt ihn nicht, löst sich nicht aus dieser Beziehung, weil sie seine Aufmerksamkeit braucht. Im tagtäglichen Leben nutzt sie ihre Hilfsbedürftigkeit und Schwäche ihm gegenüber aber auch schüchtern aus - sie traut sich das Essen abzulehnen, obwohl sie weiss, ihn damit zu verletzen. Aufgrund dieses Verhaltens erwartet sie keine Schläge. Er tut das gleiche: Er macht sich ihre Hilfsbedürftigkeit zu nutze, um sie zu halten. Er kocht, er beisst die Zähne zusammen, wenn es umsonst war, er kämmt ihr Haar, wie das eines Kindes. Das schafft ihm die Grundlage, dass sie das andere ruhig auch aushalten muss und die Gewissheit, dass sie es tun wird. Es ist Rechtfertigung vor ihm selbst.
In diesen Momenten der Fürsorge nimmt er sich also stark zurück, schämt sich wohl sogar seiner Gewalt, an die ihn die Narbe erinnert. Darum bittet er tatsächlich, nicht ihre Aufmerksamkeit darauf zu richten in einem Moment, in dem er Fürsorge vermitteln möchte. Die Narbe ist ihm Zeichen seiner Schwäche.
Der Ausbruch wird, gerade weil er sich die ganze Zeit über zurückgenommen hat, umso heftiger, unvermittelter. Es überkommt ihn, wie ein Rausch. Als es vorbei ist, ist er wieder der zärtliche Ehemann, der sie einschlafend hält.

Es ist nur eine der Teekesselgeschichten von vielen weiteren. ;)

Nochmal Danke für Deine Gedanken und lieben Gruß
Nina
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
siehste,

wenn in deiner geschichte all das drin gewesen wär, was in deinem letzten kom steht, hätte ich die geschichte gewiß akzeptiert. so, wie sie jetzt da steht, ist sie ein gefühlloses foto. diese kälte stößt mich ab.
lg
 

knychen

Mitglied
komisch, ich habe genau das herausgelesen und fand die story deshalb auch gut.
weil der text gut gegliedert ist, weil die zwei protagonisten deutlich gezeichnet sind, weil die schwierige thematik genau so skizziert ist, wie sie auftritt: versteckt und stillschweigend hingenommen.
ich möchte beim lesen einer story alles auf dem silbernen tablett bekommen, ich will es selbst entdecken.
wie du in deinem zweiten beitrag zu diesem text sehr richtig schreibst, ist es abartig und widerwärtig. humbug ist es noch lange nicht.
"der tod ist mein beruf" ist auch eine abartige und widerwärtige geschichte, aber würdest du robert merle unterstellen, dass er Humbug geschrieben hat?
etwas mehr feinfühligkeit bitte, zumindest aber respekt.
gruß knychen
 

Zeder

Administrator
Teammitglied
Hallo Nina K,

für mich herrscht ein nicht nachvollziehbarer Bruch zwischen diesen beiden Absätzen:

"Sorgsam kämmt er nach dem Bad mein Haar. Mit der linken Hand wische ich den beschlagene Spiegel etwas frei, erkenne dann sein Gesicht hinter dem meinem. "Zieh Deinen Bademantel an, damit Du nicht kühl wirst", sagt er noch und lässt mich alleine. Nur zögernd trete ich näher an den Spiegel, um Creme unter den Augen zu verteilen.

Im Schlafzimmer sitzt er verkrümmt auf dem Bett. Als er aufschaut, flackert der Schmerz in seinen Augen. "Es geht nicht anders", preßt er hervor. Dann steht er vor mir, der erste Schlag trifft mein Gesicht und schleudert mich an die Bettkante. Kurz brüllt er wütend auf und reißt mich an den Haare wieder hoch. Ich konzentriere mich auf die Notenblätter meiner Gedanken und lasse ihn mit meinem Körper alleine."

Dass er den selbstgekochten Grünkohl weggeschüttet hat, wunderte mich nur (er hätte ihn gut auch in den Kühlschrank stellen können für den nächsten Tag). Aber Zeichen von Erregung oder gar Hass/Wut konnte ich darin nicht erkennen. Und in dem folgenden Absatz eben auch nicht; weshalb mich sein "erster Schlag" völlig unvorbereitet im besten Sinne des textkritischen Verstehens trifft.

Ich persönlich halte deinen Text für eine Geschichte, die von einer ganz bestimmten (nicht unbedingt durch eigene Lebenserfahrung betroffenen) Lesergruppe verstanden wird und auch werden kann. Von daher hat er sicherlich seine Berechtigung.

Grüße von Zeder
 
L

Lotte Werther

Gast
An Nina K

Zeder hat meine Gedanken beim Lesen vorweggenommen und gut ausgedrückt. Dieser Text hat seine Berechtigung. Für Betroffene.

Wir möchten aber Geschichten lesen. Und als solche ist diese hier ein blasser Teebeutel.

Wenn du eine Teekesselgeschichte machen möchtest, dann gehört mehr dazu. Wie Stephanie Seelig es schon bemerkt hat.

Lotte Werther
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
genau.

das kam mir gestern vor dem einschlafen auch in den sinn, dass deine geschichte unter einem anderen titel besser ankommen würde. unter einer teekessel-geschichte stelle ich mir etwas besinnliches vor, nicht solch eine gewaltsache.
lg
 

Rodolfo

Mitglied
Ich habe die Geschichte auch dreimal gelesen, weil mir der plötzliche Stimmungsumschwung zu schaffen machte. Aber alles, was davor geschieht, lässt einen ja ahnen, dass da noch ein dickes Ende folgen wird.

Liebe Frauenrunde, ich vertehe das hin- und hergehacke um diese Geschichte nicht so ganz.
Habt ihr euch schon mal überlegt, was das für Typen sind, die zuhause ihre Frau prügeln? Es sind nicht nur die agressiven Kneipenkämpfer und Muskel- Machos. Oft, wenn nicht meist, sind es Kriecher und Schlucker, die sich von Chefs und Arbeitskollegen alles gefallen lassen, feige und ängstliche Anpasser. Zuhause wird dann an dem vermeintlich schwächeren Menschen, der ja (wiederum vermeintlich) von einem abhängig ist, der ganze Frust abgelassen. Es gibt dann ja auch noch die grosse Masse der verbalen Schläger, die das gleiche Prinzip verfolgt, mit oft genau so schmerzhaften, wenn auch nicht sichtbaren Wunden.

Daher finde ich sein Verhalten nicht ungewöhnlich, muss er doch erst aus seiner Kriecher- Rolle herausfinden und sich auf sicherem Terrain glauben.

Die Geschichte ist so, wie sie ist, glaubhaft und gut erzählt. Sie vermittelt den Schock und das Entsetzen über sein Zuschlagen besser, als wenn sich seine Wut sichtbar aufbaut. Und sie ist alles andere als ein "blasser Teebeutel".
 
Hallo

Also ich finde es schon witzig, wie man sich so die Schläger in Familien vorstellt. Vielleicht sind sie in ihrer Außenwelt ruhig und gelassen, man will ja auch sein Bild wahren. Sobald die Tür zu ist, fühlt man sich ja sicher und man kann die Sau rauslassen. Und der Partner unterstützt einen ja auch noch dabei, weil er immer noch glaubt diesen Menschen durch Liebe zu ändern. Mir fehlt eben einfach die Angst und die Gefühle der beiden. Dieses Thema wird nämlich genau so von außen gesehen und dieser Gewalt wird hier so harmlos erzählt das mir schlecht wird. Der Schluß ist genau das was man erwartet und man denkt, naja sie hat es doch verdient. Das wollte ich die ganze Zeit damit sagen.

Genau so.........Stephanie
 

MDSpinoza

Mitglied
Interpretationsversuch

Eine große Narbe am Hinterkopf läßt auf eine schwere Schädelverletzung schließen. Möglicherweise mit Hirntrauma, was oft genug eine Persönlichkeitsveränderung zur Folge hat. Gewalttätigkeit ist da nicht unbedingt selten. Der Kranke ist sich seiner Störung oft bewußt, fürchtet oder ekelt sich dabei vor sich selbst, kann aber solche Gewaltausbrüche weder steuern noch verhindern. Das baut weiteren Selbsthaß auf...
Mit einem solchen Menschen zusammenzuleben ist nicht gerade ein Zuckerschlecken. Man kann es keinem Partner verübeln, daß so einen Menschen verläßt. Das Problem dabei: es gibt da noch so ein Gefühl namens Liebe...
Daß er darum bittet, daß sie nicht so auf die Narbe starre, ist für mich ein Hinweis auf so eine Verletzung. Dem Mann ist bewußt, daß er gestört ist, und das ist ihm selbst zuwider. Nur, daß er nie wieder der wird, der er mal war. Ein klassischer Weg in den Suizid.

Alles in allem eine gelungene Geschichte, auch oder gerade wenn einem dabei etwas Unangenehmes den Rücken hochkrabbelt. "9"!
 



 
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