Einundfünfzig

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arle

Mitglied
Die Furchen im Gesicht sind ausgeprägter, das schon. Schnell außer Puste beim Treppensteigen. Das Herz schlägt "zu schnell aber wunderschön", wie der nette Arzt sagte. Ich protestiere nicht mehr, wenn mir ein hübscher junger Mann anbietet, meine Einkaufstüten zu tragen. Überhaupt werde ich seit ein paar Jahren in Geschäften höflicher behandelt als früher.

Da gibt es ein kleines Mädchen, das jetzt gerade lernt, "Oma" zu sagen, und es dauert lange, bis ich verstehe, dass es mich damit meint. Von Tag zu Tag authentischer und abgeklärter. Keine Spielchen mehr. Nicht mehr so in Wut zu bringen, dass ich volle Tassen werfe, zuschlagen will, mir mein eigenes Gezeter in den Ohren dröhnt. Nicht mehr so sehr um den eigenen Nabel kreisend. Duldsamer. Aber sonst?

Noch immer gebärfähig, denkfähig, tragfähig, ertragfähig. Papa sagt noch immer, Kind, wir machen uns Sorgen um dich. Mama räumt hinter mir her. Eben noch immer nicht in der Lage, ein Zuhause so richtig gemütlich zu gestalten. Weil ich nie lange genug irgendwo bleibe. Noch immer ohne festen Ort im Leben.

Und wieder mal verliebt. Und wieder bis ins Mark zu verletzen von deinen Worten, Blicken, Gesten. Und wieder einsam wie der Tod, wenn du deine Tür hinter dir zuwirfst.

Aber ich esse, schlafe, lache. Ich weiß, der Schmerz wird verschwinden, wenn ich ihn nur lang genug ignoriere. Es tut nicht mehr so weh.

Vielleicht tut es ja mit einundsechzig gar nicht mehr weh.
 

gareth

Mitglied
Ich weiß gar nicht, liebe arle,

ob die Rubrik Tagebuch dafür gedacht und/oder geeignet ist, kommentiert oder gar bewertet zu werden. Da das aber so schön und wahrhaftig ist, was Du hier geschrieben hast und mir alters- und empfindungsmäßig so nah, muss ich das auch hier hin schreiben dürfen und das hab ich hiermit gemacht.


Liebe Grüße
gareth



p.s. als Selbsteinordnung meines Beitrags scheint mir "Tiefere Analyse" angemessen zu sein.
 

arle

Mitglied
Lieber Gareth, lieber Otto,

ganz spontan: Vielen, vielen Dank!

Das macht Mut, weiter zu schreiben, Gefühle zuzulassen, mich an die Öffentlichkeit zu wagen. Und irgendwie ist es auch sehr schön, dass die beiden Kommentare von Männern kommen. So groß sind die Unterschiede offenbar doch nicht...

Seid lieb gegrüßt und habt ein wunderschönes Wochenende.

arle
 

Astrid

Mitglied
Doch

es wird auch mit 61 noch weh tun, denn es heißt ja auch, zu leben, lebendig zu sein mit aller Lust und allem Schmerz.
Ein wunderbarer Text, er hat mich berührt und bereichert nach einem anstrengenden Tag heute...

Die Oma, die doch Kind ist und bleibt für die eigenen Eltern.

Liebe Grüße
Astrid

auch etwas leiser geworden, die Tassen und Türen fliegen nicht mehr, nur die Schmetterlinge im Bauch, wieder...
 

KS

Mitglied
Ein bewunderer

Hallo Arle,

ich bewundere Menschen und beneide sie zugleich, die, so wie du, ihre Einsichten und Befindlichkeiten ohne Schnörkel treffend und zugleich poetisch darstellen.

Ein Bewunderer

KS / Kurt
 

arle

Mitglied
Erstaunt...

... dass dieser, in fünf Minuten wütend in den Computer gehauene kleine Text solchen Anklang findet.

Vielen Dank für die lieben Worte sagt: Silvia
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Wunderbar.
Es mag in fünf Minuten "hingehämmert" worden sein, aber die Vorarbeit im Hinterkopf – das sich mit sich selbst auseinandersetzen – hat gute Dienste getan dabei …
 

Balu

Mitglied
mit über fünfzig noch das mädchen zu sein, dass träumt und liebt und dem chaos mit einem lächeln begegnet

dieses bild zeichnest du hier in warmen farben
und einer so authentischen sprache, dass man fast glaubt,
dir gegenüber zu sitzen

das ist belletristik von der guten sorte für mich

wieder kann ich nur den hut ziehen vor diesem können
 
B

bluefin

Gast
in ein paar minuten schreibt man das nicht, @arle. ausser, man hat ziemlich lang darüber nachgedacht, vorher (understatement war immer schon die raffiniertere form der übertreibung).

nebenbei:

Und wieder mal verliebt. Und wieder bis ins Mark zu verletzen [blue]verletzt[/blue] von deinen Worten, Blicken, Gesten. Und wieder einsam wie der Tod, wenn du deine Tür hinter dir zuwirfst.

kein tagebucheintrag, sondern ein wirklich schöner text.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

arle

Mitglied
Und schon wieder erstaunt

Pünktlich zum Wettbewerbsende erscheint die untergetauchte arle wieder am Lupenhorizont. ((c:

Jon und Memo: Eure Antworten habe ich wohl "seinerzeit" irgendwie überlesen. Ich entschuldige mich sehr dafür und sage Euch ein ganz schön verspätetes: Vielen Dank!

Balu, dir auch sehr vielen Dank fürs Entstauben. Ich glaube, es war Simone de Beauvoir, die sinngemäß gesagt hat: Es gibt ein kleines Mädchen in mir, das nicht sterben kann. - Für mich eine sehr wahre Aussage, die wahrscheinlich auch auf die kleinen Jungs zutrifft. Schön, dass der Text dich angesprochen hat.

Und bluefin, natürlich auch dir ein Dankeschön. Doch doch, das haut sich schon recht schnell hin; muss nur heftig genug drängen und zwicken und bohren. Wes' das Herz voll ist... Understatement hin oder her. Übrigens: "Zu verletzen" (also verletzbar - was für mich irgendwie holprig klang) war schon so gedacht wie es da steht.

Euch allen die liebsten Grüße und einen hoffentlich nicht zu trüben Mittwoch

Silvia
 
B

bluefin

Gast
Und wieder bis ins Mark zu verletzen von deinen Worten, Blicken, Gesten.
ist kein vernünftiger deutscher satz. entweder man verletzt oder man wird von etwas verletzt. beides gleichzeitig geht (sprachlich) nicht.

ich empfehle nochmals eine korrektur. soviel zeit sollte schon sein, vor allem, wenn man fast so schnell schreiben kann, wie man spricht.

lg

bluefin
 

gareth

Mitglied
Es hilft, bluefin,

wenn man nachdenkt, bevor man Kommentare schreibt. Insbesondere bevor man Kommentare zu arles Texten schreibt.

Ich will dir diese hilfreiche Methode ausdrücklich ans Herz legen. Du wirst sehen, es ist sinnvoll. Einfach irgendwann mal ausprobieren.

Das zu verletzen in

Und wieder bis ins Mark zu verletzen von deinen Worten, Blicken, Gesten.

steht hier im Sinne von verletzbar, ohne Möglichkeit der Abwehr

Wenn es dir allerdings nur um's Besserwissen geht, dann kannst du diesen Hinweis als gegenstandslos betrachten.

Grüße
gareth
 
R

rosenrot

Gast
Liebe Arle,

ich stolpere ein wenig über die "Furchen". Die hat man mit einundachtzig, nicht mir einundfünfzig. Der gesamte erste Abschnitt passt nicht zu einer Einundfünfzigjährigen.

"Und wieder bis ins Mark zu verletzen" hingegen ist grammatikalisch korrekt, inhaltlich nachvollziehbar und vollkommen altersunabhängig.

Einen lieben Gruß
vom rosenrot
 

Doska

Mitglied
Hallo Gareth!
Ein bisschen dreist mir zu sagen, ich hätte nicht nachgedacht.
Kann es nicht Menschen geben, denen einfach mal ein Text gefällt, so wie er ist?
 
B

bluefin

Gast
jetzt hab ich's endlich auch kapiert:

es ist gar kein satz. der passiven infinitiverweiterung fehlt der satzgegenstand; den hat man nur parat, wenn man das "ich" drei sätze vorher noch im kopf und es zudem über den absatz hinaus gerettet hat.

erschwerend kommt hinzu, dass in der phrase die"satz"aussage nicht am schluss steht.

wenn mans rasch liest, alles miteinander, geht's. es ist nicht umgangssprachlich (das sind infinitiverweiterungen mit "zu" nie), und "gutes" deutsch ist es auch nicht. ich rate daher nach wie vor zu einer korrektur.

nichts für ungut und liebe grüße aus münchen

bluefin
 



 
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