Einundzwanzigstes Märchen: Vom Meistermärchen

VikSo

Mitglied
Einundzwanzigstes Märchen: Vom Meistermärchen
Georgi schwieg. Aus trüben Augen studierte er den Boden zu Kais Füßen. Kai selbst war aufgesprungen, hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und schlurfte auf und ab. Die Wächter beobachteten beide argwöhnisch, hielten aber auf Abstand.
Halb in Gedanken murmelte Kai: „Wohin sie wohl verschwunden sind? Marias Mutter und Schwestern meine ich.“
Georgi hob leicht die Schultern, um anzudeuten, dass dies sein geringstes Problem sei. „Das interessierte damals niemanden, so lange sie nur weit genug weg waren. Und blieben.“
Unzufrieden nahm Kai seinen Marsch wieder auf. Endlich baute er sich direkt vor Georgi auf. Die kauernde Haltung des Zwerges unterstrich noch den Größenunterschied zwischen ihnen. Georgi erhob das Haupt und sah fragend zu dem jungen Mann auf.
„Sie war schwanger.“ Kai bemühte sich um einen sachlichen Tonfall. „Ihre Familie hielt sie versteckt, weil sie mit 15 Jahren schwanger wurde.“
Georgi nickte.
Kai fuhr sich durch die wirren Haare. „Wenn dem so ist, was passierte mit dem Kind? Irgendwann muss doch jemand etwas mitbekommen haben. Was ist mit dem Arzt, der Hebamme?“
„Hexen sind ihre eigenen Hebammen.“, erwiderte Georgi knapp. „Was den Verbleib des Kindes angeht…“ Er wiegte bedächtig den Kopf. „Damals hatte ich einen Verdacht, obwohl ich ihn nicht äußerte.“
„Ja?“ Kai schenkte dem anderen ein aufforderndes Nicken.
„Nun, wie gesagt: Eine Hexenmeisterin entlässt ihre Schülerinnen nie vollständig aus ihrer Obhut. Denn als Schirmherrin ist sie gleichzeitig Nutznießerin der Fähigkeiten ihrer Schützlinge. Je mehr es davon gibt und umso begabter sie sind, desto besser für die Meisterin. Deswegen tut sie alles, um ihre Schülerinnen an sich zu binden. Nie wird sie sich freiwillig von einer trennen. Es sei denn, sie hätte einen wirklich guten Grund dafür.“
„Beispielsweise…?“
„Beispielsweise, wenn sie die Schülerin gegen etwas Besseres eintauschen kann. Etwa ein Neugeborenes mit weitaus größeren Fähigkeiten.“
„Eintauschen?!“, rief Kai ungläubig. Die Wächter sprangen alarmiert in Hab-Acht-Stellung.
„Mäßige dich!“, mahnte Georgi flüsternd. „Du darfst bei Hexen nicht in Kategorien wie Liebe denken. Elternschaft bedeutet für sie in erster Linie ein Besitzverhältnis. Maria – und mit ihr all ihre Kräfte – gehörten ihrer Mutter. Genauso wären die Kräfte des Kindes Marias Eigentum gewesen. Es sei denn, sie hätte getauscht.“
„Sie meinen…“, platzte Kai heraus. Ein Wächter zuckte. „Sie meinen, Maria kaufte sich von ihrer Mutter los und überließ dafür ihr leibliches Kind genau der Person, die sie so schreckte, dass sie ihr zu entfliehen versuchte?“
„Wie viele menschliche Mütter gibt es“, unterbrach ihn Georgi mit erhobener Stimme, „die ihren unerwünschten Nachwuchs in Parks oder vor fremder Leute Türen aussetzen? Wenn sie nicht noch schlimmeres tun.“
Verbissen knabberte Kai an seiner Unterlippe. Diese Rücksichtslosigkeit passte einfach nicht zu dem Bild, das er sich bisher von Maria gemacht hatte. Andererseits – wie genau kannte er sie schon? Genau genommen war sie für ihn eine Fremde.
Kai war so in sich gekehrt, dass er nicht einmal bemerkte, wie die Tür erneut geöffnet wurde. Georgi weckte ihn aus seiner Trance: „Ich glaube, man ruft uns.“ Tatsächlich hatten sich beide Wachen vor der schmalen Tür aufgebaut und winkten sie mit ungeduldigen Gesten hinaus. Schwerfällig erhob sich Georgi und watschelte vorwärts. Kai trottete hinterher.
Im Spiegelsaal empfing sie konzentriertes Schweigen. Die vier Könige – nein: fünf, wenn man Viola mitzählte – bildeten einen Halbkreis, um die Ankommenden besser im Blick zu haben. Maria stand etwas abseits mit neutralem Gesicht und auffallend aufrechter Körperhaltung.
Und jetzt?, fragte sich Kai.
Im gleichen Augenblick fiel Georgi neben ihm schon wieder auf die Knie. Kai erwog kurz, seinem Beispiel zu folgen, entschied sich dann aber dagegen. Stattdessen gab er sich möglichst locker und warf Viola einen Blick zu, von dem er hoffte, er sei herausfordernd. Bildete er sich das ein oder spielte kurz ein Grinsen um ihre Lippen?
An den hünenhaften Kobold gewandt bat sie: „Rí Devin erlaube, dass ich dir offiziell Kai vorstelle, den Enkel und Erben des Erzählers Grimm. Kai, dies ist Devin, Herrscher der Kobolde.“
Devin neigte gnädig sein Haupt.
„Kvinne Sovia.“
Die knöchrige Zwergin blinzelte zweimal. Das war wohl das Äußerste, das Kai als Gruß von ihr erwarten durfte.
„Und hier die Kvins Finn und Fino.“
Die Zwillinge schenkten ihm ein scheues Lächeln, wobei nicht zu unterscheiden war, wer auf welchen Vornamen reagierte. Während Kai noch darüber nachsann, fiel ihm ein, dass man von ihm eine Antwort erwartete.
„Ähm…Sehr erfreut. Hoheit.“ Sofort schoss ihm eine peinlich berührte Röte in die Wangen. Kvinne Sovia räusperte sich missbilligend. Viola grinste, diesmal eindeutig. Kvin Finn (oder Fino?) unterdrückte ein Kichern.
Rí Devin dagegen ergriff ungerührt das Wort: „Banríon Viola erklärte uns, dass du im Großen und Ganzen über unser Problem Bescheid weißt.“
„Ähm, ja, ungefähr.“ Sein Blick glitt zu Maria. „Eigentlich dachte ich, wir sollten zuerst über den Kelpie sprechen.“
„Kelpie?“ Devin klang verwirrt. „Ah ja. Ich habe so etwas vernommen. Wie auch immer, darum geht es heute nicht.“
„Ach.“, machte Kai. Vielleicht erleuchtest du mich dann, was genau dein Anliegen ist?
„Viola ist der Meinung, du könntest bei der Lösung unserer Schwierigkeiten eine große Hilfe sein.“, fuhr Devin fort. Kvinne Sovia taxierte Kai, als hege sie daran starke Zweifel.
Trotzig entgegnete Kai. „Sie hat da etwas angedeutet. Ich möchte gerne helfen. Allerdings glaube ich, dass Viola meine Fähigkeiten bei weitem überschätzt. Ich verfüge über keine besonderen Begabungen – nicht in eurem Sinne – und Zaubern kann ich schon gar nicht.“
Rí Devin betrachtete ihn einige Minuten lang. In seiner Mine arbeitete es, als wöge er ab, ob sich weitere Erklärungen überhaupt lohnten. Dann, als es Kai wirklich unangenehm wurde, begann er: „Kennst du die Mär vom Meistermärchen?“
Meister…Was?
„Nein, die kenne ich nicht.“
Aber zweifellos wird irgendjemand sie gleich rezitieren.
„Das Meistermärchen ist der Schluss. Die Auflösung aller Märchen“
Eine Gänsehaut jagte Kai vom Haaransatz, über den Nacken, den Rücken hinunter bis zur Zehenspitze. Kvinne Sovia richtete sich, wenn möglich, noch steiler auf. Was Kai für das Schaben eines Reibeisens über Holz gehalten hatte, war die Stimme der alten Königin. Georgi wandte ihr sofort seine ehrfürchtige Aufmerksamkeit zu. Selbst die anderen Herrscher rückten ein wenig in den Schatten. Schweigend forderte Rí Devin die Greisin auf, fortzufahren.
„Vor Zeiten gab es nur eine Handvoll Erzähler.“ Sovias Stimme erhob sich nicht höher als raschelndes Laub an einem Herbstnachmittag. Trotzdem hallte ihr Echo von allen Seiten wieder, so still wurde es auf einmal im Saal. „Ihre Aufgabe war es, die Botschaft von Frieden, gegenseitiger Hilfe und Rücksichtnahme, die sie von den magischen Völkern gelernt hatten, den Menschen unauffällig einzuflößen. Zu diesem Zweck verkehrten sie häufig mit den Zwergen und Feen, den Elfen und Kobolden und waren oft die einzigen Menschen, denen sich diese zu erkennen gaben. Häufig besuchten die Erzähler Angehörige der magischen Völker in deren Häusern, manchmal war es umgekehrt. Gelegentlich begaben sie sich sogar auf Reisen, um ihre zauberhaften Freunde in allen Teilen der Welt zu besuchen.
Das alles hatte nur den einen Zweck, nämlich so viele Geschichten als möglich zu sammeln. Manche Märchen waren bereits aufgeschrieben worden. Zu anderen hatten kunstfertige Hände beredte Bilder gezeichnet. Die meisten aber wurden immer noch von Mund zu Mund weitergetragen. Die Erzähler sahen, lasen, hörten und merkten sich alles, erzählten es weiter, übersetzten und schrieben es auf. Die Menschen, nicht gewahr des subtilen Einflusses, der aus sie ausgeübt wurde, erfreuten sich an den Erzählungen und begannen, sie selbst an ihre Kinder und Kindeskinder weiter zu geben, welche sie wiederum ihren Enkeln erzählten, diese wiederum den ihren und so weiter und so weiter. So zogen Jahrzehnte und Jahrhunderte ins Land.
Je mehr Zeit jedoch verging, desto häufiger merkten die Erzähler, dass das allein nicht reichte. Sie hatten nämlich festgestellt, dass ihre Freunde nicht die einzigen waren, die in die Weisheit der Magie eingedrungen waren. Die Hexen waren die ersten, deren Existenz sich ihnen aufdrängte. Doch neben diesen waren in den vergangenen Jahren andere dunkle Wesen aufgetaucht und hatten sich in nicht bekannter Zahl vermehrt und auf der ganzen Welt verbreitet. Woher sie kamen, darüber existierten viele Gerüchte. Offensichtlich war, dass die Welt wieder dunkler wurde, je mehr diese Wesen die Welt bevölkerten.
Denn die Menschen, immer anfällig für Zauberei aller Art und für das Böse in jeglicher Form, konnten der Verbindung aus beidem nicht widerstehen. Dumme, gierige Leute ließen sich leichtsinnig mit der Finsternis ein, ohne zu erkennen oder sich darum zu kümmern, dass sie mit einem solchen Bündnis ihren Leib, ihre Seele, ihr Leben und ihr Glück verspielten. Doch trotz aller berechtigten Besorgnis nahm die Macht des Bösen nicht überhand und das war den Erzählern zu verdanken.
Sie hatten nämlich erkannt, dass Märchen genauso wie von den guten, schützenden Mächten, genauso von ihren Gegenspielern existierten. Die Erzähler, überzeugt von der Schlagkraft des Wortes, machten es sich zur Aufgabe, diese Geschichten gleichfalls zu sammeln und zu verbreiten. Die Menschen nun, die beides hörten, erkannten sehr wohl, was in den Erzählungen das Lichte, Edle und was das Schlechte, Hassenswerte war. Viele versuchten auch, danach zu handeln, einige sogar mit Erfolg. Manche gingen indes immer noch an die verderbliche Macht verloren, doch ihre Zahl war nicht größer, als die derer, welche dem rechten Weg folgten. So herrschte immer ein Gleichgewicht zwischen Schwarz und Weiß, Böse und Gut.
Die Erzähler allerdings wussten sehr wohl, wie zerbrechlich ein solcher Friede war. Wenig war nötig, um ihn zu stören. Groß war die Verantwortung, die auf ihren Schultern lastete. Vieles hing von ihrem Wissen über das Weben von Geschichten, dem Kampf mit Wörtern ab, dem Schatz an Historien und Histörchen, die sie in mühevoller Arbeit gesammelt hatten. Was, wenn etwas davon verloren ginge? Wenn ihr Wissen einmal ausstürbe? Wenn es eines Tages eine Generation gebe, die Märchen nicht mehr kannten, oder schlimmer noch, sie nicht wertschätzten? Dies war die Große Furcht, die sie alle umtrieb.
Darum fassten die Erzähler einen Entschluss: Sie alle gemeinsam wollten eine Geschichte erfinden. Ein Märchen, das die Weisheit aller anderen zusammenfasste, Erzählungen aus Norden und Süden, von früher und heute, von Licht und Dunkel. Wer dieses Märchen lese, der sollte sofort wissen, auf welche Weise sie das Niedrige und Schlechte bekämpfen und das Hohe und Gute fördern konnten. Von dieser Erzählung sollten vier Abschriften angefertigt werden, die jeweils von einem der lichten magischen Völker – so nannte man die Elfen, Kobolde, Feen und Zwerge – verwahrt werden sollten. Käme einmal eine Notzeit, so sollte man diese Erzählung hervorholen und laut unter den vier Völkern, besonders aber unter den wankelmütigen Menschen verlesen. Dann sollten sie dem „Meistermärchen“, diesem „Märchen aller Märchen“, die Weisheit entnehmen, die Welt und sich selbst zu retten.“
Mit diesem letzten Satz verstummte Sovia. Nun, ohne ihr gleichmäßiges Murmeln, wurde die Stille im Saal drückend.
Nach zwei Minuten des Schweigens, in denen jeder seinen eigenen Gedanken nachgehangen hatte, wagte Kai schließlich zu äußern: „Und das ist alles?“
Er musste nicht erklären, was er meinte. Jeder im Saal hatte es gespürt: Diese Geschichte war noch nicht zu Ende. Etwas fehlte…
„Was wurde aus dem Plan der Erzähler?“, bohrte der junge Mann weiter, als niemand ihm antwortete. „Haben sie dieses Meistermärchen geschrieben? Wenn ja, warum holt ihr es nicht einfach heraus und löst alle eure Schwierigkeiten mit einem Schlag? Warum stehen wir noch hier herum?“
Die anderen sahen sich betreten an. Schließlich antwortete Viola: „Ja, siehst du, genau da liegt das Problem. Es ist nämlich so: Niemand weiß, wo die Abschriften hingekommen sind. Keine heute lebende Seele, weder magisch noch menschlich, hat einen der Texte je zu Gesicht bekommen oder weiß, wo sie versteckt sind.“
„Also könnte es – rein theoretisch – sogar sein, dass der Plan nie ausgeführt wurde? Dass diese Geschichte gar nicht existieret?“
„Das wollen wir nicht hoffen.“, knarzte die Stimme der Zwergenkönigin. „Eine bessere Hoffnung als sie zu finden besitzen wir nämlich im Moment nicht.“
Na dann: Gute Nacht!
„Und mein Part wäre dabei – was?“
Rí Devin blinkte. „Ich dachte, das sei offensichtlich. Du wirst das Meistermärchen für uns aufspüren.“
„Brauchst du ein Glas Wasser?“, erkundigte sich Fino (oder Finn) besorgt. Kai hatte sich bei Devins Worten vor Schreck verschluckt und hustete nun erbarmungswürdig. Statt einer Antwort winkte er hektisch mit den Armen, während sein entsetztes Gesicht ein klares: „Nie im Leben!“ ausdrückte.
„Ich glaube, ihr müsst ihm diese Ehre erst noch schmackhaft machen.“, schaltete sich Maria das erste Mal seit Beginn dieser merkwürdigen Audienz ein. Irrte er sich oder hörte Kai da eine ganz leichte Spur Ironie heraus?
Kvinne Sovias Augenbrauen schnellten bis zum Haaransatz hinauf. „Man sollte meinen, die Welt vor dem Untergang zu bewahren sei Motivation genug.“
„Er glaubt euch nicht, immer noch nicht.“, entgegnete Maria unbeirrt. „Er hat die Magie mit eigenen Augen gesehen und am eigenen Körper erfahren. Dennoch erklärt ihm sein Verstand, dass nicht real sein kann, was nicht real sein darf.“
„Schluss damit!“, zischte Sovia und es war schwer zu deuten, ob sie damit Kais ablehnende Haltung oder Marias Einmischung meinte. An Viola gewandt hisste sie: „Banríon, bei allem Respekt vor deinem Urteil: Was hast du dir dabei gedacht, uns diesen grünen Jüngling vorzuführen, der nicht mit einem Gramm Phantasie gesegnet ist, dafür mit einem Verstand so biegsam wie ein Schiffsmast?“
Viola biss die Zähne zusammen. Ihr außerordentlich beherrschtes Gesicht und ihr über die Maßen höflicher Tonfall drückten eine Entrüstung aus, die selbst Sovia verstummen ließ. „Kai ist der Enkel seines Großvaters.“, flüsterte sie. „Großvater Grimm war einer der bedeutendsten Märchenerzähler des vergangenen Jahrhunderts. Kai steht ihm in nichts nach. Womöglich wird er eines Tages sogar die Werke seines Großvaters übertreffen. Das hat der alte Grimm mir selbst anvertraut. Ich vertraue Großvaters Gespür und ich habe Kais Geschichten selbst gehört. Wenn es gegenwärtig einen Erzähler gibt, der auf die richtige Weise denkt, um dieses Märchen zu finden, dann er. Das einzige, was ihm dabei im Wege steht, ist sein eigener Sturkopf.“
Damit schloss sie ihre Rede. Übrig blieb das Paar großer, vertrauensvoller Augen, das Kai auf der Stelle festzuhalten schienen. Er schluckte. Das schlechte Gewissen klopfte an die Tür zu seinem Bewusstsein. Das eindeutige „Nein!“, das ihm eben noch auf der Zungenspitze gelegen hatte, kletterte eilig wieder zurück und zog sich eine Decke über den Kopf. Stattdessen hörte er sich andeuten:
„Stelen wir uns einmal vor, ich nähme diesen Auftrag an…?“
Sofort gehörte ihm die geballte Aufmerksamkeit.
Zu spät. Jetzt musst du’s durchziehen.
Kai seufzte. „Wo sollte ich denn mit der Suche anfangen? Ich kann ja wohl schlecht jede einzelne Bibliothek auf diesem Planeten durchforsten.“
„Unsinn.“, keifte Sovia.
„Wie Kvinne Sovia vorhin erklärte“, schaltete sich Devin ein, „wurde je eine Abschrift des Märchens je einem der vier magischen Völker überreicht, die auf der guten Seite stehen. Das Sinnvollste wäre es also, in den königlichen Archiven anzufangen.“
Bilder von Bücherregalen auf einer Fläche von zehn bis zwanzig Fußballfeldern tauchten vor Kais innerem Auge auf.
Viola gewahrte wohl den Anflug von Panik in seiner Mimik, denn sie ergänzte eilig: „Natürlich wirst du dieser Aufgabe nicht allein gegenüberstehen. Die Tradition verlangt, dass dir jeweils ein Vertreter aus jedem der magischen Völker zur Seite steht.“
„Im Auftrag der Zwerge entsende ich Wladimir Georgi.“, verkündete Sovia mit einem würdevollen Nicken in Richtung ihres Untertanen. Der kniete immer noch wie festgenagelt auf dem Boden und quittierte den Befehl seiner Königin nur mit einem zustimmenden Grunzen.
„Die Abgesandten der Kobolde und der Feen sind von ihrem Auftrag bereits unterrichtet.“, fügte Devin hinzu. „Sie warten nur auf deinen Ruf.“
„Für die Elfen werde ich selbst diese Verantwortung übernehmen.“ Viola ignorierte gekonnt Sovias tadelnden Seitenblick.
„Eine Abweichung vom Reglement wird es geben.“ Bei diesen Worten räusperte sich Devin ein wenig unbehaglich. „Fräulein Andersen hat sich bereit erklärt, uns ebenfalls zu unterstützen.“
An dieser Stelle rümpfte Sovia höchst unköniglich die Nase. Maria ignorierte dies wie vieles andere. Statt einer Antwort blinzelte sie Kai verschwörerisch zu.
„Anfangen wirst du im Reich der Feen.“, erläuterte Devin weiter. „Nenne mir einen Zeitpunkt, zu dem du dein Werkbeginnen willst. Du wirst dann rechtzeitig eine Einladung durch die beiden Kvins erhalten.“
Kai zuckte die Schultern. „Würde es euch morgen passen?“
Die Zwillinge schenkten ihm ein freundliches Kinderlächeln. „Wann immer du willst.“, antworteten sie beide zugleich.
Wie bin ich da nur hineingeraten?, fragte sich Kai. Er wollte sich gerade sagen, wie verzweifelt er sei. Im selben Moment machte sich ein prickelndes Gefühl in seinem ganzen Körper breit. Hastig schüttelte er sich, um es zu unterdrücken.
Seltsam: Für einen Moment hätte er es doch fast für Abenteuerlust gehalten…
 



 
Oben Unten