Eitel 60plus

Vor Jahren hätte ich noch einen Eid darauf geleistet, vollkommen uneitel zu sein. Doch seit nicht allzu langer Zeit würde ich damit wohl einen glatten Meineid schwören.
Ja, in meinem Alter. Wie peinlich. Bin inzwischen immerhin Rentner und habe die kommunale Büroarbeitswelt vor gut drei Jahren im dafür noch ziemlich unüblichen Alter von 65 Jahren verlassen. Schlimmer ist allerdings meine grundsätzliche Erkenntnis, dass sich in meinem Alter die wahren persönlichen Eigenheiten bei aller Gegenwehr kaum mehr verbergen lassen. Vermutlich reicht die altersbedingte Energie nicht mehr ganz aus, um mich glaubwürdig zu verstellen.
Am Einfachsten wäre es zu jenen Offensichtlichkeiten ganz selbstverständlich zu stehen. Doch das wäre für mich weder einfach noch selbstverständlich. Nein, ich werde mich nicht einfach so gehen lassen. Ich bin offensichtlich wesentlich eitler, als ich es mir bisher eingestehen wollte.
Früher, in pubertären und nachpubertären Phasen, habe ich Figur, Frisur und Gangart möglichst unauffällig und bei raschem Vorbeigehen in spiegelnden Schaufensterscheiben kontrolliert. Ja, ich habe sogar versucht, mich auf diese Art zu bewundern. Die Gangart männlich wippend (heute würde man cool sagen) zeigte Unternehmungslust. Breite Schultern habe ich geerbt. Der Bauch wies schon frühzeitig ein leichte Wölbung auf, von der ich nur durch tiefes Einatmen und Wölben des Brustkorbs ablenken konnte.
Und dann war da noch die mühsamst zu garnierende Entenschwanzfrisur des damals angesagtesten Rock en Rollers Elvis Presleys. Unter Mithilfe von ungeheuer viel Pomade und bei ziemlich langen Haaren musste die so zurückgekämmt werden, dass am Hinterkopf über dem Hemden- oder Pulloverkragen ein Entenpurzel entstand. Der Sitz der Frisur musste ständig überprüft werden, denn nahezu jeder Windhauch konnte die Frisur in Gefahr bringen.
Natürlich verglichen nur neidische Lästerer und hinterwäldlerische Erwachsene (wie meine Eltern) das kunstvolle Haargebilde mit einem Entenschwanz. Bei uns hieß jene empfindliche Tolle selbstverständlich nur Elvis-Frisur.
Nun gut, das war in Zeiten, als ältere weibliche Teenager noch – warum auch immer – Backfische genannt wurden und männliche sich die Bezeichnung Halbstarke gefallen lassen mussten.
Doch heute - kaum zu glauben - heute begleitet mich in den Schaufensterscheiben der Fußgängerzone unserer rheinischen Stadt immer öfter einer, der es offenbar weniger eilig hat, als der Halbstarke von einst.
Denn mein altes Alter Ego hält sich bedächtigen Schritts neben mir. Mein Kontrollblick achtet automatisch wieder auf Gang, Figur und Frisur. Der Gang ist noch relativ aufrecht, die Figur in Bauchhöhe ausladend und durch Atemtechnik kaum noch beeinflussbar und die pomadefreie Frisur relativ kurzhaarig und weniger füllig. Dafür ersetzt ein Vollbart am Unterhaupt, was auf dem zu Lichtungen neigenden Oberhaupt fehlt.
Ein Grund, die berüchtigte Schiebedachfrisur in Erwägung zu ziehen, besteht allerdings noch nicht. Jene, die mit tiefem Seitenscheitel, langem Deckhaar, von der Seite hochgekämmt mit viel Haarspray die Glatze abdeckt und bereits bei geringen Windstärken hoch klappt. Mit ihr werde ich mich wohl nie der Lächerlichkeit preisgeben. Aber man soll nie nie sagen. Nein, dann doch lieber Vollglatze. Ist zurzeit ohnehin modern. Ich habe allerdings auch mit relativ vollen Haaren schon einen Kopf, der auf Luftzug empfindlich reagiert. Und ein Mützen- oder Hutgesicht habe ich ohnehin nicht. Da werden unweigerlich noch modische Wagnisse auf mich zukommen.
Auf mich zu kam allerdings kürzlich ein Jüngling, offenbar ebenso vertieft in sein wandelndes Abbild. Wir stießen Stirn an Stirn wie zwei Böcke ohne Gehörn. Die eine Stirn gefurcht und faltig, die andere glatt aber pickelig.
„Hey, Alter, kannst du nich aufpassen?“ Der Jungbock hielt sich mit der linken Hand den Kopf, während er mit der rechten eine Hose hochzog, die einen so tiefen Schritt hatte, dass sich seine Knie vermutlichg nackt begegnen konnten und die weit unterhalb der Taille hing. In aller Ruhe prüfte er zunächst deren Sitz im Schaufenster, atmete ein, blähte seinen Brustkorb auf, ballte die Fäuste und wollte rechts an mir vorbei. Ich wollte, zur Vorsicht eher defensiv gestimmt, links an ihm vorbei. Es kam diesmal nur zu einem Fastzusammenstoß, den jener schweigend, aber mit einem äußerst abfälligen Blick kommentierte.
Jetzt blieb ich noch einmal kurz vor dem spiegelnden Schaufenster stehen, fuhr mir durch die Haare, atmete tief ein und wieder aus und wollte konfliktfrei das Weite suchen.
„Wohl eitel, wa?“
Ich nickte. „Ja, wie richtige Männer wohl so sind.“
Der Knabe grinste, gab mir die Hand, genoss noch einen langen Kontrollblick ins Schaufenster und trollte sich. Als er um die nächste Straßenecke verschwand, prüfte ich noch einmal kurz Gang, Figur und Frisur.
 

HelenaSofie

Mitglied
Hallo Karl Feldkamp,
mit Interesse und einem Lächeln habe ich die Geschichte gelesen. Ich staune, wie Du manche Dinge so einfach, aber genau treffend beschreiben kannst z.B. die Schiebedachfrisur oder die Hose, in der sich die nackten Knie begegnen.
Ich überlege noch: Eitel oder nicht? Du weißt, die Grenze ist fließend. Ich sehe das Verhalten als eine noch normale Überprüfung des Aussehens an, die natürlich gerne eine positive Bestätigung haben möchte.

Ich wünsche Dir ein gutes
neues Jahr und weiterhin viele gute Geschichten.
HelenaSofie
 
Liebe Helena,
danke für deinen liebenswürdigen Kommentar. Für mich, der ich mich bis dato für relativ uneitel gehalten habe, ist jene Erkenntnis nicht erschreckend aber selbsterkennend.
Herzliche Grüße
und verspätet alles Gute für das schon laufende Jahr
Karl
 

knychen

Mitglied
eitelkeit ist ganz normal.
musste auch ich im laufe der jahre erfahren.
woher eigentlich die kollektive grundeinschätzung, eitelkeit wäre verwerflich? ein relikt aus einer sehr prüden zeit vielleicht, auf deutschland bezogen würde ich die ausgehende kaiserzeit andenken.
nö, wirklich schön mit blick fürs detail beobachtet oder eine assoziation weitergedacht und sprachlich gekonnt mit lokalkolorit erzählt.
zum thema selbst empfehle ich die satiren von enno prien im satiremagazin "eulenspiegel". ich glaube, dass läuft als rubrik 65+.
und den burschen mit den schlabberhosen kenn ick, der taucht bei mir in "anglizismen" auf.
gruss aus berlin.
knychen
 
Hallo knychen,
danke für den Gruß aus Berlin und den langen Kommentar. Ich denke auch, ohne eine gewisse Eitelkeit ist der Mensch in der Gefah5, sich zu vernachlässigen (besonders im Alter).
Dem "Eulenspiegel"-Hinweis werde ich nachgehen.
Herzliche Grüße (aus dem langweiligen Bergisch Gladbach)
Karl
 



 
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