Elssalhis Tränen

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Charlene

Mitglied
Aus dem Nichts erschuf Eneesh die Welt. Sie formte mit ihren Fingern die Berge, mit ihren Füßen die Täler. Durch ihre Gedanken entstanden Bäume und Pflanzen. Doch als sie fertig war und Eneesh ihr Werk stolz betrachtete, wurde sie traurig. Traurig darüber, dass sie allein war und niemanden hatte, der sie lobte und mit dem sie die Schönheit der Welt bewundern konnte. Und da weinte sie bittere Tränen und diese Tränen wurden zu Wasser auf der Erde. Sie füllten so manches Tal und schufen auf diese Weise Seen und Meere und es war schöner als zuvor.
Nun wollte Eneesh auf keinen Fall mehr alleine sein und sie dachte bei sich, dass sie sicherlich in der Lage war, sich eine Tochter zu formen, wenn sie so etwas Wundervolles wie die Erde hervorgebracht hatte. Eneesh konzentrierte sich, doch es fiel ihr sehr schwer, denn sie war ein Wesen der Augen, das es liebte, Dinge zu betrachten und Nachdenken war nicht ihre Stärke. Eneesh schloss die Augen, weil die wilden Berge mit denweißen Spitzen sie mit ihrer Schönheit sonst abgelenkt hätten und sie wartete und wartete. Schließlich, als ihr Kopf schon zu schmerzen begann, hörte sie das Wundervollste, was sie je gehört hatte. Doch das war kein Wunder, denn bis dahin hatte Eneesh noch nie einen Ton vernommen. Was sollte sie auch mit sich selbst sprechen? Und auch auf der Erde gab es nichts, was sich rührte und somit auch nichts, was klang.
Eneesh war so verzaubert von der Stimme, die nun sprach und als sie die Augen aufschlug, erblickte sie ihre Tochter und die war noch hübscher als alles, was sie zuvor hervorgebracht hatte. Ihr Haar war schwarz und lang und ihre Haut war bleich und sanft, der Mund voll und sie lachte Eneesh an und ihre Augen hatten eine Farbe, die Eneesh noch nie zuvor gesehen hatte. Doch das war kein Wunder, denn Eneesh hatte zuvor nur wenige Farben gesehen. Und in ihrem Entzücken nannte sie ihre Tochter Elssalhi. Bald schon nahm Elssalhi ihre Mutter an der Hand und deutete auf die Welt und sprach:
„Aber sieh doch Mutter – du hast Wundervolles erschaffen, doch es ist still und eintönig und ich bin des Anblicks müde. Lass mich Geschöpfe erschaffen so vielfältig, dass du immer wieder neue Arten entdecken und dich über die Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinung freuen wirst.“ Eneesh überlegte eine Weile, denn sie war mit ihrer Welt zufrieden und konnte sich nicht vorstellen, was ihre Tochter verbessern wollte. Doch schließlich stimmte sie zu, denn wenn sie in die Augen Elssalhis blickte, verschwand jeder Zweifel. Erfreut machte sich Elssalhi ans Werk und zeichnete Formen mit ihren feinen Fingern in die Luft und fuhr so lange fort, dass ihre Mutter wütend wurde, weil sie niemanden mehr zum Reden hatte. Doch endlich war Elssalhi fertig und sie nahm ihre Mutter am Arm, um ihr die neuen Wesen zu zeigen, die sich nun in den Bergen und den Tälern und sogar im Wasser tummelten.
Eneesh betrachtete sich das Werk ihrer Tochter und bekam ganz große Augen und ihre Wangen röteten sich vor Aufregung. Immer neue Geschöpfe machte sie ausfindig und sie war ganz versunken in die Betrachtung. Elssalhi war zufrieden und lächelte und tat es ihrer Mutter gleich.
Aber es dauerte nicht allzu lange, da bemerkte sie, dass etwas fehlte. Es war alles eintönig. Die Welt war dunkel, doch sie wussten nicht, dass es dunkel war, denn sie kannten weder Licht noch Helligkeit. Elssalhi überlegte lange, bis sie sich sicher war und trat erneut vor ihre Mutter.
„Es ist alles sehr schön geworden und ich sehe, dass du dich daran erfreust. Aber sei so lieb und gewähre mir noch eine Bitte. Lass mich eine runde Kugel an den Himmel hängen, die von der Erde aus zu sehen ist und an der sich alle Tiere erfreuen können, so wie wir es an ihnen tun.“ Wieder zog sich Eneesh zurück, um das Anliegen ihrer Tochter zu bedenken, doch sie hatte schon bald eingesehen, dass die Ideen Elssalhis gut waren und dass sie sich aufs Nachdenken viel besser verstand, während Eneesh davon nur immer Kopfweh bekam und so stimmte sie zu.
Begeistert klatschte Elssalhi in die Hände und begann ihre Arbeit. Diesmal brauchte sie nicht so lange und kurze Zeit später prangte der Mond bleich am Himmel und beide Göttinnen waren entzückt, denn nun sahen sie mehr Farben als jemals zuvor. Da waren die Bergspitzen, die weiß leuchteten, das Grün der Wiesen und Felder und die einzigartigen Farben der Blumen. Die Tiere kamen aus ihren Unterschlüpfen hervor, um das bleiche Gesicht am Himmel zu bewundern.
Eneesh freute sich über das Werk ihrer Tochter und gewährte ihr, die Göttin des Mondes zu sein, während sie die Göttin der Erde und Mutter aller Dinge blieb. So verging die Zeit und Elssalhi war zufrieden, vom Himmel aus dem Treiben auf der Erde zuzusehen und sich daran zu erfreuen. Eneesh dagegen sehnte sich nach Gesellschaft, war es aber müde immer den beschwerlichen Weg zum Mond hinaufzuklettern und beschloss, eine weitere Tochter zu erschaffen. Inspiriert vom Mondlicht formte sie das zweite Mädchen und als sie die Augen öffnete, war sie genauso entzückt wie beim Anblick Elssalhis.
Vor ihr stand eine junge Frau mit schulterlangem silbernen Haar und Augen so schwarz wie die Nacht. Sie taufte ihre Tochter auf den Namen Sar. Elssalhi nahm ihre Schwester mit Freude auf und die beiden verstanden sich gut.
Elssalhi schlug vor, neben den Mond kleine Lichtpunkte an den Himmel zu hängen und Sar zur Herrscherin der Sterne zu machen. Begeistert stimmte die Jüngere zu und Eneesh ließ die beiden gewähren. So konnten Elssalhi und Sar gemeinsam vom Himmel auf die Erde schauen und Eneesh musste sich nicht so anstrengen, um eine ihrer Töchter aufzusuchen, da viele der Sterne fast die Erde berührten. Doch Elssalhis Geist regte sich bald wieder und neue Pläne begannen sich in ihrem Kopf zu formen. Denn auch wenn es interessant war, den Tieren zuzusehen, folgte alles einer Regelmäßigkeit, der sie bald überdrüssig wurde und sie beschloss, Wesen zu erschaffen, die ihrer Schwester und Mutter ähnlich sahen und weil sie bei den Tieren schon Männchen und Weibchen hervorgebracht hatte, wollte sie dies auch bei ihrer neuesten Schöpfung tun.
Und so begannen die Menschen, die Erde zu besiedeln. Elssalhi hatte sie mit Verstand und Sprache bedacht und erhoffte sich einen Ausbruch aus der Berechenbarkeit der bisherigen Welt. Als sie ihrer Mutter und Schwester die Überraschung eröffnete, staunten diese und konnten ihren Blick kaum mehr von den Menschen abwenden, so fasziniert waren sie. Glücklich verfolgte auch Elssalhi das neue Treiben, das ihrer Idee entsprungen war. Nun war sie endgültig zufrieden.
Die Menschen verehrten Eneesh als die Mutter aller Dinge, aber sie erkannten, dass sie der Kopfarbeit abgeneigt war und nannten sie deshalb auch die Einfältige. Eneesh lachte über den Namen und erkannte die Wahrheit, die darin lag und akzeptierte ihn.
Sar wurde besonders von den Frauen bewundert, die oft Nächte damit verbrachten, verträumt zu ihr hinaufzusehen, die Sterne zu betrachten und zu ihr zu beten.
Als höchste Göttin jedoch verehrten sie Elssalhi, in der sie die wahre Schöpferin ihrer Art erkannten und die vor allem von den Männern ob ihrer Schönheit angebetet wurde. So war eigentlich alles gut, nur dass Sar mürrischer und mürrischer wurde. Sie fand sich viel hübscher als ihre dunkle Schwester und dachte, es sei ungerecht, dass sie unwichtiger als der Mond sein sollte. So suchte sie unter den Menschen nach Zerstreuung und traf schließlich einen Menschenmann, der ihre Augen blitzen ließ. Er war groß und stattlich und hatte feuerrotes Haar, von dem sie den Blick nicht mehr abwenden konnte. Mit klopfendem Herzen machte sich Sar zu ihrer Mutter auf und bettelte darum, dass Eneesh doch einen Mann ihrer Art nach dem Bildnis dieses Menschen erschaffen solle. Zögerlich stimmte die Mutter zu und erfüllte den Wunsch ihrer Tochter, indem sie Nar gebar.
Sar machte sich sogleich daran, wieder auf die Erde hinab zusteigen und den Menschenmann mit den roten Haaren aufzusuchen und als sie ihm gegenüberstand und er ihr erwartungsvoll die Arme entgegenstreckte, hob sie einen Stein vom Boden auf und schlug ihm damit auf den Kopf, so dass er auf den Boden fiel und sein Haar durch das Blut noch roter wurde als zuvor. Denn er war nun ein Gott geworden und die Menschen waren nicht würdig, einen ihrer Art unter sich zu haben. So brachte Sar den Tod in die Welt aller Lebewesen, die zuvor wie ihre Götter unsterblich gewesen waren.
Elssalhi war erzürnt über die Tat ihrer Schwester und wollte sie zur Rede stellen, aber Nar, der ebenso brennendes Haar wie sein Vorbild hatte, stellte sich schützend vor Sar. Elssalhi war machtlos, da Nar so hell am Himmel leuchtete, dass er alles überstrahlte und sie geblendet ihren Blick abwenden musste. Wie ein riesiger Feuerball loderte er glühendrot am Firmament und die Lebewesen versteckten sich alle vor Furcht, denn sie konnten weder Elssalhi noch Sar mehr am Himmel entdecken. In ihrer Verzweiflung wandten sich die Menschen an die Urmutter und beteten zu ihr.
Eneesh überlegte und entschied, dass Nar und Elssalhi abwechselnd am Himmel scheinen sollten. So kam es, dass der Wechsel zwischen Tag und Nacht entstand. Und nun erst waren all die schönen Farben zu erkennen, mit denen Eneesh bei der Schöpfung der Erde die Welt beschenkt hatte. Elssalhi konnte sich kaum satt sehen und manchmal kam es vor, dass sie sich von dem farbenprächtigen Anblick nicht einmal losreißen konnte, wenn ihre Zeit um war und sie immer noch als weißer Umriss am Himmel stand, wenn Nar schon längst seine tägliche Reise angetreten hatte.
Sar hingegen wurde unzufriedener, da sie Elssalhi ihre Stellung noch immer neidete. Aufsässig begann sie, ab und zu Sterne auf den Mond zu werfen und ihre Schwester so zu ärgern. Aber Elssalhi ertrug Sars Benehmen mit Gleichmut, während sich die Menschen an den Sternschnuppen erfreuten.
Sar verbrachte nun lieber Zeit mit Nar anstatt an der Seite des Monds und weil er ihr silbernes Haar liebte, ließ sie es wachsen und es wurde ihr ganzer Stolz. Sie neckte ihre Schwester wegen ihres rabenschwarzen Haares und wurde stolzer, je länger ihr silbernes Haar wurde. Es hatte die Farbe flüssigen Mondlichts und Sars Überzeugung, dass sie die rechtmäßige Mondgöttin sei, wuchs und Nar stimmte ihr zu, während sein lodernder Blick auf ihr ruhte.
Sar hatte sich noch nie wirklich Gedanken gemacht, denn sie verabscheute das nachdenkliche Wesen ihrer Schwester und wusste, dass ihre Mutter davon immer furchtbare Kopfschmerzen bekam, doch nun zog sie sich zurück und grübelte, bis sich ein Plan in ihrem Kopf geformt hatte, der ihr gefiel. Als sie ihre Idee Nar unterbreitete, willigte er ein, ihr bei der Verwirklichung zu helfen und so kam es, dass am nächsten Tag die Sonne nicht aufging.
Besorgt begannen Eneesh und Elssalhi nach Nar zu suchen. Elssalhi ahnte nichts Böses, denn sie mochte ihren Bruder und nahm den Neid ihrer Schwester nicht ernst und so war sie überrascht, als sie plötzlich von beiden angegriffen wurde. Sie befanden sich in einem entlegenen Winkel der Erde, vergessen von den Menschen und von den Tieren, ja selbst Eneesh war es entfallen, dass es dieses Tal, eingeschlossen von hohen Bergen, gab.
Es war ein schlimmer Kampf, der lange dauerte, denn Elssalhi wehrte sich nach Kräften und ihre Geschwister schreckten vor Gewalt nicht zurück. Der sonnenlose Tag neigte sich dem Ende zu und als schließlich die Nacht hereinbrach, wurde nicht nur die verzweifelte Eneesh, sondern auch alle Lebewesen auf der Erde Zeugen des Geschwisterverrats. Der Mond, der sonst jede Nacht als runde Kugel am Himmel zwischen den Sternen geprangt hatte, wurde immer dünner und nahm die Form einer Sichel an, wie die Menschen sie zum Schneiden von Gras benutzten. Elssalhis Kräfte schwanden zusehends unter den heftigen Attacken und als sie dann geschlagen und ohne Bewusstsein zu Boden sank, verschwand der Mond schließlich ganz und jeder einzelne Stern leuchtete heller als jemals zuvor.
Sar und Nar ließen Elssalhi verletzt in der Einsamkeit zurück und teilten Eneesh mit, was sie getan hatten. Erzürnt über die Tat ihrer Kinder suchte sie nach Elssalhi, doch weil sie kopflos und überstürzt von einem Ort zum anderen raste, übersah sie den Eingang zu dem kleinen Tal, in dem Elssalhi immer noch bewusstlos lag. Fast wahnsinnig vor Angst und Zorn tauchte Eneesh tief in die Erde hinab und verschanzte sich.
So sahen weder sie noch Elssalhi, wie Sar, die den mondlose Nachthimmel nicht mochte, viele Sterne auf einem Punkt konzentrierte und versuchte, daraus mit ihren Händen eine Kugel zu formen. Es gelang ihr, doch leuchtete der neue Mond nicht gleichmäßig hell und wies an einigen Stellen immer noch Löcher auf. Sar wandte sich an ihren Bruder und Geliebten und bat ihn, ihr etwas von seiner Helligkeit abzugeben. Nar gewährte ihren Wunsch und schenkte ihr einen Teil seines Feuers und der Mond hatte seinen alten Glanz wieder. Doch auch Nars Hilfe vermochte nicht zu verhindern, dass der Mond nun nur noch eine Nacht lang seine runde Form hatte und danach begann, sich in eine schmale Sichel zu verwandeln, ganz zu verschwinden und anschließend langsam wieder anzuwachsen. Und auch Nar musste für das Geschenk, das er seiner Schwester gemacht hatte, bezahlen. Denn als am nächsten Tag die Sonne aufging, waren die Menschen erstaunt, denn sie war nun nicht mehr rot, sondern strahlte in einem hellen Gelb.
Eneesh kochte vor Wut über den Frevel ihrer Kinder, während sie im Inneren der Erde ausharrte. Als sie ihren Zorn nicht mehr zügeln konnte, begann sie zu glühen und brachte die Erde innerlich zum Brodeln, bis einige der von Eneesh so geliebten weißen Berggipfel weggesprengt wurden. Glühender, roter, flüssiger Stein aus dem Erdinneren wurde in die Luft geschleudert, rann und floss die Abhänge hinunter und erstarrte schließlich in bizarren Formen wieder zu festem Gestein.
Während all dies geschah, erholte sich Elssalhi langsam wieder und ihre Wunden heilten. Als sie wieder gesund war, erblickte sie am Nachthimmel ihre Schwester, die nun selbst stolz zwischen all den Sternen prangte, die auch durch ihre Kraft leuchteten. Da hörte sie die kichernde Stimme Sars:
„Liebe Schwester, sei mir nicht gram. Ich stürzte dich nur zu deinem Besten, denn du drohtest, eingebildet zu werden. Nar und ich wollten dich nur vor dir selbst beschützen. Komm, nimm meine Hand und kehre an meine Seite zurück. Die Sterne werden um so schöner funkeln, wenn du sie mit deinen Fingerspitzen streifst.“ Traurig und verärgert zugleich, hielt Elssalhi sich die Ohren zu, bis die Stimme ihrer Schwester endlich verklungen war. Sie war traurig darüber, ihre Geschwister verloren zu haben, da sie wusste, dass es ihr nie mehr möglich sein konnte, ihnen in Frieden zu begegnen. Elssalhi wandte sich von ihren Geschwistern ab, da sie die Nähe zu ihnen kaum mehr ertragen konnte.
Sie zog sich in die entlegenste Ecke der Welt zurück, hüllte sich zum Schutz vor der Kälte in ihre eigenen pechschwarzen Haare und weinte bittere Tränen. Doch jede Träne gefror, noch ehe sie auf den Boden fiel und nahm die Farbe ihrer Augen an. Elssalhis Leid war groß und sie vergoss viele Tränen und so, erzählt man sich, entstand die große Wüste, gefüllt mit Sand, den gefrorenen Tränen der gestürzten Mondgöttin. Doch mit jeder Nacht, in der sie das bleiche Antlitz ihrer Schwester am Himmel eingerahmt vom Blitzen der Tausende von Sternen ertragen musste, schwand ihre Trauer und wich Wut. Sie ersann einen Plan, ihre Schwester zu Fall zu bringen und erschuf schließlich den Wind, denn bisher gab es auf der Erde noch nichts, das die Gräser sanft wiegen oder Blätter der Bäume rascheln lassen konnte. Sie ließ den Wind toben und wüten, an ihrer Schwester rütteln und zerren, doch ohne Erfolg. Niedergeschlagen gab Elssalhi auf und wollte sich vor Scham über ihr Scheitern verstecken. Sie stellte sich in ihre Tränen und ließ den Wind die Sandkörner aufwirbeln und einen gewaltigen Sandsturm die Wüste heimsuchen, der alles Leben zu verschlucken suchte. Als ihr größter Zorn abgeklungen war, zog Elssalhi sich in eine Höhle im Gebirge am Rande der Wüste zurück. Dort saß sie und wartete, ohne zu wissen, worauf.
Die Menschen vergaßen sie und verehrten nun Sar als ihre Schöpferin und der Name Elssalhi war nur noch wenigen Lebewesen im Gedächtnis. Als ihr dies gewahr wurde, ersann sie eine List, mit der sie ihre abtrünnige Schwester hintergehen wollte. In einer Neumondnacht konzentrierte sich Elssalhi so, wie sie es einst bei der Schöpfung aller Tiere und Menschen getan hatte, und diesmal formte sie Geister und Nymphen, die von nun an in jedem Baum, jedem Fluss, jedem Stein ihr Zuhause fanden. Besonders Mächtige fanden ihren Platz in den großen Seen und Meeren und weil sie alle Elssalhi als ihre Herrin anerkannten, hatte sie still und heimlich die Macht ihrer Schwester untergraben, ohne dass es von irgend jemandem bemerkt worden wäre. Es dauerte nicht lange und die Menschen begegneten den Flussgeistern mit der blau schimmernden Haut und dem triefenden Haar, den nach Erde und Wald duftenden Geistern der Bäume und den schlanken Nymphen, die sich am Ufer räkelten und Nar in Versuchung führten.
Die Menschen erkannten den göttlichen Ursprung dieser Wesen und bauten ihnen Schreine und Tempel und opferten ihnen genauso wie sie Sar und Nar und der Urmutter Eneesh opferten. Sar sah diese neuen Wesen, deren Ursprung sie nicht zu ergründen vermochte, mit Missfallen, aber sie wagte es nicht, etwas gegen sie zu unternehmen und so nahm sie ihr Erscheinen hin.
Elssalhi hingegen triumphierte über die Dummheit ihrer Schwester, denn ohne dass diese es bemerkt hatte, hatte Sar einen großen Teil der Kontrolle über die Vorgänge auf der Erde verloren und Elssalhi war es nun, die die Fäden im Verborgenen zog. Sie war es, die darüber bestimmen konnte, ob den Seeleuten die Winde günstig standen, der Gott des Meeres ihnen wohlgesonnen war und sie beeinflusste den Ertrag der Ernte, den die Götter der Felder den Bauern zugestanden.
Doch es war nicht ihr Anliegen, die Geschicke der Menschen zu lenken. Alleine das Wissen, dass ihre Schwester nur dem Schein nach die Herrscherin allen Lebens war, war ihr Genugtuung genug und so blieb sie in ihrer Höhle, umhüllt von ewiger Nacht, denn dazu war sie geworden. Auch wenn Sar in vollem Glanze vom Himmel strahlte, war Elssalhi die Göttin der Nacht, die in der Dunkelheit am Rande ihrer Höhle mitten in der Wüste saß. Der Wind, dessen Patronin und Schöpferin sie war, spielte mit ihrem langen schwarzen Haar, das die Farbe von Rabenfedern hatte, und ihre sandfarbenen Augen, die einst so viele Tränen vergossen und damit die ganze Wüste gefüllt hatten, blickten in den Nachthimmel und sahen dabei zu, wie ihr Wind stetig am Mond rüttelte.


Über Kommentare, Kritik oder Anregungen würde ich mich sehr freuen. Charlene.
 

Nieselregen

Mitglied
Hallo Charlene,

deine Geschichte liest sich wie eine, aus uralter Zeit überlieferte, Schöpfungsgeschichte. Und genau das war wohl auch deine Absicht zu schreiben. Auch die Sprache in der du sie geschrieben hast, entspricht meiner Meinung nach dem Ton, den man sich z.B. bei nativen Völkern vorstellen könnte.
...Doch was ist mit den Wolken? Wie wäre es wenn Elssalhis ihren Geschwistern Wolken schickt, so dass sie zeitweise nicht zu sehen sind?

Liebe Grüße
Nieselregen
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Korrekturvorschläge:

Elssalhis Tränen
Veröffentlicht von Charlene am 19. 01. 2005 17:14
Aus dem Nichts erschuf Eneesh die Welt. Sie formte mit ihren Fingern die Berge, mit ihren Füßen die Täler. Durch ihre Gedanken entstanden Bäume und Pflanzen. Doch als sie fertig war und Eneesh ihr Werk stolz betrachtete, wurde sie traurig. Traurig darüber, dass sie allein war und niemanden hatte, der sie lobte und mit dem sie die Schönheit der Welt bewundern konnte. Und da weinte sie bittere Tränen und diese Tränen [red] wurde [/red] (wurden) zu Wasser auf der Erde. Sie füllten so manches Tal und schufen auf diese Weise Seen und Meere und es war schöner als zuvor. (Absatz)Nun wollte Eneesh auf keinen Fall mehr alleine sein und sie dachte bei sich, dass sie sicherlich in der Lage war, sich eine Tochter zu formen, wenn sie so etwas Wundervolles wie die Erde hervorgebracht hatte. Eneesh konzentrierte sich, doch es fiel ihr sehr schwer, denn sie war ein Wesen der Augen, das es liebte, Dinge zu betrachten und Nachdenken war nicht ihre Stärke. Eneesh schloss die Augen, weil die wilden Berge mit den(getrennt)weißen Spitzen sie mit ihrer Schönheit sonst abgelenkt hätten und sie wartete und wartete. Schließlich, als ihr Kopf schon zu schmerzen begann, hörte sie das[red] wundervollste[/red] (Wundervollste), was sie je gehört hatte. Doch das war kein Wunder, denn bis dahin hatte Eneesh noch nie einen Ton vernommen. Was sollte sie auch mit sich selbst sprechen? Und auch auf der Erde gab es nichts, was sich rührte und somit auch nichts, was klang. (Absatz)Eneesh war so verzaubert von der Stimme, die nun sprach und als sie die Augen aufschlug(Komma) erblickte sie ihre Tochter und die war noch hübscher,(kein Komma) als alles, was sie zuvor hervorgebracht hatte. Ihr Haar war schwarz und lang und ihre Haut war bleich und sanft, der Mund voll und sie lachte Eneesh an und ihre Augen hatten eine Farbe, die Eneesh noch nie zuvor gesehen hatte. Doch das war kein Wunder, denn Eneesh hatte zuvor nur wenige Farben gesehen. Und in ihrem Entzücken nannte sie ihre Tochter Elssalhi. Bald schon nahm Elssalhi ihre Mutter an der Hand und deutete auf die Welt und sprach:
„Aber sieh doch Mutter – du hast Wundervolles erschaffen, doch es ist still und eintönig und ich bin [red] dem Anblick [/red] (des Anblicks) müde. Lass mich Geschöpfe erschaffen so vielfältig, dass du immer wieder neue Arten entdecken und dich über die Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinung freuen wirst.“ Eneesh überlegte eine Weile, denn sie war mit ihrer Welt zufrieden und konnte sich nicht vorstellen, was ihre Tochter verbessern wollte. Doch schließlich stimmte sie zu, denn wenn sie in die Augen Elssalhis blickte, verschwand jeder Zweifel. Erfreut machte sich Elssalhi ans Werk und zeichnete Formen mit ihren feinen Fingern in die Luft und fuhr so lange fort, dass ihre Mutter wütend wurde, weil sie niemanden mehr zum Reden hatte. Doch endlich war Elssalhi fertig und sie nahm ihre Mutter am Arm, um ihr die neuen Wesen zu zeigen, die sich nun in den Bergen und den Tälern und sogar im Wasser tummelten. (Absatz)Eneesh betrachtete sich das Werk ihrer Tochter und bekam ganz große Augen und ihre Wangen röteten sich vor Aufregung. Immer neue Geschöpfe machte sie ausfindig und sie war ganz versunken in die Betrachtung. Elssalhi war zufrieden und lächelte und tat es ihrer Mutter gleich.
Aber es dauerte nicht allzu lange, da bemerkte sie, dass etwas fehlte. Es war alles eintönig. Die Welt war dunkel, doch sie wussten nicht, dass es dunkel war, denn sie kannten weder Licht noch Helligkeit. Elssalhi überlegte lange, bis sie sich sicher war und trat erneut vor ihre Mutter.
„Es ist alles sehr schön geworden und ich sehe, dass du dich daran erfreust. Aber sei so lieb und gewähre mir noch eine Bitte. Lass mich eine runde Kugel an den Himmel hängen, die von der Erde aus zu sehen ist und an der sich die [blue] ganzen [/blue] (überflüssig. Halbe Tiere gibt es nicht) Tiere erfreuen können, so wie wir es an ihnen tun.“ Wieder zog sich Eneesh zurück(Komma) um das Anliegen ihrer Tochter zu bedenken, doch sie hatte schon bald eingesehen, dass die Ideen Elssalhis gut waren und dass sie sich aufs Nachdenken viel besser verstand, während Eneesh davon nur immer Kopfweh bekam und so stimmte sie zu. (Absatz)Begeistert klatschte Elssalhi in die Hände und begann ihre Arbeit. Diesmal brauchte sie nicht so lange und kurze Zeit später prangte der Mond bleich am Himmel und beide Göttinnen waren entzückt, denn nun sahen sie mehr Farben als jemals zuvor. Da waren die Bergspitzen, die weiß leuchteten, das Grün der Wiesen und Felder und die einzigartigen Farben der Blumen. Die Tiere kamen aus ihren Unterschlüpfen hervor, um das bleiche Gesicht am Himmel zu bewundern. (Absatz)Eneesh freute sich über das Werk ihrer Tochter und gewährte ihr, die Göttin des Mondes zu sein, während sie die Göttin der Erde und Mutter aller Dinge blieb. So verging die Zeit und Elssalhi war zufrieden(Komma) vom Himmel aus dem Treiben auf der Erde zuzusehen und sich daran zu erfreuen. Eneesh dagegen sehnte sich nach Gesellschaft, war es aber müde(Komma) immer den beschwerlichen Weg zum [blue] Mund [/blue] (hier meinst du wohl Mond?) hinaufzuklettern und beschloss, eine weitere Tochter zu erschaffen. Inspiriert vom Mondlicht formte sie das zweite Mädchen und als sie die Augen öffnete, war sie genauso entzückt wie beim Anblick Elssalhis. (Absatz)Vor ihr stand eine junge Frau mit schulterlangem silbernen Haar und Augen so schwarz wie die Nacht. Sie taufte ihre Tochter auf den Namen Sar. Elssalhi nahm ihre Schwester mit Freude auf und die beiden verstanden sich gut. (Absatz)Elssalhi schlug vor, neben den Mond kleine Lichtpunkte an den Himmel zu hängen und Sar zur Herrscherin der Sterne zu machen. Begeistert stimmte die Jüngere zu und Eneesh ließ die beiden gewähren. So konnten Elssalhi und Sar gemeinsam vom Himmel auf die Erde schauen und Eneesh musste sich nicht so anstrengen, um eine ihrer Töchter aufzusuchen, da viele der Sterne fast die Erde berührten. Doch Elssalhis Geist regte sich bald wieder und neue Pläne begannen sich in ihrem Kopf zu formen. Denn auch wenn es interessant war, den Tieren zuzusehen, folgte alles einer Regelmäßigkeit, der sie bald überdrüssig wurde und sie beschloss, Wesen zu erschaffen, die ihrer Schwester und Mutter ähnlich sahen und weil sie bei den Tieren schon Männchen und Weibchen hervorgebracht hatte, wollte sie dies auch bei ihrer neuesten Schöpfung tun. (Absatz)Und so begannen die Menschen, die Erde zu besiedeln. Elssalhi hatte sie mit Verstand und Sprache bedacht und erhoffte sich einen Ausbruch aus der Berechenbarkeit der bisherigen Welt. Als sie ihrer Mutter und Schwester die Überraschung eröffnete, staunten diese und konnten ihren Blick kaum mehr von den Menschen abwenden, so fasziniert waren sie. Glücklich verfolgte auch Elssalhi das neue Treiben, das ihrer Idee entsprungen war. Nun war sie endgültig zufrieden.
Die Menschen verehrten Eneesh als die Mutter aller Dinge, aber sie erkannten, dass sie der Kopfarbeit abgeneigt war und nannten sie deshalb auch die Einfältige. Eneesh lachte über den Namen und erkannte die Wahrheit, die darin lag und akzeptierte ihn.
Sar wurde besonders von den Frauen bewundert, die oft Nächte damit verbrachten(Komma) verträumt zu ihr hinaufzusehen, die Sterne zu betrachten und zu ihr zu beten.
Als höchste Göttin jedoch verehrten sie Elssalhi, in der sie die wahre Schöpferin ihrer Art erkannten und die vor allem von den Männern ob ihrer Schönheit [red] angbetet [/red] (angebetet) wurde. So war eigentlich alles gut, nur dass Sar mürrischer und mürrischer wurde. Sie fand sich viel hübscher als ihre dunkle Schwester und dachte, es sei ungerecht, dass sie unwichtiger als der Mond sein sollte. So suchte sie unter den Menschen nach Zerstreuung und traf schließlich einen Menschenmann, der ihre Augen blitzen ließ. Er war groß und stattlich und hatte feuerrotes Haar, von dem sie den Blick nicht mehr abwenden konnte. Mit klopfendem Herzen machte sich Sar zu ihrer Mutter auf und bettelte darum, dass Eneesh doch einen Mann ihrer Art nach dem Bildnis dieses Menschen erschaffen solle. Zögerlich stimmte die Mutter zu und erfüllte den Wunsch ihrer Tochter, indem sie Nar gebar.
Sar machte sich sogleich daran(Komma) wieder auf die Erde hinab(getrennt)zusteigen und den Menschenmann mit den roten Haaren aufzusuchen und als sie ihm gegenüberstand und er ihr erwartungsvoll die Arme entgegenstreckte, hob sie einen Stein vom Boden auf und schlug ihm damit auf den Kopf, so dass er auf den Boden fiel und sein Haar durch das Blut noch roter wurde als zuvor. Denn er war nun ein Gott geworden und die Menschen waren nicht würdig, einen ihrer Art unter sich zu haben. So brachte Sar den Tod in die Welt aller Lebewesen, die zuvor wie ihre Götter unsterblich gewesen waren. (Absatz)Elssalhi war [red] entzürnt [/red] (erzürnt) über die Tat ihrer Schwester und wollte sie zur Rede stellen, aber Nar, der ebenso brennendes Haar wie sein Vorbild hatte, stellte sich schützend vor Sar. Elssalhi war machtlos, da Nar so hell am Himmel leuchtete, dass er alles überstrahlte und sie geblendet ihren Blick abwenden musste. Wie ein riesiger Feuerball loderte er glühendrot am Firmament und die Lebewesen versteckten sich alle vor Furcht, denn sie konnten weder Elssalhi noch Sar mehr am Himmel entdecken. In ihrer Verzweiflung wandten sich die Menschen an die Urmutter und beteten zu ihr. (Absatz)Eneesh überlegte und entschied, dass Nar und Elssalhi abwechselnd am Himmel scheinen sollten. So kam es, dass der Wechsel zwischen Tag und Nacht entstand. Und nun erst waren all die schönen Farben zu erkennen, mit denen Eneesh bei der Schöpfung der Erde die Welt beschenkt hatte. Elssalhi konnte sich kaum satt sehen und manchmal kam es vor, dass sie sich von dem farbenprächtigen Anblick nicht einmal losreißen konnte, wenn ihre Zeit um war und sie immer noch als weißer Umriss am Himmel stand, wenn Nar schon längst seine tägliche Reise angetreten hatte.
Sar hingegen wurde unzufriedener, da sie Elssalhi ihre Stellung noch immer neidete. Aufsässig begann sie, ab und zu Sterne auf den Mond zu werfen und ihre Schwester so zu ärgern. Aber Elssalhi ertrug Sars Benehmen mit Gleichmut, während sich die Menschen an den Sternschnuppen erfreuten.
Sar verbrachte nun lieber Zeit mit Nar anstatt an der Seite des Monds und weil er ihr silbernes Haar liebte, ließ sie es wachsen und es wurde ihr ganzer Stolz. Sie neckte ihre Schwester wegen ihres [red] rabenschwarzes [/red] (rabenschwarzen) Haares und wurde stolzer(Komma) je länger ihr silbernes Haar wurde. Es hatte die Farbe flüssigen Mondlichts und Sars Überzeugung, dass sie die rechtmäßige Mondgöttin sei, wuchs und Nar stimmte ihr zu, während sein lodernder Blick auf ihr ruhte. (Absatz)Sar hatte sich noch nie wirklich Gedanken gemacht, denn sie verabscheute das nachdenkliche Wesen ihrer Schwester und wusste, dass ihre Mutter davon immer furchtbare Kopfschmerzen bekam, doch nun zog sie sich zurück und grübelte, bis sich ein Plan in ihrem Kopf geformt hatte, der ihr gefiel. Als sie ihre Idee Nar unterbreitete, willigte er ein, ihr bei der Verwirklichung zu helfen und so kam es, dass am nächsten Tag die Sonne nicht aufging. (Absatz)Besorgt begannen Eneesh und Elssalhi nach Nar zu suchen. Elssalhi ahnte nichts[red] böses[/red] (Böses), denn sie mochte ihren Bruder und nahm den Neid ihrer Schwester nicht ernst und so war sie überrascht, als sie plötzlich von beiden angegriffen wurde. Sie befanden sich in einem entlegenen Winkel der Erde, vergessen von den Menschen und von den Tieren, ja selbst Eneesh war es entfallen, dass es dieses Tal, eingeschlossen von hohen Bergen, gab. (Absatz)Es war ein schlimmer Kampf, der lange dauerte, denn Elssalhi wehrte sich nach Kräften und ihre Geschwister schreckten vor Gewalt nicht zurück. Der sonnenlose Tag neigte sich dem Ende zu und als schließlich die Nacht hereinbrach, wurde nicht nur die verzweifelte Eneesh(Komma) sondern auch alle Lebewesen auf der Erde Zeugen des Geschwisterverrats. Der Mond, der sonst jede Nacht als runde Kugel am Himmel zwischen den Sternen geprangt hatte, wurde immer dünner und nahm die Form einer Sichel an, wie die Menschen sie zum Schneiden von Gras benutzten. Elssalhis Kräfte schwanden zusehends unter den heftigen Attacken und als sie dann geschlagen und ohne Bewusstsein zu Boden sank, verschwand der Mond schließlich ganz und jeder einzelne Stern leuchtete heller als jemals zuvor. (Absatz)Sar und Nar ließen Elssalhi verletzt in der [red] EInsamkeit [/red] (Einsamkeit) zurück und teilten Eneesh mit, was sie getan hatten. [red] Entzürnt [/red] über die Tat ihrer Kinder suchte sie nach Elssalhi, doch weil sie kopflos und überstürzt von einem Ort zum anderen raste, übersah sie den Eingang zu dem kleinen Tal, in dem Elssalhi immer noch bewusstlos lag. Fast wahnsinnig vor Angst und Zorn tauchte Eneesh tief in die Erde hinab und verschanzte sich.
So sahen weder sie noch Elssalhi, wie Sar, die den mondlose Nachthimmel nicht[red] mochtel[/red] (mochte), viele Sterne auf einem Punkt konzentrierte und versuchte, daraus mit ihren Händen eine Kugel zu formen. Es gelang ihr, doch leuchtete der neue Mond nicht gleichmäßig hell und wies an einigen Stellen immer noch Löcher auf. Sar wandte sich an ihren Bruder und Geliebten und bat ihn, ihr etwas von seiner Helligkeit abzugeben. Nar gewährte ihren Wunsch und schenkte ihr einen Teil seines [red] Feuer [/red] (Feuers) und der Mond hatte seinen alten Glanz wieder. Doch auch Nars Hilfe vermochte nicht zu verhindern, dass der Mond nun nur noch eine Nacht lang seine runde Form hatte und danach begann, sich in eine schmale Sichel zu verwandeln, ganz zu verschwinden und anschließend langsam wieder anzuwachsen. Und auch Nar musste für das Geschenk, das er seiner Schwester gemacht hatte, bezahlen. Denn als am nächsten Tag die Sonne aufging, waren die Menschen erstaunt, denn sie war nun nicht mehr rot, sondern strahlte in einem hellen Gelb.
Eneesh kochte vor Wut über den Frevel ihrer Kinder, während sie im Inneren der Erde ausharrte. Als sie ihren Zorn nicht mehr zügeln konnte, begann sie zu glühen und brachte die Erde innerlich zum Brodeln, bis einige der von Eneesh so geliebten weißen Berggipfel weggesprengt wurden. Glühender, roter, flüssiger Stein aus dem Erdinneren [red] wude [/red] (wurde) in die Luft geschleudert, rann und floss die Abhänge hinunter und erstarrte schließlich in bizarren Formen wieder zu festem Gestein.
Während all dies geschah, erholte sich Elssalhi langsam wieder und ihre Wunden heilten. Als sie wieder gesund war, erblickte sie am Nachthimmel ihre Schwester, die nun selbst stolz zwischen all den Sternen prangte, die auch durch ihre Kraft leuchteten. Da hörte sie die kichernde Stimme Sars:
„Liebe Schwester, sei mir nicht gram. Ich stürzte dich nur zu deinem[red] besten[/red] (Besten), denn du drohtest(Komma) eingebildet zu werden. Nar und ich wollten dich nur vor dir selbst beschützen. Komm, nimm meine Hand und kehre an meine Seite zurück. Die Sterne werden um so schöner funkeln, wenn du sie mit deinen Fingerspitzen streifst.“ Traurig und verärgert zugleich, hielt Elssalhi sich die Ohren zu, bis die Stimme ihrer Schwester endlich verklungen war. Sie war [blue] traurig über [/blue] (traurig darüber, ihre Geschwister verloren zu haben) den Verlust ihrer Geschwister, weil sie wusste, dass es ihr nie mehr möglich sein konnte, ihnen in Frieden zu begegnen. Elssalhi wandte sich von ihren Geschwistern ab, da sie die Nähe zu ihnen kaum mehr ertragen konnte.
Sie zog sich in die entlegenste Ecke der Welt zurück, hüllte sich zum Schutz vor der Kälte in ihre eigenen pechschwarzen Haare und weinte bittere Tränen. Doch jede Träne gefror, noch ehe sie auf den Boden fiel und nahm die Farbe ihrer Augen an. Elssalhis Leid war groß und sie [red] vergoß [/red] (vergoss) viele Tränen und so, erzählt man sich, entstand die große Wüste, gefüllt mit Sand, den gefrorenen Tränen der gestürzten Mondgöttin. Doch mit jeder Nacht, in der sie das bleiche Antlitz ihrer Schwester am Himmel eingerahmt vom Blitzen der [red] Tausenden [/red] (Tausende) von Sternen ertragen musste, schwand ihre Trauer und wich Wut. Sie ersann [blue] sich [/blue] (überflüssig) einen Plan, ihre Schwester zu Fall zu bringen und erschuf schließlich den Wind, denn bisher gab es auf der Erde noch nichts, [red] dass [/red] (das) die Gräser sanft wiegen oder Blätter der Bäume rascheln lassen konnte. Sie ließ den Wind toben und wüten, an ihrer Schwester rütteln und zerren, doch ohne Erfolg. Niedergeschlagen gab Elssalhi auf und wollte sich vor Scham über ihr Scheitern verstecken. Sie stellte sich in ihre Tränen und ließ den Wind die Sandkörner aufwirbeln und einen gewaltigen Sandsturm die Wüste heimsuchen, der alles Leben zu verschlucken suchte. Als ihr größter Zorn abgeklungen war, zog Elssalhi sich in eine Höhle im Gebirge am Rande der Wüste zurück. Dort saß sie und wartete, ohne zu wissen, worauf.
Die Menschen vergaßen sie und verehrten nun Sar als ihre Schöpferin und der Name Elssalhi war nur noch wenigen Lebewesen im Gedächtnis. Als ihr dies gewahr wurde, ersann sie eine List, mit der sie ihre abtrünnige Schwester hintergehen wollte. In einer Neumondnacht konzentrierte sich Elssalhi so(Komma) wie sie es einst bei der Schöpfung aller Tiere und Menschen getan hatte, und diesmal formte sie Geister und Nymphen, die von nun an in jedem Baum, jedem Fluss, jedem Stein ihr Zuhause fanden. Besonders Mächtige fanden ihren Platz in den großen Seen und Meeren und weil sie alle Elssalhi als ihre Herrin anerkannten, hatte sie still und heimlich die Macht ihrer Schwester untergraben(Komma) ohne dass es von irgend jemandem bemerkt worden wäre. Es dauerte nicht lange und die Menschen begegneten den Flussgeistern mit der blau schimmernden Haut und dem [red] triefendem [/red] (triefenden) Haar, den nach Erde und Wald duftenden [red] Geister [/red] (Geistern) der Bäume und den schlanken Nymphen, die sich am Ufer räkelten und Nar in Versuchung führten. (Absatz)Die Menschen erkannten,(kein Komma) den göttlichen Ursprung dieser Wesen und bauten ihnen Schreine und Tempel und opferten ihnen genauso wie sie Sar und Nar und der Urmutter Eneesh opferten. Sar sah diese neuen Wesen, deren Ursprung sie nicht zu ergründen vermochte, mit Missfallen, aber sie wagte es nicht, etwas gegen sie zu unternehmen und so nahm sie ihr Erscheinen hin. (Absatz)Elssalhi hingegen triumphierte über die Dummheit ihrer Schwester, denn ohne dass diese es bemerkt hatte, hatte Sar einen großen Teil der Kontrolle über die Vorgänge auf der Erde verloren und Elssalhi war es nun, die die Fäden im Verborgenen zog. Sie war es, die darüber bestimmen konnte, ob den Seeleuten die Winde günstig standen, der Gott des Meeres ihnen wohlgesonnen war und sie beeinflusste den Ertrag der Ernte, den die Götter der Felder den Bauern zugestanden. (Absatz)Doch es war nicht ihr Anliegen, die Geschicke der Menschen zu lenken. Alleine das Wissen, dass ihre Schwester nur dem Schein nach die Herrscherin allen Lebens war, war ihr Genugtuung genug und so blieb sie in ihrer Höhle, umhüllt von ewiger Nacht, denn dazu war sie geworden. Auch wenn Sar in vollem Glanze vom Himmel strahlte, war Elssalhi die Göttin der Nacht, die in der Dunkelheit am Rande ihrer Höhle mitten in der Wüste saß. Der Wind, dessen Patronin und Schöpferin sie war, spielte mit ihrem langen schwarzen Haar, das die Farbe von Rabenfedern hatte, und ihre sandfarbenen Augen, die einst so viele Tränen vergossen und damit die ganze Wüste gefüllt hatten, blickten in den Nachthimmel und sahen dabei zu, wie ihr Wind stetig am Mond rüttelte.

Über Kommentare, Kritik oder Anregungen würde ich mich sehr freuen. Charlene.
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"You live to make trouble, don't you?"
"Life is nothing without a little chaos to make it interesting."
Eine hinreißende Geschichte, die ich mit großem Vergnügen gelesen und in meine Sammlung „Lupengold“ aufgenommen habe.
Ganz lieb grüßt
 

Charlene

Mitglied
Danke!

Hallo Nieselregen,
danke für deinen Kommentar. Die Idee mit den Wolken ist gut, da muss ich mal ein bisschen drüber nachdenken und vielleicht bringe ich das noch mit ein.

Hallo flammarion!
Ich hatte eigentlich gedacht, die meisten Fehler schon ausgebessert zu haben, aber wie es scheint, habe ich doch so einiges übersehen. Vielen Dank für deine Korrektur, ich habe die Fehler gleich verbessert und vor allem noch ein paar Absätze eingefügt.

~Charlene~
 



 
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