Elvira, die Hagebuttenmaus

19.08.2014

Elvira, die Hagebuttenmaus


Elvira lag unter einer Tanne im Park und freute sich über ihren großen Erfolg.
Es geschieht nicht oft im Leben, dass einem dieser buchstäblich vor die Füsse geschmissen wird, noch dazu, wenn man eine unscheinbare, kleine, graue Maus ist.
In der vorhergehenden Nacht wurde sie in einem Lebensmittelgeschäft eingeschlossen und suchte in allen Abteilungen wonach sie sich am meisten sehnte, nach Hagebutten. Doch nirgendwo gab es welche. In der Obstabteilung gab´s Nüsse, auf dem Boden lagen drei Salatblätter und eine Möhre. In der Käseabteilung hatte die Verkäuferin eine kleine Käseecke liegen lassen, aber weit und breit gab´s keine Hagebutten. In der Kaffeeabteilung schließlich wurde sie fündig; zumindest hielt sie das Bild auf einer der Kaffeepackungen für eine Hagebutte und machte sich sogleich ans Werk. Die halbe Nacht über nagte sie an der Verpackung in stiller Vorfreude bis sie plötzlich von einer Flut herabstürzender Kaffeebohnen mitgerissen und darunter begraben wurde. Ihr war schwarz vor Augen und es lag ein so schweres Gewicht auf ihr, dass sie sich aus eigener Kraft nicht befreien konnte.
Vor Erschöpfung schlief sie ein und wurde Stunden später unsanft von einem Besen geweckt der die Hinterlassenschaft vom Boden wegkehrte. Der Besen gehörte Frau Mayer, der langjährigen Putzfrau des Geschäftes. Jeden Morgen bevor der Laden öffnete, fegte sie die Gänge und wischte anschließend feucht nach. Dreissig Jahre tat sie das nun, Tag für Tag, außer Sonntags, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Sie hätte gern einmal ein Lob erhalten oder eine anerkennende Bemerkung gehört, aber weder die Kundschaft noch Herr Gandolf der Ladenbesitzer, konnten oder wollten ihr diesen Wunsch erfüllen.
Als sie den Kaffeebohnenhaufen auf die Kehrschaufel schieben wollte, guckte die Spitze von Elviras Schwänzchen heraus. Mit einem gellenden Schrei wich Frau Mayer zurück, ließ Besen und Schaufel fallen und versteckte sich zitternd hinter dem gegenüberstehenden Marmeladenregal. Von dem Schrei wurde Elvira wach. Dank Frau Mayers Vorarbeit war der Kaffeebohnenberg kleiner geworden und sie konnte sich jetzt freischaufeln.
Als sie, noch etwas benommen, am Nachbarregal vorbeitrippelte, hörte sie erneut einen markerschütternden Schrei und etwas stürzte mit ohrenbetäubendem Knall und zerberstenden Scherben direkt neben ihr nieder. Eine rote, süsse herrlich duftende feuchte Masse breitete sich vor ihr aus. Hagebuttenmarmelade! Die gute Frau Mayer hatte versucht, den Eindringling mit dem nächstbesten erreichbaren Gegenstand zu erschlagen. Zu ihrem Entsetzen ging der Wurf daneben, mindestens um drei Zentimeter. Laut schreiend und voller Panik, stürmte sie aus dem Laden und überliess Elvira das Feld. Die schleckte nun soviel von der Marmelade bis sie fast platzte und sich nicht mehr bewegen konnte. An Ort und Stelle schlief sie inmitten der Marmeladenmasse ein. Herr Gandolf musste nun Frau Mayer beruhigen, die immer noch, schreiend, draussen vor der Tür stand und sich weigerte auch nur einen Fuß in den Laden zu setzen. Sie hätte ihr bestes versucht, dieses ekelhafte Tier zu erledigen, der Wurf sei aber wohl daneben gegangen und nun würde das Untier sicherlich durch den Laden krabbeln und sich an ihr rächen wollen. So ging Herr Gandalf alleine durch den Laden und entdeckte, nach eingehender Wegbeschreibung Frau Mayers, den Ort der Untat. Er fand die Maus in der Marmelade und den Glasscherben regungslos liegen und lobte Frau Mayer jetzt in den höchsten Tönen. Ganz offensichtlich hätte sie getroffen, der Maus mit einem einzigen, vernichtenden Wurf, den Gar aus gemacht. Er schob die Maus in Marmelade auf die Schaufel und warf sie unter eine Tanne, die unweit vom Laden in einem kleinen Park stand. So bescherte der Himmel an diesem Morgen zwei Erdbewohnern deren größte Wünsche.

Ende
 



 
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