Ente Lippens

wowa

Mitglied
Ente Lippens



„Komm, lass uns was schlecken !“
„Was, jetzt? Nee, auf gar keinen Fall. Wir haben doch noch gar nichts gefangen ...“ .
Missmutig schaute ich auf den schwach leuchtenden Schwimmer, der bewegungslos auf dem Wasser stand. Nachts, sagten die Leute hier, alles gewiefte Angler, Menschen, denen der See bereitwillig gab, was sie brauchten, nachts ist es keine Kunst. Da beißen sie wie verrückt.
Wir entfachten ein gut sichtbares Lockfeuer, verteilten leckere kleine Brotkugeln in der Umgebung der Haken und ließen uns bei der Köderwahl ausgiebig beraten. Egal, der Effekt ging gegen null, zwei schlangenähnliche dünne Tiere hatten wir seit den frühen Abendstunden rausgeholt. Wahrscheinlich voller Gräten. Stundenlang geschah buchstäblich nichts. (Pause)
Meine Gefährtin Beate, fischereimäßig ebenso ahnungslos, doch stets geradezu gierig auf neue Erfahrungen, fragte in die majestätische Stille hinein, ob ich noch manchmal an Ente Lippens denke.
„Ente Lippens ?“ sage ich, „ja, klar. Warum?“
„Der,“ fuhr sie fort, „wurde mal beim Angeln gefragt, ob er schon was gefangen habe. Nein, sagte er, die Fische sind alle in Oberhausen auf einer Beerdigung. Da ist ein Hecht gestorben.“
Ente Lippens, Rot – Weiß Essen, Oberhausen, - die Erinnerung an das Stürmeridol meiner Kindheit, dieses Genie, das Chancen eher vertändelte als vergab, half mir über die nächsten schweigsamen Stunden.
Und jetzt also wollte sie was schlecken. Was schlecken, - auch so eine Spezialität der Gegend, die in keinem Reiseführer stand.
Ein kalter Regen hatte eingesetzt, das nutzlose Lockfeuer war erloschen und die Hoffnung, dieses anglertypische Grundgefühl, ebenso.
„Okay,“ sage ich, „lass uns fahren.“
Später im Auto dachte ich an den warmen Pub und den `Speedball in Whiskey`, für den sie dort berühmt waren. Beate hatte den natürlich schon probiert und war begeistert. Ich bin bei derartigen Sachen grundsätzlich vorsichtig, aber an jenem Abend schien mir der Zeitpunkt günstig.
Ein Einheimischer mit italienischen Vorfahren hatte ein Eis kreiert, dass unter Touristen sehr beliebt war. Man erzählte sich, er mische einen Extrakt aus Magic – mushrooms, psychoaktive Pilze, die auf den Wiesen um das Dorf wirklich massenhaft wuchsen, fein dosiert in seine Komposition. Zudem treffe er ad – hoc eine Auswahl und sensible, labile, zartbesaitete Persönlichkeiten, kurz, solche, die Ärger machen könnten, bekämen nur ein Placebo.
Wie dem auch sei, eine Eigentümlichkeit des `Speedball in Whiskey` schien das überraschende, erstaunlich plastische Auftauchen von Figuren aus den unteren Schubladen des Bewusstseins zu sein. Sicher im Einzelfall nicht unproblematisch. Aber der Chef, so sagten die Gerüchte, habe sich in seiner Menschenkenntnis noch nie geirrt.
Als die Lichter des Pubs auftauchten, wurde ich beim Gedanken an die bevorstehende Prüfung nervös.
Machte ich einen stabilen Eindruck ?
Notfalls müsste Beates charmante Fürsprache mich retten.
Die war nicht nötig. Wir bekamen anstandslos unsere Getränke und bei Beate ließ die Wirkung nicht auf sich warten. Kichernd, glucksend und gutgelaunt hockte sie am flackernden Kaminfeuer und ich saß missmutig und völlig nüchtern daneben. Gleichwohl unverzagt genehmigte ich mir zwei weitere `Speedball in Whiskey`, die ähnlich folgenlos vorüberzogen. Die Eiskugel ließ ich dann weg und trank Whiskey pur.
Meine Erinnerung an den letzten Teil des Abends ist etwas getrübt, aber irgendwann griff ich mir den Chef und verlangte energisch Antwort auf die eine Frage, die seit geraumer Zeit in meinem Schädel kreißte:
„Placebos? Hast du mir Placebos angedreht? Ist das alles ein verdammter Fake ?“
Der Wirt,ein großer, knochiger Mann, kam hinter dem Tresen hervor, legte mir einen Arm um die Schultern und sah mich freundlich an.
„Die Leute erzählen viel,“ sagte er, „besonders, wenn sie nichts konkretes zu tun haben. Das mit den Placebos habe ich auch gehört, aber das ist bull – shit, ein haltloses Gerücht. Warum sollte ich das denn tun ? Das wäre ja Betrug. Nein , die unterschiedlichen Reaktionen auf meine Produkte sind ausschließlich im Konsumenten selbst begründet.
Schau,“ sagte er und sah mir tief in die Augen, „vielleicht bist du ja ein wenig zu stabil, zu gepanzert. Sensibilität ist auch ein Risiko. Bring doch einmal die kreativen, zarten Saiten deiner Persönlichkeit zum klingen. Stell einfach mehr Offenheit und Verletzlichkeit in den Vordergrund deiner Performance. Dann wird das schon.“
Das kam bei mir gar nicht gut an und wenn ich etwas nicht vertragen kann, dann ist es plumpe Vertraulichkeit.
Ich schüttelte also seinen Arm ab und sagte, seine Klugscheißerei könne er getrost für sich behalten. Ich sei ja wohl mindestens so kreativ, sensibel und zartbesaitet wie er, wenn nicht noch mehr. Und ja, genau, das ist Betrug, da hat er völlig recht. Überhaupt sei das hier der letzte Pub und wir wären heute Abend garantiert das letzte Mal da, darauf könne er Gift nehmen.
Währenddessen hatte der Chef ein Taxi bestellt und Beate schob mich sanft und bestimmt ins Auto. Auf der Fahrt ins Hotel sagte Beate, Typen wie mich kenne sie eigentlich zur Genüge, sie hätte mal wieder Lust auf was Neues.
Als ich spät am nächsten Morgen erwachte, war sie weg. Ich reiste auch bald ab.
Seither hat die Erinnerung an Ente Lippens einen bitteren Beigeschmack.
 
E

eisblume

Gast
Hallo wowa,

auch wenn deine Geschichte "Ente Lippens" benannt ist, meine ich, dass diese Figur und die damit verbundene Anglersequenz nur unnötiger Füllstoff sind. Diesen Einstieg könntest du deutlich kürzen bzw. ganz weglassen. Als Titel würde sich dann "Speedball in Whiskey" geradezu aufdrängen.
Der Text kommt mir vor wie zwei Geschichten in einer, wobei keine so richtig zur Geltung kommt. Den Speedball-Teil finde ich dabei deutlich interessanter, auch wenn da noch mehr rauszuholen wäre, das plätschert (mir) insgesamt zu sehr dahin.

Herzlichst
eisblume
 

wowa

Mitglied
Hallo, Eisblume !
Danke für deine Kritik.
Die Geschichte hat zwei Handlungsstränge, das sehe ich auch so. Die beziehen sich aber durchaus auf einander. Im Eingangsplot steht eher die witzige, neugierige Beate im Mittelpunkt, im Kneipenteil der schlechtgelaunte Ich - Erzähler, der sich betrunken mit dem Wirt anlegt.
In der Schlußsequenz - Taxifahrt, getrennte Abreise, Melancholie des Ich - Erzählers,- zeigen sich die Gegensätze zumindest für Beate als unüberbrückbar.
Es ist also eine Trennungsgeschichte, bei der Ente Lippens ein gemeinsamer Bezugspunkt der Protagonisten ist, allerdings einer, der nicht belastbar genug ist, um das Geschehen nachhaltig zu beeinflussen. Gleichwohl wollte ich den Anglerwitz den LeserInnen nicht vorenthalten. Überhaupt finde ich es wichtig, noch einmal kurz und schlaglichtartig an Ente Lippens zu erinnern, bevor er dem kollektiven Vergessen anheimfällt.
Was das `dahinplätschern` betrifft, so ist das halt mein Stil, ich lass es gerne plätschern. Andererseits stand es ja kurz vor einer Prügelei zwischen dem Prot und dem Wirt. Insofern gab es zumindest ein dramatisches Element. Ok, vielleicht zu wenig. Ich denk drüber nach.
Alles Gute
Wowa
 



 
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