Entscheidung

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Haremsdame

Mitglied
Zum dritten Mal war sie zurückgegangen. Dieses Aquarell ließ sie nicht los. Was wird sich die Künstlerin beim Malen gedacht haben?
Das Bild an sich war düster. Eine schwarze Katze sprang von rechts nach links; aus der Dunkelheit ins Licht. Sie streckte ihre extrem langen Beine weit von sich. Den Hintergrund bildete eine schwarz-weiß gemusterte Tapete. Drei braune Farbflecke sahen aus wie Lampenschirme, über die die Katze hinwegsetzte. Das Ganze wirkte sehr mystisch, schön war jedoch etwas anderes. Trotzdem konnte sie ihren Blick nicht abwenden. Was hielt sie hier fest? War es etwa nur der Titel: „Sprung ins Ungewisse“?
Seit Tagen rang sie um eine Entscheidung. Sollte sie bleiben, wo sie war? Schon lange fühlte sie sich nicht mehr wohl in ihrer Ehe. Ihr Mann und sie hatten sich aneinander gewöhnt. Nach zwanzig Jahren wusste jeder, wie der andere reagiert. Sie stritten nicht mehr, sprachen aber auch nicht über das, was sie bewegte. Es fehlte etwas. Die innere Leere zog sie in ein bodenloses Nichts.
Es gab einen Ort auf dieser Welt, wo sie Gutes tun konnte. Wo sie gebraucht wurde. Sie hatte es ihrem Mann erzählt. Der meinte dazu: "Wenn du gehst, brauchst Du nicht mehr wiederzukommen". Es fiel ihr schwer, die gewohnte Sicherheit aufzugeben; ins Ungewisse zu springen. Wo würde sie landen?
Des Nachts erwachte sie aus schweren Träumen. Sie hörte die Katze maunzen. Laut und deutlich. Als wollte sie ihr sagen: "Komm mit! Hab keine Angst!". Der Mann neben ihr atmete ruhig und gleichmäßig. Er ahnte nichts von ihren Seelenqualen. Sie aber lag in ihrem Schweiß und fand keine Ruhe.
Am nächsten Tag besuchte sie erneut die Ausstellung. Gedankenverloren blieb sie vor der springenden Katze stehen.
„Gefällt Ihnen mein Bild?“ Erschrocken drehte sie sich um. Hinter ihr stand eine Frau; etwa so alt wie sie selbst. Sie war ihr schon mehrmals begegnet. Doch heute wirkte sie anders als früher: ihre Augen strahlten eine tiefe Zufriedenheit aus.
„Sie haben das gemalt?“
„Ja, vor ungefähr einem Jahr. Damals ging es mir gar nicht gut. Ich stand an einem Wendepunkt in meinem Leben."
„Und, sind Sie ins Ungewisse gesprungen?"
„Ja. Nach langem Ringen…“
„Sie haben es nicht bereut?“
„Nein, niemals. Ich würde es jederzeit wieder tun."
„Danke, Sie machen mir Mut. - Entschuldigung, ich muss jetzt gehen."
Aufgewühlt, wie sie war, wollte sie allein sein. Auch wenn sie es selbst noch wahr haben wollte, war in diesem Moment ihr Entschluss gefasst. Sie würde ihren Mann verlassen und ohne ihn ein neues Leben beginnen.
 
I

Ivor Joseph

Gast
[ 4]Ich stelle mir etwas vor im Stil von Picassos Guernica, überwiegend in Schwarzweiß. Die Katze mit dem dreieckigen Kopf - schwarz, im Licht weiß, starke Konturen, expressionistisch überdehnt - springt aus einem fürchterlichen Keller mit Lichtkegel in die Ungewissheit einer verzerrten Straße heraus.

[ 4]Natürlich könnte man die Geschichte ausbauen, aber auch als Fragment ist sie schön. Das Wichtigste, und was meisten fehlt, ist eine bestimmte Stimmungslage, und die ist hier durchgehend vorhanden.

LG; Ivor
 

Haremsdame

Mitglied
Danke Ivor,
für Deine netten Worte und die gute Benotung!
Mal sehen, vielleicht wird eines Tages mehr daraus ...
Grüße von der Haremsdame
 

Der Andere

Mitglied
schreiben bedeutet konstruieren. im idealfall so, dass die konstruktionen nicht mehr sichtbar sind. hier jedoch wird das konstrukt des bildes und seiner malerin, die eine parallele zum ich aufweisen sollen, zu deutlich für meinen geschmack. sicher, der ton ist durchgehalten und bis auf ein paar ungeschicktheiten lässt sich auch sagen, dass der text flüssig geschrieben ist. aber: texte mit einem leitmotiv, das so wenig den autor dahinter verdeckt wie dieses, sind noch nicht fertig. ich sage beweusst: nicht fertig. denn eine sinnvolle überarbeitung ist möglich. ein paar schrauben drehen, das motiv weniger präsent machen, die parallelen nebulöser ziehen usw.

ich hoffe, ich habe mich verständlich machen können.
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo haremsdame,
ich pflichte sozusagen ausgleichend meinen beiden vorrednern
zu.die sprache ist gefällig und stringend.aber es bleibt die frage ob sich eine solche entscheidung auf eine kurze szene vedichten lässt ohne das ihr glaubwürdigkeit abhanden kommt.
so ist es in de küze auch mir zu plakativ.
lg
ralf
 
I

Ivor Joseph

Gast
Hallo Ander und Langer.

Das sehe ich prinzipiell nicht viel anders, habe den Text auch tatsächlich als Teil eines Romanentwurfs gesehen.

LG, Ivor
 

Haremsdame

Mitglied
Für mich stellt sich hier die Frage: was ist Kurzprosa? In meinem Augen keine vollständige Geschichte, sondern ein kurzer Auszug, eine Momentaufnahme. In diesem Fall eine erweiterbare Momentaufnahme - kein vollständiger Text ...

@ der Andere: Vielleicht hast Du ja recht, dass Schreiben Konstruieren bedeutet und mein Motiv zu deutlich hervortritt. Wenn ich jetzt noch Tipps bekäme, an welchen Schrauben ich drehen könnte, wäre ich dankbar ...

@ Rolf Langer: Manchmal sind es Kleinigkeiten, die den letzten Kick für Lebensentscheidungen geben ...

@ Ivor: Deine Idee, diesen Text als Teil eines Romanentwurfs zu sehen, gefällt mir :).

LG Haremsdame
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo haremsdame,
da gebe ich dir unbedingt recht. der text ist auch schluessig. als kurzprosa wuerde ich aber vielleicht umstellen. ich werde mal daran arbeiten. vielleicht gelingt mir ja etwas,
lg
ralf
 

Der Andere

Mitglied
also: wenn du es als kurzprosa betrachtest, würd ich verdichten, mch weniger an den gedanken zum bild festbeißen, ein beispiel:

Zum dritten Mal war sie zurückgegangen. Dieses Aquarell ließ sie nicht los. [strike]Was wird sich die Künstlerin beim Malen gedacht haben? [red]find ich ne blöde frqage[/red][/strike]
[strike]Das Bild an sich war düster[/strike][red]das ist eine wertung, die nicht sein muss[/red]. Eine schwarze Katze sprang von rechts nach links; aus der Dunkelheit ins Licht. Sie streckte ihre extrem langen Beine weit von sich.[red]bei dem vorangehenden satz stört mich zweierlei, 1.:die vielen adjektive darin, würde ausmisten, 2.:der klang der beiden sätze zusammen stimmt nicht, ich würde heir nach einem bindeglied suchen, denn ansonstemn klingt es nach einer schulischen beschreibung eines bilds[/red] Den Hintergrund bildete eine schwarz-weiß gemusterte Tapete. Drei braune Farbflecke sahen aus wie Lampenschirme, über die die Katze hinwegsetzte. [strike]Das Ganze wirkte sehr mystisch, schön war jedoch etwas anderes. Trotzdem konnte sie ihren Blick nicht abwenden. Was hielt sie hier fest? War es etwa nur der Titel: „Sprung ins Ungewisse“?[/strike][red] diese gedanken sind so erklärend, dass man dich dahinter sieht[/red]
Seit Tagen rang sie um eine Entscheidung. Sollte sie bleiben, wo sie war? Schon lange fühlte sie sich nicht mehr wohl in ihrer Ehe. Ihr Mann und sie hatten sich aneinander gewöhnt. Nach zwanzig Jahren wusste jeder, wie der andere reagiert. Sie stritten nicht mehr, sprachen aber auch nicht über das, was sie bewegte. Es fehlte etwas. Die innere Leere zog sie in ein bodenloses Nichts.[red]für kurzprosa ist der vorherige absatz zu sehr von standardphrasen besetzt, die gewöhnung, die kenntnis über jede reaktion des partners, das bodenlose nichts dann als i-tüpfelchen, würd hier vielleicht versuchen, das problem nur anzudeuten, durch einen kleinen dialog vielleicht, in dem das problem klar, aber nicht so ausgesprochen wird wie hier. hier nämlich gilt die(nicht immer richtige) regel: show, don't tell.[/red]
Es gab einen Ort auf dieser Welt, wo sie Gutes tun konnte. Wo sie gebraucht wurde. Sie hatte es ihrem Mann erzählt. Der meinte dazu: "Wenn du gehst, brauchst Du nicht mehr wiederzukommen". [red]bis hierhin okay, sicher, mit einem dialog zuvor würde sich das vielleicht erübrigen, aber was jetzt folgt, ist wieder eine erklärung anhand des bildes, eine erklärung an den leser, was das alles zu bedeuten hat[/red][strike]Es fiel ihr schwer, die gewohnte Sicherheit aufzugeben; ins Ungewisse zu springen. Wo würde sie landen?[/strike]
Des Nachts erwachte sie aus schweren Träumen. Sie hörte die Katze maunzen. Laut und deutlich. [strike]Als wollte sie ihr sagen: "Komm mit! Hab keine Angst!".[/strike][red]same as usual, fänd den direkten übergang von der maunzenden katze hin zum ruhig atmenden mann auch an sich besser[/red] Der Mann neben ihr atmete ruhig und gleichmäßig. [strike]Er ahnte nichts von ihren Seelenqualen. Sie aber lag in ihrem Schweiß und fand keine Ruhe. [/strike][red]wieder eine redundante erklärung, schwere träume haben schon genug ausgesagt, genauso der ruhig atmende mann, da musstu nichts nachschieben[/red]
Am nächsten Tag besuchte sie erneut die Ausstellung. Gedankenverloren blieb sie vor der springenden Katze stehen.
[„Gefällt Ihnen mein Bild?“ Erschrocken drehte sie sich um. Hinter ihr stand eine Frau; etwa so alt wie sie selbst. Sie war ihr schon mehrmals begegnet. Doch heute wirkte sie anders als früher: ihre Augen strahlten eine tiefe Zufriedenheit aus.
„Sie haben das gemalt?“
„Ja, vor ungefähr einem Jahr. Damals ging es mir gar nicht gut. Ich stand an einem Wendepunkt in meinem Leben."
„Und, sind Sie ins Ungewisse gesprungen?"
„Ja. Nach langem Ringen…“
„Sie haben es nicht bereut?“
„Nein, niemals. Ich würde es jederzeit wieder tun."
„Danke, Sie machen mir Mut. - Entschuldigung, ich muss jetzt gehen."
Aufgewühlt, wie sie war, wollte sie allein sein. Auch wenn sie es selbst noch wahr haben wollte, war in diesem Moment ihr Entschluss gefasst. Sie würde ihren Mann verlassen und ohne ihn ein neues Leben beginnen.][red]dieser ganze schluss ist mir zu blöd, zu aufklärend für kurzprosa, auch dass die künstlerin auftaucht, erscheint mir unglaubwürdig, ich nwürde es offen lassen, sie vielleicht nur vor dem bild stehen lassen und dann enden, wenn das ding länger werden soll, dann muss es natürlich aufgeklärt werden, im nachhinein, wenn sie denn weggeht, aber nicht an dieser stelle.[/red]
so, ich hoffe, das hilft dir.
 

Ralf Langer

Mitglied
Liebe Haremsdame,
wie angekündigt, habe ich einmal selbst einen Vesuch gestartet.
Dabei habe ich mich, meinem Verständnis von Kurzprosa entsprechend, nur auf eine Szene konzentriert:


Noch nicht.

Eine schwarze Katze kurz vor dem Sprung. Das zeigte das Bild.
Noch hockte sie im Dunkeln. Der Körper, die Muskeln unter Spannung. Die Augen konzentriert auf etwas Unsichtbares ausserhalb des Bildes gerichtet.
„Aus dem Dunkeln in das Licht“, stand auf dem Schild neben der Kohlezeichnung.
Wie oft hatte sie, so wie jetzt, mit ihrem Mann, vor dem Schaufenster der Galerie gestanden und dieses Bild, dass sie so sehr berührte, angestarrt?
„Das passt nicht zu uns,“ wiederholte sich ihr Mann.“ wir haben doch nur Bauhaus zu Hause .“
Sie nickte stumm und dachte an die gerahmten,klaren Linien an den Wänden im Wohnzimmer.
Dann zog sie ihr Mann vom Schaufenster weg.
Als das Bild ihrem Blick fast entschwand, war ihr so, als drehte die Katze das Gesicht zu ihr und sprach:
„Du musst nur springen.“
„Noch nicht. Aber bald,“ hörte sie sich flüstern.

lg
ralf
 

Der Andere

Mitglied
das ist eine anders geschrieben geschichte, ralf, und das ende ist zu fern von realismus, wo der text doch genau das versucht zu projizieren...
 

Haremsdame

Mitglied
@ der Andere:

vielen Dank für die Arbeit, die Du Dir mit meinem Text gemacht hast! Nun habe ich genug zum Denken und Ummodellieren!

@ Ralf:

auch Dir ein herzliches Dankeschön. Aber: das wäre nicht mehr mein Text. Für sich gesehen zwar auch eine Lösung, aber leider nicht meine :).

Lg Haremsdame
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo anders,
es ist eine andere geschichte, nämlich meine. mir ging es hier vor alleM dingen darum, mein verständnis von kurzposa zu skizzieren.
heißt also:
kürzen auf eine szene, wegnehmen von zu vielen personen, sich auf ein ereignis , bzw. eine erfahrung konzentrieren.
und in dieser kürze war mir das bild der katze vor dem sprung näher als die schon gesprungene katze.

zu fern von realismus?
ist das ein vorwurf dem man dichtung machen kann?
LG
RALF
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo haremsdame,
ich hab zu danken für die anregung die du mir mit deiner geschichte gabst.
lg
ralf

wenn du nichts dagegen hättest würde ich sie selbst gerne posten?!
ralf
 

Der Andere

Mitglied
ralf, ich würde so doer so erstmal vorsichtig sein, unser schaffen als "dichtung" zu beschreiben, das ist ein sehr großes wort. und ja, den vorwurf kann man machen. es kommt immer auf den kontext an, wenn der den plot so stark determiniert, dass eine an die wirklichkeit gebundene(literarisch fiktionalisierte) geschichte nicht aus der illusion von realität entfliehen kann, dann darf das der text gegen ende auch nicht. er stellt sich selbst die regeln. sieh dir nisavis text an, da wird wirklichkeit aufgebrochen, da wird es zum prinzip gemacht.

viel lück und spaß an der arbeit haremsdame.
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo andere,
wie soll man es denn nennen was wir hier tun?
BIN NEUGIERIG!
andererseits:
im kontext der geschichte wie sie haremsdame schrieb, ist dein einwurf nicht unberechtigt.
im rahmen der geschichte, wie ich sie schrieb, eben nicht.

vieles ist möglich...
und haremsdame darf, wie du schon anführtest, über ihre geschichte selber urteilen.
lg
ralf
 

Der Andere

Mitglied
ich würde es ganz nüchtern schreiben nennen.

leider will auch deine version eine momentaufnahme sein, nur verzerrt, mir stößt dieser bruch auf, auch wenn er gewollt sein mag. kurz: ja. momentaufnahme: ja. völlige freiheit: nein. denn mit jedem weiteren wort grenzt man sich mehr ein.
aber belassen wir es dabei. ich finde es mühselig verschiedene poetologische standpunkte übers internet auszudiskutieren.

ps: meine textarbeit wark keine endgültige, das sind nur anregungen, anmerkungen an stellen, wo etwas hakt, wo etwas stockt. mehr nicht.
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo der andere
ein gelungenes schlusswort.
' schreiben 'ist eine angenehme wertfreie beschreibung fuer das was wir tun.
auch ich empfinde es als muessig sich ueber verschiedene auffassungen vonliteraturrubriken zu streiten.
liegt doch in der vielzahl eine staerke.
nichts desto trotz war es mir eine freude an deinen ansichten teil haben zu koennen.
in diesem sinne
man liest sich
ralf
 



 
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