Erbärmlich

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Sta.tor

Foren-Redakteur
Erbärmlich

Kurt führt ein erbärmliches Leben
seit Jahren lebt er auf der Strasse.
Für ihn hat’s nur Unglück gegeben
und zwar in besonderem Maße.

Kein Geld, keine Frau, keinen Job.
Nichts war ihm auf Dauer gewährt.
Der Tod hat ihm kürzlich darob
den Krieg um sein Dasein erklärt.

Er hat ihn ganz kläglich verloren
am Marktplatz in Mitten der Massen.
Kein Mensch hat sich um ihn geschoren.
Man senkte den Blick in die Tassen.

In Duisburg, vergangene Woche:
Die Party der Raver kocht heiß.
Gleich endet hier eine Epoche
was momentan noch keiner weiß.

Am Zugang vermehrn sich die Toten,
im Festivalrund dröhnt der Bass.
Die Zäune zu öffnen verboten.
Verderbt uns hier bloß nicht den Spass.


Und wie sich die Schicksale decken,
durch sie wird wohl niemand gescheiter,
denn während die einen verrecken,
vergnügen sich andere weiter.
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Erbärmlich

Kurt führt ein erbärmliches Leben
seit Jahren lebt er auf der Strasse.
Für ihn hat’s nur Unglück gegeben
und zwar in besonderem Maße.

Kein Geld, keine Frau, keinen Job.
Nichts war ihm auf Dauer gewährt.
Der Tod hat ihm kürzlich darob
den Krieg um sein Dasein erklärt.

Er hat ihn ganz kläglich verloren
am Markttag in Mitten der Massen.
Kein Mensch hat sich um ihn geschoren.
Die Hauptsache: klingende Kassen.

In Duisburg, vergangene Woche:
Die Party der Raver kocht heiß.
Gleich endet hier eine Epoche
was momentan noch keiner weiß.

Am Zugang vermehrn sich die Toten,
im Festivalrund dröhnt der Bass.
Die Zäune zu öffnen verboten.
Verderbt uns hier bloß nicht den Spass.


Und wie sich die Schicksale decken,
durch sie wird wohl niemand gescheiter,
denn während die einen verrecken,
vergnügen sich andere weiter.
 
P

Pelikan

Gast
Hallo, Stator, mich wundert es, dass dieses Gedicht noch nicht kommentiert wurde. Wahrscheinlich jedoch, weil es Gesellschaftskritik enthält und mit solcher befasst man sich nicht so gerne. Insofern passt solches Verhalten auch sehr gut zum Inhalt Deines Gedichtes: Der Mensch will sich vergnügen, auch beim Lesen. Oberflächlichkeiten sind ihm halt wichtiger. Mir gefallen gesellschaftskritische Gedichte, obwohl sie nicht "in" sind und "alle" gleich mit dem Vorwurf des erhobenen Fingers kommen, oder von zu viel Moral sprechen.
Du hast hier eine Thematik angesprochen, die man oft beobachten kann: Auf der einen Seite Elend/Tod und gleichzeitig, auf der anderen Seite, pures Vergnügen, Party und Shopping ohne Ende. Das hat man ganz besonders beim jüngsten Geschehen gemerkt: Während Menschen starben ging die Party ungeniert weiter - natürlich unter dem Deckmantel der
eventuell gefährdeten Sicherheit beim Abbruch derselbigen.
Heute findet bei uns in Dortmund Juicy Beats statt und ich könnte garantieren, dass die Massen hinströmen werden, ungeachtet der "allgemeinen? Betroffenheit" weil sich niemand seinen Jux, sein Vergnügen nehmen will. "Erbärmlich", der Titel ist gut ausgesucht und passt in seiner Doppeldeutigkeit:
Einerseit das erbärmliche (arme/einsame) Leben derer um die sich niemand schert (Kurt und andere) andererseits das erbärmliche Verhalten der sich weiter Vergnügenden (von einzelnen mal abgesehen, denen man Unrecht täte, schmieße man sie in den großen Topf) beim jüngsten, tragischen Geschehen.

Eines ist mir bei diesem Text aufgefallen und zwar, dass
Du "keiner hat sich um ihn geschoren" schreibst.
Ich habe extra noch im Google nachgeguckt, doch dieser spuckt immer nur "keiner hat sich um ihn geschert" aus. Und auch ich meine, dass diese Redewendung so richtiger ist.
Bei "geschoren" in diesem Zusammenhang musste ich ein wenig
schmunzeln, weil ich mir eine handvoll Personen vorgestellt habe die sich die Haare (nicht)scheren ließen ;)

mit herzlichen Grüßen, Pelikan
 
Hallo Pelikan,

du schreibst:
Hallo, Stator, mich wundert es, dass dieses Gedicht noch nicht kommentiert wurde. Wahrscheinlich jedoch, weil es Gesellschaftskritik enthält und mit solcher befasst man sich nicht so gerne. Insofern passt solches Verhalten auch sehr gut zum Inhalt Deines Gedichtes: Der Mensch will sich vergnügen, auch beim Lesen. Oberflächlichkeiten sind ihm halt wichtiger. Mir gefallen gesellschaftskritische Gedichte, obwohl sie nicht "in" sind und "alle" gleich mit dem Vorwurf des erhobenen Fingers kommen, oder von zu viel Moral sprechen.
Vielleicht hat niemand kommentiert, weil die 21 Toten noch nicht einmal unter der Erde liegen? Die stillen Bewertungen zeigen doch, wie gut Sta.tor das Gedicht gelungen ist, oder?

Lieben Gruß,
Karin
 
P

Pelikan

Gast
@ Estrella,
bis jetzt war noch nicht viel von Bewertung (somit vom Bemerken überhaupt) sichtbar. Ich weiß zwar nicht wie man hier im Forum mit gesellschaftskritischen Gedichten umgeht, aber meine Erfahrung in diversen Foren hat gezeigt, dass man sich kaum um solche schert. Man macht oft einen Bogen darum, wie um ein Geschwür. Manchmal erbarmt sich dann jemand.
Befindlichkeitsgedichte hingegen werden gerne angenommen.
Pelikan
P.S. um nochmals zur Aufteilung zu kommen - dieses
Zusammenwürfeln von ernsten Gedichten mit Humorvollen,
nur weil jene gereimt sind, finde ich sehr unglücklich.
Es erweckt den Anschein, als wären Ernste gereimte
minder wert als ungereimte. Das nur noch nebenbei.
 
P

Pelikan

Gast
Ich habe noch was vergessen - das Gedicht geht mit seiner Kritik nicht nur auf die neuesten tragischen Ereignisse ein, sondern kritisiert die Gesellschaft allgemein. Denn vom Kurt
der ja auf der Straße lebt und dort auch stirbt, wird kaum jemand sprechen. Wenn er "Glück" hat, erwähnt ihn die Presse am kleinsten Rande: Wieder ein Obdachloser gestorben.
Und das nur in unserem Lande. Dass weltweit Menschen tagtäglich verhungern, stört kaum einen. Ich lese aus diesem Gedicht, zwischen den Zeilen, mag dies auch vielleicht falsch sein, dass die Menschen immer größere Tragödien brauchen um überhaupt aufmerksam zu werden, die vielen kleinen werden kaum noch gesehen und selbst die großen außerhalb des Landes stehen immer noch hinterm Partymachen und Shoppen hinten an.
 
Hallo Pelikan,

schau mal in die Bewertungen. Es sind weitere drei sehr gute, stumme eingegangen, ohne Kommentar. Da dein Kommentar doch sehr ausführlich war, bleibt vielleicht auch nicht mehr viel zu sagen? Ich melde mich per Mail bei dir, um hier weitere Diskussionen auszuschließen (jedenfalls was meine Person betrifft).

Freundlichen Gruß,
Karin
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Liebe Pelikan,

vielen Dank für Deinen ausführlichen Kommentar.
Ja, es ging mir so, wie vielen sicherlich. Man will etwas kommentieren, was so ungeheuerlich ist, dass man gar nicht weiß, wie man es angehen soll.
Ich habe die autentisch/fiktive Methode gewählt.
Das Kurt eine Strophe mehr bekommt, wie das entsetzliche, reale Geschehen, soll zeigen, wie viele stille Katastrophen jeden Tag passieren, die nicht durch die Presse gehen und die uns schon gar nicht mehr betroffen machen, weil sie zum Alltag gehören.
Schön, dass Du mein Gedicht auch so gelesen hast.

Viele Grüße
Sta.tor
 

Sta.tor

Foren-Redakteur
Liebe Estrella,

danke für Deine Gedanken zu meinem Text.
Du hast warscheinlich Recht, das Thema ist zu frisch und überwältigend, als das man schon Kommentare auf die raren Werke, die sich auf das Geschehen beziehen erwarten darf. Man ist halt immer noch sprachlos über so viel Leid.

Liebe Grüße
Sta.tor
 
Lieber Sta.tor,

danke, dass du verstehst, was ich meinte. Vera-Lena hat ganz wundervoll zu diesem Thema geschrieben, in ihrem Gedicht: Trauer.

Liebe Grüße,
Karin
 

Rhea_Gift

Mitglied
ich finds gut - das schweigen darf auch nicht zu lang dauern - ist ja auch immer die frage, was man dazu zu sagen hat - und um so besser, wenns mehr ist, als die presse zu vermelden hat... und der verweis, dass dies geschehen als ein symbol für viele ähnliche situationen zu nehmen sein sollte, ist gut - nicht als EINE ungeheuerliche ausnahme-katastrophe... obs nun nicht auf den besten sicherheitszustand gebrachte züge sind, bescheuerte veranstaltungskonzepte, wo schon kleine jungs sagen, das wird mir zu riskant/zu voll oder viele andere mit einberechnete oder rasch übersehene "Kollaterale" auf allen großen wie kleinen entscheidungsebenen... wegsehen ist immer die falsche entscheidung... mich macht sowas immer extrem wütend... und immer wieder fassungslos, wie man so leichtfertig mit menschen umspringen kann - oder der erde... der zukunft... den haushaltskassen... what ever - immer nur bis zur nasenspitze denken und den nächsten eingang aufs konto - egal, was der auf lange sicht kostet - und wen es mehr als nur geld kostet... grrrrrrrr!

entschuldigt das ausufern...
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Sta,tor,

ich habe eine Weile gebraucht, bis ich mich auf Deinen Text einlassen konnte. Das lag hauptsächlich daran, dass Du über Duisburg geschrieben hast, es wurde weitergefeiert, obgleich Menschen gestorben waren. Nun war es ja so, dass die Feiernden nichts wussten. Die Veranstaltung wurde fortgeführt, um eine weitere Panik zu vermeiden.

Erst eben habe ich gesehen, dass es Dir in Deinem Text gar nicht um diese genauen Einzelheiten geht, sondern, dass Du etwas anprangern wolltest, was sich in unserer Gesellschaft so außerordentlich breit gemacht hat: "Jeder für sich - Gott für alle." Hauptsache mir geht es gut, um die anderen wird sich schon jemand kümmern.

Das fand ich an der Rede von Hannelore Kraft heute auch sehr gut, dass ein Vater sie gebeten hatte, zu sagen, dass die Gesellschaft ganz allgemein, den Menschen wieder in den Mittelpunkt stellen sollte.

Du hast das hier schon mehrere Tage zuvor getan und angeprangert, wie herzlos wir heutzutage miteinander umgehen, obgleich doch ein enormes Potential von Hilfestellungen zur Verfügug steht, wie es das vor 60 Jahren beispielsweise noch gar nicht gegeben hat.

Gut fand ich aber auch, dass Hannelore Kraft erwähnt hat, wie die jungen Leute sich untereinander dann doch noch Hilfen gegeben haben in dem Tunnel, indem sie versucht haben in eigener Lebensgefahr, andere aufzurichten und zu stützen. Das sollte man auch nicht vergessen, welch mitfühlendes und helfendes Potential dann doch auch noch vorhanden ist.

Aber Dein anprangender Text ist notwendig und ich freue mich, dass er hier steht.

Liebe Grüße
Vera-Lena

PS.: Übrigens geschoren und geschert ist beides richtig.
 
P

Pelikan

Gast
Liebe Vera-Lena, der Text "prangert" nicht umsonst an.
Bei uns in Dortmund findet heute gerade eine fröhliche Feier statt, das sogenannte Juicy Beats. Man macht weiter Party -
es wird gesoffen und gegrölt und ich sehe darin alles nur keine Betroffenheit dem tragischen Geschehen gegenüber.
Das ist für mich so ziemlich das Geschmackloseste was man sich denken kann. Angeblich ist die Nation dermaßen betroffen.
Nur ich frage mich allen Ernstes, wie kann ein Betroffener einer dem ein solches Geschehen, in Duisburg, nahe geht, fröhlich feiern? Und sie feiern, die Jugendlichen und zwar ohne Hemmung.Nee, tut mir leid, aber angesichts solch eines Vorgehens, kann ich an eine Betroffenheit nicht glauben - eher schon an eine Heuchelei. Es ist und bleibt eine Ich-Gesellschaft, denen scheinbar alles am A....vorbei geht,
wenn es sie nicht persönlich trifft.
Mit mehr als erstaunten Grüßen, Irene
 

HerbertH

Mitglied
Lieber Stator,

dieses Gedicht ist inhaltlich eine Gegenüberstellung von zwei Teilgedichten. Einmal Karl, einmal Loveparade. Die Verbindung beider Themen ist seltsam lose, es fehlt mir eine verbindende Klammer.

Schreibt man nicht statt "in Mitten der" doch besser "inmitten der" oder ist das schon wieder diese !%!§$%"&/"$%/"$/ Rechtschreibreform? :D

Liebe Grüße

Herbert
 

Rhea_Gift

Mitglied
also - für mich ist das hier die Klammer:

Er hat ihn ganz kläglich verloren
[red]am Markttag in Mitten der Massen.
Kein Mensch hat sich um ihn geschoren.
Die Hauptsache: klingende Kassen.[/red]

>> denn die Planer der Loveparade hat anscheinend die Sicherheit der Menschen weniger geschoren als die klingenden Kassen... und das ist hier der Fokus, die Verantwortungslosigkeit der Planer, der Geldmacher - denn weder die Besucher des Marktes noch der Loveparade haben klingende Kassen - nur die Markthändler/Veranstalter und sonstige Mitprofitierende - wie auch bei der Loveparade... die Reaktion der "Massen" wäre vielleicht ein weiteres Thema für ein Folgegedicht...?

LG, Rhea
 
P

Pelikan

Gast
Hallo, Rhea, also alleine "die klingenden Kassen" sind mir zu wenig, denn sie alleine verharmlosen die Vergnügungssucht
und somit auch die "Schuld" der Masse. Ohne deren Sucht Party machen zu wollen um jeden Preis, oder auch ohne den Willen der Masse sich beim Kauf in der Fußgängerzone shoppend zu vergnügen gäbe es keien "klingenden Kassen". Dazu gehören immer noch zwei Seiten. Ich will die Gier "Kasse zu machen" keiesfalls verharmlosen oder mildern, aber die Masse/Massen trägt/tragen ihr Schärflein dazu bei. Das wollen jedoch die meisten aus der Masse nicht hören. Die Masse stellt sich sehr gerne als Unschuldslamm dar. Dabei hat sie genügend Macht um zu zerstören wie auch um aufzubauen. Meistens ist sie leider zu blöd um dieses Kraftpotential vernüftig zu gebrauchen.
Ruf sie doch mal auf zu demonstrieren um Gutes zu erreichen -
da kommen schon einige, die meisten bleiben jedoch weg mit den schönsten Erklärungen, vom "der Weg ist mir zu beschwerlich, ich habe Verpflichtungen"...etc. Doch ruf sie zum Vergnügen - sie kommt aus der kleinsten Ecke...schwupps!
wird es bannig massig.
Mit herzlichen Grüßen, Pelikan :)
 
Lieber Sta.tor,

ich habe dich schon so verstanden, wie du es meintest. Auch, dass du dem Kurt einen Vers mehr genehmigt hast, zeigt was du sagen willst. Ich amüsierte mich noch, als ich dies las:
Der Tod hat ihm kürzlich darob
den Krieg um sein Dasein erklärt.
Das fand ich einfach gelungen.

Dann der Schock, dass die Loveparade mit dem Text verbunden wurde. Es war alles noch zu frisch. Ich musste das erst sacken lassen. Meiner Meinung nach gehört viel Mut dazu, dieses Thema anzupacken. Was du schilderst, beschreibt genau den wunden Punkt der Gesellschaft. Man muss darüber reden.

Lieben Gruß,
Karin
 

MarenS

Mitglied
Nicht jeder der schweigt, nicht jeder, der nicht kommentiert gehört damit auch gleichzeitig in die IchGesellschaftSchublade.

Man darf sein Entsetzen nicht zum voreiligen Richter machen.

die Maren

P.S.: Ich schreibe nun bewusst zum Gedicht nichts mehr
 
Liebe Maren,

ich hoffe, dass mein Kommentar bei dir nicht verkehrt ankam? So habe ich es nämlich nicht gemeint. Ich wollte mich nach anfänglicher Abwehr nur offen zeigen.

Lieben Gruß,
Karin
 



 
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