Erfurt

Haget

Mitglied
Erfurt
26.4.02

Was hat ein Mensch empfunden -
gedacht in seinen letzten Stunden,
als er beschloss, sein junges Leben
freiwillig so dahin zu geben?

Es ist schon - nach meinem Gefühl -
dieser Eine ein Toter zuviel;
doch er hat vorher - ohne Gewissen? -
noch viele gezielt mit sich gerissen.

Erschütterung - Mitleid - Trauer - -
Ohnmacht - Zorn - es geht nicht genauer;
woher sollen tröstende Worte kommen,
wenn vielen Liebstes so sinnlos genommen.​
 
G

Guest

Gast
Hallo!

Ich würde die erste Strophe abändern:

Was hat ein Mensch empfunden,
gedacht in seinen letzten Sekunden,
als er wahllos, gezwungen in Sterbensangst um sein Leben,
unfreiwillig so dahin dieses zum Töten zu geben?

Nach meinem Geschmack passender!

Aber Geschmack ist ja streitneutral!

Gruß,
Guido
 
S

Silvi Degree

Gast
Amoklauf

Wer hat den Täter richtig gekannt -
hat seine Seelenketten erkannt?

Warum ist es so weit gekommen,
dass er anderen und sich selbst
das Leben genommen?

Wer gibt Antwort auf unsere Fragen -
fassungslos scheint die Welt
an solchen Tagen.

Silvi
 
G

Gegge

Gast
Mir missfällt vor allem der TITEL.

Warum ein überall auf der Welt (fast) tagtäglich vorkommendes Geschehen auf diesen einen Ort beschränken.

Mit einem anderen Titel, und etwas allgemeiner würde es auf alle Amokläufer passen.

Gruß Gegge
 
A

annabelle g.

Gast
wie schnell du reagiert hast.

was dieser junge empfunden hat, ist, wenn es stimmt, extrem irritierend. denn er war beliebt, seine mitschüler mochten ihn, er wurde beschrieben als eine ausgesprochen OFFENE persönlichkeit. er ist kein paria gewesen.

was also passiert, wenn einer, bloß weil er von der schule fliegt, innerhalb weniger monate so durchdreht? und keiner nimmt es ernst? ich unterrichte deutsch für mädchen aus migrantenfamilien in dem schwierigen 16/17 alter - ich kann nicht BEGREIFEN, wie ein lehrer NICHT reagiert auf selbstisolation.

und was hat er empfunden, als er verkleidet als ninja-kämper in die schule ging!
 
S

Silvi Degree

Gast
Wer ist Opfer?

Und ...plötzlich leben wir mittendrin ...und...es ist "wie im Kino" - grausam - unfassbar für uns alle.
Und schon haben die Medien nichts anderes zu tun als unverletzte Schüler zu befragen.
Auf der einen Seite setzt man zur Betreuung jener "Nicht -aber dennoch Betroffenen" Psychologen ein,die sie seelisch aufbauen sollen - auf der anderen Seite haschen die Medien sensationslüstern nach jedem Interview.

Doch: wen interessieren Statements?

Stellen wir uns eine ganz einfache Frage:

Wie geht es uns miteinander im RICHTIGEN LEBEN?

Ein recht bedeutender Mensch spricht vom "Mehr Zusammenrücken".

Ich unterrichtete jahrelang Schüler und kann das,was annabelle schreibt,voll unterstützen.

Silvi
 
L

Lyra

Gast
@ Gegge, da gebe ich dir recht und silvi wir leben immer mitendrin!
 
E

enniaG

Gast
AMOK - Rätsel der Gewalt?

In dieser,unserer Wohlstandsgesellschaft, hat man schon so viel erforscht.

Wann gelingt es endlich,die Verhaltensmechanismen dieser getarnten Form eines Selbstmordes zu ergründen?

Unverständlich auch:500 Schuss Reservemunition daheim -das muss doch einer bemerkt haben..
 
A

annabelle g.

Gast
eben, wir sind mittendrin, das verweist auf uns selbst. ich SEHE, wenn ein schüler auch nur EINE pause allein im zimmer bleibt oder sich im hof abseits hält. wiederholt sich das, muss man mit ihm reden, dann mit der gruppe, dann mit den eltern, zur not wechselt er die klasse oder die schule, auch das ist kein beinbruch, dort kann er einen neuen anfang machen. in vielen fällen des gemobbt werdens ist das die einzige möglichkeit und was die schüler brauchen, ist bodenständigkeit.
das mit den schuss munition hatte ich noch nicht gehört.
man braucht da wirklich keine riesenrede an die gesellschaft zu halten, sondern nur die augen auf in die nachbarschaft!
 
S

Silvi Degree

Gast
Im Kleinen

fängt die Gewalt an - meist in Familien - keiner "hört" was,keiner will was gesehen haben.

Ich habe schon mal so eine"kleine Gewalt" in "Krimi"
beschrieben(Angst).

Aber hier,speziell bei Amoklauf,leisten wohl die A-läufer
in "unergründbarem Erregungszustand" ihre furchtbare Vernichtungsarbeit (laut Äußerungen von Psychologen).
 

Haget

Mitglied
Es gibt der Rezepte viele
solche Tat zu verhindern;
erreichen sie ihre Ziele,
Gewaltbereitschaft zu mindern?

Auch wenn daraus nicht Weisheit sprich:
Ich weiß es nicht!

MoinMoin, das Erfurt-Gedicht wollte raus. Täglich geschehen nah und fern kleine und große Unfassbarkeiten - genau diese aber traf bei mir einen Punkt und ging/geht mir nahe; sehr nahe.
Weil ich Erfurt kenne? Vielleicht - und darum muss es jetzt den Titel tragen. Die Worte darin passen für leider „Alltägliches“ in der Welt - das Gedicht aber meint Erfurt.
Ihr, Du, ich - wir alle können jederzeit - tot oder überlebend - direkt betroffene sein. Hier war es zu meinem Glück „nur“ mein Gefühl, mein Herz.
Durfte ich das Gedicht öffentlich machen? Ich wusste es nicht; ich weiß es nicht. Aber bitte keine Qualitäts-Kritik dazu. Jeder mag SEIN Gefühl in SEINE Worte packen. Hier oder anderswo. Aber ich möchte nicht weiter hier reagieren.
 
S

Silvi Degree

Gast
Danke

lieber Haget,
du hast es mit deiner Veröffentlichung richtig gemacht.

Denn, wer, wenn nicht wir,die Schreibenden,
können zum Nachdenken anregen?

Liebe Grüße
Silvi
 
N

niclas van schuir

Gast
Du hast schon reagiert, Hans-Georg, als die meisten Mitmenschen noch in völliger Sprachlosigkeit und blankem Entsetzen verharrten. Danke.
Ich muss Gegge widersprechen, was den Titel angeht. Die schöne Stadt "Erfurt" wird fortan als Fanal verstanden werden müssen, ähnlich wie Auschwitz beispielsweise. Ein Fanal für die Erkenntnis, wie kaputt inzwischen Teile unserer Gesellschaft sind.
Wir müssen uns alle mal wieder aufrappeln, Dinge sehen, erkennen, beschreiben, uns einbringen und Abhilfe schaffen. Die schweigende Mehrheit stellt den Fluch einer Wohlstandsgesellschaft dar! Jeder ist gefordert, Zivilcourage wird verlangt.
Und es sollte in diesem Zusammenhang mal übers Fernsehprogramm, d e m Bildungsmedium der Neuzeit, nachgedacht werden. Die Gewalt, die dort in Form von Nachrichten und noch mehr von Filmen verbreitet wird, schafft die Basis für hirnloses Nachahmen.
Es gibt viel zu tun für Menschen, die guten Willens sind!
Nic
 
L

Lyra

Gast
@niclas van schuir, nicht nur das Fernsehprogramm, ich glaube auch nicht das es noch eine große Rolle spielt. Viel mehr ist es der Computer mit seinen, meist prutalen Spielen und Horrorszenarien.
Ich glaube es ist ein bißchen weit ausgeholt Erfurt gleichzusetzen mit Auschwitz, daß war doch ein bißchen was anderes, oder?

@ennia,
Wann gelingt es endlich,die Verhaltensmechanismen dieser getarnten Form eines Selbstmordes zu ergründen?
Da sich die Täter meist auch selber richten, kann man leider keine so große Statistik aufbauen. Und aus dem Umfeld des Jungen kommen auch nur wage aussagen...

@annabelle, die Lehrer machen sich meist keine großen Mühen mehr. Teilweise ist es sicher verständlich, doch wer ist daran Schuld? Natürlich muß man es überwachen, und ich bin mir sicher das solche Taten wirklich erkannt werden müssen, durch aufmerksames erkennen. Aber Pausenaufsichten dienen wohl nur zum Selbstschutz?!?

Natürlich kann man ein solches Gedicht veröffentlichen, mich stört immer nur die plötzliche Betroffenheit. Wo doch jeder weiß, daß gerade auch an Schulen Bomben ticken.
 
G

Gegge

Gast
Ursprünglich veröffentlicht von niclas van schuir
Die schweigende Mehrheit stellt den Fluch einer Wohlstandsgesellschaft dar! Jeder ist gefordert, Zivilcourage wird verlangt.
Lieber nic,
Man kann zu ALLEM etwas schreiben - man MUSS es aber nicht!

Im Zusammenhang mit dem Amoklauf vom Fluch einer schweigenden Mehrheit zu sprechen klingt nach übelster Boulevardpresse.
Fernseh- und Zeitungsreporter, die daraus Kapital schlagen und Betroffenheit heucheln, sich bei solchen (Gott sei Dank seltenen) Vorfällen um Vermarktungsrechte und Einschaltquoten streiten, zu Schweige- und Gedenkminuten aufrufen, 3 Tage lang eine Meinung kundzugeben (ohne wirklich eine Meinung zu haben) und von einem "unfaßbaren Verbrechen, daß es so in Deutschland nie gegeben hat" zu sprechen - DAS ist der wahre Fluch der Gesellschaft.

"jeder ist gefordert" und "Zivilcourage wird verlangt"?
Wir reden noch von einem Amoklauf? Wir reden noch von einem Einzeltäter? Wir reden gerade nicht von Rassenhaß, Fremdenfeindlichkeit, pöbelnden Punks in der U-Bahn?
Wir reden auch nicht vom wegschauen oder weitergehn wenn in der Stadt ein Mann plötzlich krank zusammenbricht, eine Frau orientierungslos wirkt oder ein Kind seine Eltern sucht?

Für mich ist NY übrigens immer noch sehr vieles mehr als nur "Attentat", und Erfurt wird auch ganz gewiss NIE aufgrund dieses schlimmen Vorfalles auch nur Ansatzweise so einen weltweiten RUF wie Ausschwitz bekommen.

Gegge
 
A

annabelle g.

Gast
überwachung nicht, hinhören und hinsehen ist die ganze kunst. meine mädels - aus griechenland, afghanistan, der türkei, pakistan, den vereinigten staaten und russlanddeutsche - sind eine explosive mischung und am anfang sind die sich an die kehle gegangen, das tun sie jetzt nicht mehr, weil ich es nicht zulasse.
viel zu viele lehrer sehen und hören nichts - ist nicht ihre persönlichkeit. es muss nicht mehr überwachung an die schule, sondern einige wache leute und fertig. in acht jahren migrantenarbeit habe ich schüler von den übelsten trips runterholen können durch pragmatismus, freundschaft, ironie, humor.
trotzdem - erfurt (und schon schreibe ich es so, wie niclas argumentiert hat) scheint mir ein neues problem zu sein - ein schüler, der an sich offen war - kein zombie - spielt ein lustvolles gewaltspiel.
 

Haget

Mitglied
Allgemein zu einigen Bemerkungen:

Schulwechsel? Der Täter reagierte auch(?), weil er die Schule wechseln/verlassen musste.

Fernsehen: Ein Mitschüler sagte aus, der Täter habe angekündigt, er würde etwas tun, womit der eine Berühmheit würde. Hoffentlich bleibt deutlich, dass nicht SEIN Name in den Vordergrund kommt - dass niemand durch solche Taten "berühmt" (berühtigt?) wird.
 

GabiSils

Mitglied
Lieber haget,

annabelle meint hier keinen Schulverweis, sondern den Wechsel der Schule im Einvernehmen mit dem Schüler, wenn er an seiner derzeitigen Schule gemobbt wird, z.b. Mobbing-Situationen sind meist so verfahren, daß auch Gespräche und Eingreifen des Lehrers nichts mehr helfen. Dabei muß ja nicht der Schultyp gewechselt werden, ein anderes Stadtviertel/anderer Ort kann aber einen Neuanfang bringen, in jedem Fall die Situation entkrampfen.

Gruß
Gabi
 
A

annabelle g.

Gast
er MUSSTE sie verlassen.
eine neue klasse kann wunder wirken. manchmal auch eine neue schule - es gibt aggressive und weniger aggressive schulen und schulen von völlig unterschiedlicher qualität.
aber ich glaube, sämtliche deutungsmuster versagen - die schüler sagen, es wären gute lehrer gewesen, die ihre schüler nicht im stich gelassen hätten.
 

Haget

Mitglied
@gabi
@annabelle
Ich hatte nicht nochmals alles durchgelesen. Einverständlicher Schulwechsel ist sicherlich eine (von vielen denkbaren) Hilfen, einer verfahrenen Lage zu entkommen.
 



 
Oben Unten