Erinnerung

Haarkranz

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Erinnerung

Morgen, Anna, werd ich achtundachtzig! Unglaublich? Wie lange sind wir zusammen? Was ? Nein, nicht verheiratet, zusammen. Warte ich hab’s. 1950, ich war dreißig du zwanzig. Ich ein Wrack, du ein glitzernder Fisch. Meine Forelle nannte ich dich. Meine nach Leben duftende Forelle.
Ich hatte Dysenterie. Hieß so, damals. War Auszehrung, Resultat einer endlosen Pressung von Leib und Seele, dir das letzte Jota Kraft abzuquetschen, für den Wiederaufbau des Sozialismus.
Kann’s dem Iwan nicht verdenken. Unvorstellbar was wir antaten. Wir, die Soldaten, die körperlich Anwesenden, die schossen, brannten, mordeten. Die entfesselten Wurstmacher, Meister aus Deutschland.
Erinnerst du die Stunden am Waldrand, Anna? Mein Kopf in deinem Schoß, die Augen an den Himmel verloren. Lieben kam viel später. Mein Körper fand zurück, die Seele kam viel später. Du warst Geduld und Ahnung. Der Waldrand, die furchtlosen Tiere. Wenige Schritte zwischen uns und äsenden Rehen. Der Fuchs ganz nah, blickte uns reglos ins Auge. Seh jedes Haar seiner grauen Schnauze.
Irgendwann war ich wieder Mann, dein Mann. Doch nichts, Anna, wirklich nichts, ist mir so lebendig wie die kühlen Stunden im Schatten der Bäume.
Lass gut sein, ist, obwohl lebendig nah, gänzlich versunken.
 



 
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