Erntedank

Limba

Mitglied
Tag und Nachtgleiche, ein starkes Symbol, die Zeit schwebt scheinbar schwerelos im Gleichgewicht, halb Tag, halb Nacht und doch ein Wendepunkt. Zeitenwende!
So oder so, wohin die Welt sich wenden muss, hin zum Licht, zu Sommer und Frucht im Frühling, oder wie jetzt, im September, dem Winter zu. In Schlaf und Frost versinkt nun bald das Leben, dass vor einem halben Jahr gerade erst geboren. Im Frühling erst!
Blauer Himmel und gelbe Erde tanzten wie in jedem Mai ihren Hochzeitsreigen, zeugten abertausend Kinder allerorten. Doch schien mit Kraut und Busch und Baum all ihre Phantasie verbraucht, ein jedes ihrer Kinder steckten sie in grüne Kleider.
Vielleicht ist Grün nur deshalb eine Wohltat für das Auge, weil jedes Elternteil zu gleichem Part seine Farben beigemischt, in Harmonie gezeugt, lebt alles Grün immer nur den Frieden.
Fad wird es im September, Oliv, gemahnt mit braunem Gelb und mattem Himmelsblau an das bald schon sterbende Jahr.
Doch bäumt sich alter Saft und gutes Leben noch einmal auf in Gold und Rot, als ob das Blut der Wälder wie im Gebet zur Sonne strebte, wenn mit den goldnen Tagen des Oktobers alles Blendende darin erstirbt.
Noch hängt Blatt an Blatt in stolzer Pracht, doch wartet nur! Der Herbst bläht in den Bergen schon die Backen.
Vergebens ist alle Hoffnung, alles Halten, nicht der Tag, die Nächte werden länger.
Die Zeit der Besinnung und des Dankes steht nun an und wehe wer nicht gut versorgt aus den Tagen des Erntens in die Zäsur der langen Nächte geht.
Der Mensch hört gern auf seinen Bauch, er schläft erst ruhig, wenn die Speisekammer voll ist bis zum Rand, so hängt er Würste in den Rauch, hortet gutes Korn und mancher Käselaib wird hundertmal gesalzen.
Endlich ist es vollbracht, wie schön das klingt in alter Sprache! Voll bracht? die Kammer! Voll Pracht? Die dichte Reihe draller Schinken!
Dank reicher Ernte kann der kommende Winter nicht schrecken.
Erntedank steht vor der Tür!
Die Herrschaft rüstet zum Fest!
Von fröhlichen Gesängen begleitet, ziehen die Mädchen und jungen Burschen am Vortage des Festes hinaus auf die Kirchwiese. Tische und Bänke werden in die Buden gestellt, mit bunten Girlanden bekränzen sie Koppelzäune und Wände, hängen Laternen an die Stämme und stellen Puppen aus Stroh an den Weg.
Bis ganz zuletzt bleiben die bunten Bänder liegen, doch es hilft nichts, sie müssen hinauf in die Zweige der Pappeln.
Kichernd und drucksend schieben die Mädchen immer eine die andere vor, bis sich endlich eine traut. Die Zweige locken hoch und die Männer müssen die Leitern halten.

Traut es euch, Mädchen, wir halten die Leiter,
leicht seid ihr, Mädchen, klettert heiter,
schön seid ihr, Mädchen, macht ruhig weiter,
wir sehen, Mädchen, zum Fuß der Leiter.

So singen die Burschen. So schwören sie! Nie und nimmer würden sie nach oben schauen, nimmer und nie.
Kichern wird Lachen und Drucksen zu Kreischen, die Mädchen aber halten sich an den schwankenden Leitern fest, statt die Röcke zusammen und es macht ihnen nichts aus.
Die frechsten von ihnen wackeln sogar etwas mehr mit dem Hinterteil, als die Balance erzwingt, pfeffern schließlich alles hinab in die lachenden Gesichter der Kerle, die überall hinschauen, nur nicht weg.
Schade, dass der Pastor dabei ist, den Festschmuck zu segnen, da bleibt bei aller Fröhlichkeit der Anstand gewahrt, vielleicht auch das Ärgste verhütet.
So aber kommen sie alle unbeschadet zu ihren Müttern zurück, die den Töchtern den lockeren Spaß von Herzen gönnen, schließlich zogen sie Früher selber gar zu gerne hinaus, bevor sie unter die Haube kamen. Ja Früher…
Erntedank auf Leuben ist in der ganzen Gegend berühmt.
Dann endlich, der Tag ist da!
Die Herrschaft ist sich nicht zu schade, an diesem Tag mit dem gemeinen Volk am selben Tisch zu sitzen und die ländlichen Tänze zu tanzen.
Gnädig ist der Herr und voller Melancholie, das ist seine Art.
Gnädig ist die Messe auf freiem Feld, gnädig kurz.
Auch mit dem anderen kommt man gut voran, die Kuchenberge schmelzen, wie Schnee in der Sonne, der junge Ochse, seit Stunden am Spieß, geht auch den Weg alles Irdischen, etwas früher vielleicht, als von der Natur vorgesehen, aber schließlich musste diesen Weg jeder gehen, auch König und Papst, und sei es durch den Bauch einer Made.
So denkt der Herr, mit der Hand in der Wange.
Das Rindvieh eignet sich aber wirklich hervorragend, um in einem Atemzug mit Fürst und Prälat genannt zu werden, es wird als großes Tier geboren, manches, wie der Ochse, zum Zölibat verdammt, immer aber dafür gemacht, sich vor den Karren zu spannen. Doch nicht nur beim Ochsen muss man meistens feste draufhauen, bevor solch ein störrisches Vieh zu nützlicher Tätigkeit zu bewegen ist.
So ist er nicht, der Herr.
Doch an den Weg alles Irdischen denkt außer ihm niemand. Wie auch, wenn das Leben lockt. Fiedeln und Flöten, Dudelsack und Schallmai, Trommel und Brummtopf, machen keinen Trauermarsch!
Die Weiber aus dem Dorf tanzen an den Tisch heran, nehmen die Herrin an die Hand und ziehen sie mit in ihren Kreis.
Der Herr aber schaut ihnen nach.
Die Wangen gerötet, die Arme in die Seiten gestützt, strahlend und voller Saft und Kraft, gebräunt von der Sonne und mit Blumenkränzen im Haar, drehen sich die Weiber im Reigen, tanzen in die Abendsonne, heiß und danach verlangend, die ewige Kette des Lebens mit ihren Leibern aufs neue zu schmieden.
Da vergisst der Herr alles um sich herum, die Gedanken weichen ab, heute ist Erntedank und stark das Verlangen, errötend schreitet er zu den Weibern und reiht sich ein in ihren Kreis.
 

Limba

Mitglied
Tag und Nachtgleiche, ein starkes Symbol, die Zeit schwebt scheinbar schwerelos im Gleichgewicht, halb Tag, halb Nacht und doch ein Wendepunkt. Zeitenwende!
So oder so, wohin die Welt sich wenden muss, hin zum Licht, zu Sommer und Frucht im Frühling, oder wie jetzt, im September, dem Winter zu. In Schlaf und Frost versinkt nun bald das Leben, dass vor einem halben Jahr gerade erst geboren. Im Frühling erst!
Blauer Himmel und gelbe Erde tanzten wie in jedem Mai ihren Hochzeitsreigen, zeugten abertausend Kinder allerorten. Doch schien mit Kraut und Busch und Baum all ihre Phantasie verbraucht, ein jedes ihrer Kinder steckten sie in grüne Kleider.
Vielleicht ist Grün nur deshalb eine Wohltat für das Auge, weil jedes Elternteil zu gleichem Part seine Farben beigemischt, in Harmonie gezeugt, lebt alles Grün immer nur den Frieden.
Fad wird es im September, Oliv, gemahnt mit braunem Gelb und mattem Himmelsblau an das bald schon sterbende Jahr.
Doch bäumt sich alter Saft und gutes Leben noch einmal auf in Gold und Rot, als ob das Blut der Wälder wie im Gebet zur Sonne strebte, wenn mit den goldnen Tagen des Oktobers alles Blendende darin erstirbt.
Noch hängt Blatt an Blatt in stolzer Pracht, doch wartet nur! Der Herbst bläht in den Bergen schon die Backen.
Vergebens ist alle Hoffnung, alles Halten, nicht der Tag, die Nächte werden länger.
Die Zeit der Besinnung und des Dankes steht nun an und wehe wer nicht gut versorgt aus den Tagen des Erntens in die Zäsur der langen Nächte geht.
Der Mensch hört gern auf seinen Bauch, er schläft erst ruhig, wenn die Speisekammer voll ist bis zum Rand, so hängt er Würste in den Rauch, hortet gutes Korn und mancher Käselaib wird hundertmal gesalzen.
Endlich ist es vollbracht, wie schön das klingt in alter Sprache! Voll bracht? die Kammer! Voll Pracht? Die dichte Reihe draller Schinken!
Dank reicher Ernte kann der kommende Winter nicht schrecken.
Erntedank steht vor der Tür!
Die Herrschaft rüstet zum Fest!
Von fröhlichen Gesängen begleitet, ziehen die Mädchen und jungen Burschen am Vortage des Festes hinaus auf die Kirchwiese. Tische und Bänke werden in die Buden gestellt, mit bunten Girlanden bekränzen sie Koppelzäune und Wände, hängen Laternen an die Stämme und stellen Puppen aus Stroh an den Weg.
Bis ganz zuletzt bleiben die bunten Bänder liegen, doch es hilft nichts, sie müssen hinauf in die Zweige der Pappeln.
Kichernd und drucksend schieben die Mädchen immer eine die andere vor, bis sich endlich eine traut. Die Zweige locken hoch und die Männer müssen die Leitern halten.

Traut es euch, Mädchen, wir halten die Leiter,
leicht seid ihr, Mädchen, klettert heiter,
schön seid ihr, Mädchen, macht ruhig weiter,
wir sehen, Mädchen, zum Fuß der Leiter.

So singen die Burschen. So schwören sie! Nie und nimmer würden sie nach oben schauen, nimmer und nie.
Kichern wird Lachen und Drucksen zu Kreischen, die Mädchen aber halten sich an den schwankenden Leitern fest, statt die Röcke zusammen und es macht ihnen nichts aus.
Die frechsten von ihnen wackeln sogar etwas mehr mit dem Hinterteil, als die Balance erzwingt, pfeffern schließlich alles hinab in die lachenden Gesichter der Kerle, die überall hinschauen, nur nicht weg.
Schade, dass der Pastor dabei ist, den Festschmuck zu segnen, da bleibt bei aller Fröhlichkeit der Anstand gewahrt, vielleicht auch das Ärgste verhütet.
So aber kommen sie alle unbeschadet zu ihren Müttern zurück, die den Töchtern den lockeren Spaß von Herzen gönnen, schließlich zogen sie Früher selber gar zu gerne hinaus, bevor sie unter die Haube kamen. Ja Früher…
Erntedank auf Leuben ist in der ganzen Gegend berühmt.
Dann endlich, der Tag ist da!
Die Herrschaft ist sich nicht zu schade, an diesem Tag mit dem gemeinen Volk am selben Tisch zu sitzen und die ländlichen Tänze zu tanzen.
Gnädig ist der Herr und voller Melancholie, das ist seine Art.
Gnädig ist die Messe auf freiem Feld, gnädig kurz.
Auch mit dem anderen kommt man gut voran, die Kuchenberge schmelzen, wie Schnee in der Sonne, der junge Ochse, seit Stunden am Spieß, geht auch den Weg alles Irdischen, etwas früher vielleicht, als von der Natur vorgesehen, aber schließlich muss diesen Weg jeder gehen, auch König und Papst, und sei es durch den Bauch einer Made.
So denkt der Herr, mit der Hand an der Wange.
Das Rindvieh eignet sich aber wirklich hervorragend, um in einem Atemzug mit Fürst und Prälat genannt zu werden, es wird als großes Tier geboren, manches, wie der Ochse, zum Zölibat verdammt, immer aber dafür gemacht, sich vor den Karren zu spannen. Doch nicht nur beim Ochsen muss man meistens feste draufhauen, bevor solch ein störrisches Vieh zu nützlicher Tätigkeit zu bewegen ist.
So ist er nicht, der Herr.
Doch an den Weg alles Irdischen denkt außer ihm niemand. Wie auch, wenn das Leben lockt. Fiedeln und Flöten, Dudelsack und Schallmai, Trommel und Brummtopf, spielen keinen Trauermarsch!
Die Weiber aus dem Dorf tanzen an den Tisch heran, nehmen die Herrin an die Hand und ziehen sie mit in ihren Kreis.
Der Herr aber schaut ihnen nach.
Die Wangen gerötet, die Arme in die Seiten gestützt, strahlend und voller Saft und Kraft, gebräunt von der Sonne und mit Blumenkränzen im Haar, drehen sich die Weiber im Reigen, tanzen in die Abendsonne, heiß und danach verlangend, die ewige Kette des Lebens mit ihren Leibern aufs neue zu schmieden.
Da vergisst der Herr alles um sich herum, die Gedanken weichen ab, heute ist Erntedank und stark das Verlangen, errötend schreitet er zu den Weibern und reiht sich ein in ihren Kreis.
 

nachts

Mitglied
Hallo Limba
zum Glück hab ich nach den ersten Sätzen noch weitergelesen - da war es mir eigentlich zu pathetisch - aber dann hatte es plötzlich etwas locker fließendes und ich hatte Spaß an der Sprache. Der Unterschied zwischen Pathetisch und "Fließend" ist -so denk ich mal - vielleicht der Humor, der nach dem ersten Drittel aufblitzt.
Hab es gerne gelesen
Viel Spaß am Schreiben
Nachts
 

Limba

Mitglied
Hallo nachts,

danke für Dein Durchhalten. Was gibt es schöneres für einen Schreiberling, als wenn er gelesen wird!
Ach, zwei Herzen schlagen manchesmal in meiner Brust (pathetisch), wenn der Schmalz zu dicke wird, treibt mich zum Glück der Schalk dann aber auf die Palme (mit Shorts unterm Schottenrock).
Im Ernst, ich experimentiere ganz gerne mal mit eigentlich Gegensätzlichem, ein Oxymoron- gewissermaßen. Leider fehlt mir noch die Routine, um das flüssiger hinzubekommen, doch deshalb bin ich ja lupieren.

Abschied ist solch bittersüßer Schmerz, ein schönes Oxymoron (ich glaube von Shakespeare), meinst Du nicht auch?
MfG Limba
 



 
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