Erstling auf Leselupe: Danse Macabre oder In Memoriam

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Fero

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Danse Macabre oder In Memoriam

Die alte Frau fasste den Bogen zart an. Liebliche Töne erfüllten die Luft, als sie die Saiten berührte - leicht.

Sie war umgeben von Sommer. Es duftete nach wucherndem Gras und wilden Blumen, Bienen summten um sie herum, Hummeln wanderten von Blüte zu Blüte, auf ihrer Suche nach Nektar. Der Himmel war von einem freundlichen Blau und die Sonne stand hell und strahlend über der Welt - eine goldene Herrscherin über das Firmament. Ihre Strahlen liebkosten die Haut des kleinen Mädchens - wohltuend, nicht sengend. Die Wärme erzeugte ein wohliges Kribbeln in ihr. Sie war glücklich.

Sie spielte nun intensiver. Die Musik, die sie der Geige entlockte war voller Harmonie. Die Stirn der alten Frau, jedoch, lag in Falten - Dunkle Wolken dräuten am Horizont. Die Musik wurde schneller.

Sie befand sich zu Hause - In dem Haus ihrer Eltern, heißt das, welches sie (ein junges Ding von knapp 16 Jahren) damals freilich noch \"zu Hause\" genannt hatte. Ihr gegenüber am Wohnzimmertisch saß ihre Mutter. Ihre verhärmte Haltung, ihre Augen, ihre ganze Person waren der Ausdruck tief wurzelnder Sorge...und Angst.

Die Blumenwiese war schon lange Vergangenheit. Sie war kein Kind mehr und inzwischen sah sie die sorgsam verborgenen Tränen in ihrer Mutter Augen, und sie erkannte die schwelende Wut in ihrem zumeist betrunkenen Vater...ihr Vater!

Die Furchen auf der Stirn der Alten wurden tiefer. Ihre blicklosen, milchig-weißen Augen schienen ein dunkleres Grau anzunehmen. Der Bogen tanzte nun über die Saiten; die noch immer fröhlichen Töne hatten etwas ironisches gewonnen, als mokierten sie sich über die unschuldige Ignoranz eines etwaigen Zuhörers. Bald...

Es war Abend geworden in dem kleinen Wohnzimmer. Das einzige Licht kam von einer trüben Deckenlampe. Die Schatten schienen lebendig. Das Mädchen und die gebeugte Frau - ihre Mutter - warteten. Worauf, wussten sie scheinbar selber nicht. Auf einmal flog die Wohnungstür auf, das Deckenlicht flackerte.

Ein plötzlicher Tusch, ein langgezogener, klagender Ton, die alte Frau riss ihre Augen weit auf, und das blinde Weiß darin schien zu pulsieren. Der Bogen sprang nun wie toll umher, ein Danse Macabre , während die Musik immer dunklerer Couleur wurde. Hopsend und drängend und drohend und rennend! Die einst schönen Motive wurden zu grotesken Schattengestalten, spottend dem Licht, das aus dieser Musik vollkommen verdrängt worden war.

Der Vater raste! Seine kleinen, wässrigen Augen warfen Blicke wie Dolche nach der Frau mit dem Kind, die zittrige Hand warf was immer sie zu fassen bekam. Das junge Mädchen weinte und schrie, die Mutter stand nur wenige Schritte vor dem Wüterich, Tränen in den Augen. Seinen Wurfgeschossen mehr schlecht als recht ausweichend, redete sie beschwichtigend auf ihn ein. Der Vater bekam ein langes Messer zu greifen -

Plötzlich! Der Bogen verharrte. Die Hand, die ihn führte, war geborgen in einer anderen. Nicht fest, nein, locker und zärtlich entwand der Ehemann seiner Frau den Bogen - die Schattendämonen verschwanden; das Licht kam zurück. Es flutete durch das geöffnete Fenster in den Raum, begleitet von Vogelgezwitscher und dem Duft der ersten Blüten im Garten vor dem Haus. Die Erinnerungen wichen der Gegenwart. Die Schmerzen nie verblasster Narben verebbten, bis nur die sanfte Berührung des Lebensgefährten und das Gefühl warmer Sonnenstrahlen auf der Haut blieben. Bedächtig legte die alte Frau die Geige beiseite.
\"Es ist Frühling\", flüsterte sie.
\"Ja\", sagte er mit endloser Wärme in der Stimme. \"Ja, Frühling ist es tatsächlich.\"
Ihre blinden Augen fanden sein Gesicht. Sie lächelte sacht.
 
K

KaGeb

Gast
Hallo Fero,

herzlich willkommen auf der LeLu.

Dein Einverständnis voraussetzend habe ich deine Einleitungsworte über ein anderes Forum gelöscht. In der Rubrik sollen nur die Geschichten als solche stehen ohne Fremdwerbung bzw. Verlinkung auf andere Seiten.

Viel Spass,

KaGeb
 

Fero

Mitglied
Dein Einverständnis voraussetzend habe ich deine Einleitungsworte über ein anderes Forum gelöscht.
Macht nix ;)
Die Formatierung der Überschrift und den Link zu der PDF-Version hättest du aber ruhig stehen lassen können, oder?
 

Fero

Mitglied
(hier die etwas schöner formatierte PDF-Version)

Danse Macabre oder In Memoriam​

Die alte Frau fasste den Bogen zart an. Liebliche Töne erfüllten die Luft, als sie die Saiten berührte - leicht.

Sie war umgeben von Sommer. Es duftete nach wucherndem Gras und wilden Blumen, Bienen summten um sie herum, Hummeln wanderten von Blüte zu Blüte, auf ihrer Suche nach Nektar. Der Himmel war von einem freundlichen Blau und die Sonne stand hell und strahlend über der Welt - eine goldene Herrscherin über das Firmament. Ihre Strahlen liebkosten die Haut des kleinen Mädchens - wohltuend, nicht sengend. Die Wärme erzeugte ein wohliges Kribbeln in ihr. Sie war glücklich.

Sie spielte nun intensiver. Die Musik, die sie der Geige entlockte war voller Harmonie. Die Stirn der alten Frau, jedoch, lag in Falten - Dunkle Wolken dräuten am Horizont. Die Musik wurde schneller.

Sie befand sich zu Hause - In dem Haus ihrer Eltern, heißt das, welches sie (ein junges Ding von knapp 16 Jahren) damals freilich noch "zu Hause" genannt hatte. Ihr gegenüber am Wohnzimmertisch saß ihre Mutter. Ihre verhärmte Haltung, ihre Augen, ihre ganze Person waren der Ausdruck tief wurzelnder Sorge...und Angst.

Die Blumenwiese war schon lange Vergangenheit. Sie war kein Kind mehr und inzwischen sah sie die sorgsam verborgenen Tränen in ihrer Mutter Augen, und sie erkannte die schwelende Wut in ihrem zumeist betrunkenen Vater...ihr Vater!

Die Furchen auf der Stirn der Alten wurden tiefer. Ihre blicklosen, milchig-weißen Augen schienen ein dunkleres Grau anzunehmen. Der Bogen tanzte nun über die Saiten; die noch immer fröhlichen Töne hatten etwas ironisches gewonnen, als mokierten sie sich über die unschuldige Ignoranz eines etwaigen Zuhörers. Bald...

Es war Abend geworden in dem kleinen Wohnzimmer. Das einzige Licht kam von einer trüben Deckenlampe. Die Schatten schienen lebendig. Das Mädchen und die gebeugte Frau - ihre Mutter - warteten. Worauf, wussten sie scheinbar selber nicht. Auf einmal flog die Wohnungstür auf, das Deckenlicht flackerte.

Ein plötzlicher Tusch, ein langgezogener, klagender Ton, die alte Frau riss ihre Augen weit auf, und das blinde Weiß darin schien zu pulsieren. Der Bogen sprang nun wie toll umher, ein Danse Macabre , während die Musik immer dunklerer Couleur wurde. Hopsend und drängend und drohend und rennend! Die einst schönen Motive wurden zu grotesken Schattengestalten, spottend dem Licht, das aus dieser Musik vollkommen verdrängt worden war.

Der Vater raste! Seine kleinen, wässrigen Augen warfen Blicke wie Dolche nach der Frau mit dem Kind, die zittrige Hand warf was immer sie zu fassen bekam. Das junge Mädchen weinte und schrie, die Mutter stand nur wenige Schritte vor dem Wüterich, Tränen in den Augen. Seinen Wurfgeschossen mehr schlecht als recht ausweichend, redete sie beschwichtigend auf ihn ein. Der Vater bekam ein langes Messer zu greifen -

Plötzlich! Der Bogen verharrte. Die Hand, die ihn führte, war geborgen in einer anderen. Nicht fest, nein, locker und zärtlich entwand der Ehemann seiner Frau den Bogen - die Schattendämonen verschwanden; das Licht kam zurück. Es flutete durch das geöffnete Fenster in den Raum, begleitet von Vogelgezwitscher und dem Duft der ersten Blüten im Garten vor dem Haus. Die Erinnerungen wichen der Gegenwart. Die Schmerzen nie verblasster Narben verebbten, bis nur die sanfte Berührung des Lebensgefährten und das Gefühl warmer Sonnenstrahlen auf der Haut blieben. Bedächtig legte die alte Frau die Geige beiseite.
"Es ist Frühling", flüsterte sie.
"Ja", sagte er mit endloser Wärme in der Stimme. "Ja, Frühling ist es tatsächlich."
Ihre blinden Augen fanden sein Gesicht. Sie lächelte sacht.
 



 
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