Es treffen sich zwei alte Dichter

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Walther

Mitglied
Es treffen sich zwei alte Dichter
Und machen schaurige Gesichter.
„Mensch, war ich gut, als ich noch jung
War, schrieb ich mit der baren Zung

Die Reime, Verse, Strophen, Stanzen.
Die hatten Drive! Mit leerem Ranzen
Schreibt es sich einfach besser, nicht?“
Sagt Nummer 1. Die 2 hält dicht

Und lächelt weise, diabolisch.
„Der Papst, mein Lieber, ist katholisch!“
Hebt er dann an. „Und manchmal heilig.
Mit letzterem hat er’s nicht eilig!“

„Was willst Du sagen, lieber Freund!“
Er grinst und sagt: „Weil mir es scheint,
Uns fehlt’s an Ruhm und Publikum.“
Dann schweigen beide länger stumm.

Der eine seufzt. Der andre auch.
Er streckt die Hände vor den Bauch.
Wo er sie faltet. „Das Problem,
Ich geb es zu, ist unbequem.

An Lesern hat uns mir gefehlt.
Das ist es, was mich heute quält.
Noch ist das letzte Ende offen.
Ein Unentdeckter kann noch hoffen,

Dass irgendeiner doch erkennt,
Was für ein Reimundverstalent
Den Augen blieb bisher verborgen:
Doch ich beginne mich zu sorgen,

Dass uns das Zeitliche gesegnet,
Bevor uns dieses Glück begegnet.
Uns bleibt, in unsrer Dichternot,
Nur noch das Hoffen auf den Tod,

Und, dass, wenn man uns eingegraben,
Die Erben was vom Beifall haben,
Wenn ob der dichterischen Tat
Die Nachwelt sich begeistert hat.

So geht’s dem Papst und vielen Guten.
Man könnte beinahe vermuten,
In diesem Ganzen wär System,
Wenn’s manches Mal nicht anders käm.“

Die beiden alten Dichter nicken.
Und müssen sich ins Schicksal schicken:
Zu sterben gradso unentdeckt
Wie manche Jungfrau unbefleckt.
 
Hallo Walther,

dein Gedicht finde ich prima! Deine Zeilen treffen wirklich den Nagel auf den Kopf. Das einzige, was mich irritiert, ist das WAR in der vierten Zeile der ersten Strophe.

Lieber Gruß,
Estrella
 
I

Ivor Joseph

Gast
Ich habe einen Freund aus Longuich.
Dort bezeichnet man alte Jungfrauen angeblich als:

[ 4]»Ungeöffnet an den Absender zurück.«

Ich hoffe diese Dichter haben gelebt.
LG, Ivor
 

Walther

Mitglied
Hi Estrella,

danke für die lobenden Worte.

Das "war" in S1Z4 ist so gewählt, weil die Aussage die Vergangenheit anspricht. Eine andere Zeitform wäre m.E. falsch. Danke aber für den Hinweis.

LG W.

Hallo Ivor,

ob die Dichter gelebt haben? Gute Frage, nächste Frage. :)

Die Floskel mit den Jungfrauen hatte ich im Kopf. Das paßte eben zu "katholisch" und Papst.

Lieben Dank und Gruß W.
 

Walther

Mitglied
Es treffen sich zwei alte Dichter
Und machen schaurige Gesichter.
„Mensch, war ich gut, als ich noch jung
War, schrieb ich mit der baren Zung

Die Reime, Verse, Strophen, Stanzen.
Die hatten Drive! Mit leerem Ranzen
Schreibt es sich einfach besser, nicht?“
Sagt Nummer 1. Die 2 hält dicht

Und lächelt weise, diabolisch.
„Der Papst, mein Lieber, ist katholisch!“
Hebt er dann an. „Und manchmal heilig.
Mit letzterem hat er’s nicht eilig!“

„Was willst Du sagen, lieber Freund!“
Er grinst und sagt: „Weil mir es scheint,
Uns fehlt’s an Ruhm und Publikum.“
Dann schweigen beide länger stumm.

Der eine seufzt. Der andre auch.
Er streckt die Hände vor den Bauch.
Wo er sie faltet. „Das Problem,
Ich geb es zu, ist unbequem.

An Lesern hat es uns gefehlt.
Das ist es, was mich heute quält.
Noch ist das letzte Ende offen.
Ein Unentdeckter kann noch hoffen,

Dass irgendeiner doch erkennt,
Was für ein Reimundverstalent
Den Augen blieb bisher verborgen:
Doch ich beginne mich zu sorgen,

Uns hat das Zeitliche gesegnet,
Bevor uns dieses Glück begegnet.
Uns bleibt, in unsrer Dichternot,
Nur noch das Hoffen auf den Tod,

Und, dass, wenn man uns eingegraben,
Die Erben was vom Beifall haben,
Wenn ob der dichterischen Tat
Die Nachwelt sich begeistert hat.

So geht’s dem Papst und vielen Guten.
Man könnte beinahe vermuten,
In diesem Ganzen wär System,
Wenn’s manches Mal nicht anders käm.“

Die beiden alten Dichter nicken.
Und müssen sich ins Schicksal schicken:
Zu sterben gradso unentdeckt
Wie manche Jungfrau unbefleckt.
 



 
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