Espresso und Kognak

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Grand

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Die singenden Mandolinen rühren sich im duftenden Frühlingshauch. Ihr Klang bezittert die lange Straße hoher Betonhäuser, ihre Fenster starren blind in den sonnigen Himmel. Sie blenden.
Das Himmelblau spiegelt sich wider, doch seine Augen verbleiben dunkel. Schallendes Gelächter und berauschender Frohgemut der schnatternden Frauen wollten ihn nicht zerbrechen. Die zu ihm aufschlagenden langen Augenwimpern mochten seine Aufmerksamkeit nicht aufhängen, obschon er ihnen ein kleines Lächeln gönnt. Ihre Röcke wehen, so sie sich von ihm wenden.
Doch in den Scherben der Blumentöpfe schmiegen sich Akeleien seinen Schultern an.
Zwischen schmächtigen Fingern rollen sich träge qualmende Zigaretten, ihre Asche glüht rötlich in jedem Atemzug. Leere Worte schmauchen aus roten Mündern und vergehen im Äther.

Er wartet. Schaut ungeduldig auf die tickende Uhr, die Zeitung raschelt. Sie ist zu spät, wie immer. Von den knospenden Kirschblüten ruft feierlich der Kuckuck. Ein herbes Lächeln verzerrt ihm die Gesichtszüge.
Die mittägliche Pause wollten sie gemeinsam verbringen. Hier im Kaffeehaus.
Sein Mandant würde ihm schon bald in der Kanzlei aufwarten. Betrug, Täuschung, lautet die Anklage.
Die dunklen, zusammen gezogenen Augen reflektieren sich kalt im randlosen, geschliffenen Brillenglas. Sie glitzern gleich staubigen Splittern. Schwarzer Espresso raucht neben ihm auf dem Tisch.

Da kommt sie endlich! Die hohen Absätze verkünden hohl ihren Besuch. Der schwarze Rock wiegt im aufreizenden Gang hin und her, die wohlgeformten weißen Waden liegen bloß und die geschmeidigen Knie blitzen auf. Knapp verschließt sich die weiße Bluse nur, der Knopf zur Verhüllung der Brust ist abgesprungen. Ihre Augen verbergen sich hinter dunklen Sonnengläsern und das Lächeln windet sich mühselig in ihrem Antlitz, gequält und künstlich. Gerade noch hat der altrosa Lippenstift sich entfärbt, er schimmert bloß noch dunkel an den Herzenssäumen. Ausgetrocknet.
ER: Du hast ihn weggegeben… sicherlich nicht beim Lächeln. Töte mich, ehe ich dich töte.
Trotzdem er sich hinter den hohen Blättern der Zeitung verbirgt, verfolgt sein Auge sie. Es ist schmal. Managerin, schnaubt er. Eine geschickte Tänzerin.
Unruhig richtet er sich in dem harten Stuhl auf, herrschaftlich.

Sie sieht ihn. Sieht sein Bildnis durch die Presse hindurch.
Seine Erscheinung ist elegant, der hoch gewachsene Leib eingekleidet in einem schwarzen Designanzug und die Beine schlagen sich selbstsicher übereinander. Die harte Brust verschleiert sich vage hinter einem weißen Hemd, so die glänzenden Knöpfe den Hals einschließen und ein dunkelblauer Binder mit helllichten Karos ihn erstickt. Seine Lippen ziehen eine stramme Linie und unlängst schmecken die kleinen Muttermale an Kinn und Mundwinkel nach kleinen, faulen Kirschkernen. Streng schmiegen sich die dunklen, kurzen Haare der Kopfhaut an und der haselnussbraune Blick schlägt insistent hinter feinem, dünnem Glas hervor; er schneidet scharf und gestreng in die Seele ein. In einer dunklen Wolke verbirgt sich seine Seele.
Sie kauert sich innerlich zusammen.
SIE: Besser ich töte dich, ehe du mich tötest.
Heiß spürt sie noch die leidenschaftlichen Küsse auf ihrer Haut.

Sie sitzen im Schatten, die Sonne scheint abseits von ihnen.
SIE: „Grüß dich, mein Liebster.“
Sie legt eine schwarze Dokumentenmappe auf das weiße Spitzendeckchen und beugt sich zu ihm vor, ihr Parfüm erhängt sich schwer im Äther, herb würgt der Männerschweiß.
ER: „Guten Tag, Geliebte.“
Sein Lächeln biegt sich steif und die Muttermale blinzeln schwarz zu ihr hinauf. Sie zuckt zurück, setzt sich rasch und verbirgt das Auge hinter dichten Wimpern.
Sie verlangt hochmütig einen Cappuccino, ihre Stimme ist fest, doch ihr Herz zittert. Er kann es sehen, legt die Zeitung beiseite und wendet sich ihr zu. Ihre langen, zierlichen Finger ziehen die getönten Gläser von den Augen und sie hebt den Spiegel vor ihr Gesicht. Erfahren reiben die Kuppen über den Lidschatten, entfernen die schwarzen Schatten des zerlaufenen Mascaras und Licht kommt in ihre dunklen Augen ein. Sie klappt endgültig den Spiegel zu.
Stille.
Sie schweigen sich an, er schaut sie an, wehmütig, während sich ihr Blick im Horizont verliert, sehnsüchtig. Die Basisfunktion der Kommunikation versagt. Der Garçon bringt den Cappuccino.

Sie nippt an ihrem Cappuccino, wachsam, und ihre Augen weichen nicht von ihm. Die Zunge fährt in den Kaffee ein und der Milchschaum hängt ihren Lippen an. Wie der Sahnerahm den Schnurrhaaren einer hungrigen Katze.
Er schließt den Zeigefinger um die zerbrechliche Tasse und nimmt einen schwarzen Schluck vom bitteren Espresso. Letztlich soll das Herz ihm nicht erkalten. Es schlägt. Die Hitze zerschellt an der kalten Wand.
Kognak, denkt er. Kognak. Er lächelt ihr zu, flüchtig. Die Mundwinkel hängen sich auf, sie fallen in sich zusammen. Er neigt den Kopf ab. Und verbirgt die Hände. Sie könnten erzittern.
Sie schaut ihn kaum an, das Haar hüllt ihr das Angesicht ein und die Augen tasten nun die Bilanzen in ihrer Dokumentenmappe ab, sie sind nicht ausgeglichen. Es fehlt ihnen an Eigenkapital.
Ihre Stirn wölbt sich vor. Wir gehen mit jedem Jahr mehr verlustig, sagt sie, ihre Stimme ist nüchtern. Analytisch. Dirigistisch.
Du wirst einen Anwalt brauchen, merkt er an, lehnt sich im Stuhl zurück. Er nimmt die autoritäre, dünne Brille von seinen Augen und sie schauen innig, lächelnd. Haselnussbraun und schmal, kleine Lachfältchen schimmern um die Winkel. Charmant.
Nein, Paweł, erwidert sie frigid, ihr Angesicht hebt sich ihm nicht einmal entgegen, ich will uns nicht retten. Es ist vorbei, alle Sanierungen werden scheitern. Eine erneute Finanzierung lohnt nicht, lass uns so verbleiben.
Das Lächeln in seinem Gesicht erzittert, es will zusammen brechen, doch es kann nicht. Seine Zunge klebt ihm wie eine trockene Feige am Gaumen fest, doch er kann sie nicht verschlucken. Er zieht den Kopf durch die Schlinge und das Auge hebt sich zum strahlenden Himmel auf. Wie ein Vorhang ziehen sich die Wolken zurück.

Die Anklage:
Ich schauderte dein Rückgrat hinunter. Du wusstest es. Du hast mich nicht erwartet. Wie konntest du es tragen, mich in deinem Territorium zu sehen, in deinem Leben?
Du fürchtest dich.
Ich muss es nicht sehen. Ich weiß es.
Deine Lippen sind angeschwollen, die Beine noch gespreizt. Du brauchst das Feuer, um mich zu verbrennen. Du bist eine Lüge.
Aber ich werde es dir nicht sagen.
Ich steige ins Auto ein. Harre einen Augenblick fest. Im Fensterglas entdecke ich den Geist, der ich geworden bin.

Sie packt ihre Dokumentenmappe ein, wirft das Geld auf den Tisch und beugt sich zu ihm. Ihre ausgeblichenen Lippen rühren seine Stirn kaum an, ihr Atem weht unnahbar an ihm vorüber. Aufgefangen und fortgetragen von der frühsommerlichen Brise.
Sie verlässt ihn. Ihre schmalen, hohen Absätze schlagen unbarmherzig in den spiegelnden Steinfliesen ein. Passanten eilen an ihm vorüber, sie sehen ihn nicht.
Er seufzt. Hebt die Zeitung zu sich auf.
ER: Ich denke, es ist nichts geschehen.
Noch einmal hebt er die Espressotasse an seine Lippen, lächelt und schlägt befreit die Beine übereinander. Das Verlangen nach Kognak verfließt in sich und er reißt sich den engen Hemdkragen auf. Keine dunkle Wolke schiebt sich vor sein Auge.
Er lächelt, so sie im Sonnenlicht dahinschwindet.

Das Urteil:
Wenn ich nicht mehr bin, wirst auch du dich nicht mehr wieder finden.
 



 
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