Familienbande

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Familienfeiern sind immer ein bisschen so, als ob jemand sagen würde: hey, da vorne wird’s in zwei Stunden einen Unfall geben. Zwei Mittelklassewagen werden mit je 100 kmh frontal ineinander krachen. Man schaut sich das nicht an, weil es schön ist, sondern wegen einer fast morbiden Faszination, einer wundersamen, schier schämenswerten Ästhetik fürs Zerstörte.
Jetzt steh ich da, inmitten meiner Verwandten und deren Freunden und ich kann sie größtenteils nicht einmal auseinander halten. Alt sind sie die meisten, doch das dürfen sie auch, ja es schickt sich fast schon für den Geburtstag einer 90-Jährigen.
Und da steigt sie auch schon aus, 40 m vor uns, schnell war ihr Chauffeur, mein Onkel, über den Burghof der Harburg gebrettert und hilft ihr nun beim Aussteigen. Ich werfe einen Blick nach links, nach rechts, presche vor, schnell, „Jeder für sich alleine!“ denke ich, bin fast bei meiner Großmutter, werfe einen Blick zurück. Nichts. Wie angewurzelt stehen sie alle da, sehen mich, den Rennenden ein wenig merkwürdig an. Ich gehe zum Geburtstagskind, drücke ihm einen Kuss auf die Backe.
„Alles Gute“, sage ich, weine eine Träne um meine Schwestern, die den Kuss wohl nun irgendwann nachdem all die Halbtoten die Backe meiner Großmutter abgeleckt hatten, bringen mussten. Meine armen Schwestern, sie würden den heutigen Tag wohl nicht überleben.
Ob ich denn wohl ein Foto von ihm und seiner Frau machen könne, fragt mich ein Mann, dessen Namen ich nicht weiß, sondern nur, dass er mal fast ein ganzes Restaurant abgebrannt hatte und drückt mir seine Kamera in die Hand.
Ich stelle mich vor ihn, gehe zwei Schritte zurück, seine Frau umarmt ihn, er reißt sich los, dreht mir den Rücken zu.
„Ähhh, das Foto…?!“ sage ich, er dreht sich um, sieht mich verwundert an.
„Was machen Sie denn mit meiner Kamera?“ fragt er, ich sehe ihn verwundert an, gebe sie ihm wieder.
Wir bestellen. Sitzen einander gegenüber. Welten prallen aufeinander. Auf der einen Seite ich und meine Schwestern, auf der anderen mein Cousin mit den Cousinen. Wir schweigen, denn das letzte mal, als wir uns wohl was zu sagen hatten, waren wir noch unfertige Kinder und keine Erwachsene, denen man schon mehr, als nur ein paar Steine und Sand bieten müsste, um eine gemeinsame Aktivität zu finden.
Mein Steak kommt. Ich entschied mich für ein Gorgonzola-Steak. Leider komme ich schon beim ersten Bissen zu der traurigen Erkenntnis, dass die Summe aller Teile ein Eigenleben und somit eine andere Existenz bedeuten kann: Gorgonzola= köstlich + Steak = Köstlich -> Gorgonzola-Steak = Köstlich, stimmt leider nicht, ich werde die Mathematik verklagen.
Doch muss es den ekligen Hybriden in mich reinstopfen. Ein kleineres Übel, als das auf dem Teller liegengelassene Fleisch, bei dessen Sichtung mir die Omis in die Backe kneifen und sagen, ich solle aufessen, weil ich ja doch ach so dürr wäre.
Und es ist weg. Oh, ich glaube es kommt wieder…. Nein, es ist weg.
Burgführung. Von Anfang an, wussten alle Beteiligten, dass gerade das das Highlight war. Man nahm die schlechte Verpflegung für die schöne Führung in Kauf.
„Und dann, als die Armbrust entwickelt wurde, kam das Ende der Rüstungen, weil die durchbohrt werden konnten“, sagt die Führerin.
„Ich dachte, da kamen dann erst die Harnische und dann wieder stärkere Pfeilgeschossmaschienen?“
Frage ich.
„Nein NEIN NEIN, Sie haben keine Ahnung“, sagt die Führerin, ich erkundige mich nach dem Einkaufspreis für eine derartige Burg, für die Zukunft halt. Sie wird wütend, weiß es wohl nicht.
Wir laufen über den Burghof. Ich weiß nicht wie das geschehen war, jedenfalls halte ich jetzt Händchen mit irgendeinem von den alten Männern. Er will auch nicht mehr loslassen. Wir gehen nebeneinander, ich versuche einen Winkel zwischen uns zu bringen, er zieht mich näher an sich heran. Panisch schaue ich mich um, warum hilft mir denn keiner? Aber er ist ja schon alt und aus einem fernen Land mit reaktionären Traditionen.
Ich kann mich befreien.
Dessert. Der Kuchen starrt mich an, mir ist kalt und ich geh rauchen. Der Hund, ein kleiner Pudel hatte meinen Platz eingenommen, ich verspreche ihm einen Anteil an meinem Kuchen, vielleicht sogar das ganze Ding, er lenkt ein, setzt sich vor mich auf den Boden. Zugegebenermaßen wollte ich ihn betrügen, was sollte er schon machen? Er ist nur ein Hund. Doch kann ich seinem freundlich lächelnden, zaghaft fordernden Beißen in mein Bein nicht widerstehen, ich schmeiß das Ding im ganzen auf ihn. Normalerweise sind Hunde ja recht versiert im Kuchen-mit-dem-Mund-Fangen. Dieser nicht. Er ist jetzt platt wie eine Flunder. Der Kuchen hat ihn geplättet. Ich glaube er ist tot, dezent schiebe ich ihn weiter unter den Tisch.
Geschenke. Alles schön und gut, Blumen, Gutscheine… und dann: ein Eimer Geld. Jemand hatte versehentlich den Wechselgeldeimer von irgendwem aus dem Auto geholt, weil er – ich verdächtige den verwirrten man mit der Kamera – also jeden, angenommen hatte, es handle sich dabei um ein Geschenk.
Meine Großmutter freut sich riesig.
Ich glaube der Hund fängt an zu stinken, wenn das denn überhaupt nach so kurzer Zeit möglich ist. Ich schiebe ihn weiter unter den Tisch.
In meinem Kopf gibt es ein Board auf dem steh: letzter Zwischenfall bei Familientreffen. Davor hängt eine 3, für drei Treffen.
Auch heute wird niemand ernsthaft verletzt, auch heute beklagt sich niemand darüber, warum die Person so ein großes Aufsehens aus ihrer Verletzung macht, kein Gebrülle, nur Fremdenfeindlichkeit, die gibt’s eigentlich immer. Aber Angesichts des durchschnittlichen Alters kann man das auch als Opfer der Zeit einstufen.
Ich frage mich, ist das die Welt oder sind nur wir es? Ich weiß, es ist egal, denn wer will schon zwei Autos sehen, die auf der jeweils anderen Straßenseite freundlich winkend, im sicheren Abstand aneinander vorbeifahren? Niemand! Denn: Das sieht man ja jeden Tag.
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Hallo Kurtus,

erst mal ein herzliches Willkommen auf der Leselupe.

Ein paar Kleinigkeiten, die mir ins Auge gestochen sind:

ein Board auf dem steh: – „t“ fehlt.
100 kmh – 100km/h oder Stundenkilometer.
im ganzen – im Ganzen – großgeschrieben.
Pfeilgeschossmaschienen – Maschine ohne „ie“
Aber das kann schon mal passieren. Wir sind ja alle dafür da, solche kleinen Rechtschreib- und Tippfehler zu finden.

Du hast das Stimmungsbild einer Familienfeier, so wie sie wohl jeder schon einmal erlebt hat, witzig und pointiert beschrieben. Mit dem armen kleinen Wauwau habe ich richtig Mitleid gefühlt, frage mich aber, wie du es angestellt haben willst, ihn mit einem Kuchen platt zu machen. War der etwa schon so hart? - Aber das darf dein kleines Geheimnis bleiben.

Ich freue mich schon auf weitere amüsante Geschichten von dir. Wenn du Fragen hast, darfst du dich gerne an mich oder einen anderen Redakteur (siehe Impressum) wenden.

Herzliche Grüße … Ironbiber.
 



 
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