Feldgrau

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wasserl

Mitglied
Das war es jetzt also?, denkst du dir.
Das war jetzt also?, jedes Mal, immer wieder und wieder, und dein Blick richtet sich nach innen, weit in die Vergangenheit, du wägst ab, das war es jetzt also?, hast du genug gelebt, hast du getan was du tun wolltest, warst du ein guter Mensch, was wird jetzt werden?
Die vielen Facetten deines kleinen, verbrauchten Lebens tauchen schnell wie das Licht vor dir auf, nicht in der Form eines klischeehaften Filmchens, kein revue deines ‘Werdegangs’, wie man so schön sagt, nein, es sind kontraststarke, stille Bilder, ein Kinderwagen, ein Gesicht, ein Ort im Süden, ganz erschrockene Fotografien, überbelichtet, wie von einem hellen Blitz eingefroren, überzeichnet und ganz anders in deiner Erinnerung.
Ja, du hast dein persönliches Fotoalbum im Kopf, hast es dir jederzeit schon zurechtgelegt, und während dein Außen über Gräben und Asphalt robbt und dein getriebenes Keuchen im Lärm untergeht, da blättert eine unsichtbare Hand in deinem Kopf die Seiten um, in aller Ruhe, stetig, ohne Unterlass.
Irgendwann fängst du an, darüber nachzudenken, woher kommen diese Bilder, wer hat sie für dich gewählt, manche erscheinen dir weniger passend für einen Nachruf, hast du sie selber ausgewählt, wer war es sonst, deine verdreckten Gliedmaßen krümmen und strecken sich automatisch, dein Verstand dreht sich weit ab um diese Fragen.
Doch niemand hat sie ausgewählt, es dauert nicht lange, bis du das erkennst, es dauert nicht lange, du misst die Zeit anhand der Feuerpausen, niemand hat sie gewählt, das Album bleibt, wo es ist, zeigt weiter stumm seine Bilder, unvollständig komprimierte Ansichten eines ganzen Lebens, der hoffnungslose Versuch deines Unterbewusstseins, dein Leben ganz zu erfassen und damit abzuschließen, damit abzuschließen und auf das Ende zu warten, dass in jedem Moment kommen soll und dich doch wieder und wieder nicht erreicht hat, deine Glieder kümmert das nicht mehr, strecken, krümmen, strecken, krümmen, das Gewehr hinterherziehen, der simpelste Algorithmus, den dein Stammhirn beherrscht, in einer Endlosschleife, ein Reflex lässt dich den Leichen ausweichen, du denkst nicht mehr darüber nach, bist ganz auf das Album fixiert, auch wenn du weißt, dass du unter jedem Helm nur dein totes Gesicht erkennen würdest, nur dein eigenes Gesicht im Dämmerlicht der Leuchtspurmunition, es berührt dich nicht mehr, du blickst nur starr auf deine zuckenden Arme, den Kopf tief gesenkt, und siehst die Bilder in deinem Album, immer wieder und wieder, die Motive werden fern wie die Sterne, der Weg nach Hause eine Ewigkeit, die Kälte des helllodernden Nacht, die du schon lange nicht mehr gespürt hast, sie kriecht in deinen Verstand, von innen, ein langsam wirkendes Gift, dass deinen Verstand müde und träge macht, während dein Körper weiter funktioniert, wie er sollte, wie du es trainiert hast, robben, ducken, schießen, ein gut geölter Roboter, der noch tadellos funktioniert, während dein Verstand nur noch apathisch den Bildern und ihrem Tanz zusieht und wartet, auf den einen Splitter wartet, der nicht verfehlt, den einen Volltreffer, den dir der Lärm der Detonationen schon so lange verspricht.
Aber er kommt nicht, kommt wieder und wieder nicht, immer nur wieder krümmen und strecken, krümmen und strecken, während du in diesem Roboter sitzt und weiter wartest, wartest.
Irgendwann lassen deine Glieder locker, du bleibst im Dreck liegen, eine Weile.
Dann stehst du auf, irgendwie, spürst deine Knochen nicht mehr.
Und fühlst die Stille um dich herum, das Fehlen des Donners und der vielen kleinen Blitze. Für einen Moment bist du frei, du lebst, für einen Moment.
Du gehst nach Hause, siehst all die kleinen Motive wieder, all die Bilder aus deinem Album, doch das Album selbst, die unsichtbare Hand, die die Seiten bewegte, sie bleiben beide verschwunden, verbrannt.
In deinem Kopf bleibt nur die Kälte der brennenden Nacht, das ewig graue Feld aus jener Finsternis, das war es jetzt also?, krümmen und strecken, krümmen und strecken, diese ganzen kleinen Motive, die du in dem Album gesehen und nun wieder lebendig vor dir hast, sie werden fern wie die Sterne, der Weg nach Hause zu einer Ewigkeit, und dein Verstand wird immer nur weiterrobben, ewig, das war es jetzt also.

@Administration: Original veröffentlich auf meiner Homepage.
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo

und ein herzliches Willkommen auf der LL. Nun ist die Ferienzeit fast zu Ende und ich hoffe, dass dann auch wieder unsere User mehr Zeit auf der Lupe verbringen und du ein Feedback für dein Erstlingswerk bekommst. In der Zwischenzeit kannst du dich in Ruhe hier umschauen, lesen, lesen und deine Meinung zu den Texten schreiben.

Lieben Gruß
Franka
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hallo wasserl,
die intention deines textes finde ich interessant aber schwierig, das leidige thema mit den letzten sinneseindrücken. das lesen war schon fordernd, da du sehr oft, lange hauptsatzsequenzen stakkatoartig hintereinander reihst. ist sicher gewollt, macht's dem leser aber nicht einfacher, erinnerte mich etwas an dalton trumbos "johnny zieht in den krieg", das (zumindest in meiner ausgabe) kaum satzzeichen verwendet.

ich konnte mich des eindrucks nicht erwehren, dass der text in sich noch nicht ganz stimmig ist, das hat mehrere aspekte
- einige "floskeln" und "füllworte" zuviel, die die sätze so abschwächen z.b. "werdegang, wie man so schön sagt" ist zwar zynisch, schafft aber daher distanz, "es dauert nicht lange bis du erkennst", da nimmst du wieder tempo raus. wenn schon schnell und gemein, dann auch konsequenter
- trotz der erzählperspektive mit dem du, die mich als leser eigentlich direkt neben den protagonisten befördern könnte, leide ich nicht mit, sondern beobachte von oben herab.
- das szenario wirkt emotional gesehen eher wie ein manöver, nicht wie ein gefecht; aber das liegt vielleicht auch an den abstumpfenden Kinoklischees, die sich bei der Thematik schnell in meinem kopf einstellen.

anyway, dranbleiben.

liebe grüße
nofrank
 



 
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