Feriengeschichten eines jungen Mannes

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Ferien in Agadir
Überraschung zum Frühstück


Gut ausgeschlafen und nach einer lauwarmen Dusche begab sich Gherardo zum Frühstück. Er war früh dran. Diesen Morgen hatte er sich einen nicht wackeligen Tisch ausgesucht. Während des Teeschlürfens überlegte er, was er heute unternehmen könnte. Einerseits hatte er einen Auftrag, also müsste er sich einen von Quonis Leistungsträgern unter die Lupe nehmen, doch andererseits war er hier vor allen Dingen in den Ferien. So entschied er sich für den heutigen Tag, so richtig die Ferien zu geniessen. Gerade als er seinen letzten Frühstückshappen, eine Schale Cerealien, zu sich nehmen wollte, steuerte eine fremde Frau auf ihn zu und fragte, ob sie sich zu ihm setzen dürfe. Und dies, obschon etliche andere Tische nicht besetzt waren. Überrascht und überrumpelt und ohne zu überlegen, sagte er ja, schliesslich mochte er die Gesellschaft von Frauen und überhaupt hatte er bisher noch keine Ferienbekanntschaft gemacht.
«Ich lasse meinen Zimmerschlüssel hier, währenddem ich mich am Büffet bediene. Wollen Sie bitte darauf acht geben?» Ohne seine Antwort abzuwarten, verschwand sie hinter den zahlreichen Säulen des Speisesaals. Gherardo fand dies eine sonderbare Art, Bekanntschaft zu schliessen. Sie kam zurück mit einer halben Scheibe Ruchbrot, einem Buttermödeli und einem Erdbeerkonfitöpfchen.
«Wo gibt es Getränke?», wollte sie von ihm wissen.
«Werden gebracht. Geduld ist angesagt.»
Das einzige weibliche Geschöpf, das er bisher hier in Agadir in einem Lokal als Bedienung gesehen hatte, war die scheue, dunkelhäutige Frau unbestimmten Alters mit Kopftuch und einem bis zu den Füssen reichenden Rock hier im Frühstückssaal, die ihm die Getränke serviert hatte. Sonst sah man nur Männer. Eigentlich gerade umgekehrt bei uns.
«Du café ou du thé, Madame?», fragte sie seine neue Tischnachbarin.
«Un café crème, s’il vous plaît.»
«Pardon, Madame, c’est quoi ça exactement?»
Gherardo intervenierte und klärte die Sache: «Einen café crème gibt es weltweit nur in der Schweiz. Glaube ich wenigstens. Hier gibt es nur einen café au lait oder einen café noir oder ganz einfach einen café. Natürlich kann man auch Tee bestellen.» Und so bestellte seine neue Bekanntschaft dann einen café au lait.
«Danke für Ihre Hilfe. Sind Sie schon lange hier?», fragte sie anschliessend in einem breiten Thurgauer Dialekt, was nicht gerade die Lieblingssprache Gherardos war.
«Ein paar Tage», antwortete er.
«Mit wem sind Sie gekommen?» Weiter ging die Fragerei.
«Balair», sagte er kurz angebunden, denn der Morgen war nicht unbedingt seine Lieblingszeit zum Schwatzen. Um sie davon abzuhalten, löffelte er genüsslich und schmatzend sein Müesli. Doch das half nichts, das Gespräch ging weiter.
Sie: «Aha, ich flog mit der deutschen TUI ab Basel. Das war 200 Franken billiger als mit der Balair.»
Er: «Ich bin gratis geflogen.»
Sie: «So? Wieso?»
Er: «Ich besitze Aktien bei Balair.»
Sie: «Oh, dann sind Sie wohl fast immer unterwegs?!»
Er: «Kann man so sagen.»
Sie: «Wir können uns duzen, wenn Sie wollen, schliesslich sind wir in den Ferien. Ich heisse Käthi.»
Er: «Nun gut, ich bin Gherardo.»
Sie: «Was für ein schöner Name. Italiener?»
Er: «Richtig geraten.»
Sie: «Von wo in Italien?»
Er: «Winterthur.»
Sie: «Spassvogel.»
Er: «Was interessiert Sie, pardon, dich denn das alles?»
Sie: «Menschen sind eben immer interessant.»
Er: «Hast du eigentlich keinen Hunger, Käthi? Iss doch ein wenig!»
Sie: «Doch, ich werde jetzt essen. Hier bringt mir die Serviertochter endlich den Kaffee. Wie ich sehe, trinkst du einen Tee und einen Kaffee?»
Er: «Und?»
Sie: «Nur so.»
Während Käthi zu essen begann, schwenkte er seinen Blick etwas näher auf sie. Er musterte sie. Sie musste wohl dreissig oder mehr sein, was er wegen ihrer Falten um die Mundwinkel und die Augen vermutete. Über der Oberlippe entdeckte er einen feinen Damenbart. Sie hatte ein breites Gesicht mit kleinen Äuglein und einem breiten Näschen, eingerahmt von geraden, halblangen, braunen Haaren. Über die Stirn fielen Fransen. Eine Art Bubikopf. Gekleidet war sie mit einer hellen Pluderhose und einer weiten Leinenbluse mit irgendwelchen Stickereien. An den Füssen trug sie Heilandssandalen. Schön konnte man sie auf alle Fälle nicht nennen. Für Gherardo war klar, sie musste ein Mitglied der Heilsarmee sein.
Sie: «Was machst du heute?»
Er: «Ich habe zu tun.»
Sie: «Du arbeitest in den Ferien? Was bist du eigentlich von Beruf?»
Langsam aber sicher hatte er genug: «Chef von Quoni.»
Sie: «Du lügst, du bist zu jung dazu.»
Er: «Wenn du es nicht glaubst, ist es deine Sache.»
Sie: «Ist deine Familie auch hier?»
Er: «Sieht es etwa danach aus?»
Sie: «Verzeih die Frage»
Dieses Gequatsche ging ihm nun vollends auf die Nerven. Er musste sie abwimmeln. Deshalb zündete er sich schon mal eine Zigarette an. Und weil kein Aschenbecher auf dem Tisch stand, benutzte er das inzwischen leere Konfitöpfchen von Käthi, was sie wiederum dazu bewegte, vom Tisch aufzustehen und ihm vom Büffet einen Ascher zu holen, anstatt sich aufzuregen über seine Rüpelhaftigkeit. Die ist ja schlimmer als meine Mutter, dachte er dabei, bemuttern lasse ich mich nur noch von attraktiven Frauen, die mich nicht belästigen, sondern betören und verwöhnen.
Er: «Ich muss dir etwas gestehen. Meine Eltern leben nicht mehr. Ich habe sie, ähm …», dazu machte er mit seinen Händen eine Geste, als ob er etwas zerdrücken oder verdrehen würde, «… du weisst schon, was ich meine. Meine Schwester lebt in einem Staatshotel für die nächsten zehn Jahre und mein Bruder ist verschwunden. Niemand weiss, wo er steckt. Wahrscheinlich ist er längst an einer Überdosis Heroin oder so verendet. Ich selber bin auf der Flucht vor mir selber. Jeden Morgen frage ich mich, wen ich heute kaltstellen könnte. Darf ich dir noch einen café crème bestellen? Es gibt auch feinen Schinken und Käse, die du noch nicht probiert hast. Die Croissants sind besonders zu empfehlen.»
Käthi starrte ihn während seines spontanen Sermons fassungslos aus ihren kleinen Äuglein an. Auf die letzte Frage antwortete sie mit Kopfschütteln. Dann stand sie völlig geistesabwesend auf und stolperte aus dem Saal, wobei sie den Kaffee nicht mal ganz ausgetrunken und sogar ihren Zimmerschlüssel liegen gelassen hatte. Gherardo lachte in sich hinein, griff sich den Schlüssel und deponierte ihn am Empfang. Er war überzeugt, dass sich ihm die aufsässige Ostschweizerin Käthi nie mehr nähern würde.
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Urs Scheidegger, herzlich Willkommen in der Leselupe!

Schön, dass Du den Weg zu uns gefunden hast. Wir sind gespannt auf Deine weiteren Werke und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch mit Dir.

Um Dir den Einstieg zu erleichtern, haben wir im 'Forum Lupanum' (unsere Plauderecke) einen Beitrag eingestellt, der sich in besonderem Maße an neue Mitglieder richtet. http://www.leselupe.de/lw/titel-Leitfaden-fuer-neue-Mitglieder-119339.htm

Ganz besonders wollen wir Dir auch die Seite mit den häufig gestellten Fragen ans Herz legen. http://www.leselupe.de/lw/service.php?action=faq


Viele Grüße von Ralph Ronneberger

Redakteur in diesem Forum
 
Detailarbeit

Hallo Urs

Ich habe deine Geschichte nun zweimal gelesen. Die Ausgangssituation (Unbekannte treffen sich in Hotel) hat was spannendes für mich, jedoch hab ich während der ganzen Geschichte darauf gewartet, dass irgendwas passiert. Was aber nicht wirklich der Fall war. Irgendwie fehlt mir ein Überraschungseffekt, eine unerwartete Wende.

Für mich passt auch die Umschreibung der Personen und ihr Verhalten und die Dialoge noch nicht zusammen. Gherardo hat gut geschlafen, freut sich auf den freien Tag und ist neugierig auf Ferienbekanntschaften. Im Dialog wirkt er dann aber sehr abgelöscht und will seine Bekanntschaft schon nach ein paar Sätzen los werden. Das passt für mich nicht zusammen. Ich glaube es sind auch ein paar Details die mich inhaltlich stolpern liessen. Zum Beispiel hab ich mich gefragt wieso er den so früh am Morgen frühstücken ging, wenn er ein Morgenmuffel ist und sich vorgenommen hat den ganzen Tag zu geniessen.

Hoffe mein Feedback hilft dir weiter.

Beste Grüsse
müder Dichter
 
A

aligaga

Gast
@Ali amüsiert sich über die typisch schweizerische Art, die Belanglosigkeiten eines Hotelfrühstücks zum raumfüllenden Gegenstand einer "Erzählung" zu machen. Es wird aber keine, nicht mal eine Kurzgeschichte, sondern eher eine Situationsbeschreibung: Ein westschweizer Angeber versucht eine graue ostschweizer Maus recht penetrant erst zu beeindrucken und dann zu demütigen.

Wie schon der @müdedichter bemerkte - da passt so manches nicht recht zusammen: Dass der "Chef von Quoni", einer Firma, die scheinbar bekannt ist und in der es "Leistungsträger" zu begutachten gibt, in einem Hotel absteigt, in dem die Tische wackeln und es keinen Kaffee mit Sahne- oder Milchschaum gibt, dass er wie ein Schwein schmatzt oder eine Frau es wagt, sich zu ihm an den Tisch zu setzen, die so lebensfremd ist, nicht zu wissen, wo der Kaffee herkommt.

Der Text könnte als Einleitung für eine Erzählung gedacht sein, zerstört aber gleich zu Beginn die Neugier auf alles, was noch passieren könnte. Wen interessierte schon, was ein Dubu wie der uns vorgestellte im Weiteren alles zu wichteln hätte?

TTip: Das mit der Weltläufigkeit nicht übertreiben. Ein lührisches Ich ganz ohne Selbstzweifel und Selbstironie kommt nie gut.

Heiter

aligaga
 
Antwort auf Kritik

Danke für eure Kommentare, die hilfreich und absolut verständlich sind. Es ist so, dass mein erster Beitrag in diesem Forum ein Teilkapitel ist von einem ganzen Buch, das ich im Begriff bin zu schreiben. Deshalb fehlen die Zusammenhänge mit was vorher passiert ist und nachher noch kommen wird. Dies habe ich beim Publizieren leider nicht bedacht. Aber vielleicht schaffe ich es, den Beginn und den Rest des Buchs auch noch hochzuladen. Danke nochmals.
 



 
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