Fieber

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Wärme. Stefan schwitzt. Er schlägt die schweißklamme Bettdecke zurück und genießt den Moment, da kühle Luft seinem erhitzten Körper Erleichterung bietet. Doch viel zu rasch geht dieser Augenblick vorüber, Schweiß tritt ihm aus allen Poren und er vermeint, auf einer glühenden Herdplatte zu liegen.
Durst. Mühsam wälzt er sich aus dem Bett, jede Bewegung macht ihn noch mehr schwitzen. Dennoch quält er sich in die kleine Küche, wo der große Kühlschrank den meisten Platz einnimmt und das Elysium verspricht. Eine Flasche Mineralwasser, so kalt, dass ihm beim Trinken der Atem stockt und das Schlucken wehtut. Trotzdem trinkt er weiter, hastig, in großen Schlucken, zwingt die kalte Flüssigkeit in seinen Magen und spürt doch nur flüssige Lava ankommen. Die Flasche ist leer und er brennt in einem verzehrenden Feuer, das seinen Körper schüttelt.
Wasser. Die Dusche im Badezimmer. Das Ausziehen fällt ihm schwer, da seine Sachen nass sind und sein Kopf wie in Watte gepackt. Doch er schafft es, steht nackt in der Badewanne und lässt Linderung über seine heiße Haut laufen, bis er mit den Zähnen klappert. Ohne sich abzutrocknen, verlässt er das Bad, eine nasse Spur folgt ihm bis zum Bett, auf das er sich bäuchlings fallen lässt.
Schlaf. Verwirrende Träume, verstörend, erschöpfend. Zeit kriecht dahin, tropft träge vom Ziffernblatt der Wanduhr, dehnt sich zu einer Dimension, die ein Ende unabsehbar macht. Stefan wirft sich herum, verkrümmt sich, tritt, schlägt, und liegt im nächsten Moment wie ein Toter, besiegt, geschlagen, ergeben. Nur eine Verschnaufpause, Phase der trügerischen Ruhe, denn nur wenige keuchende Atemzüge später beginnt der Kampf erneut. Immer und immer wieder.
Morgen. Hinter grauen Wolken beginnt die Sonne den Tag. Stefan steht am offenen Fenster, immer noch nackt, der kühle Wind trocknet seine Haut. Er raucht, obwohl ihn schwindelt, obwohl jeder Zug ihn husten macht, obwohl von dem Qualm seine Augen tränen. Es ist die erste Zigarette seit gestern Abend und die letzte in der Schachtel. Sie schmeckt fürchterlich. Der Rauch legt sich brennend auf seine Zunge, kratzt im Hals, schmerzt in der Lunge. Er schnippt die brennende Kippe hinunter auf die Straße und schließt das Fenster, denn er friert plötzlich. Zeit, sich anzuziehen, er muss einkaufen. Stattdessen legt er sich wieder ins Bett, wickelt sich in seine Bettdecke und schläft. Traumlos diesmal. Erholsam.
Hunger. Es ist bereits wieder dunkel, als er endlich das Haus verlässt. Zum Geschäft ist es nicht weit, kaum zwei Minuten zu Fuß, doch die Beine sind schwer, wollen nicht weiter. Er zwingt sie zu jedem Schritt, denn er hat nichts mehr daheim. Kein Wasser, kein Essen, keine Zigaretten. Doch zu spät, der Laden hat zu. Unschlüssig steht Stefan vor dem Eingang, unfähig, einen der Gedanken zu fassen, die unablässig in seinem Kopf kreisen. Sein Magen knurrt.
Endlos. Die Straße wird länger, je weiter er läuft. Sein Kopf schmerzt, dumpf, beständig, ein Crescendo an Schlägen, die gegen seine Schläfen hämmern. Er geht vorbei an Häusern. Normalität hinter erleuchteten Fenstern, einzig seines ist dunkel. Wenn er sich umdreht, kann er es sehen, denn die Straße führt auf das Haus zu. Oder davon weg. Je nachdem.
Verwirrung. Er sitzt auf dem Bordstein, die Beine auf der Straße. Sein Kopf ist leer an Gedanken und voller Schmerz. Er weiß nicht, wo er ist, nicht, wann er ist, nicht, wer er ist. Nur, dass es heiß ist, viel zu heiß für einen Abend im Oktober. Und so sitzt er da, sehnt sich nach Kühle, während der Wind das Herbstlaub um ihn herum tanzen lässt.
Dunkelheit. Er sitzt, an einen Baum gelehnt, mit geschlossenen Augen, denn das Licht schmerzt, und atmet seine Hitze in die Nacht. Keine Linderung, obwohl ein schneidender Wind ihn umtost, keine Erleichterung, obwohl sein Atem dampft in der Kälte der Nacht. Er fühlt nur Glut und Schmerz, kann nicht mehr aufstehen, will es nicht, ersehnt nur Erleichterung, hofft auf Hilfe und hat doch keine Erwartungen mehr.
Eine Berührung, etwas streift flüchtig seine Wange. Dann eine Hand auf seiner Stirn. Leicht liegt sie dort, kalt, so angenehm kalt. Er öffnet die Augen, blinzelt Tränen fort, versucht zu sehen, zu erkennen. Eine zweite Hand, in seinem Nacken, verheißungsvoll kühl, nimmt sie das Feuer, die Qual, die Pein.
Eine Gestalt, dunkel, verschwommen, über ihn gebeugt. Sein Herzschlag beschleunigt sich vor Furcht, doch gleichzeitig spürt er ein Versprechen, auf Linderung, auf Erlösung. Jetzt umfassen beide Hände sein Gesicht, wohltuend kalt, Labsal in seiner Verzweiflung.
Dann jedoch richtet der Unbekannte sich auf, wendet sich ab und geht.
„Nein“, krächzt Stefan, „bleib!“ Er will aufstehen, doch er kann nicht, etwas hält ihn fest, Schwere, Ermüdung, Kraftlosigkeit. Die Anstrengung lässt ihn keuchen, er will rufen, doch der Wind zerrt die Worte von den aufgesprungenen Lippen, ehe sie den Fremden erreichen. Nein, er darf nicht gehen, nicht ohne ihn. Er holt tief Luft - „Warte auf mich!“ - plötzlich sind die Worte da, nur leise zwar, aber sie lassen den Dunklen innehalten, verharren, abwarten. Und mit einem Mal gelingt es Stefan aufzustehen, er reißt sich los, taumelt und ist mit ein paar unsicheren Schritten bei dem, der ihn schweigend willkommen heißt.

Nebel. Vergeblich versucht die Morgensonne den Dunst zu durchdringen. Es ist noch früh an diesem Sonntagmorgen.
Neben einem Baum liegt ein Mann. Steif, bar jeglicher Wärme, die Feuchtigkeit der Luft bildet Raureif auf seinem Gesicht. Ein Lächeln auf seinen Lippen. Endlich.
 

Ralf Langer

Mitglied
Hallo claudia,
und ein warmes willkommen auf der LL.
Dein Sprache gefällt. Sie ist auch dem Inhalt des Textes
angemessen. Die Sprache fiebert mit dem Prot. Wird mal schneller, mal langsamer. Ebenso die Sätze. Mal mur einzelne Worte, dann fieberwahn ähnliche Satzsalve.
Soweit so gut.

Das thema: Umgekekrte Betroffenheitslyrik. Denn hier stirbt ja kein Obdachtloser. Hier stirbt ein Normaler unbeobachtet.
Insofern setzt du uns den Spaziergänger die Brille auf.

Schwierig, scheierig.
Aber ich glaube der Plot ist gelungen.
Wobei wer geht den da Nachts herum und nimmt ihn mit?
Gevatter Tod?

Weiter machen
und nochmals viel Glück im "Haifischbecken" LL

ralf
 
B

bluefin

Gast
hallo @claudia,

auch vom walfisch ein herzliches "hallo" und der wunsch, du mögest dich hier unter den versammelten kritikern wohl fühlen, spaß haben können und sogar den einen oder anderen profit machen.

du verfügst über einen guten wortschatz und kannst dich sicher und gewandt ausdrücken; hinzu kommt eine sehr gute beobachtungsgabe - alles miteinander voraussetzung dafür, dass texte etwas besonderes werden.

der anfang wirkt ein bisschen bemüht-umgagssprachlich, z. b. mit
Wärme. Stefan schwitzt. Er schlägt die (schweißklamme) [blue]schweißnasse[/blue] Bettdecke zurück und genießt (den) [blue]einen[/blue] Moment, (da) [blue]wie[/blue] kühle Luft seinem erhitzten Körper Erleichterung (bietet) [blue]bringt[/blue]. Doch viel zu rasch geht dieser Augenblick vorüber, Schweiß tritt ihm [blue]wieder[/blue] aus allen Poren und er (vermeint) [blue]glaubt[/blue], auf einer glühenden Herdplatte zu liegen.
Durst. Mühsam wälzt er sich aus dem Bett, jede Bewegung (macht) [blue]lässt[/blue] ihn noch mehr schwitzen. Dennoch quält er sich in die kleine Küche, wo der große Kühlschrank den meisten Platz einnimmt und das Elysium verspricht(.)[blue][doppelpunkt][/blue] Eine Flasche Mineralwasser, so kalt, dass ihm beim Trinken der Atem stockt und das Schlucken wehtut. Trotzdem trinkt er weiter, hastig, (in großen Schlucken,) zwingt die kalte Flüssigkeit in seinen Magen und spürt doch nur flüssige Lava ankommen. Die Flasche ist leer und er brennt (in einem) [blue]weiter in dem [/blue]verzehrenden Feuer, das seinen Körper schüttelt.
leider bleibt's in deiner story bei der mehr oder weniger lapidaren beschreibung physischer gegebenheiten, wie wir sie immer wieder geschildert bekommen, wenn es um fiebrige erkältungen, krebsleiden oder depressionen gehen soll: krankengechichterln, halt. und die sind immer, so wie deine, ein bisschen arg pathetisch.

das mit den "ein-wort-überschriften" ist an sich eine gute idee, erforderte aber, dass danach wirklich etwas folgt, das aus dem vorgegebenen thema etwas macht, statt es nur "abzuhaken". etwas substanzielles; etwas weniger verschwurbeltes wie etwa:
Dunkelheit. Er sitzt, an einen Baum gelehnt, mit geschlossenen Augen, denn das Licht [blue]welches licht? es ist doch nacht [/blue]schmerzt, und atmet seine Hitze in die Nacht. Keine Linderung, obwohl ein schneidender Wind ihn umtost, keine Erleichterung, obwohl sein Atem dampft in der Kälte der Nacht. Er fühlt nur Glut und Schmerz, kann nicht mehr aufstehen, will es nicht [blue]wer nicht aufstehen kann, muss es vorher probiert haben[/blue], ersehnt nur Erleichterung, hofft auf Hilfe und hat doch keine Erwartungen mehr [blue]wer hofft und sehnt, erwartet immer etwas[/blue].
tipp: mach aus der symptomatischen stoffsammlung, die du uns anbietest, wirklich eine geschichte. so aber ist es nur eine zustandsbeschreibung, die - leider furchtbar abgegriffen - damit endet, dass gevatter tod an die seite des so vehement leidenden tritt.

nichts für ungut und liebe grüße aus münchen

bluefin
 
J

Jacob Nomus

Gast
Meines Erachtens stilistisch interessant und inhaltlich äußerst intensiv, trotz des sich wiederholenden Aufbaus. Sehr gelungen das Bild, dass der Fiebrige aus freien Stücken mit dem Tod geht, um Linderung für seine Schmerzen zu erlangen.
 



 
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