Flachbildschirmkarton

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FLACHBILDSCHIRMKARTON UND RADIOWECKER
Tausch ist unser Leben

Sofort fällt mir das Gehen schwer im >Einkaufsparadies<. Meine Sinne, Wahrnehmungen funktionieren nur mit halber Kraft. Flüchtig und gewichtig wirkt in meinem Kopf, wie einst die Geldwechsler aus dem Tempel vertrieben worden sein sollen. Lust und Last des Geldfortschritts verdichten und verteilen sich in mir. Im Zwiespalt schwimme ich mit dem Menschenstrom für einen Radiowecker aus der Werbung. Gelange so zum Elektrofachhandel und habe Glück mit einem pfiffigen Verkäufer. Der lächelt und bemerkt, die Gebrauchsanleitungen seien ja oft >ein schlechter Witz<.

Als er die Steckerleiste im Verkaufsregal benutzen will, schiebt sich hastig eine Frau zwischen uns. Sie redet von einem >leeren Karton<. Der Verkäufer entschuldigt sich für >einen Moment< und tritt schon nach Sekunden wieder aus der Tür >Zutritt nur für Personal<. Der Frau, deren anscheinend dringendes Anliegen ich nicht verstehen konnte, überreicht er einen Karton. Ich schnappe noch auf, dass sie sich für die Verpackung bedankt, die einmal einen Flachbildschirm umhüllte. Sie scheint mir erleichtert.

Noch verarbeite ich die Situation als rätselhaft bis komisch, beeinflusst von der störenden Drängelei. Da entlockt der schnell handelnde Verkäufer dem Gerät bereits flotte Musik. Indem er mir die Funktionen >vorführt<, begreife ich, wie man sich über die Nabelschnur der Medien bequem aus den Töpfen der Kulturwelt >versorgen< lassen kann. Das will bei meiner fast neurotischen Distanz zum neuesten Technikschrei was heißen. Den nehme ich!

Am nächsten Tag fällt mir im Büro die Agenturmeldung >betrogene Betrüger< auf. Meinem assoziativen Gedächtnis bedeutet sie nichts. Wieder einmal sind >Polen< auf der >Durchreise< in den großen Einkaufsmärkten. Durch einen billigen Geldwechseltrick lenken sie zwei Frauen ab und verschwinden mit einem Karton aus deren Einkaufswagen. Die große Marke verspricht ihnen ein wertvolles Gerät. Schon die Überschrift und der leicht fremdenfeindliche Unterton der Meldung bereiten mich auf die Pointe vor. Die Trickdiebe tauschen sich ein beim stressigen Shopping verstorbenes Hündchen ein.

Ich schmunzele schadenfreudig und wende mich so automatisch gegen die Diebe. Deren enttäuschte Gesichter sehe ich vor mir, als sie entdecken müssen, was sie sich ertrickst haben. Das Verlusterlebnis der beiden Frauen, Mutter und Tochter, denen ja schließlich ein Hündchen im >Einkaufsparadies< gestorben und dann abhanden gekommen ist, legt in mir keine mitfühlende Erinnerungsspur frei. Wer also glaubt, ich hätte mich an den Zwischenfall mit der drängelnden Frau beim Kauf meines Radioweckers erinnern müssen, irrt. Er war zu frisch und unbegriffen.

Erst einige Wochen später kommt es mir plötzlich, dass ich Zeuge von Handlungen bin und gewesen sein muss, die satirische Phantasie anregen und die Tücken virtueller Wirklichkeit offenbaren. Ich vernehme aus meinem bereits lieb gewonnenen Radiowecker, wie sich der Moderator der Frühsendung über einen seltsamen >Fehlgriff der Polizei< lustig macht.

Den Ordnungshütern fallen zwei >Verdächtige< auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums in der Nachbarstadt auf. Im Kofferraum finden sie den Karton mit der Aufschrift >Flachbildschirm< der weltbekannten Marke. Der Inhalt ist ein totes Hündchen, das in einer schäbigen Plastiktüte steckt. Die erstaunten Beamten nehmen die etwas gehemmt wirkende Erklärung der beiden >Ausländer< mit makellos einheimischem Akzent hin, ihre verzweifelte Oma habe ihnen das tote Tier zwecks Entsorgung gegeben und sie hätten in der Nachbarstadt den Karton in einem Elektrogeschäft besorgt. Nicht bloß die Oma, sie selbst wären immer noch unschlüssig, wie sie denn das tote Tier entsorgen sollen.

Der Moderator aber lässt mich durch seine Wortwahl aufhorchen. Ihm sei die mangelnde Pflichterfüllung der Beamten ein Dorn im Auge. Bei der Lektüre einer >alten Agenturmeldung< sei ihm deren mieser Aufklärungswille >eingefallen<. Nanu, >alte Agenturmeldung<! Hatte ich nicht auch eine gelesen, worin verschwundene Trickdiebe sich außerplanmäßig eine Tierleiche statt ein wertvolles Elektrogerät eingehandelt hatten? War da aber von Polizei überhaupt die Rede? Noch eben wähnte ich, die Streifenbeamten seien tatsächlich unterwegs gewesen, zwei potentiellen Dieben auf der Spur - und nun hege ich den starken Verdacht, dass sie nichts weiter als eine Erfindung des moderierenden Unterhaltungskünstlers sind. Es reimt sich etwas. Unsensible Ahnungslosigkeit von Ordnungshütern lässt sich in unserem Fall ja schön persiflieren, denn sie waren ahnungslos wie die Diebe bei ihrer Trixerei. Und vor der Story vom >Fehlgriff der Polizei< lamentierte der Moderator lang und breit über die Gemeinheit, dass ausgerechnet er bei seinen frühen Dienstfahrten immer wieder in die Blitzfalle gerät.
 



 
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