Fleischmacht.

pleistoneun

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Keimel hielt den Beamten das Fleisch unter die Nase. Diese verzogen jedoch nur ihr Gesicht und verlangten nach weiteren Argumenten. Keimel erzählte, wie er einem Stück lebendem Fleisch das Sitzen beibrachte. Es verhielt sich anfangs so, dass es immer wieder in seine liegende Ausgangsposition zurückfiel, aber nach vielen Trainingswochen konnte das Stück Fleich plötzlich aufrecht sitzen. Der Übergang zum Stehen war dann nur noch ein kleiner Dressurakt. Keimel ging auf Tournee damit, präsentierte der Welt das Sitz- und Stehfleisch. Viele Menschen zuhause an den Fernsehschirmen versuchten ihr Fleisch dorthin zu erziehen, doch ihre Versuche scheiterten. Man dachte daran, dass es sich bei Keimels Sitz- und Stehfleisch um ein ganz besonderes Stück handle und forderte ihn auf, dieses Kunststück mit einem x-beliebigen Fleischteil zu machen. Es misslang, Keimel wurde des Betruges angeklagt und stand nun vor zwei Beamten, die Erklärungen haben wollten. Vor ihnen erklärte das Fleisch, das mittlerweile sprechen konnte und an der Universität in London Rechtsmedizin studierte, dass nur der Schritt zur völligen Entfleischung die Grenzhaftigkeit seiner individuellen Möglichkeit auflösen könnte und inszenierte daraufhin einen skandalösen Aufruf an die Weltbevölkerung. Das Fleisch hatte gewaltigen Einfluss auf die Menschen, weil es das verkörperte, was es lebte. Nur mit Mühe konnte man den allerorts aufkeimenden Fleischexzessen unter den Menschen Einhalt gebieten. Es gab so gut wie keine Gemüseesser mehr und alles Vieh und Getier der Welt fiel den reißenden Menschenhänden zum Opfer. Man vergaß die ethischen Grundsätze. Fleisch regierte die Welt und verfinsterte das kollektive Bewusstsein der Erde. Alles wurde mit einem Mal böse, furchtbare Fleischkriege entflammten und die Zerstörung wurde für immer in die Seelen der fleischhungrigen Menschenmassen gebrannt. Wenn Fleisch an zuviel Macht gelangt, wird es diese auch nutzen. Keimel selbst lebt zur Zeit auf einer kleinen unbewohnten Insel. Die Betonung liegt auf "unbewohnt". Er ist tot. Die Bäume und Sträucher hatten sich am Urheber des Bösen gerächt.
 



 
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