Flohmarktluder

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In der heutigen Zeit haben wir Schriftsteller es sehr leicht. Schon soviel wurde vor uns geschrieben, gelesen und wieder vergessen, daß wir nur diese alten Sachen ausgraben, wiederverwerten und unseren Namen darunter setzen müssen. Kein mühsames Nachdenken, bei Sonnenschein in der Stube hocken und Pornowebsites surfen, weil man gerade eine Schreibblockade hat. Man schmökert einfach in einem alten Witzblatt, oder einem humoristischem Buch aus dem 17. Jahrhundert, und schon hat man nicht nur den Stoff, sondern auch die fertiggeschriebene Geschichte. Ist gerade gar nichts zur Hand, dann nimmt man einfach irgendeine Zeitung von gestern und schreibt von dort ab, es fällt ohnehin keinem auf.

Aus einem mit dem vorher Gesagten überhaupt nicht in Beziehung stehendem Grund zieht es mich samstags immer wieder in Wien auf den Flohmarkt, und zwar »Am Hof«. Dieser »Hof« ist ein bißchen umfangreicher und mehr ein ausladender Platz in der Mitte der Stadt, aber nichtsdestoweniger treiben sich dort am Wochenende Standler, Trödler und sonstige Ramschhändler ungeniert herum, und schlagen ihre Kunden, von der Obrigkeit unbehelligt, übers Ohr. Als routinierter Flohmarktbesucher bin ich allerdings bereits bei den Händlern gefürchtet. Wenn ich beispielsweise ein altes, zerfetztes Buch finde, zahle ich keinen höheren Betrag, als ich zählen kann.

Es war ein solcher Samstag angesagt, und ich schlenderte durch die Tischreihen des Flohmarktes. Die Schlitzohren hinter den Ständen sahen gelangweilt aus der Wäsche. Wieder mal war nichts Neues da, kein einziges interessantes humoristisches Pamphlet oder brauchbares Witzbuch. Es hatten vermutlich schon die minderbemittelten Kerle aus der Leselupe alles abgegrast. Ich gähnte fadisiert.

Plötzlich stockte mein Schritt, mein Herz begann zu schlagen, als ob der nicht vorhandene Herzschrittmacher eine Kurzschluß hätte. Da lagen sie, antiquarische Raritäten von Rang. Drei zerbröselnde Exemplare der Serie »Meggendorfer’s humoristische Blätter« räkelten sich lüstern am spärlich bedeckten Verkaufstisch. Trotz ihrer hundert Jahre am Buchbuckel hatten sie sämtliche satirisch-bissigen Zähne behalten. Witzblätter mit ihren vielen Karikaturen, humoristischen Geschichten und unwahren Behauptungen bildeten damals neben den seriösen Zeitungen eine eigene, vielgelesene Gattung. Aber diese Epoche war bekanntlich dem Untergang geweiht. Die letzte seriöse Zeitung war in der frühen zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom Markt verschwunden.

Meine Hände zitterten, als ich mich vorsichtig zu diesen Geschichtszeugen beugte, um sie zu begrapschen. Ich sog den Duft der entblößten Buchrücken ein, fummelte in den Seiten herum und seufzte bei jedem gelungenen Aphorismus leise auf. Daraus konnte ich satirische Text in Hülle und Fülle stehlen, niemand von den jungen Scheißern würde sich an diese Großvaterwitze erinnern. Ein dreckiges Grinsen zeichnete sich auf meinen Lippen ab.

Mir, als einem Mann eiserner Entschlüsse, war klar: die drei Exemplare, oder eben nicht. Ein halbherziges Dazwischen gab es nicht.

Ich verschluckte mich beinahe, als ich voll Vorfreude hastig ausstieß „Was kostet ein Exemplar?“ Die Frage stieß ins Leere, denn erst jetzt merkte ich, daß sich hinter dem Verkaufsstand niemand befand. Der fragend angeblickte Knilch am Puppenstand daneben zuckte nur mit dem, wo bei anderen normalerweise die Kniekehlen, bei ihm aber die Schultern sein mußten.
„Der ist gerade dort, wo auch der selige Kaiser zu Fuß hinging!“ erwiderte er bedeutungsschwer.
„Der selige Kaiser? Wohin ging der zu Fuß?“
„Na mit der Kutsche wird er wohl nicht aufs kaiserliche Klo gefahren sein...“

Das leuchtete selbst mir ein. Ich wartete und wartete. Nach drei Sekunden bremste sich eine Kutsche mit quietschenden Reifen und rauchenden Hufen vor dem Stand ein und ein salopp gekleideter Bierbauch schob sich aus dem Fiaker. Unter der Achsel hielt er eine Playboy-Ausgabe aus dem Spätmittelalter, und in der anderen Hand eine Rolle Klopapier im imperialen Schönbrunnergelb. „Danke für’s mitnehmen, Franzl!“ rief er dem Fiaker nach und ließ sich hinter dem Stand auf seinen knirschenden Klappsessel fallen.

Er wollte sich gerade in seine Lektüre vertiefen, als er merkte, daß irgendwas anders war. Na klar, ich stand zwischen ihm und dem Sonnenlicht.
Seine Augäpfel quollen hervor und er schrie: „Wo sind sie?“ Wie ein ausgefressener Hamster mit Dünnpfiffantrieb schoß er, mich ignorierend, um den Tisch herum, bückte sich keuchend unter den Verkaufsstand, kletterte röchelnd auf den Sonnenschutz und wäre vermutlich noch am selben Tag Auftraggeber des Leichenbestatters geworden, hätte ich ihn nicht erlöst und ein Bein gestellt.

„Was kostet ein Buch?“ Ich hielt dem am Boden liegenden die Meggendorfer’schen Exemplare vor die tränenfeuchten Augen.
„Eines kostet 20 Euro“, schnaufte er erleichtert und versuchte sie zu küßen.
„Gut, einverstanden. 20 Euro.“ Ein erster Zwanzigeuroschein flatterte zwischen meinen Fingern vor seiner Nase.
„Ich meinte, eigentlich kostet jedes 40 Euro“, rasselte er gepreßt zwischen den Zähnen hervor, während er aufzustehen versuchte.
„Auch gut, ich nehme alle Bände.“
„300 Euro...“
„In Ordnung“
„...pro Seite“
„OK, her damit“
Er verfiel in Panik. „Nein, ich wollte sie zuerst selber lesen. Ich habe sie noch gar nicht kopiert.“ Er riß die Bücher an sich.
„Her mit den Büchern“, krächzte ich und biß in seine Hand.
„Ich verkaufe sie nicht!“ Er umklammerte die Bücher und verpaßte mir einen Faustschlag in die Nieren. „Niemals!“
„Bücher her! Warum sonst stehen sie hier am Verkaufsstand?“ Nun gerieten wir ernsthaft aneinander.
„Nur zur Zierde! Zur Zierde!“ Er war knallrot im Gesicht, der Schweiß schoß ihm senkrecht aus den Poren. Das hing wahrscheinlich mit dem eisernen Würgegriff zusammen, mit dem ich ihm Manieren beibrachte.
„Bitte bitte, wenigstens ein Buch“, winselte ich, „wenigstens ein winzigkleines Buch.“

Es war zu spät. Ich hatte einen Moment nicht achtgegeben, und sich aus meinem Würgegriff befreiend nahm er Zuflucht zu seinem fiesesten Trick und kitzelte mich am Nasenspitzel. Ich krachte hemmungslos kichernd auf das Kopfsteinpflaster, während der Schuft sich mit seinen Büchern aus dem Staub machte.

Jetzt wißt Ihr also, wieso ich mehrere Tage nicht aus dem Haus kam. Meine Zeitungen waren alle ausgegangen, und ich mußte mir selbst eine Geschichte aus den Fingern saugen. Nie wieder, sage ich! Und nächsten Samstag werde ich vor diesen Leselupenludern am Flohmarkt sein. Jawohl!
 



 
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