Walther
Mitglied
Frank W.: Scheiden tut weh
An diesem Morgen steht Frank W. ungern auf. Gerädert fühlt er sich, von einer Nacht ohne Schlaf. Schlimmer als montagfrüh, immer wenn die Woche beginnt, ist die Anspannung am Abend vorher schon greifbar. Da nützt auch ein Spaziergang nichts.
Ähnlich schlimm ist es ihm zuletzt ergangen, als Edith vor beinah 12 Jahren mit Hänschen in den Wehen lag und man ihn nach Hause schickte. Es würde noch dauern, hatte man ihm beschieden. Und es dauerte, eine Flasche Rotwein später, mit bleiernen Gliedern war er hochgeschossen, als das in den Gang gestellte Telefon klingelte.
Heute ist es der Wecker gewesen, der geklingelt hat, der früher immer auf ihrer Seite des Bettes gelegen hat. Frank W. kann beim Ticken einer Uhr nicht einschlafen. Er kann überhaupt seit langem nur sehr schleppend einschlafen.
Und es ist nicht Montag, es ist Dienstag, und er hat sich eine Woche Urlaub genommen, den ersten seit über einem Jahr. Die Verkäufe liefen schleppend, und er fürchtete um seinen Geschäftsbereich. Da geht man nicht einfach in Urlaub. Da hängt man sich rein. So hat er es immer gehalten.
Als er seine Kaffeemaschine einschaltet, weiß er, dass er einen großen Anteil daran hat, dass seine Ehe gescheitert ist. Zuviel unterwegs, zuviel das Achsonaheliegende getan und das vermeintlich Selbstverständliche für selbstverständlich gehalten. Alle Signale übersehen, die Edith ausgesandt hatte. Immer wieder begütigt, auf die Pflichten hingewiesen, darauf, dass man dabei sei, bessere Zahlen zu bekommen und er dann zurückstecken werde. Bis sie eines Freitagabends sagte, dass sie mit ihm ernsthaft sprechen müsse.
„Können wir bis morgen warten?“, hatte er gefragt. Sie hatte mit dem Kopf geschüttelt und gesagt: „Hans ist bei meiner Mutter, und Du hast überhaupt nicht gemerkt, dass er gar nicht hier ist.“ Ihre so großen blauen Augen waren erschreckend neutral gewesen und ihre Miene seltsam entschlossen und sehr gefasst. „Und genau das ist das Problem, das wir miteinander haben. Du bemerkst uns nicht mehr. Mich nicht und Deinen Sohn auch nicht.“
Frank W. schluckte schwer. Was sollte er auch sagen. Er hatte tatsächlich übersehen, dass Hänschen ihn nicht begrüßt hatte wie immer. Er war durch die Haustür gekommen, hatte gedankenverloren seine Schuhe abgestreift, Jackett und Mantel aufgehängt und die Tasche ins Arbeitszimmer gebracht. Darauf war er aufs Klo gegangen und danach ins Wohnzimmer hinüber, wo Sohn und Mutter fernsahen. Geradeso wie jeden Tag.
Jetzt fielen ihm auch die ganzen Andeutungen siedend heiß ein und die Gespräche mit Edith, die immer eine gewisse Schärfe hatten, nie laut, aber doch unangenehm waren. Immer wieder hatte er von Besserung gesprochen, davon, dass auch er sich nach mehr gemeinsamer Zeit sehne. Aber geschehen war nichts. Zwischen den Gesprächen waren die Abschnitte immer kleiner geworden in den letzten Monaten. Er hatte nichts verstanden, den Ernst der Lage nicht wahrhaben wollen.
„Ich kann so nicht weiterleben.“, stellte Edith nüchtern fest. „Ich sehe nicht, dass sich etwas ändern kann und wird. Es ist deshalb auch nicht mehr wichtig, ob ich Dir nur Unwillen unterstelle oder Nachlässigkeit.“ Frank W. senkte die Augen und fühlte eine unerklärliche Angst in sich aufsteigen. „Ich habe für mich entschieden, dass ich so nicht mehr weiterleben möchte. Daher werde ich mich von Dir trennen. Der Anwalt ist bereits beauftragt, eine Trennungsvereinbarung aufzusetzen.“
Frank W. schluckte erneut. Kalter Schweiß kam auf seine Stirn. Fahrig griff er in die Tasche und wischte sich mit seinem Taschentuch die Tropfen ab. Das war es also. Der Weltzusammensturz. Seine Unruhe der letzten Wochen hätte es ihm sagen müssen, dass etwas im Anmarsch war. Das Unheil war aus einer Ecke gekommen, mit der er nicht gerechnet hatte.
„Willst Du,“, hatte er stotternd fast herausgewürgt, „willst Du, kannst Du uns keine Chance mehr geben?“ – „Nein, Frank, ich habe es Dir zu oft gesagt, dass ich so nicht leben kann. Du hast zu oft versichert, es würde bald alles besser. Es ist nur noch schlimmer geworden, und Du warst am Ende für Deinen Sohn und mich gar nicht mehr greifbar. Ich kann und will nicht länger warten, die Vertröstungen werden durch Wiederholung nicht glaubwürdiger. Es ist zu Ende, Frank, ich kann nicht mehr.“
Frank W. gießt sich den Kaffee ein, als er aus dem Tagtraum erwacht. Er sucht die Utensilien für sein Müsli zusammen, mit dem er den Tag beginnt. Kopf schüttelnd schneidet er Banane und Apfel in die kleine weiße Schüssel, auf der „Papa“ steht. Sein Sohn hatte sie ihm zum Geburtstag geschenkt; er schämt sich, dass ihm nicht einmal mehr erinnerlich ist, welcher Geburtstag es war.
Die Verkündigung der Scheidung geht vorbei wie eine Episode aus einem fremden Film. Eine Wirklichkeit, die man nicht verarbeiten kann, hat etwas milchig Unwirkliches an sich. Es ist so, als ob etwas mit einem geschieht, an dem man nicht selbst, sondern nur als externer Betrachter teilnimmt. Die Regelungen waren fair gewesen, gemeinsames Sorgerecht, Besuchsrecht. Edith hatte das gemeinsam gebaute Haus übernommen, in das die Schwiegereltern den Bauplatz eingebracht hatten, dafür hatte sie auf einen Anteil an seiner Rentenversorgung verzichtet. Alles Andere war gerecht geteilt worden.
Frank gibt Edith zum Abschied die Hand, Worte kann er keine finden. Es gibt nichts zu sagen oder zu beschönigen. Er sieht sie den Gang hinuntergehen, entschlossen, zielorientiert, ihren Weg gehen. Welchen Weg hatte er vor sich? Welches war sein Ziel?
Frank W. war kein Mensch für streitige Auseinandersetzungen. Sein Schuldgefühl war ebenso mächtig gewesen wie seine Ohnmacht. Gegen wen hätte er sich auflehnen sollen. Gegen das Schicksal? Gegen die Welt?
Zuhause zurück setzt er sich an den Küchentisch in seiner kleinen Küche. Wie er dorthin gekommen ist, wird ihm immer ein Rätsel bleiben. Als ob der Film gerissen ist und ein Stück herausgeschnitten wurde, als die Enden wieder geklebt und in die Filmmaschine eingelegt wurden. Der Kaffee ist abgestanden, aber noch warm. Er schmeckt schrecklich. Ein Whiskey wärmt die Kehle aber nicht das Herz. Erst jetzt kommt die Erkenntnis de Verlusts über ihn. Er lässt den Kopf auf den kühlen Küchentisch sinken und weint hemmungslos.
Er will und kann sich nicht beruhigen, bis die Schluchzer trocken werden, und seine Augen und die Rippenmuskeln schmerzen. Erst spätabends isst er ein wenig und setzt sich vor den Fernseher, vor dem er völlig erschöpft einschläft.
Das Gedicht zum Thema: http://www.leselupe.de/lw/titel-Moritat%20vom%20Gro%DFen%20Vorteil%20in%205%20Ausz%FCgen-82898.htm
An diesem Morgen steht Frank W. ungern auf. Gerädert fühlt er sich, von einer Nacht ohne Schlaf. Schlimmer als montagfrüh, immer wenn die Woche beginnt, ist die Anspannung am Abend vorher schon greifbar. Da nützt auch ein Spaziergang nichts.
Ähnlich schlimm ist es ihm zuletzt ergangen, als Edith vor beinah 12 Jahren mit Hänschen in den Wehen lag und man ihn nach Hause schickte. Es würde noch dauern, hatte man ihm beschieden. Und es dauerte, eine Flasche Rotwein später, mit bleiernen Gliedern war er hochgeschossen, als das in den Gang gestellte Telefon klingelte.
Heute ist es der Wecker gewesen, der geklingelt hat, der früher immer auf ihrer Seite des Bettes gelegen hat. Frank W. kann beim Ticken einer Uhr nicht einschlafen. Er kann überhaupt seit langem nur sehr schleppend einschlafen.
Und es ist nicht Montag, es ist Dienstag, und er hat sich eine Woche Urlaub genommen, den ersten seit über einem Jahr. Die Verkäufe liefen schleppend, und er fürchtete um seinen Geschäftsbereich. Da geht man nicht einfach in Urlaub. Da hängt man sich rein. So hat er es immer gehalten.
Als er seine Kaffeemaschine einschaltet, weiß er, dass er einen großen Anteil daran hat, dass seine Ehe gescheitert ist. Zuviel unterwegs, zuviel das Achsonaheliegende getan und das vermeintlich Selbstverständliche für selbstverständlich gehalten. Alle Signale übersehen, die Edith ausgesandt hatte. Immer wieder begütigt, auf die Pflichten hingewiesen, darauf, dass man dabei sei, bessere Zahlen zu bekommen und er dann zurückstecken werde. Bis sie eines Freitagabends sagte, dass sie mit ihm ernsthaft sprechen müsse.
„Können wir bis morgen warten?“, hatte er gefragt. Sie hatte mit dem Kopf geschüttelt und gesagt: „Hans ist bei meiner Mutter, und Du hast überhaupt nicht gemerkt, dass er gar nicht hier ist.“ Ihre so großen blauen Augen waren erschreckend neutral gewesen und ihre Miene seltsam entschlossen und sehr gefasst. „Und genau das ist das Problem, das wir miteinander haben. Du bemerkst uns nicht mehr. Mich nicht und Deinen Sohn auch nicht.“
Frank W. schluckte schwer. Was sollte er auch sagen. Er hatte tatsächlich übersehen, dass Hänschen ihn nicht begrüßt hatte wie immer. Er war durch die Haustür gekommen, hatte gedankenverloren seine Schuhe abgestreift, Jackett und Mantel aufgehängt und die Tasche ins Arbeitszimmer gebracht. Darauf war er aufs Klo gegangen und danach ins Wohnzimmer hinüber, wo Sohn und Mutter fernsahen. Geradeso wie jeden Tag.
Jetzt fielen ihm auch die ganzen Andeutungen siedend heiß ein und die Gespräche mit Edith, die immer eine gewisse Schärfe hatten, nie laut, aber doch unangenehm waren. Immer wieder hatte er von Besserung gesprochen, davon, dass auch er sich nach mehr gemeinsamer Zeit sehne. Aber geschehen war nichts. Zwischen den Gesprächen waren die Abschnitte immer kleiner geworden in den letzten Monaten. Er hatte nichts verstanden, den Ernst der Lage nicht wahrhaben wollen.
„Ich kann so nicht weiterleben.“, stellte Edith nüchtern fest. „Ich sehe nicht, dass sich etwas ändern kann und wird. Es ist deshalb auch nicht mehr wichtig, ob ich Dir nur Unwillen unterstelle oder Nachlässigkeit.“ Frank W. senkte die Augen und fühlte eine unerklärliche Angst in sich aufsteigen. „Ich habe für mich entschieden, dass ich so nicht mehr weiterleben möchte. Daher werde ich mich von Dir trennen. Der Anwalt ist bereits beauftragt, eine Trennungsvereinbarung aufzusetzen.“
Frank W. schluckte erneut. Kalter Schweiß kam auf seine Stirn. Fahrig griff er in die Tasche und wischte sich mit seinem Taschentuch die Tropfen ab. Das war es also. Der Weltzusammensturz. Seine Unruhe der letzten Wochen hätte es ihm sagen müssen, dass etwas im Anmarsch war. Das Unheil war aus einer Ecke gekommen, mit der er nicht gerechnet hatte.
„Willst Du,“, hatte er stotternd fast herausgewürgt, „willst Du, kannst Du uns keine Chance mehr geben?“ – „Nein, Frank, ich habe es Dir zu oft gesagt, dass ich so nicht leben kann. Du hast zu oft versichert, es würde bald alles besser. Es ist nur noch schlimmer geworden, und Du warst am Ende für Deinen Sohn und mich gar nicht mehr greifbar. Ich kann und will nicht länger warten, die Vertröstungen werden durch Wiederholung nicht glaubwürdiger. Es ist zu Ende, Frank, ich kann nicht mehr.“
Frank W. gießt sich den Kaffee ein, als er aus dem Tagtraum erwacht. Er sucht die Utensilien für sein Müsli zusammen, mit dem er den Tag beginnt. Kopf schüttelnd schneidet er Banane und Apfel in die kleine weiße Schüssel, auf der „Papa“ steht. Sein Sohn hatte sie ihm zum Geburtstag geschenkt; er schämt sich, dass ihm nicht einmal mehr erinnerlich ist, welcher Geburtstag es war.
Die Verkündigung der Scheidung geht vorbei wie eine Episode aus einem fremden Film. Eine Wirklichkeit, die man nicht verarbeiten kann, hat etwas milchig Unwirkliches an sich. Es ist so, als ob etwas mit einem geschieht, an dem man nicht selbst, sondern nur als externer Betrachter teilnimmt. Die Regelungen waren fair gewesen, gemeinsames Sorgerecht, Besuchsrecht. Edith hatte das gemeinsam gebaute Haus übernommen, in das die Schwiegereltern den Bauplatz eingebracht hatten, dafür hatte sie auf einen Anteil an seiner Rentenversorgung verzichtet. Alles Andere war gerecht geteilt worden.
Frank gibt Edith zum Abschied die Hand, Worte kann er keine finden. Es gibt nichts zu sagen oder zu beschönigen. Er sieht sie den Gang hinuntergehen, entschlossen, zielorientiert, ihren Weg gehen. Welchen Weg hatte er vor sich? Welches war sein Ziel?
Frank W. war kein Mensch für streitige Auseinandersetzungen. Sein Schuldgefühl war ebenso mächtig gewesen wie seine Ohnmacht. Gegen wen hätte er sich auflehnen sollen. Gegen das Schicksal? Gegen die Welt?
Zuhause zurück setzt er sich an den Küchentisch in seiner kleinen Küche. Wie er dorthin gekommen ist, wird ihm immer ein Rätsel bleiben. Als ob der Film gerissen ist und ein Stück herausgeschnitten wurde, als die Enden wieder geklebt und in die Filmmaschine eingelegt wurden. Der Kaffee ist abgestanden, aber noch warm. Er schmeckt schrecklich. Ein Whiskey wärmt die Kehle aber nicht das Herz. Erst jetzt kommt die Erkenntnis de Verlusts über ihn. Er lässt den Kopf auf den kühlen Küchentisch sinken und weint hemmungslos.
Er will und kann sich nicht beruhigen, bis die Schluchzer trocken werden, und seine Augen und die Rippenmuskeln schmerzen. Erst spätabends isst er ein wenig und setzt sich vor den Fernseher, vor dem er völlig erschöpft einschläft.
Das Gedicht zum Thema: http://www.leselupe.de/lw/titel-Moritat%20vom%20Gro%DFen%20Vorteil%20in%205%20Ausz%FCgen-82898.htm