Franz - eine Skizze

Sigurt Funk

Mitglied
Franz - eine Skizze

Franz glaubt an die Menschlichkeit der Menschen, seit er denken kann. Deswegen geht Franz auch regelmäßig in die Kirche und engagiert sich bei vielen Vereinen im Dorf. Das macht den Franz beliebt im Ort. Franz singt im Gesangsverein die Tenorstimme, die sehr selten ist. Er löscht Feuer mit der Feuerwehr und hat trotzdem noch nie einen Heustadel angezündet. Und auf die Feuerwehrfeste, auf denen er hin und wieder ein Lied singen darf, geht er auch gerne. Das freut seine Kameraden von der Wehr, denn Franz singt schöne Volkslieder und manchmal spielt er mit seiner Gitarre dazu. Noch lieber aber haben seine Kameraden, wenn Franz ihnen statt der Volkslieder das Lied „Das Tröpferlbad“ vorsingt, das sie sonst nur von Schallplatten oder aus dem Radio kennen. „Das Tröpferlbad“, von dem nur Eingeweihte wissen, welch segensreiche Einrichtung das war, welchen Zweck es hatte, bei dem sie alle immer Lachen müssen, ist auch das Lieblingslied von Franzens Ehefrau, die ihn, weil sie Eva heißt, immer an das Paradies erinnert, das nun für immer verloren ist, wie der Herr Pfarrer bei der Heiligen Messe zu Ostern gesagt hat. Franz ist mit seiner Eva nun schon seit über dreißig Jahren verheiratet und deswegen möchte sich Franz auch nicht scheiden lassen. Sobald Franz in Gesellschaft und die Stunde fortgeschritten ist, bittet Eva „ihren“ Franz, die Gitarre zur Hand zu nehmen und „Das Tröpferlbad“ zu bringen. Eva spricht, wenn sie von Franz spricht, immer nur von „ihrem“ Franz, so als hätte sie den Franz gekauft auf dem Jahrmarkt oder im Supermarkt oder im Einkaufszentrum, wohin sie gerne geht. Franz fühlt sich auch ganz als „ihr“ Franz und wenn Eva sagt, überraschend oder nicht, „spuck`s aus!“, dann spuckt Franz auch sofort seinen abgekauten Kaugummi - oder was er sonst halt gerade im Mund hat - aus. Das hat Franz bereits von seiner Mutter gelernt. Als Kind hat er sich immer gefürchtet, wenn die Mutter in lieblich scharfem Ton „spuck`s aus!“ gesagt hat. Er wusste, dass es darauf ankam, sofort zu tun, was befohlen war und dass das alles nur zu seinem Besten sein konnte. Und so macht er das bei Eva auch. Wenn Franz „Das Tröpferlbad“ vorsingen soll, muss sich der Franz, das verlangt seine ihm gutbekannte innere Stimme, die oft zu ihm spricht, anfangs etwas sträuben und sich fest zureden lassen von Eva und den anderen, die ihn dann erwartungsvoll anblicken, bevor er sich dann doch dazu hinreißen lässt, es ihnen vorzusingen. Dann aber singt er es doch immer gerne, obwohl er ein paar Zeilen des Textes vergessen hat, was niemand der Zuhörer merkt, weil sie das Lied gar nicht anders kennen und Franz so tut, als ob es diese Zeilen im Lied gar nicht gäbe, nie gegeben habe. Franz hat Übung darin, so zu tun, als ob es etwas, was es gibt, gar nicht gäbe. In diesem Fall ist das auch ganz einfach, einfacher jedenfalls als sich das zu merken, was er immer vergisst. Gott-sei-Dank, sagt Franz, kann der Mensch vergessen, und wird deswegen von seiner Frau für sehr gescheit gehalten.
Franz ist, wie auch alle anderen, dorf katholisch. Das hilft. Schon als Kind hat sich Franz immer ausgemalt, wie es wäre, würde er Gott vorgestellt und müsse ihm die Hand geben und, weil Gott etwas ganz „Hohes“ ist, wird man bei ihm wohl eine tiefe Verbeugung machen müssen, was sein Vater immer einen „tiefen Diener machen“ genannt hat. Wie bei den Hofräten, die obwohl es schon lange keinen „Hof“ mehr gibt, immer noch in den Ministerien und den Landesregierungen sitzen und dort die Geschicke des Landes zu leiten glauben. Franz hat früh gelernt schöne tiefe „Diener“ zu machen, weil ihn sein Vater das oft hat üben lassen. Die rechte Hand muss man geben, auch das weiß Franz, die Augen zu Boden gerichtet und einen „schönen Diener“ machen, das macht man als braver Bub, hatte sein Vater ihm immer gesagt.
Franzens Eltern waren natürlich auch katholisch, nicht sehr, aber doch, wie der „Herr Karl“ halt, der heute der unbeliebteste Österreicher ist, weil sich jeder in ihm wiedererkennt. Dennoch hat der Pepperl, der damals in der Volksschulzeit sein Freund war, einmal zu ihm gesagt: „Deine Eltern sind ja erzkatholisch!“. Was seine Eltern und das Katholische mit dem Erz zu tun hätten, sei ihm damals nicht klar geworden. Vielleicht hat ihn sein Freund, der Pepperl, der eigentlich Johann hieß, ja auch bloß ärgern wollen damit. Vielleicht glaubte der Pepperl auch, sie wären aus dem Erzgebirge eingewandert, so wie die Nachbarn auf der anderen Straßenseite. Der Pepperl hatte es überhaupt mit dem Wort „Erz“. Er verwendete es gerne. Sein Vater, sagte der Pepperl, hätte gesagt, sie selbst seien keine „Katholen“ sondern „Erzrote“. Erzrot und erzkatholisch vertrage sich aber nicht. Er solle sich doch einen anderen – roten - Freund suchen. Franz und Pepperl haben sich aber meistens ganz gut vertragen. Erzrot zu sein, stellte sich Franz ganz schön vor, weil er dabei immer an die sommerlichen Sonnenuntergänge denken musste.
Die Eltern Pepperls, denen man gar nicht ansah, dass sie erzrot waren, wohnten in einem kleinen eigenen Haus, aber ein wirkliches Haus, so wie das von Franzens erzkatholischen Eltern, war es nicht, weil es ja viel kleiner war.
Genaugenommen hatten Franzens Eltern aber gar kein Haus, weil das Haus, in dem sie wohnten, Franzens Großmutter gehörte. Man musste sie deswegen auch „Hausfrau“ nennen. Sie kassierte von Franzens Mutter, die ihre Tochter war, monatlich einen Zins, der in das Zinsbuch eingetragen wurde, als Beweis. Gratis gibt es nichts auf der Welt.
Großmutters Ehemann, Franzens Großvater, hatte ihr als Altersvorsorge ein Zinshaus gebaut. Für den Fall seines Todes, sollte sie sich keine Sorgen zu machen brauchen. Dieser trat später auch wirklich ein. Die Großmutter ließ ihm dafür einen Grabstein aufstellen auf dem sein Name, sein Geburts- und Sterbedatum und unterhalb mit goldenen Buchstaben „Wagnermeister und „Hausbesitzer“ zu lesen steht. Franzens Großvater ging davon aus, dass ein Haus eine bombensichere Einnahmequelle für die Zukunft sei. Wie sich im Jahr vierundvierzig herausstellte, war das Haus gar nicht bombensicher. Die Brandbomben, die die „Tommys“, wie Franzens Vater die Engländer nannte, abwarfen, ließen es nicht unbeschädigt, sondern bis auf die Grundmauern abbrennen.
Franzens Vater, der im Krieg Franzens Mutter geheiratet hatte, hatte dann alle Hände voll zu tun, die Bombenschäden zu beheben. Dank hat er dafür keinen gehabt. „Ich tu das alles sowieso nur für dich!“ hatte er zu Franz immer gesagt, wenn er wiedereinmal bei der schweren Arbeit seine Bombensplitter unter der Schädeldecke spürte. Für Franzens Großmutter war und blieb er immer ein „Habenichts“, was sie ihrer Tochter, Franzens Mutter, auch oft gesagt hat. Obwohl immer wenig Geld im Haus war, brauchte Franz nie zu hungern. Weil sie sparsame Leute waren, holte sich Franzens Vater aus einer sechzig Kilometer entfernten Kohlengrube mit einem Schubkarren selbstgebrochene Braunkohle zum Heizen, mit dem Ersparten kaufte man Lebensmittel.
Großmutter hatte immer Geld und verlieh es an fremde Leute gegen Zinsen. Franzens Vater, hatte es im Laufe der Nachkriegszeit sogar zum Kanzleileiter in der Landesregierung gebracht, arbeitete nebenbei aber als Polierer in einer Schlosserwerkstätte in der Gepäckträger für Motorroller und Autos erzeugt wurden. Wenn er spätabends nach Hause kam, sah er immer aus wie ein Rauchfangkehrer, schwarz im Gesicht und an den Händen, weil er über und über mit öligem Staub bedeckt war. Staub, der entstand, wenn das zu polierende Metall von seinen Händen an die mit Inlettfett bestrichene rotierende Fetzenscheibe gepresst und so zu Hochglanz gebracht wurde. Wenn Franzens Vater über und über mit öligem Ruß bedeckt, zum Spaß seine Augen weit aufriss, sah er aus wie ein „Neger“, was man heute nicht mehr sagen darf, weil das eine Diskriminierung ist.
Franz hat als Kind nur einmal einen „Neger“ gesehen, als er mit seiner Mutter in die Stadt zum Einkaufen gefahren war. Diesen hatte man an den Geschäftseingang gestellt, weil das eine Attraktion war zur damaligen Zeit. Heute noch gibt es in der Stadt den „Gummi-Neger“ bei dem man ganz spezielle Gummi- und Schaumstoffartikel kaufen kann. Ob man überlegt, das Geschäft in „Gummi-Schwarzer“ umzutaufen, weiß Franz nicht, wohl aber, dass der Inhaber des Geschäfts auf den Firmennamen sehr stolz ist. Der Schwarze, der am Eingang stand, war auch nicht wirklich schwarz, dafür trug er eine grell rote Uniform und wenn er die eintretenden Kunden begrüßte, lächelte er freundlich, die Kinder bekamen ein Bonbon und fürchteten sich gar nicht. Franzens Vater hatte auch lange eine Uniform getragen, seit dem Krieg trug er keine mehr, jetzt war er nur mehr äußerlich schmutzig, was man abwaschen konnte. Badezimmer hatten Franzens Eltern keines. Man wusch sich in „einer Lavoir“ in der Wohnküche, währenddessen Franz immer hinausgeschickt wurde. Einmal pro Woche wusch man sich in der Waschküche im Keller. In einem eigens dafür konstruiertem Ofen erwärmte man einen großen Zuber Wasser, was den ganzen Raum in warmen Wasserdampf hüllte, ähnlich wie es Franz später in den Wohlfühloasen von Wellness-Bädern oder in den Thermenwelten südsteirischer Provenienz kennenlernen sollte. Wenn sich die Frauen in der Waschküche wuschen, ging Franz manchmal spechteln. Vor allem dann, wenn Frau H. aus dem ersten Stock dran war, weil sie die größten Brüste hatte und weil es ihr nichts auszumachen schien, wenn man ihr beim Waschen zusah, weil das alles menschlich und alles menschliche ihr nicht fremd sei. Wenn Franz zu frech wurde, hängte sie ein Handtuch vor das kleine Kellerfenster. Immer dann verlor der Franz seinen Glauben an die Menschlichkeit.
Menschlichkeit ist etwas fürchterliches, sagt der Franz und niemand will es ihm glauben. Nicht einmal seine Eva, obwohl sie seine Frau ist und ihm sonst vieles glaubt, weil das, so sagt sie, die Grundlage einer guten Ehe ist, dass man sich gegenseitig glaubt. Franz glaubt nicht, auch dann nicht, wenn ihm sein Freund der Religionslehrer, der ein Faible für Schamanen und okkulte Phänomene hat, erzählt, dass die einfachsten Menschen über die größte Weisheit verfügen würden und nur die armen im Geiste selig wären. Immer muss er daran denken, dass es bei ihnen zu Hause geheißen hat, nur einer könne auf dem Hof anschaffen, die anderen hätten zu gehorchen, hätten das Maul zu halten und „Diener“ zu machen und dass es im Kleinen so wäre wie im Großen und dass auch das alles menschlich sei.
 
N

nobody

Gast
Skizze?

Ein schönes bitter-süßes Sittengemälde ist dir da gelungen - man hört fast die Blasmusi im Hintergrund (oder sind es Schrammeln?). Mir ist fast schlecht geworden - Erinnerungen aus meiner Jugendzeit im Niederbayerischen, keine fünfhundert Meter von der Grenze zu Österreich entfernt. Und dass ich auch noch Franz heiße, dafür kann ich ja nix...
Willkommen in der Leselupe
Gruß Franz
 



 
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