Fremdbestimmt

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maerchenhexe

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Fremdbestimmt

Seit zwei Wochen lag sie hier jetzt schon in diesem fremden Bett, das nicht zu ihr passte. Blütenweiße Bettwäsche mit dezenten grünen Streifen und eine doppelte Matratze (dann liegen Sie bequemer und weicher hatte die Schwester gesagt) sollten wohl ein gewisses Wohlgefühl vermitteln; war auch notwendig, denn dieses Zimmer würde für eine nicht absehbare Zeit ihr Zuhause sein.

Bis vor zwei Tagen hatte sie den kahlen, weißen Raum mit einer fremden Frau geteilt, die ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt hatte. Diese Fremde war laut, mürrisch und hatte angeblich einen Schlaganfall erlitten. Auffallend waren das gelblich verfärbte, schmale Gesicht und der furchtbar aufgeschwollene Bauch.

Vorgestern Morgen hatte man sie auf die Intensivstation verlegt, Leberkoma! Leberkrebs im Endstadium!

Wieder ließ sie ihren Blick durch den Raum wandern. Die Metallspinde sahen aus, als seien sie aus den Altbeständen eines Militärlagers kostengünstig erworben worden. Und der vierfarbige Kunstdruck, direkt links neben der Tür, stach einem allenfalls grell in die Augen.

Warum auch sollte man an Krebskranke Wärme verschwenden? Hier liefen die Uhren anders. Das Zauberwort hieß THERAPIE. Wie hatte die Oberärztin so nett gesagt: „Liebe Frau Greif, Sie haben definitiv ein Schilddrüsenkarzinom, ein Luftröhrenkarzinom und die Lymphen sind im Ohren- und Halsbereich auch befallen. Nach unseren gestrigen Untersuchungen sehen Bronchien und Lunge auch nicht mehr sauber aus. Sie haben gar keine andere Chance mehr, als sich unserer Therapie anzuvertrauen, und wir sind heute schon recht weit mit unseren Behandlungserfolgen.“

Sie hatte zustimmend genickt und sich gefügt. Was blieb ihr auch übrig?

Ihr Mann besuchte sie täglich, saß an ihrem Bett, hielt ihre Hand und wiederholte stereotyp: „Wir schaffen das schon. Da gehen wir gemeinsam durch.“ Aber von ihrer gemeinen hundsföttischen Angst, die sie jetzt ständig mit eisernem Griff umklammert hielt, konnte sie ihm nicht erzählen. Das wollte er nicht hören, weil er sie nicht ertragen konnte, ihre Angst. Auch das Wort, dass nach 3o Jahren Ehe plötzlich wie ein Damokles – Schwert über ihnen schwebte, das Wort „Tod“, ignorierte er mit sturer Beharrlichkeit. Er hatte sie niemals schwach und hilflos erlebt in all den Jahren. Sie verstand ihn auch ohne Worte, er hatte auch Angst, hündische Angst um sie! Aber er gehörte eben noch zu der Generation, in der es als unmännlich galt, solche Gefühle zu zeigen.

Mittlerweile zollte sie den Therapien Tribut. Sie kotzte mindestens zweimal am Tag und ihre Haut im Nackenbereich hatte sich dunkel verfärbt und verursachte heftige Schmerzen. „Das sind eben die unangenehmen Begleiterscheinungen“, hatte die Ärztin ihr erklärt, „die „Chemo“ verursacht diesen Brechreiz und die Bestrahlungen sind verantwortlich für die Hautverfärbungen und die Schmerzen im Nacken. Aber Sie, liebe Frau Greif haben leider keine Alternative.“

Morgen hatte sie einen Termin bei dem Friseur, dessen Salon direkt neben der Klinik lag; er war auf Perücken spezialisiert. Mit ihren eigenen Haaren war nicht mehr viel Staat zu machen, sie waren schon fast alle der Behandlung zum Opfer gefallen.

Sie haderte jetzt dauernd mit ihrem Schicksal. Womit hatte sie die ganze Quälerei eigentlich verdient? Sie hatte ihre Kinder zu ordentlichen Menschen erzogen, war ihrem Mann in all den Jahren treu geblieben, und von seinem schmalen Gehalt hatte sie immer noch einen Notgroschen zurücklegen können.
Und sie erinnerte sich noch ziemlich genau an das, was sie ihrem Mann an seinem Geburtstag vor zwei Monaten gesagt hatte: „Siehst du, mein Schatz, die Kinder stehen auf eigenen Beinen, du hast jetzt endlich das Akkordeon bekommen, das du dir schon lange gewünscht hattest, und nun machen wir beide uns noch ein paar schöne Jahre.“

Einige Tage später hatte sie das erste Mal das Gefühl, dass ihr eine eiserne Faust die Luft abdrückte. Aber sie war nicht der Typ Frau, der wegen irgendwelcher Wehwehchen gleich zum Arzt rennt. Nein, sie war erst hingegangen, als sie dauernd das Gefühl hatte, sie müsse ersticken; drei Wochen war das jetzt her. Und dann brach diese Diagnose über sie herein!

Sie schaute auf die Armbanduhr, die auf dem Rolltisch neben ihrem Bett lag. Gleich 14 Uhr! Dann würden sie sie wieder nach unten fahren, in den „Bunker“ zur Strahlentherapie.

Ein paar Minuten später öffnete sich auch schon die Zimmertür, doch statt der Schwester, die sie immer begleitete, kam die Ärztin herein. Sie hatte ihr Ärztelächeln aufgesetzt, legte ihre kühle Hand auf ihre heiße und trockene und sagte: „Also, liebe Frau Greif, wir haben Ihren Fall heute im Team noch einmal durchgesprochen. Nach der Bestrahlung werden wir Sie erst einmal nach Hause entlassen. Sie möchten doch bestimmt das Weihnachtsfest im Kreise Ihrer Familie verbringen. Schmerzmedikamente geben wir Ihnen natürlich mit, und wenn nichts Besonderes eintritt, setzen wir Ihre Therapie Mitte Januar ambulant fort. Trotz allem, ein frohes Fest für Sie und Ihre Lieben.“

Nachdem die Ärztin gegangen war, lag sie noch eine Weile bewegungslos auf dem Bett mit der doppelten Matratze. Leichte Hoffnungskrümel brachen sich Bahn durch dunkle Ahnungen… Dieser seltsam mitleidige Blick, den ihr diese junge Frau im weißen Kittel zugeworfen hatte, ehe sie zum nächsten Patienten eilte, sie wusste ihn nicht wirklich zu deuten.
Die Schwester holte sie dann zur vorläufig letzten Bestrahlung ab.
Eine Stunde später rief sie ihren Mann an und gab ihrer Stimme einen betont freudigen Tonfall: „Du kannst mich abholen, Schatz, ich darf über Weihnachten nach Hause.“
 
H

HFleiss

Gast
Du hast der Geschichte den Titel "Fremdbestimmt" gegeben. Aber hier geht es wohl weniger um die Fremdbestimmung, als vielmehr darum, dass die Erzählerin auf Leben und Tod liegt. Empfindet sie da die Fremdbestimmung wirklich so sehr als
ungewohntes Übel? Ich finde die Geschichte gut auf den Schluss hin aufgebaut, aber das Ende ist sehr vorhersehbar.

Sprachlich sind mir ein paar Dinge aufgefallen:
die alles vernichtende Diagnose (einfacher: Diagnose), das "professionelle, stets beruhigende Lächeln aufgesetzt" (das muss wohl nicht betont werden, besser wohl: ihr Ärztelächeln oder so etwas), "leichte Hoffnungskrümel brachen sich Bahn durch dunkle Ahnungen" könntest du einfacher sagen.

Alles in allem eine ansprechende Geschichte aus dem Krankenmilieu. Wer so etwas mag, wird sie gern lesen.

Gruß
Hanna
 

maerchenhexe

Mitglied
hallo Hanna,

lieben Dank, dass du dich so intensiv mit meiner Geschichte beschäftigt hast. Die Sätze mit der Diagnose und dem Lächeln habe ich bereits geändert. Da hast du recht, das Wort Diagnose spricht für sich und braucht keine Verstärkung. Dein Vorschlag "Ärztelächeln" habe ich auch so übernommen, weil ich meine, dass er genau das trifft, was ich sagen wollte. Fremdbestimmt deshalb, weil die Protagonistin, die Geschichte beruht auf Tatsachen, das erste Mal in ihrem Leben nicht selbst agieren konnte, sondern sich völlig ausgeliefert fühlte und wirklich darunter gelitten hat.

lieber Gruß
maerchenhexe
 



 
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