Freud in Afrika

3,70 Stern(e) 3 Bewertungen

Freeda

Mitglied
"Was liest Du?"
Erst fühlte ich mich gar nicht angesprochen. Aber mit dem unguten Gefühl, beobachtet zu werden, schaute ich von meinem Buch auf, das ich sorgfältig auf meiner Tasche platziert hatte, die auf meinen Knien ruhte.
Mir gegenüber hatte sich ein Mann niedergelassen, vielleicht so alt wie ich, vielleicht auch ein bisschen älter, schwer zu sagen. Er hatte ebenfalls ein Buch in der Hand, noch zugeklappt, so dass ich den Buchdeckel sehen konnte. Freud las er, Du meine Güte.
Er wiederholte seine Frage.
Ich hatte mich in einen abgedroschenen Krimi vertieft, nichts Hochtrabendes, was mir jetzt plötzlich überaus peinlich war.
Nein, warum sollte es. Ich jobbte, und hatte einen anstrengenden Tag hinter mir, da musste ich mir nicht auch noch die Bahnfahrt mit schwerer Kost verderben.
Ich hatte also sofort gecheckt, was für ein Typ mir gegenüber saß.
Die Haare in krauser Manier wirr am Kopf, Sommersprossen, blaue Augen. Eigentlich nette Augen. Aber ihn noch länger anzuschauen getraute ich mich nicht, denn ich war damals noch schüchterner, als ich es jetzt immer noch bin.
Ohne zu antworten hielt ich mein Buch hoch, damit er einen Blick auf den Titel werfen konnte, um es sogleich wieder auf meine Tasche zu knallen, den Kopf zu senken und weiterzulesen.
Ich war nun gar nicht erpicht darauf, mir einen abfälligen Kommentar über meine Lektüre einzufangen, aber ich ärgerte mich darüber, so schüchtern zu sein. Sonst hätte man ja vielleicht ganz zwanglos miteinander plaudern können, und möglicherweise wäre die Bahnfahrt einmal ein wenig kurzweiliger gewesen.
"Ach, das habe ich auch schon gelesen. Ist ganz spannend, nicht wahr?"
Jetzt schaute ich abrupt wieder auf. Freud las schnöde Krimis?
Nun konnte ich mich wenigstens zu einem Lächeln durchringen.

Ohne Übergang fragte er, woher ich käme. Vorsichtig sortierte ich meine Gedanken, ehe ich antwortete.
"Meine Mutter kommt aus Tansania, aber ich bin Deutsche und schon in Deutschland geboren".
Freud lachte mich nun offen an, oh, nein, so genau hätte er es gar nicht wissen wollen, er hatte gemeint, ob ich vielleicht von der Uni komme oder so?
Wie peinlich, dachte ich.
"Nein, nein", und ich wagte kaum, ihn anzusehen, "ich jobbe im Büro".
Gesprächspausen nerven mich kolossal, und ich wusste nicht so Recht, ob Freud nun noch genauere Auskünfte von mir erwartete.
Verlegen widmete ich mich wieder meinem Buch, konnte mich aber auf keine einzige Zeile konzentrieren.
"Aus Tansania? Warst Du schon einmal dort?"
Offensichtlich wollte Freud unbedingt ein bisschen schwatzen.
"Nein, leider noch nie". Ich schaute erneut zu ihm auf, und er fuhr sich mit einer Hand durch sein wirres Haar, so dass es dort störrisch noch ein bisschen wirrer vom Kopf abstand. Nun sah er aus wie der verschrobene Dr. Brown aus ‚Zurück in die Zukunft’, und ich lächelte wieder.
"Ich auch nicht", antwortete er. "Aber in Kenia vor ein paar Jahren, da war es wirklich schön. Und die Menschen so nett. Ich würde gern noch mal dorthin".
"Nein, ich war überhaupt noch nie irgendwo in Afrika, das Geld hat nie gereicht".
Der Zug hielt, und ich schaute gedankenverloren hinaus in den Regen. Afrika.

Plötzlich rappelte Freud sich auf, sein Buch fiel hinunter, er bückte sich und kam mir dabei ziemlich nahe. "Ich muss hier leider raus, wäre gern noch ein Stück mit dir gefahren", und für einen kurzen, kaum erwähnenswerten Moment legte er mir seine Hand auf den Arm. Ein Blick noch, ein Lächeln, und schon war er hinaus.
Mit einem Ruck setzte sich der Zug wieder in Bewegung, und als ich aus dem Fenster schaute, sah ich Freud im Regen auf dem Bahnsteig stehen; mit dem Buch in der Hand lächelte er und winkte mir hinterher.
Ich hob meine Hand und winkte zurück, bis er meinem Blick entschwunden war.
Afrika, ja das wäre schön.
Zu zweit.
 

Freeda

Mitglied
Hi flammarion,

freut mich, daß Dir meine kleine Geschichte gefällt! Ist halt aus dem Leben gegriffen.
Einen schönen Tag für Dich!

Freeda
 



 
Oben Unten