Frische Fische

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Frische Fische

Ich lebte damals bei meinen Großeltern. Gerade mal vier Jahre alt. Wir wohnten in einem kleinen Städtchen an dem Fluss Peene. Dieser mündet ins Haff und fließt von dort in die Ostsee. Es waren die Jahre kurz nach dem großen Krieg 1945. Wohl kaum hatte damals einer der Familien Essen in Hülle und Fülle. So wie es heute ein jeder kennt. Doch Fisch gab es in allen Variationen, täglich. Schon früh am Morgen boten die Fischer ihre Ware auf den Markt an. Alle Arten waren darunter und frisch, zappel-frisch. In der Nacht oder gar erst gegen Morgen waren sie mit großen Netzen im Fluss gefangen worden.
Als Bub konnte ich die einzelnen Fischsorten noch nicht voneinander unterscheiden. Nur erkannte ich, dass die einen eben rund waren und andere schmal, auch Platte darunter, kugelrunde Fische sogar. Meine Großmutter nahm mich immer mit zum Markt.
Die Fische wurden abgewogen. Jedes Gramm kostete. Dabei strampelten sie mit den Flossen, die Kiemen flatterten aufgeregt, und voller Ungeduld versuchten sie, mit ihren geschmeidigen Körpern von der Waage zu springen. So voller Tatendrang, dass sich dabei bereits Schuppen von ihren Körpern lösten. Eben, noch bevor sie es ahnen konnten, welchem Schicksal sie entgegen zappelten. Ich dachte, wie Blätter im Herbst an den Bäumen, die ungeduldig pendeln und im Wind fortfliegen möchten.
Dann wurden die Fische bezahlt, in Zeitungspapier eingewickelt und in den Einkaufskorb gelegt. Darüber kamen andere Lebensmittel. Ein lebender Korb wahrlich, den meine Großmutter mit nach Hause nahm. Dort stellte sie den Korb eigenartigerweise nie auf den Tisch, sondern auf einen der Stühle in der Küche. Es war so ihre Gewohnheit, sich zu bücken und aufzurichten beim Herausnehmen des Inhalts im Korb. Wo sie durchaus nicht klein an Körpergröße war. Vielleicht war es ihre Art der Rückengymnastik, damals zum Fithalten.
Dann wurden die Lebensmittel in die Schränke verteilt. Das Gemüse und Obst kam in die kleine Abstellkammer gleich neben dem Küchenfenster, aus dem man in den Hof hinausschauen konnte, umgeben von hohen Häusern. Kein Sonnenstrahl fiel in den Raum. So auch nicht in die Speisekammer, in der kein Fenster Licht hinein ließ und dadurch es innen stets kühl blieb. Ein kleiner Raum mit Regalen an den Wänden, ummauert, mit einer einfachen Holztür aber nur versehen, in einer Ecke der Küche.
Den im Zeitungspapier eingehüllten Fisch legte sie auf den Tisch und ging hinaus. Einfach so, vor meinem Gesicht, hatte sie die noch mit Zeitungspapier umhüllten Fische gelegt, als sollte ich sie bewachen. Dabei konnte ich erst gerade mal über die Tischkante schauen. Ich sah, wie sich das Päckchen bewegte, und Schwanzflossen das Papier zur Seite schlugen.
Ich griff mit meinen kleinen Händen zu, um beides festzuhalten. Mehr um die Fische wieder einzuwickeln. Dass dies falsch war, wusste ich hinterher. Das Papier war nass und die Fische glitschig. Ich schaffte es nicht. Die Fische schlüpften aus dem Papier und fielen auf den Steinboden. Es klatschte, und sie rutschten auf den Küchenboden nach allen Seiten davon. Nur das Papier nicht. Es klebte in meinem Gesicht. In meine Nase drang der feuchte modrige Geruch des Wassers aus dem großen Fluss. Ich riss das Papier von meinem Gesicht und schmiss es den Fischen hinterher. Diese bogen sich, so glaube ich, vor Lachen und rutschten auf den Boden dahin, wie auf einer Eisbahn. Einer wollte sich sogar verstecken. Unter den Küchentisch rutschte er. Und mit Schwung kam er wieder hervor. Da packte ich zu. Wenn er unter dem Schrank geblieben wäre, hätte ich ihn nicht mehr zu fassen bekommen. Anfassen, das war schon eine schlüpfrige Sache und dann noch festhalten. Oh Gott, oh Gott.
Ich kroch auf den Boden diesem einen Fisch hinterher. Fasste nach ihm und schwupp, glitt er wieder davon. Auch mit beiden Händen packte ich zu. Die anderen Fische schienen zu lachen. In den Augen kullerten die dunklen Pupillen hin und her, und den Mund rissen sie weit auf. Da wurde ich wütend. Mit aller Fülle meines kleinen Körpers warf ich mich auf den Fisch. Er zappelte unter meinem Bauch. Aber wie sollte ich ihn hochbekommen? Ich bemühte mich. Meine Hände griffen von links dann von rechts. Es gelang mir nicht.
Unter mir ein Fisch, der um sein Leben bangte und ängstlich wild um sich schlug mit der Schwanzflosse.
Langsam drang Nässe durch mein Hemd und mir wurde kühl am Bauch. Um mich rum die anderen Fische. Sie sprangen zur Wand und zurück, auf den Schrank zu. Ich schrie, als seien alle Fische dieser Welt nur um mich herum: "Nur nicht dort hin!“ Meine Großmutter kam herein und dachte sicherlich, wer weiß, was passiert ist. Nun lachte auch sie. Sie lachte noch, als sie die Fische aufsammelte und in eine große Schüssel legte. Aber da zappelten die Fische schon nicht mehr. Was mich verwunderte.
Großmutter ging gleich an die Arbeit. Zerlegte jeden einzelnen Fisch und gab sie in eine Tunke, so eine Art wie Salzlauge musste es gewesen sein. Von Kühlschränken träumte damals noch jede Hausfrau. In manchen Wohnungen stand schon so etwas Ähnliches herum. Außen Holz mit einer dicken Tür, mit Eisstücken, die Brauereien verkauften. Doch meine Großeltern brauchten so etwas noch nicht. Sie hatte ja diese kühle Abstellkammer in der Küche.
Jeden Tag gab es Fisch, eingelegt, gebraten, umbacken, sauer oder süß in Gelee, so als Sülze. Immer wieder eine neue Variante, die sich Großmutter einfallen ließ.
Wenn ich heute einen Fischladen betrete, fällt mir dieses Erlebnis mit dem Fisch unter dem Küchenschrank immer wieder ein. Dieser Geruch von Fisch begleitet mich von da ab überall hin.
Doch Fisch esse ich heute nicht mehr allzu gern. Dort wo ich jetzt lebe, in den Bergen, auf der Alm, gibt es sowieso keinen Fisch.
 



 
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