Fröhliche Weihnacht

Ach, geh mich wech

Nä. Nä, ich mach da nich mit dies Jahr. Weiße, mit all dem Scheiß und so. Weiße, wenn se da alle inne Geschäfte rennen, wie wenns morgen nix mehr geben tät. Nä. Da tun se kaufen wie die Blöden, und dann stopfen se in sich rein, wie wenns morgen nix mehr geben tät. Tannenbäume tun se kaufen und regen sich dann auf, dat der Wald sterben tut. Hier meckern se und da holzen se ab. Und wenn ich dat schon seh, wie se die Tannen dann schmücken. Weiße, bei mir wächst dat Lametta aufm Kopf. Is auch schön silber.
Wat sollen eigentlich die ganzen Kugeln an so nem Baum? Sollen wohl Äppel sein oder so. Aber die Kugeln können se nich essen. Äppel schon, aber die Kugeln nich. Nä. Und oben drauf, da stecken se nen Engel, ganz in Gold und so, der Halleluja singt. Als wenn son Engel nur jetzt singen tät. Und nur für die, für die nur. Süßer die Glocken nie klingen – wenn ich dat schön hör. Ach, geh mich wech!
Wenn se heut Nacht wieder klingen, die Glocken, drüben vom Turm, weiße, dann werd ich wach. Is kalt dann, richtig kalt. Da frierste dir Gott weiß was ab, so kalt ist das dann. Weiße, und dann tun se in die Kirche rennen und beten mit ihren dicken Bäuchen und Kerzen tun se anzünden. Ich sitz dann da und frier und guck die mir an, wie se strahlen. Und dann nehm ich noch nen Schluck. Macht auch schön warm, und strahlen tu ich dann auch, weiße.
Die schleppen Päckchen unter ihren Tannenbaum, da wirste bekloppt. Und wenn se uns was geben, nen Einer oder nen Zweier oder so, dann grinsen se dich an wie Gott weiß was. Nä, wat sind se dann spendabel! Aber angucken tun se dich nich, angucken nich, weiße. Die gucken nur, dat se dich nich berühren. Wie wenn man ansteckend wär, weiße.
Wenn de da zu deinem Platz gehst, weils kalt is und weil de Hunger hast und nix mehr zum Trinken, dann siehste da die ganzen Lichter in de Fenster und an de Hecken und an de Zäune. Da verstecken se sich hinter, weiße, weil se glauben, dat se dann im Himmel sind oder so. Nä, wenn ich dat schon seh! Wenn dat der Himmel is, weiße, dann will ich ja nich wissen, wo ich bin. Besoffen sind die dann auch, wenn se sich vollgestopft ham und ihren Rotwein gesoffen. Genau wie wir sind die besoffen, und stinken tun se dann auch. Genau wie wir. Da siehste keinen Unterschied mehr. Da nützt dir auch kein goldener Engel wat, der Halleluja singt, weiße. Ach, geh mich wech!
Komm, gib noch mal Tabak. Mir is kalt, weiße.
Ach, geh mich wech!
Geh mich bloß wech mit Weihnachten!

Hallo Rafi,

ich sach ma, die Idee an sich is nich schlecht, nur musse auch was rüwwebring'!

Weihnachtliche Gesellschaftskritik, nota bene moralinsaure, hört man sich von einem Penner, der haltlos durch den Schnee taumelt, eher nicht so an, als sei's das Evangelium. Der deine scheint mir recht unoriginell. Vielleicht war er ja Pfarrer, bevor er in die Gosse rutschte? Dann würden mich aber nicht seine bräsigen Ansichten über das Weihnachtsgeschäft interessieren, sondern wie's mit ihm so weit kommen konnte. Das wäre spannender als der ewig gleich kreisende Zeigefinger im Anus der Spießbürger.

Gruß

aligaga

Wie schade, Aligaga, dass Du „meinen“ Penner für so unoriginell hältst. Wie's mit ihm soweit kommen konnte? Nun ja, das spielt in dieser Kurzprosa eigentlich so gar keine Rolle, wie ich meine. Den „kreisenden Zeigefinger im Anus der Spießbürger“ hast Du ja ganz trefflich formuliert, von mir beabsichtigt war er jedoch ganz und gar nicht. Nichts weiter als ein kleiner Monolog von einem, dem kein Engel singt, sollte es sein.

Gruß
Rafi

Warum legst du deine wohlfeile Kritik an der Gesellschaft ausgerechnet einem Wrack in den Mund, das sich längst vollständig aus dieser herausbewegt hat und dem ergo nicht nur der Regenwald wurst ist, sondern auch die eigene Leber?

Homeless People lassen sich mitunter zu Moralinsaurem verpressen (s. "St. Martin"), produzieren selbst aber nie welches. Säufer predigen nicht gegen den Suff, sondern saufen, bis der Arzt kommt.

Und deswegen wird dein Bildchen leider immer schief an der Wand hängen, wenn du es so lässt - ganz gleich, in welcher Rubrik. In der "Kurzprosa", wo es auf jedes Wort ankommt, ganz besonders.

Und noch was: Verachte mir die Nordmanntannenplantagenbeteiber nicht! Sie sind nicht schuld an le waldsterben!

Gruß

aligaga

Hallo Rafi,

origineller Text zu "Alle Jahre wieder"!

Durch die Denk- und Sprechweise des wahrscheinlich obdachlosen Mannes, der nur mit Alkohol und Sarkasmus überleben kann,
wird er nicht sentimental und bleibt trotzdem haften und bewirkt Nachdenklichkeit, ob man sein eigenes Verhalten nicht ändern sollte. - Hat mir gut gefallen!

Frohe Weihnachten! (geh mich bloß wech damit!)

Maribu

Vielen Dank, Maribu