Frühling und Benzin

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wowa

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Frühling und Benzin


Das mit dem Sex – Ding müsste er jetzt irgendwie mal bringen, dachte Pinky, sonst ist es zu spät. Er sagte: „Und sonst ? Alles klar?“
Paula nickte: „Alles okay,“ sie trank einen Schluck Bier, „Oh Mann, ich bin ja immer noch völlig gestresst. Meinst du, hier ist es safe ?“
Pinky nippte vorsichtig an seinem Cappuccino: „Keine Ahnung. Ich glaube schon,“ sagte er. Sie saßen im hinteren Teil einer schlauchartigen Kneipe, in der Nähe der Klos.
Draußen tobte der Straßenkampf.
Pinky hatte mit Krawall gerechnet, vielleicht nicht in dieser Härte. Schon auf den Vorbereitungstreffen dominierte die Reaktion der Gegenseite die Diskussion. Die Brisanz der Aktion war allen Beteiligten klar. Das Regime mochte es nicht, wenn vor seinen Gefängnissen lautstark die Freiheit aller politischen Gefangenen gefordert wurde. Seit Wochen schilderten die Medien detailliert die erwartbaren Szenarien und beschworen die Menschen, an diesem Tag, zu dieser Stunde den öffentlichen Raum zu meiden. Die massenhafte Beteiligung unter diesen Umständen überraschte selbst notorische Optimisten.
Pinky sowieso, Optimismus lag ihm fern.
Vorhin, als die Polizei die Demonstration für aufgelöst erklärte und angriff, waren sie in ein Cafe` geflüchtet. Ein Bulle, ein ganz junger mit gezogenem Knüppel, rannte ihnen hinterher, geil auf Gewalt. Geschrei, Tische fielen um und auf dem Klo war Ende, kein Entkommen.
Pinky fing den ersten Schlag mit seinem gepolsterten Unterarm ab und trat dem jungen Mann in die Leber. Es gab da ein Fenster, durch das sind sie raus in den Hinterhof, über eine Mauer, noch ein Hinterhof, diesmal mit Toreinfahrt und nun waren sie hier.
Ein seltsamer Ort, dachte Pinky, irgendwie aus der Zeit gefallen. Als er seinen Cappuccino bestellte, nickte der Wirt schweigend, griff sich eine von diesen altmodischen Kaffeemühlen, die man heute höchstens noch auf dem Flohmarkt findet und mahlte eigenhändig den Kaffee. Wo gibt`s denn sowas ? Aber das Getränk war gut.
„Woran denkst du ?“ fragte Paula.
„Och, nix,“ sagte Pinky, „sag mal, was machen die Kinder?“
„Keine Ahnung,“ Paula trank einen Schluck Bier. Pinky mochte Frauen, die nachmittags Bier tranken, „die sind aus dem Haus und machen ihr eigenes Ding. Sarah ist jetzt in Vancouver, - Kanada, Westküste,“ fügte sie auf Pinkys erstaunten Blick hinzu, „schöne Stadt, leider von hieraus am Arsch der Welt. Und Toni ist zu den Bullen gegangen, hab ich dir, glaub ich, erzählt. Der ist so alt wie dieser Typ vorhin auf dem Klo. Schon verrückt.“
„Nicht so der volle Erfolg, erziehungsmäßig, meine ich,“ sagte Pinky.
„Nee, sicher,“ Paula nickte und bestellte noch ein Bier, „aber er war immer schwierig, schon als Kind; wahrscheinlich eine Trotzreaktion. Egal, er ist ja noch jung, da kann sich noch was ändern.
Mal was anderes: Sag mal, Ernst – August, hast du noch connections ?“
Nur Paula nannte ihn gelegentlich so, ansonsten war er Pinky oder Herr Brockmann. Er hasste diesen Namen und er hasste seine Eltern, die ihn bewusst dermaßen stigmatisiert hatten. Nur Paula durfte ihn gelegentlich daran erinnern, Paula durfte eigentlich alles.
„Connections ? Du meinst Acid ?“
Paula nickte.
Pinky hatte mal eine Quelle und wenn Freunde oder gute Bekannte fragten, konnte er was besorgen zu einem korrekten Preis, gute Qualität. Das Besondere an dieser Quelle war, sie färbte ihre Säure rot, ein Alleinstellungsmerkmal. So kam Pinky zu seinem Namen.
Alles lange her.
„Nein, da läuft schon lange nix mehr. Der Typ ist ausgestiegen, soviel ich weiß. Mir bekam das Zeug gegen Schluss nicht mehr so gut, war öfter richtig Scheiße drauf. Hab dann ganz aufgehört. Die Flash – backs kommen heute noch, selten, viel seltener als früher, aber trotzdem. Schon erstaunlich nach all den Jahren. Gute Qualität damals, keine Frage.“
„Ja, deine Pillen waren ein heißer Tipp,“ sagte Paula und trank einen Schluck Bier, „neulich dachte ich daran, mal wieder was einzuwerfen. Aber das ist letzten Endes sentimentaler Scheiß, das Lebensgefühl von damals kommt nicht zurück, schon gar nicht chemisch induziert. Wir sind einfach raus aus dem Alter, Altwerden ist ein Trennungsprozess, muss man akzeptieren.“
„Dafür bist du noch gut in Form,“ sagte Pinky grinsend, „durchs Fenster und über die Mauer, das ging doch recht flott.“
„Deine Reflexe sind auch noch absolut okay,“ sagte Paula lachend, „ich hab gestaunt. Aber bevor wir uns jetzt hier seniorenmäßig auf die Schultern klopfen, bestell ich mal ein Taxi. Ich muss nämlich los und der Bulle läuft bestimmt noch draußen rum und sucht uns. Diese Typen sind rachsüchtig.“
Paula telefonierte und Pinky schaute auf die Straße. Alles schien ruhig, das Geschehen hatte sich verlagert und die lärmenden Polizeiautos klangen unwirklich weit weg.
Das Taxi kam und Paula sagte: „Geile Aktion, hat Spaß gemacht. Ruf mich an bei der nächsten Baader – Meinhof – Gedächtnis – Veranstaltung. Und pass auf dich auf.“
Sie küssten sich und Pinky dachte kurz und abstrakt an das Sex – Ding. Dann war sie weg. -
Es dämmerte.
Pinky kannte sich aus in dieser Ecke der Stadt und nahm die Seitenstraßen. Die Luft roch nach Frühling und Benzin und darüber lag ein Hauch von Tränengas.Ein sanfter Nieselregen hatte eingesetzt und wusch allmählich die Atmosphäre.
Pinky liebte diese stillen, intensiven Momente der Existenz. Sie wahrzunehmen und zu genießen gelang ihm erst in den letzten Jahren. Insofern stimmte Paulas Allegorie vom Altern als permanenter Verlustrechnung nicht ganz. Es kam auch was hinzu.
Dererlei bedenkend ging er nach Hause. Er hatte keine Angst.
 

Wipfel

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Stark. Hat mir gut gefallen. Ist überhaupt nicht mein Umfeld, doch es gelingt dir unangestrengt mich da´hinein zu ziehen. Der Dialog ist stimmig, soviel ich beurteilen kann. Und ich rieche förmlich das Benzin in der Luft...

Grüße von wipfel
 

wowa

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hi, Wipfel!
Danke für dein feed-back. Freut mich, dass dir die Geschichte von den beiden unvernünftigen Alten gefallen hat.
Gruß Wowa
 

Vagant

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Hallo.
19 veröffentlichte Werke, 14 Kommentare (natürlich ausschließlich für das eigene Schaffen) - mal ehrlich, Du erwartest doch nun nicht ernsthaft, dass man sich hier weiterhin mit deinen Sachen beschäftigt?
LG Vagant.
 

wowa

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Lieber Vagant !
Du fragst nach meinen Erwartungen. Die sind bescheiden. Ich freue mich, in einem Forum wie diesem meine Sachen präsentieren zu können. Kommentieren LeserInnen die Texte, ist das ein Sahnehäubchen, ein unverdientes(?) Glück. Denn, wie du richtig anmerkst, bin ich chronisch faul, was die Kritik fremder Texte angeht. Einerseits ist das einer ausgeprägten Metaphernallergie geschuldet, andererseits hab ich keinerlei pädagogische Ambitionen.
Aber, wie gesagt, ich freu mich über Resonanz und kann den Widerspruch aushalten.
In diesem Sinne alles Gute
Wowa
 



 
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