Funkstille

Hubel

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Funkstille

Ich lehne mich weit aus dem Fenster, vermeide es, nach unten zu sehen. Das Fenster befindet sich im dritten Stock, auf dem Flur, gerade gegenüber unserem Zimmer. Dort habe ich es zuerst versucht. Noch voller Zuversicht. Mehrmals. Vergebens. Nicht mal der Hauch einer Verbindung. Die Flurfenster zeigen nach Norden, nach Europa. Dazwischen viel Wüste.
Unter mir gähnt die Tiefe, über mir der blaue Himmel.
Die Batterie ist voll bis zum Rand. Der rechte Balken auf dem Display reckt sich zu voller Höhe, der linke dagegen zeigt nicht die Spur einer Erektion. Funkstille. Auch hier. Ich raffe die letzten Reste von Mut zusammen, sage mir ?Sei ein Mann!? und lehne mich noch ein Stück weiter hinaus ins Nichts. Meine Frau hat ihre starken Hände um meine Kniekehlen geschlungen. ?Ich halte dich, Karl-Heinrich, du brauchst keine Angst zu haben.? Ich habe aber Angst.
Von ferne vernehme ich eine Stimme: ?Guck mal, da versucht auch einer zu telefonieren.?
?Lass los, Hertha!?, sage ich zu meiner Frau. ?Hat keinen Sinn hier, wir müssen höher hin-auf.? Hertha ist Joggerin, Judotrainerin und Sportstudio-gestählt. Sie lockert ihren Klam-mergriff um meine Kniekehlen und ich spüre, wie wieder Blut durch meine Unterschenkel pulst. Vorsichtig ziehe ich mich aufs Fensterbrett zurück, knie auf dem schmalen Sims und suche mit den Füßen nach Halt. Endlich wieder auf festem Boden. Schweiß perlt mir im Nacken. Erst jetzt bemerke ich, dass eine Gruppe Neugieriger gespannt mein Klettermanöver verfolgt hatte.
Ein junger, athletischer Typ mit modischer Kurzhaarfrisur klopft mir bedauernd und aufmunternd auf den Rücken: ?War ´ne stramme Leistung. Alle Achtung. In ihrem Alter! Ich hätte Ihnen ´ne Connection gewünscht. So viel Aufwand und dann alles für die Katz! Unter uns?, flüstert er, ?Sehn´se, da drüben die Palme, von da oben habe ich meine Freundin erreicht. In Germany regnets übrigens.? Er grinst. ?Sagen Sie das aber nicht weiter, ich meine, das mit der Verbindung, sonst krabbeln alle auf die Palme.? Ich mag dieses kumpelhafte Getue nicht, brumme trotzdem ?danke?. Mich interessiert verdammt wenig, wo all die anderen auch keinen Erfolg hatten. Jeder dritte führt hier im Hotel sein Handy Gassi, sucht nach dem Örtchen, wo möglicherweise ein paar Funkwellen anlanden. Ich war schließlich auch schon überall: Dachgarten, Feuerleiter, Aussichtsturm, Schiedsrichterstuhl am Tenniscourt, Westflügel, Ostflügel, diverse Balkons. Lauter Pleiten. Auf das Minarett neben dem Hotel zu klettern, verbot man uns. Dort gäbe es nur Verbindung zu Allah.
Die hohe Palme vor dem Hotel, ja tatsächlich, die hatten wir noch nicht.
Unser Handy ist klein und fein, eins von der Supersorte. Neueste Generation, kernseifenstückgroß, elegantes Styling, türkisfarben, fluoreszierendes Display, Minitastatur. Hertha bestand auf mehreren farbigen Schutzhüllen, abgestimmt zu Handtasche, Schuhfarbe, Kostüm. Natürlich ist es ein Markenfabrikat, letzter Schrei, mit Computerspiel und Notizbuch-funktion. Absolut tricky aber sind die Superfusion-Kicks. Hertha hatte Wert gelegt auf den vollelektronischen Vibrationsalarm. Wir reisen viel. Da ist es beruhigend zu wissen, dass in erdbebengefährdeten Gebieten jede kleinste Erdschwingung sofort per Pieps gemeldet wird. Eine Drei auf der Richterskala bedeutet Dauerpieps und dann heißt?s Klamotten einpacken und nichts wie weg. Türkei, Kalifornien oder so, nie mehr ohne Handy. So haben wir auf jeden Fall genug Zeit, uns aus den Gebäuden ins Freie zu begeben, bevor dieselben zusam-menstürzen. Schön zu wissen, dass wir nie zu den beklagenswerten Erdbebenopfern zählen werden. Vorausgesetzt natürlich, das Mobile Phone ist betriebsbereit. Auch vor anrollenden Lawinen und Flutwellen warnt der Vibrationsalarm. Ich selbst finde den eingebauten Rasierer äußerst nützlich und angenehm. Erst der Hinweis, dass derselbe auch als Epiliergerät verwendbar sei, konnte Hertha von diesem Extra überzeugen. Die Fiebermessfunktion er-scheint mir eher überflüssig. Außerdem haben haben wir das Gerät ja vor allem zum Telefonieren gekauft. International Roaming, Rufumleitung, Mailbox, ist selbstverständlich al-les drin.
Und nun diese Pleite. Da fährt man, nichts Böses ahnend und bestens ausgerüstet, in den Urlaub und stellt dann auf einmal fest, dass die gesamte Kommunikation im Eimer ist.
Was ist das für ein Land, in dem wir hier gelandet sind! Ägypten! Pyramiden haben sie, jahrtausendalte Gräber, die keiner braucht, ein Meer, Sand im Überfluss, einen Nil und was weiß ich sonst noch alles. Aber das, was der moderne Urlauber am nötigsten braucht, einen vernünftigen, funktionsfähigen Server, den haben sei nicht. Was fängst du an in einem Land, in dem du keine Verbindung mit nix und niemand kriegst. Ist das etwa ok, dass man auf Dächer kriechen und an Dachrinnen entlang hangeln muss, um den primitivsten Kommunikationspflichten nachzukommen. Ich finde das nicht in Ordnung. Und Hertha, meine Frau, nimmt gar kein Blatt vor den Mund. Hertha sagt, das sei eine Schweinerei und eine Zumutung und sie werde sich beim Reisebüro beschweren. Recht hat sie. Dabei geht es mir gar nicht ums Telefonieren an sich, sondern ums Prinzip geht?s mir. Wenn ich schon so ein Handy habe, dann will ich auch können, jederzeit und überall. Selbst wenn ich nicht muss. Wenn ich will, muss ich können. Meint Hertha auch.
Jetzt gerade, sage ich mir. Mein Recht auf Kommunikation lasse ich mir nicht beschneiden. ?Komm?, sage ich zu Hertha, ?Lass es uns auf der Palme versuchen..? Hertha nickt.
Wir eilen die Treppen hinab. Der Aufzug funktioniert nicht. Out of order. Mistland. Was geht hier eigentlich richtig? Wieso heißt das rote Meer rot, wenn es blau ist? Touristenverarsche!
?Hertha?, sage ich, ?diesmal musst du aber!? Hertha nickt. Sie weiß, ich bin nicht schwin-delfrei. Wenn es ums Nach?Oben-Kommen geht, um Höhe und so, ist Hertha mir überle-gen. Im Flugzeug hält sie mir die Hand. Und das Balancieren auf dem Fensterbrett vorhin, das habe ich gerade noch so geschafft. Aber die Palme! Nein! Das Ding ist fünfzehn Meter hoch. Mindestens. Kerzengrade himmelwärts. Nur ganz oben so ein paar komische Staubwedel. Nicht mal eine Kokosnuss hängt dran. Die nennen das hier wohl Dattelpalme. Über-flüssiges Gewächs. Aber vielleicht hat ja der Schlacks von vorhin recht mit der Verbindung. Eine ganz neue Variante von weltweiter Kommunikation: jemanden auf die Palme bringen!
Ich gebe Hertha einen Klaps auf die Wange. Schön sieht sie aus in ihrer Sportswear. Kein Gramm zuviel, Kurzhaarfrisur, dezentes Make-up. Ich bin stolz auf meine Frau.
?Karl-Heinrich, gib mir deinen Gürtel und wünsch mir Glück!? Sie windet sich den Leder-gurt um die Taille, legt ihn um die Palme, schließt ihn. Dann steckt sie sich das Handy ins Brustfutteral und beginnt den Aufstieg. Zug um Zug gleitet Hertha den Baum hinauf, den Stamm fest zwischen die Schenkel gepresst. Am Fuße der Palme sammeln sich die ersten Neugierigen.
Hertha nähert sich allmählich der Wolkengrenze. Die Luft dort oben ist dünn und ich sehe ihre Gestalt nur noch verschwommen. Also zücke ich den Feldstecher und verfolge die kräftigen Klimmbewegungen meiner Frau. Fast hat sie die Krone erreicht. Da, nun hält sie inne, löst die rechte Hand vom Stamm, greift zum Handy. Wird es dieses Mal klappen?
Ein einziger Aufschrei entfährt den Mündern der neugierigen Gaffer. Herthas Fuß ist von der glatten Rinde abgerutscht. Für einen Sekundenbruchteil hängt sie in der Luft, rudert verzweifelt mit den Beinen und wedelt mit dem linken Arm, als wolle sie mir zuwinken. In der Rechten hält sie, den Arm weit vom Körper gereckt, das Handy. Dann plötzlich: ein Knall. Der Gürtel hält der Belastung nicht stand, reißt. Und Hertha? Sie verliert jeglichen Halt. Ich sehe sie fallen. Meine sportliche, athletische, durchtrainierte Hertha. Wie eine reife Pflaume plumpst sie zu Boden, knallt auf den knochentrockenen Wüstenboden auf und da, wo sie landet, geradewegs zu meinen Füßen, weht eine Fahne Staub empor. Da liegt sie nun, platt und stumm. Ich beuge mich über sie, halte mein Ohr an ihren Mund. Kein Zweifel, Hertha, meine liebe Frau, ist tot.
Das Handy aber, fest von ihrer Hand umschlossen, hat den Sturz heil überlebt, und welch ein Wunder, der linke Balken auf den Display zeigt einen Server an. Unser Handy funktioniert. Hertha, wenn du das noch erleben könntest!
Vorsichtig löse ich das Gerät aus Herthas starren Händen. Das ist nicht leicht, weil auch im Tode noch meine Frau über enorme Kräfte verfügt. Endlich habe ich es geschafft, wähle die Nummer und ........ nichts. Die Verbindung ist zusammengebrochen. Ich fühle mich am Ende meiner Kräfte. Alles, alles umsonst gewesen. Mir ist zum Heulen zumute.
Was ist das nur für ein Land!
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
au weia!

aber schmunzeln muß ich doch. vielleicht hätte die geschichte bei satire besser gepaßt. wenn du sie noch anderweitig veröffentlichen möchtest, dann mach noch ne fehlersuche, es gibt fette beute. ganz lieb grüßt
 



 
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