Fussübungen eines Mörders

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ohrengold

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FUSSÜBUNGEN EINES MÖRDERS


Ich hatte es getan, es war ein Blutbad geworden, eine Schlachterei. Die Sekretärin war im Zimmer gewesen und hatte, den rechten Zeigefinger nachdenklich über die Lippen gelegt, geglaubt sie lausche der Musik. Der OB war an seinem Klavier gesessen, ein großes Ding, man nennt es, glaube ich, Flügel. Doch für mich kam keine Musik aus diesem Ding hervor, keine Töne und auch kein Orchester. Was sollte ich also tun, als meinen längst beschlossenen Plan in die Tat umzusetzen?
Ich hatte mich für den Sommer entschieden, und für ein wenig Kalk an den Händen, wie es die Leichtathleten benutzen. Ich spürte meine Füße Schritt für Schritt in den schweren Teppich sinken, als ich mich dem OB und seinem Ende näherte. Der Teppich roch nach Reinigung und teurem Zigarrenrauch, eine Mischung, die mich an Regen im Herbst erinnert, an morsche Wälder und Billard. Nach dem halben Weg stand ich knietief in diesem Teppich, der Geruch wurde beißend, ich kam kaum noch voran. Der OB und seine Sekretärin hatten mich noch nicht bemerkt.

(Ich muss eine kurze Pause machen, denn ich bin genötigt nach scharf links zu springen.
So, es ist geschehen.)

Also kämpfte, grub ich mich bald Zentimeter um Zentimeter durch das Teppichungetüm. Stoff umspülte mich wie Algen in einem Baggersee im Spätsommer, wenn das Amt den See für umgekippt erklärt hat. Schon glaubte ich nicht mehr an einen Erfolg, schon sah ich ein Kommando Leichenbeschauer in weißen Schutzanzügen und mit seltsamen Geräten um die Stelle stehen, an der ich auf nimmer wieder sehn verschwunden war, als suchten sie nach Artax, der einst vor Traurigkeit im Moor versank.
Doch ich gab nicht auf. Ich erreichte nach einem zähen Streiten wider der Natur des Teppichs das Bein der Sekretärin, an welchem ich mich endlich wieder aufzurichten vermochte. Schon hatte ich mein Messer gezückt, der Kalk tat seinen Dienst, hielt es fest und entschlossen und schnitt der Sekretärin von unten nach oben den Caput Laterale und den Caput Mediale jeweils in zwei Hälften. Die Schnitte waren gut gesetzt und die Wade klappte auf wie eine blühende Rose, während sich daraus der Lebenssaft ergoss. Nun fiel die Sekretärin wimmernd auf den Boden, ich war noch nicht ganz aufgestanden und konnte gerade das gezückte Messer unter ihren Halse halten, als sie wie eine große, hässliche, auftoupierte Feder an meinem Gesichtsfeld vorbei segelte, und ritzte ihr somit im Flug auch den Kopfwender entzwei, den Muskel, der vom Brustansatz zu den Ohren reicht. Sie fiel, sie röchelte, sie starb.

(Eine Sekunde bitte, ich muss mich orientieren.)

Dann war der OB von seinem Flügel aufgesprungen, ich dachte erst, um sich dem Kampf zu stellen, doch zeigte sich in ihm eine von mir so nicht erwartete Feigheit, die ihn hinter seinen Flügel trieb. Nun hatte er das große Fenster und ich die schwere Eichentür im Nacken; der OB konnte nicht fliehen, ich konnte ihn nicht verfolgen, ohne den rettenden Fluchtweg preiszugeben, mir blieben also ein paar Augenblicke, in denen ich mir einen Plan zurechtlegen konnte.
Der OB hatte einen alten Degen oder ein Florett an der Wand, dies zu benutzen schien mir aber zu klassisch und altbacken. Man begeht im Leben nicht gerade viele Morde, es sei denn man ist Soldat, und so sollte allen voran der erste - vielleicht der einzige - in seiner Ausführung am höchsten Maß gemessen werden. Ein Degen oder Florett schien mir dafür etwas zu profan.
Also weiter, ein Briefbeschwerer, er stand neben mir auf dem Schreibtisch. Ich nahm ihn auf und warf damit, der OB duckte sich, der Briefbeschwerer prallte mit einem dumpfen Schlag von seinem Rücken ab und flog - welch Unglück! - geradewegs durchs Fenster. Ich musste zu einem schnellen Ende kommen, denn die Polizei würde nun nicht mehr lange auf sich warten lassen.
Wie ein Pirat nahm ich das Messer zwischen meine Zähne und sprang auf das Klavier. Der OB schien von diesem Manöver verwirrt und machte einen Schritt genau in die falsche Richtung, um den Flügel herum zwar, aber weg von der Türe; und so nahm ich all meinen Mut zusammen und sprang gerade hinter ihm auf den Boden, das Messer noch im Fluge aus dem Munde nehmend um es Spitze voran im Rumpf des Bürgermeisters zu versenken.
Zack, ein seltsames Gefühl. Nehmen sie eine rohe Gans und ein stumpfes Messer, dann wissen sie wie schwer es ist, eine scharfe Klinge in den Körper eines Menschen zu treiben! Der Bürgermeister bäumte sich auf, schien gar zu wachsen, zu irgend etwas aus einem Horrorfilm zu mutieren, während ich auf dem Boden landete, dadurch an Größe verlor und in einem Regen aus Blut, welches geradewegs neben dem Messer aus dem Rücken des Ungeheuers sprühte, eingehüllt meinen nächsten Schritt überlegte. Ich hatte den OB wohl mit dem ersten Stich schon schwer verletzt, und so entschied ich, ihn zuerst zu treten bis er fiel, das Messer dann dem klammernden Griff seiner Rückenmuskulatur zu entreißen, dann...

(Wieder eine Abzweigung. Links? Rechts? Links? Ich habe die Orientierung verloren, dieses Terminal ist so verdammt groß!)

Getan und in den fetten Hals gestochen. Wie es gespritzt hat, in alle erdenklichen Richtungen. Der weiße Flügel hatte besonders schöne Muster abbekommen, überhaupt, das weiß lackierte Holz und dazu ein warmes Rot - ein Kunstwerk, ganz nebenbei entstanden.
Ich dachte ja, mit einem Messer im Hals sei man sofort tot, doch der OB röchelte recht standhaft. Vielleicht habe ich zu viel fern gesehen, wo es nur die Unterscheidungen 'lebendig', 'Held, leicht verwundet' und 'Schurke, tot' gibt, nicht die feinen Abstufungen des realen Lebens, wie zum Beispiel 'Bürgermeister, kratzt ab, muss nachgeholfen werden.'

(Verdammte Sackgasse!)

Nun, ich habe nachgeholfen. Ich habe mir als Vorbereitung meiner Tat ein klein wenig medizinisches Fachwissen angeeignet, und dieses kam mir nun zu gute. Ich holte den Degen von der Wand, nun hatte ich mich doch mit dem Gedanken arrangiert, er war recht spitz und für den Todesstoß geeignet. Ich setzte ihn an einer Stelle über dem Herzen an, zwischen zwei Rippen, ich stellte mich auf Bauch und Brust des Bürgermeisters, um mehr Kraft nach unten ausüben zu können.

(Ich höre - 'Polizei, bleiben sie stehen!' - einen Schuss!)

Und das kalte Metall bohrte sich ins Herzen, des OB.

(Pardon, das heiße Metall. In das meinige.)
 



 
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