GRUPPENTHERAPIE

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Pandora

Mitglied
GRUPPENTHERAPIE


„So. Heute ist also auch die Katja in unserer Gruppe. Zuerst wollen wir alle gemeinsam unser neues Mitglied begrüßen! Hallo, Katja.“
„Hallo Katja!“
„Wie geht es dir? Möchtest du uns erzählen, was Dir auf der Seele liegt?"
„Also ... ähm ... ich ... ich ... weiß nicht..“
Der Schweiß steht mir auf der Stirn und meine feuchten Hände versuchen sich an dem harten Stuhl festzukrallen.
„Wollen wir Katja den Einstieg etwas leichter machen, indem wir uns mal kurz vorstellen? Ihr könnt sicher alle noch nachempfinden, wie euer erstes Mal in der Gruppe, nicht wahr?“
„JA“
„Prima. Detlef, möchtest du heute den Anfang machen?“
„Also, ich bin der Detlef. Ich bin 43 Jahre alt, geschieden und habe zwei Kinder.“
„Sehr gut, Detlef. Erzähl uns von deinem Problem.“
„Immer wenn ich eine hübsche Frau auf der Straße sehe, muß ich die Hosen fallen lassen und zwanghaft masturbieren.“ Dicke Tränen kullern über sein vernarbtes Gesicht. Kaum verständlich, mit gebrochener, wimmernder Stimme führt er sein Geständnis fort:
„Ich kann nichts dagegen tun. Aber warum müssen diese dreisten Dinger auch nackt durch die Einkaufspassagen laufen? Sie machen das, um mich zu quälen. Sie demütigen mich mit ihren schamlos nackten Brüsten und enthaarten Venushügeln.“
„Ruhig Detlef. Wir wissen alle, wie sehr du leidest. Aber wir haben schon besprochen, daß sie nicht nackt sind... “
„Ach ja?“ Seine Tränen sind getrocknet und nun erreicht die purpurne Zornesröte sein Gesicht. „SIE SIND NACKT! SPLITTERFASER NACKT! MEINEN SIE, ICH BIN KRANK? GLAUBEN SIE, ICH BILDE MIR DAS EIN?“
„Detlef, es ist alles in Ordnung. Natürlich glaube ich nicht, daß du krank bist. Aber du weißt doch, daß es völlig normal ist, daß die Frauen nackt laufen. Sie sollen uns Männern doch gefallen.“
„Aber Herr DOKTOR.“
„Entschuldige Linda, möchtest du etwas dazu sagen?“
„Und ob ich das will. Es ist eine Unverschämtheit, was Sie gerade von sich gegeben haben. Sie gehören also doch zu den Männern, die uns Frauen nur als Lustobjekte sehen? Masturbieren Sie auch auf der Straße?“ Ihre Stimme fängt an zu zittern. „Ich dachte, SIE wären anders. Wie können sie mir das antun?“
„Linda, möchtest du vielleicht fortfahren? Erzähl uns doch von dir...“
„ Erst müssen Sie sagen, daß Frauen nicht nackt auf der Straße laufen müssen, um euch zu gefallen. Sagen Sie, daß Detlef ein kranker Spinner ist.“
„Ach Linda, wir haben das doch schon oft in der Gruppe ausdiskutiert.“
„Sagen Sie es!“ Fest entschlossen, jetzt bockig zu sein, verschränkt Linda ihre wulstigen Arme vor Brust.
„OK, Linda. Du hast natürlich Recht. Aber wir müssen lernen, Verständnis zu zeigen. Wir können doch nicht wie Neandertaler aufeinander losgehen, nur weil jemand eine andere Meinung hat. Wir müssen Detlefs Meinung akzeptieren. Und Detlef muß unsere Meinungen akzeptieren. Was meinst du, Linda?“
„Es tut mir leid, Detlef.“
„Detlef?“
„Ich hab doch gar nichts gemacht.“
„DETLEF?“
„Mir tut es auch leid.“
„Sehr gut. Ich sehe, ihr macht Fortschritte. Doch nun stell dich doch bitte kurz vor, Linda.“
„Ich bin Linda und lesbisch.“
„Phantastisch, Linda. Ist es nicht eine Wohltat, seine Fehler zu erkennen?“
„Na ja...“
„Bitte schildere uns noch etwas deutlicher dein Problem.“
„Ich stehe auf Frauen.“
„Linda, arbeite nicht gegen die Gruppe. Wie stehst du zu Männern?“
„Männer? Diese verrückten, triebgesteuerten Kreaturen? Ich hasse sie, ich verabscheue sie.“
„Hervorragend. Wieso verabscheust du sie?“
„WIESO? Dazu fallen mir eine Milliarden Gründe ein. Sind Sie sicher, daß Katja die alle hören möchte?“
„Katja, möchtest du antworten?“
„Also, ähm ... vielleicht nicht alle auf einmal?“
„OK, Linda. Versuchen wir es anders. Wie geht es deinem Mann?“
„Hoffentlich schmort er in der Hölle und läßt sich jeden Tag aufs Neue vom Teufel persönlich in den ...“
„Linda, nicht so aggressiv. Atme tief durch ... Ja, so ist es gut. Merkst du schon, wie du dich besser fühlst? Ja? Soll ich für dich fortfahren?“
Ein zustimmendes Nicken.
„Katja, Linda hatte eine sehr, sehr schwere Kindheit, die wir hier unter anderem auch aufarbeiten werden und müssen. Der Grund, weshalb sie hier ist, liegt in einem großen Fehler, den sie einmal gemacht hat. Sie hat ihre drei Brüder, ihren Vater und ihren Ehemann ... na ja, sagen wir mal ... kastriert.“
„Es war kein Fehler. Es geschah ihnen recht. Sie waren Ausgeburten der Hölle. So wie alle Männer...“
„Natürlich, Linda. Wir verstehen dich sehr gut. Nicht wahr?“
„Ja!“
„Fein. Oh, ich sehe, wir neigen uns dem Ende unserer kleinen Plauderstunde. Vielleicht möchte Katja uns jetzt doch von ihrem Problem erzählen. Weshalb bist du hier?“

Keiner hat gemerkt, wie ich die Pistole aus meiner Jacke zog. Nachdem der letzte Schuß verstummt war, antwortete ich leise:
„Ich hasse Gruppentherapien und besonders diese aalglatten, Verständnis heuchelnden Psychotherapeuten.“

Tja, Herr Doktor, genau so und nicht anders ist es gewesen.

Herr Doktor?

Ich bekam keine Antwort.



© Pandora, 2001
 

hera

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Pandora!

Du hast deinen Beitrag in die Rubrik Humor und Satire gepostet. Nun, Humor scheint es nicht zu sein, denn ich konnte kein einziges Mal lachen. Also muss es Satire sein. Für mich ist es bitterböse Ironie.
Sag mal, wie bist du auf diese Geschichte gekommen, warum hast du sie geschrieben?
Ich hab so meine Vorstellung, was du damit sagen willst, weiß aber nicht, ob ich richtig liege.

Tschüssie, hera
 

Pandora

Mitglied
Hallo Hera (auch der griechischen Mythologie entsprungen?*g*),

Du hast Recht. Es ist eine Satire.
Bitterböse Ironie?
Auch korrekt.

Wie ich darauf gekommen bin?
Weiß ich nicht mehr so genau. Ich glaub es war das Gespräch mit einem Freund über Mutterkindgruppen.

Wenn du jetzt aber meinst, daß ich alle psychisch Kranken verabscheue und hasse, liegst du falsch.
Ich wollte eigentlich eher das klischeehafte Denken der Leute darüber auf die Schippe nehmen (auch wenn in jedem Klischee ein Fünkchen Wahrheit steckt, wie auch bei diesem thema)
Andererseits prangere ich aber genauso das Verhalten derer an, die dieses Klischee bestätigen.

Carpe Noctem!
Pandora

P.S. Wie genau sieht deine Vorstellung darüber aus, was ich mit der Geschichte sagen will?
 

hera

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Pandora!

Nein, mein Username setzt sich eifach nur aus den Anfangsbuchstaben meines Vor- und Nachnamens zusammen.

Ja, ich hatte gehofft, dass du es genau so meinst.

Ich denke mal, du wolltest provozieren, einen zum Nachdenken bringen. Das ist dir gelungen. Es ist ein sensibles Thema.

Tschüssie, hera
 

Pandora

Mitglied
Danke.
Ich versuche eigentlich immer mit meinen Geschichten zu provozieren. Denn das ist leider oft das Einzige, was die Leute zum Nachdenken anregt.

liebe Grüße, Pandora
 

GabiSils

Mitglied
Hallo Pandora,

hervorragend! Ich glaube, ich hätte auch geschossen <s> - naja, vielleicht eher mit Worten als mit Kugeln.
Die Szene wäre auch gut als Sketch, als wohltuender Kontrast zu dem ganzen Comedy-Mist.

Gruß,
Gabi
 



 
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