Geburtstag

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Isa

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Geburtstag

Verwirrt sehe ich mich in meinem Zimmer um. Was ziehe ich bloß an? Für einen Rock ist es zu kalt, dann doch lieber meine graue Hose, auch wenn sie einen Flicken am Hintern hat. Da sieht sowieso niemand hin. Am liebsten würde ich ein eng anliegendes Oberteil tragen. Nach einigem Überlegen verwerfe ich diese Idee, ich habe nicht die Figur ein solches Top zu tragen. Außerdem besitze ich gar keins. Warum bin ich so dick? Ein Blick in den Spiegel bestätigt meine Gedanken. Lieber ziehe ich meine weiße Bluse aus einem Wäscheberg und den grauen Pullunder darüber. Die Bluse ist auch nicht mehr so weiß, wie sie einmal war. Auf der letzten Feier, auf der ich war, habe ich es geschafft mir im angetrunkenen Zustand Rotwein auf die Bluse zu kippen. Die Flecken gehen nie wieder raus und ich muss immer etwas über der Bluse tragen, damit man die verräterischen Flecken nicht sieht.
Meine Haare sehen mal wieder schrecklich aus, es wird wirklich zeit zum Friseur zu gehen, aber jetzt muss ein einfacher Zopf genügen.
Es klingelt an der Tür und hastig stopfe ich mein Handy, meinen Schlüssel und die Pralinen in meine Handtasche, rufe meinen Eltern einige kurze Abschiedsworte zu und verlasse das Haus.

Jetzt sind wir bei André angekommen. Bisher wind nur Unbekannte, Freunde aus seinem Dorf da, mit denen wir nichts zu tun haben. Die Musik ist laut und trotz meines Vorsatzes nichts zu essen, verschlinge ich zwei Stücke Kuchen. Angela, Simone, Vanessa und ich sitzen auf einer der Bierbänke in der Garage. Es ist schwer sich zu unterhalten und mit der steigenden Besucherzahl und der anschwellenden Musiklautstärke verbessert sich dieser Umstand nicht gerade.
Nun wird fleißig gegessen, Schnitzel, Schweinebraten und Fleischklöße. Bei den Unmengen an Fleisch zieht sich mein Vegetarierherz schmerzerfüllt zusammen. Ich begnüge mich mit einem Löffel Nudelsalat. Es schmeckt nicht atemberaubend, aber auch nicht schlecht. Die Musik ist weiterhin laut und ich unterhalte mich schreiend mit Anton. Er ist wirklich ein großer Kerl und ist somit ein totaler Kontrast zu mir kleinem Geschöpf. Jedoch ist es immer schön mit ihm zu diskutieren und disputieren.
Mittlerweile leere ich auch schon meine dritte Flasche Cola. Die anderen sind zu Bier oder Asbach übergegangen. Ich halte mich zurück, ebenso Angela. Wir beide jedoch aus zwei verschiedenen Gründen. Sie muss später noch mit dem Auto heimfahren, ich bin in Bezug auf Alkohol ein gebranntes Kind. Zeugen sind die Rotweinflecken auf meiner Bluse. Auf der besagten vergangenen Feier war ich das erste Mal stockbetrunken. Ich habe daraus gelernt und trinke seither keinen Alkohol mehr, denn schon allein bei dem Geruch wird mir schlecht und ich bekomme Kopfschmerzen. Als Florian die Asbachflasche an mir vorbeireicht, steigt mir bitterer Magensaft in den Mund und ich muss würgen.
Da ich Angst habe, dass die anderen denken, ich würde übertreiben, erkläre ich meine Situation und Reaktion. Das führt letztendlich zu etlichen Saufgeschichten, die bald in ihrer Ausschmückung ausarten und immer übertriebener werden.
In der kommenden Stunde verkrachen und versöhnen sich Katja und Niko mal wieder und immer dabei ist Florian. Er umkreist Katja wie ein Aasgeier, in der Hoffnung sich endlich auf sie stürzen zu können.
Nun werden dann endlich die Wodka- und Baileysflaschen auf den Tisch gestellt und immer munter weiter getrunken. Die Musik wird immer lauter und die Luft kann man inzwischen schneiden. Mit Angela und Jana fliehe ich aus der Garage und wir setzen uns auf den Gartenzaun. Die Luft ist kalt, doch alles ist besser, als der stickige Zigarettenqualm in der Garage. Wir reden, über die Schule, die Lehrer und Beziehungen. Nach und nach kommen immer mehr aus der Garage und trinken ihr Bier auf dem Parkplatz. Die meisten sind schon angetrunken oder besoffen. Man erfährt einiges. Es betrübt mich die Geschichte von Lukas, sowie alle anderen auch. Er ist ungefähr so alt wie ich, seine Mutter ist gestorben, als er in der dritten Klasse war. Damit kommt er bis jetzt nicht zurecht und ertränkt seine Einsamkeit jeden Tag von neuem im Alkohol. Es ist unglaublich, wie sich ein junger Mensch so zerstören kann. Hilfe von Außen ist nicht zu erwarten und die Familie ist zerstritten. Er ist in der dritten Klasse einmal durchgefallen und auch in der Hauptschule sitzen geblieben. Lukas verschwindet gegen ein Uhr morgens mit seiner Schwester. Sie bringt ihn nach Hause.
Es wird immer kälter und ich verfluche mich dafür, keine dickere Jacke mitgebracht zu haben. Der Alkohol fließt weiter und ich erinnere mich an die Frage meiner Mutter. Müssen Jugendliche denn immer Alkohol trinken, um gut drauf zu sein?
Es geht leichter mit Alkohol, denn dann hat man etwas, sein Verhalten rechtfertigen zu können. Wieso man dies oder jenes gesagt hat. Außerdem haben wir es nicht leicht, wie es immer behauptet wird. Auch wir brauchen eine Möglichkeit zu fliehen, weg zu kommen von den täglichen Sorgen und dem Druck, der von Eltern, Mitschülern und den Lehrern ausgeübt wird.
Einige Flaschen Bier sind zu Bruch gegangen und es riecht überall nach Bier. Es geht langsam auf halb drei Uhr zu. Ich sage zu Angela, dass ich langsam müde werde. Wir verabschieden uns.
 



 
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