Gedanken im Zug.

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San Martin

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Gedanken im Zug

Ihr Mund ist schmal, ihr Blick ist leer.
Im Licht, das durch das Fenster fällt,
wirkt alles leblos, grau und schwer.
Im Fenster spiegelt sich die Welt.

Sie starrt hinaus, als sei sie blind,
und wünschte sich, sie wäre frei,
so frei, wie es Gedanken sind.
Am Fenster zieht die Welt vorbei.

Die Kraft, die sie zusammen hält,
erlischt, und doch bemerkt sie kaum,
wie alles auseinander fällt.
Im Auge spiegelt sich ihr Traum.

Ihr Haar wirkt grau im Grau des Lichts,
und etwas in ihr bricht entzwei.
Sie wünschte sich, sie fühlte nichts.
Am Auge zieht ihr Traum vorbei.


14.02. 2005

***

Das Portait einer Freundin, die seit Jahren in einen Mann verliebt war, und als er ihr seine Liebe gestand, fand sie sich in einem Dilemma gefangen, das verhinderte, das beide zusammenkamen. In dieser Zeit ist sie mehrere Stunden täglich mit dem Zug unterwegs gewesen, und dieses Bild wollte mir nicht wieder aus dem Sinn: Wie sie im Zug stumm am Fenster sitzt, nachdenklich, tatenlos, hilflos, während ihr großer Traum an ihr vorbei zieht.
 

MarenS

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...dafür, dass es "nur" miterlebt ist, was dieses Gedicht aussagt, dafür ist es wirklich sehr intensiv. Du führst den leser in die Gefühlswelt dieser Freundin. Sie muss dir einiges wert sein, da du sie so kennst.
..was mich zudem magisch anzieht ist dieses fenster, dieses Hinausstarren und doch nicht sehen.
Eine gute Betrachtung der Person im Zugfenster, ihrer Mimk, die ihre Gefühle deutlich zeigen....schmale Lippen...

Grüße von Maren
 

San Martin

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Obwohl die Situation mehrere Monate in der Vergangenheit liegt, kann ich sie mir noch bis ins kleinste Detail vorstellen, wie sie dort am Fenster sitzt, starr nach draußen blickt, ohne etwas zu sehen, ihre Lippen zusammengekniffen, den linken Arm kraftlos auf dem Sitz, die rechte zitternd am Kinn oder am Mund, ihr Gesicht aschfahl, die Stirn leicht gerunzelt unter der inneren Anspannung ihrer Gedanken. Und ich wünsche mir, dass es ihr nie wieder so ergehen wird. Das Gedicht beschreibt, nennt keine Gründe, führt nicht in die Situation ein, und das ist auch so gewollt. Die Ahnung ist verlockender als das Wissen.
 
Hallo San Martin,

wirklich gut. Ein Bild für das innere Auge (Kopfkino) aber auch der Gefühle. Man sieht deine Freundin da am Fenster des Zuges sitzen und hinaus starren und fühlt mit ihr...Gelungen!

LG Walter
 



 
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